Protocol of the Session on January 25, 2002

(Zuruf von der SPD: Es werden immer die Anwesenden beschimpft!)

- Sie können es ja an die Kollegen weiterreichen!

Ich habe eben mit großer Freude Ihr Eintreten für die Rechte des Kindes vernommen. Ich erkläre für meine Fraktion, dass das, was wir anstoßen und unterstützen wollen, selbstverständlich für absolute Ausnahmeund Notsituationen gedacht ist. Ich sage aber auch: Wenn wir zu einem neuen, parteiübergreifenden Konsens darüber kommen, die Rechte des Kindes wieder mehr in den Vordergrund zu stellen, dann würde mich das sehr freuen. Wenn Sie an dieser Stelle konsequent sind, dann müssen Sie die Rechte des geborenen Kindes genauso für das ungeborene Kind geltend machen. Wenn wir schwierige ethische Debatten über die Bereiche PID, Embryonenforschung, Schwangerschaftsabbrüche und ähnliche führen, müssen dies Wertedebatten sein. Wenn wir über die Rechte der Kinder reden, dann sollten Sie nicht nur die Rechte der Kinder, zu wissen, wer sie sind und wer die Eltern sind, betonen. Vielmehr steht an erster Stelle das Recht des Kindes, überhaupt zu leben. Das sollte ein neuer Konsens sein, auf den wir uns miteinander verständigen sollten.

(Beifall bei der CDU)

Ich betone dies, damit die Intention des Antrags der CDU richtig verstanden wird. Die Kollegin Schwarz hat auch darauf hingewiesen. Als Mann muss man sagen, dass Frauen oft genug in diesen schlimmen Notsituationen allein gelassen werden. Uns geht es darum, diesen Frauen, die sich in einer schwierigen wirtschaftlichen, aber auch schwierigen psychischen und psychologischen Situation befinden, einen Ausweg zu bieten, um sich überhaupt erst einmal für das Kind und für das Leben zu entscheiden. Darum geht es uns mit diesem Antrag. Ich finde, auf diesem Weg sollten Sie uns positiv begleiten. Wir sollten gemeinsam dazu kommen, in diesem Hause - und in Schleswig-Holstein insgesamt - wieder mehr darüber zu reden, dass wir auf der Seite des Lebens stehen und dass wir alle Kinder, Frauen und Männer unterstützen wollen, die sich in dieser schwierigen Situation befinden.

(Beifall bei der CDU)

Zu einem Kurzbeitrag erteile ich Frau Abgeordneter Dr. Christel Happach-Kasan das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die CDU hat es - ebenso wie die beiden Kurzbeiträge noch einmal deutlich gemacht, dass sie sich die Unterstützung Schleswig-Holsteins für eine Gesetzesinitiative auf Bundesebene wünscht. Die Kollegin Hinrichsen hat deutlich gemacht, dass eine solche Unterstützung nach der jetzigen Lage eigentlich nicht vonnöten ist. Wir sind uns alle darüber einig, dass es ein Problem gibt. Wir haben viele Frauen in Deutschland, die die Hilfsangebote, die von Gemeinden, Städten und Kreisen ebenso wie von verschiedenen Verbänden erdacht und gestaltet worden sind, nicht erreichen. Das ist das eigentliche Problem. Wie kommen wir an Frauen heran, die nicht erkennen wollen, dass sie schwanger sind, die diese Schwangerschaft verweigern und sich niemandem - auch nicht ihrer Familie - anvertrauen? Wie kommen wir an solche Frauen heran?

Ich kann nicht erkennen, dass der CDU-Antrag im Deutschen Bundestag darauf zielt, dass Frauen in eine staatliche Schwangerschaftsberatungsstelle gehen, um in den Genuss eines längeren Entscheidungszeitraums zu kommen. Ich kann nicht erkennen, dass dies überhaupt eine Lösung ist. Eine Frau, die in eine staatliche Schwangerschaftsberatungsstelle geht, ist sozusagen mit ihrem Kind gerettet. Wir wissen von ihrer Not, wir haben sie gefunden.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Sie hat sich an eine Institution gewendet. Dann sind praktisch alle Möglichkeiten offen, ihr zu helfen. Für diese Frauen stellt die Situation kein Problem dar. Sie können sich jemandem anvertrauen. Wir müssen mit der Problemlösung viel früher anfangen, nämlich dann, wenn die Frau schwanger geworden ist und es nicht geschafft hat, eine Abtreibung zu realisieren. An diese Frauen müssen wir herankommen. Meines Wissens ist für diesen Fall kein echtes Hilfsangebot auf dem Markt. Wir wissen dies nicht.

