Protocol of the Session on March 21, 2002

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir sollten uns bei dieser Diskussion vielleicht einmal von Illusionen befreien. Wir alle wissen, wir essen täglich Nahrungsmittel, die auch von gentechnisch veränderten Organismen stammen. Sie sind in aller Munde, beispielsweise in Form von Enzymen, bei Backwaren, bei Käsewaren und so weiter. Sie sind in aller Munde. Insofern sollten wir keinen Popanz aufbauen.

(Beifall bei FDP und CDU)

Darüber hinaus, Kollege Höppner, hat die Forderung nach komplizierten Kennzeichnungsverfahren und nach möglichst niedrigen Schwellenwerten nur ein wesentliches Ergebnis: Die Lebensmittel werden teuer. Das macht den Menschen, die nach solchen

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Kennzeichnungen fragen, in der Regel nichts aus. Es sind die Besserverdienenden, denen Sie hier das Wort reden. Aber für die Menschen, die mit dem Pfennig rechnen müssen, bedeutet dies eine sehr starke Einschränkung ihrer Lebensmöglichkeiten. Sie gewinnen nichts an Gesundheitsschutz, aber sie verlieren deutlich Euro aus dem Portemonnaie. Dies alles geschieht nur, weil einige meinen, sie müssten ganz genau wissen, was denn da drin ist, obwohl sie mit Sicherheit nicht nachlesen werden, was denn da tatsächlich drin ist. Wir als FDP wehren uns ganz entschieden dagegen, Lebensmittel auf diesem Wege teuer zu machen. Ich fordere die Sozialdemokraten auf, sich ihrer sozialen Verantwortung für die Menschen in diesem Lande bewusst zu werden.

(Beifall bei FDP und CDU)

Die Positionen sind im Wesentlichen nicht neu. Die eine Seite lehnt jegliche Toleranzgrenzen bei Lebens-, Futtermittel- und Saatgutverunreinigungen ab. Die andere hält einen Schwellenwert von 1 %, angelehnt an die Novel-Food-Verordnung, für unverzichtbar. Ich halte diesen Schwellenwert für richtig.

Die Herstellung von pflanzlichen Agrarrohstoffen, die dann zu Lebensmitteln oder Futtermitteln verarbeitet werden, die Herstellung von Saatgut geschieht in der Natur. Sie unterliegt natürlichen Einflussfaktoren und es lässt sich nicht verhindern, dass Pflanzen einer Sorte, wenn auch nur im geringen Umfang, auch mit Pollen von Fremdsorten bestäubt werden können, deren Erbgut dann in den Pflanzen beziehungsweise im Saatgut der vermehrten Sorten wiederzufinden ist. Solche Sortenverunreinigungen können nicht vollständig ausgeschlossen werden. Sie erfolgen aber völlig unabhängig davon, mit welchen Zuchtmethoden die Pflanzen gezüchtet worden sind, ob auf herkömmliche Weise oder mit gentechnisch veränderten Methoden. Sie sind in erster Linie davon abhängig, welche Pflanzenarten es sind und wieweit der Pollen fliegt.

Um dieser natürlichen Tatsache zu begegnen, gibt es bereits jetzt verschiedene Bestimmungen im Saatgutrecht. Ich nenne nur die Forderung nach Abständen zu Nachbarfeldern, die dazu dienen, eine möglichst hohe Sortenreinheit zu erzielen. Für den Bereich der Gentechnik verweise ich außerdem auf die umfassenden Genehmigungsverfahren, die bis zur Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzensorten erforderlich sind, bei denen Umweltbundesamt, Robert-Koch-Institut und die Biologische Bundesanstalt in Braunschweig eingebunden sind. Ohne Frage können alle diese Sicherungsmaßnahmen nicht dazu führen, dass das Saatgut dadurch zu 100 % frei von Einträgen anderer Sorten ist. Daher rührt der Schwellenwert von 1 %.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Ich bitte um mehr Aufmerksamkeit.