Wir können nicht nur einfach Gesetze ändern. Gesetze stellen die Rahmenbedingungen dar. Wir müssen diese Rahmenbedingungen aber durch gesellschaftliches Handeln ausfüllen. Ich glaube, hier fehlt es. Im Augenblick haben wir keine Modelle, um an diese Frauen heranzukommen. Daher meine ich, dass es richtig ist, den Antrag der CDU-Fraktion, der von der Tendenz unterstützt wird, aber keinen echten Lösungsansatz aufweist, an den Ausschuss zu überweisen, um

dann in Zusammenarbeit mit den Verbänden Lösungen für Schleswig-Holstein zu finden.

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Scheicht?

Frau Dr. HappachKasan, glauben Sie nicht, dass die Beratungsstellen und die Kliniken schon einen Schritt weiter sind? Ich habe gehört, dass die UniKlinik in Kiel schon eine anonyme Schwangerschaftsambulanz anbietet. Wir haben nun einmal das Problem, wir können nicht lange abwarten. Die Beratung findet jetzt schon statt, sie wird bloß nicht kundgemacht. Wir sollten nicht so tun, als hätten wir das Problem nicht, als hätten wir unheimlich großen Diskussionsbedarf. Das Problem ist da. Die Institute, die Menschen, die Ärzte und Hebammen müssen sich damit auseinander setzen, warum wir Politiker nichts tun. Warum haben wir so viel Zeit?

- Herr Präsident, darf ich diese Frage noch beantworten?

Selbstverständlich!

Das Problem besteht nicht erst seit heute, es besteht seit Jahrzehnten. Wir haben dieses Problem über Jahrzehnte in der Anonymität gelassen. Wir wissen, dass eine anonyme Geburt legal ist. Sie ist möglich. Die Krankenhäuser wissen das und handeln danach. Kein Krankenhaus kann einer Frau mit der Begründung die Geburt verweigern, dass sie ihren Namen nicht nennt. Wir müssen für solche Situationen finanzielle Rahmenbedingungen schaffen. Das ist richtig. Da sind wir tatsächlich und ganz ernsthaft gefordert.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Wir müssen zu einem früheren Zeitpunkt ansetzen, nicht erst am Tag der Geburt. Wir müssen in der Zeit der Schwangerschaft ansetzen. Wir müssen der Frau Aufmerksamkeit schenken und in dieser Zeit Beratungsmöglichkeiten bieten. Ich glaube, dass die Änderung des Personenstandgesetzes nicht der geeignete

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Weg ist, um an Frauen heranzukommen, die sich in einer wirklich verzweifelten und ausweglosen Situation befinden. Dazu müssen im Verein mit den entsprechenden Verbänden und Krankenhäusern Vereinbarungen her. Ich glaube nicht, dass uns eine Gesetzesänderung weiterbringt.

(Beifall bei FDP und SSW)

Es liegen noch zwei weitere Wortmeldungen für Kurzbeiträge vor. Nach § 56 Abs. 4 der Geschäftsordnung erteile ich zunächst Frau Abgeordneter Silke Hinrichsen das Wort.

Frau Dr. Happach-Kasan, ich möchte mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken, dass Sie dieses Problem auch sehen, indem Sie sagen, dass es möglich ist, im Moment eine anonyme Geburt zu haben. Die Krankenhäuser sind verpflichtet, Frauen, die dort erscheinen und sagen, dass sie Hilfe brauchen, zu behandeln. Probleme tauchen zum Beispiel erst dann auf, wenn eine falsche Versichertenkarte abgegeben wird. Dann muss die Polizei ermitteln. Das möchte ich ganz deutlich sagen. Probleme tauchen nicht auf, wenn die Frau erscheint und sagt, dass sie Hilfe braucht, behandelt wird und dann verschwindet. Das Problem ist, dass Ärzte und Krankenschwestern befragt werden, wer das gewesen sei. Das ist aber keine Kindesaussetzung oder Ähnliches. Darauf lege ich sehr viel Wert. Ich habe Angst, dass in dieser Debatte sonst der falsche Eindruck entsteht, dass so etwas strafrechtlich relevant sein könnte. Dies ist gerade nicht strafrechtlich relevant, weil diese Mütter ins Krankenhaus gegangen sind. Dort wird den Kindern und ihnen Hilfe geboten.