Es macht keinen Sinn, werte Kolleginnen und Kollegen auf der linken Seite, weiter dagegen Sturm zu laufen, dass gentechnisch veränderte Organismen angebaut werden und es keine absolute Sicherheit gibt, nicht mit ihnen in Berührung zu kommen. Da dies gesundheitlich unbedenklich ist, ist der Staat auch nicht verpflichtet, sich das unsinnige Ziel der Nulltoleranzen zu Eigen zu machen.

Auch der von Umweltminister Müller Anfang Februar geforderte Gen-TÜV ändert nichts an der Situation. Ein zusätzliches gentechnisches Genehmigungsverfahren hat nichts, aber auch gar nichts mit erhöhter Sicherheit zu tun, schon gar nicht vor dem Hintergrund der bestehenden Zulassungsverfahren. Übrigens räumt der Umweltminister dies in seiner Antwort auf meine Kleine Anfrage selbst ein.

(Beifall des Abgeordneten Peter Jensen- Nissen [CDU])

Wir erleben hier das übliche Spiel der Grünen: Erst wird eine virtuelle Gefahr an die Wand gemalt und dann spielt man sich als Retter, als die Gutmenschen auf, die die Menschheit vor dem Abgrund bewahren.

Nur beim Thema Elektrosmog, werte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, agiert ihr völlig anders. Schließlich kommunizieren die Grünen wie alle anderen über das Handy, und das, wenn es sein muss, auch im Plenarsaal, wie zum Beispiel gestern Staatssekretär Voigt.

Sowohl der Gen-TÜV als auch die Forderung nach Nulltoleranzen haben mit dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher überhaupt nichts zu tun. Das politische Ziel dieser Forderung ist vielmehr die Verhinderung der grünen Gentechnik. Forschung und Anbau der grünen Gentechnik sollen so unattraktiv gemacht werden, dass jegliches Interesse von beteiligten Firmen am Standort Schleswig-Holstein erlahmt. Diese Politik richtet sich gegen die Interessen der mittelständischen schleswig-holsteinischen Pflanzenzuchtunternehmen. Unter dem Deckmäntelchen des Verbraucherschutzes wird grünes Klientelinteresse verfolgt.

(Beifall bei FDP und CDU)

Diese Verschleierungstaktiken sind unerträglich. Für die FDP ist die Festlegung von realistischen Schwellwerten ein geeigneter Beitrag, um den beschriebenen natürlichen Phänomen Rechnung zu tragen, aber auch um den Ausgleich zwischen Verbraucherschutz und

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Nutzungsinteressen zu gewährleisten. Alles andere ist in biologischen Systemen und unter natürlichen Produktionsbedingungen eine Illusion. Wir stimmen dem Antrag der CDU zu.

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile der Frau Abgeordneten Fröhlich das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nichts, auch nicht die bestmoderierte Werbeveranstaltung für die eigene Klientel oder mit der eigenen Klientel - wie soll ich es am besten sagen? -, die die CDU Ende letzter Woche präsentiert hat, kann darüber hinwegtäuschen, dass der von der CDU in den Landtag eingebrachte Antrag zur Heraufsetzung von Schwellenwerten bei gentechnisch veränderten Produkten nicht dem Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern dient und den Beratungen in der EU hinterherhinkt. Der Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern scheint auch überhaupt nicht Ihr Interesse zu sein, Frau Schmitz-Hübsch;

(Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Weil die Sa- che dem Schutz nicht dient!)

denn Sie führen bei Ihrer Argumentation lediglich wirtschaftliche Interessen und Interessen der Forschung an. Aber die Forschung muss sich gesellschaftspolitischen Forderungen unterordnen; das ist keine Frage.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW] - Brita Schmitz-Hübsch [CDU]: Die Forschung wird unmöglich gemacht!)

Die Forschung passiert nicht im rechts- beziehungsweise wertefreien Raum. Das haben wir bei der Diskussion über die Stammzellenforschung bereits überdeutlich gemerkt.

(Zuruf von der CDU - Unruhe)

- Hören Sie mir jetzt einfach zu! Ich bin vorhin, als Sie Ihre Unsäglichkeiten hier ausgebreitet haben, auch still gewesen. Jetzt bin ich dran und Sie hören mir zu.

Ich finde es also schon sinnvoll, darüber nachzudenken, wo der Unterschied, auch ethisch und moralisch, zwischen grüner Gentechnik und roter Gentechnik liegt. Wir werden das im Landtag sicherlich noch ausführlich diskutieren. Die grüne Gentechnik halten wir Grünen im Wesentlichen für überflüssig. Wir brauchen sie nicht, weil wir bei vernünftiger landwirtschaftlicher Produktion im ökologischen und konventionellen Bereich genügend Möglichkeiten haben,

Produktion von Pflanzen zu betreiben. Deswegen gukken wir bei der grünen Gentechnik besonders scharf hin und deswegen kann ich es nicht besonders gravierend und schlimm finden, dass sich in der EU zum Glück die Einsicht breit gemacht hat, in erster Linie dem Verbraucherschutzinteresse Folge zu leisten. Es ist überhaupt nicht überzeugend, wenn Sie sagen: Nicht aus Gründen der Forschung oder der technischen Nachweisbarkeit oder was auch immer wollen wir die etwas höheren Schwellenwerte, sondern wir wollen sie deswegen, weil es gentechnikfreie Produktion im landwirtschaftlichen Bereich bereits nicht mehr gibt. Das ist ja eher ein Armutszeugnis, als dass es uns beruhigen sollte!

So gilt nach der Novel-Food-Verordnung zurzeit in der EU bereits der 1 %-Wert, er wird jedoch nicht als ausreichend empfunden, vor allem deswegen nicht, weil dabei nicht zwischen zugelassenen und nicht zugelassenen Lebens- und Futtermitteln unterschieden wird. Zurzeit wird in der Kommission beraten, für nicht zugelassene Produkte eine zusätzliche, eigene Sicherheitsbewertung vorzunehmen. Das begrüßen wir.

(Martin Kayenburg [CDU]: Das stimmt doch gar nicht!)

- Ich bin jetzt dran und Sie hören zu!

(Martin Kayenburg [CDU]: Ihnen schon lan- ge nicht! Das ist ja unglaublich!)

Wer aber zwischen Lebens- und Futtermitteln und Saatgut gar keine Unterscheidung will - wie die CDU -, der verkennt das ungleich höhere Risiko der möglichen sukzessiven Anreicherung in der Produktionskette, wenn es sich um Saatgut handelt. Da gibt es zweifellos einen Unterschied; Frau Happach-Kasan hat das hier deutlich gemacht. Wer so sorglos mit möglichen Gefahren umgeht, wird die Akzeptanz von Verbraucherinnen und Verbrauchern nicht erhöhen, sondern nur ihre berechtigten Bedenken verstärken. Wie sehr die auf Beunruhigung durch ungeklärte Sachinformationen beruhen - das will ich gern zugeben -, ist manchmal auch eine Quelle von Ängsten, oder wie sehr die darauf beruhen, dass sich jemand intensiv damit auseinander gesetzt hat, will ich einmal dahingestellt sein lassen.

Aber da mit dem Argument der sozialen Gerechtigkeit zu kommen, wie Frau Happach-Kasan das hier getan hat, finde ich geradezu zynisch. Wer nämlich die Akzeptanz von Verbraucherinnen und Verbrauchern stärken und Transparenz schaffen will, muss grundsätzlich eher die technisch mögliche Nachweisgrenze fordern und die genaue Rückverfolgbarkeit von gentechnisch veränderten Organismen sicherstellen.

(Irene Fröhlich)

Denn welche Risiken sie tatsächlich in sich bergen, können Sie natürlich erst nach Generationen ihrer Anwendung überhaupt sagen. Früher kann man das gar nicht wirklich sagen, weil erst nach Generationen bestimmte Forschungsergebnisse klar werden, sich erst bestimmte Linien von Folgerungen erweisen können und so weiter. Das wissen Sie alles sehr genau und viel genauer als ich, weil Sie ja aus dem Bereich kommen, aber Sie wollen es uns hier nicht sagen, weil Sie Ihre Klientel befriedigen wollen - ich argumentiere einmal genauso wie Sie eben bei Bingo. Wer aber nicht einmal die Unterscheidung zwischen Lebensmitteln und Futtermitteln und Saatgut machen will, verniedlicht sicher nicht ohne Interessen das Risiko, das damit verbunden ist.

Aus unserer Sicht müssen deswegen die für Lebensmittelüberwachung zuständigen Ämter im Land und in den Kreisen technisch und personell in die Lage versetzt werden, um die Überwachung routinemäßig und wirksam durchzuführen. Darum wollen wir uns im weiteren Verlauf unserer Arbeit im Landtag gern bemühen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Harms das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Produkte aus gentechnisch veränderten Pflanzen sind teilweise schon Realität für uns und wir müssen uns intensiv damit befassen, wie wir es schaffen können, dass der mündige Verbraucher in die Lage versetzt wird, seine Waren nach seinen eigenen Kriterien auszusuchen. Dazu zählt auch das Kriterium „gentechnisch verändert, ja oder nein“.

Die Debatte um die Gentechnik ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Was wir allerdings jetzt schon feststellen können, ist, dass die Gentechnik schon längst da ist und wir immer noch tief in den Diskussionen darüber stecken. Dies soll kein Vorwurf sein. Ich stelle nur fest, dass der Diskussionsprozess in seiner Geschwindigkeit nicht mit der Entwicklung der Gentechnik mithalten kann. Ob ich das gut finde oder nicht, ist nicht die Frage, sondern die Frage ist: Wenn ich dies feststelle, was soll ich dann noch tun?

Ich kann mir zumindest darüber Gedanken machen, wie ich es ermögliche, dass jeder Mensch zumindest für sich selbst entscheiden kann, wie er im konkreten Einzelfall zur Nutzung der Gentechnik steht. Will ich

Genmedikamente und will ich gentechnisch veränderte Lebensmittel?

Voraussetzung, um Konsequenzen aus diesen Fragestellungen zu ziehen, wäre, dass man eine durchgehende Kennzeichnungspflicht von gentechnisch behandelten Produkten aller Art einführt. Genau hier liegt das Problem. Wir können nämlich oft nur sagen, ob gentechnisch veränderte Substanzen Bestandteil eines Produkts sind oder nicht. Über die Menge der gentechnisch veränderten Substanzen im Produkt können wir derzeit nur eingeschränkt etwas aussagen und dies gilt besonders für den Lebensmittelbereich.

Wie überall im Leben gibt es auch in der Gentechnik einen Unterschied zwischen 99 % und 1 %. Nehmen wir zum Beispiel ein Lebensmittel, in dem sich gentechnisch veränderte Materialien finden. Diese Materialien können auf zwei Wegen in das Lebensmittel gelangen: entweder bewusst im Produktionsprozess oder aber unbewusst durch natürliche Prozesse im Freiland. Inzwischen ist es nicht mehr auszuschließen, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen mit natürlichen Pflanzen kreuzen und so ihre Merkmale weitergeben. Man kann davon ausgehen, dass Pflanzen, die so entstehen, einen sehr geringen Anteil an gentechnisch verändertem Material haben.

Ein Produzent, dem eine solche Kreuzung passiert, wird erhebliche wirtschaftliche Probleme bekommen, wenn er sich bisher gegen gentechnische Produktionsweisen entschieden und entsprechendes Marketing betrieben hat, denn seine Produkte können mit einmal als gentechnisch verändert dastehen. Es gibt zurzeit oft nur ein Ja oder Nein. Abstufungen sind derzeit noch nicht möglich.