Bevor wir dieses Thema weiter diskutieren, ist es für uns wichtig festzustellen, dass es ein Kinderrecht auf das Wissen um ihre Abstammung gibt. Das gilt für das geborene Leben. Dem steht immer noch kein Anspruch der Mutter oder der Eltern gegenüber, eine anonyme Geburt zu wünschen. Wir sagen aber genauso und ganz pragmatisch, dass in echten Konfliktsituationen für uns das Leben mehr wiegt als der Wunsch des Kindes, seine Abstammung zu erfahren.

Ich möchte darauf hinweisen, dass andere Wege gefunden werden können, um den Kindern etwas Wissen um ihre Eltern zu geben. Dies aber ohne Angabe des Namens und ohne dass zum Beispiel Ärzte und Krankenschwestern verpflichtet sind, auszusagen, wie die Mutter ausgesehen hat. Man würde einfach freiwillige Angaben aufnehmen, die keine Identifikation bieten.

Uns liegt wirklich daran, dass es diese Möglichkeit weiterhin gibt. Eine Änderung des Personenstandsgesetzes, ob man nun nach einer Woche oder nach zehn Wochen anmeldet, zeigt eher Probleme im Adoptionsrecht auf beziehungsweise spricht etwas an, was genau in der Geburtsurkunde stehen muss. Ich meine, das ist eigentlich nicht der richtige Weg. Das ist eine verwaltungstechnische, eine bürokratische Lösung.

(Zuruf der Abgeordneten Caroline Schwarz [CDU])

Die pragmatische Lösung wäre, vor allen Dingen der Mutter und dem Kind zu helfen.

(Beifall bei SSW, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und der Abgeordneten Birgit Herdejür- gen [SPD])

Das Wort zu einem Kurzbeitrag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Anna Schlosser-Keichel.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Wadephul, ich möchte hier jetzt nicht plötzlich eine neue Diskussion über Abtreibung führen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SSW und vereinzelt bei der SPD)

Wir haben keine Freigabe des Schwangerschaftsabbruchs. Im Gegenteil! Es ist ein aufwendiges Verfahren vorgesehen, das sehr wohl das Recht der Mutter gegen das des Kindes abwägt. Ich glaube deshalb, in dieser Diskussion, die wir heute führen, hat dieser Hinweis einfach keinen Platz.

Die interfraktionelle Übereinstimmung ist heute oft bemüht worden. Es gibt eine interfraktionelle Arbeitsgruppe - das ist richtig -, die den Weg sucht, Hilfestellungen für diese Frauen zu finden, die den Weg sucht, die anonyme Geburt auf sicherere Beine zu stellen. Dieser Gruppe gehören aber nicht zu 100 % Mitglieder des Deutschen Bundestages an. Es gibt auch eine interfraktionelle Gruppe, die sagt, wir müssen damit sehr sorgfältig umgehen, die sagt, wir müssen bedachtsam auch die Rechte der Kinder auf Kenntnis ihrer Herkunft prüfen. Das ist auch eine interfraktionelle Gruppe.

(Anke Spoorendonk [SSW]: Sehr wahr!)

Dann gibt es gewichtige Gruppen - zum Beispiel den Kinderschutzbund -, die diese Diskussion mit sehr großen Vorbehalten verfolgen.

Ich bin wirklich geneigt, beim Thema der anonymen Geburt das Wohl der Frauen voranzustellen. Ich

(Anna Schlosser-Keichel)

möchte aber auch für mich in Anspruch nehmen, dass ich damit ganz große Bauchschmerzen habe, dass ich mich damit nicht leicht tue.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wie gesagt, wir wollen darüber im Ausschuss gern sprechen und uns gegebenenfalls noch in die Diskussion über unsere diversen Parteischienen, über unsere Frauenorganisationen einmischen, um dann zu sehen, was auf Landesebene zu machen ist.

Es ist angesprochen worden, dass wir vielleicht ein anderes Angebot bei den Beratungsstellen brauchen, damit die Frauen - diese besondere Gruppe - dann auch angesprochen werden.

Das, was wir auch brauchen, ist ein anderes Bewusstsein gegenüber den Müttern, die ihre Kinder zur Adoption freigeben. Ich habe manchmal so das Gefühl, dass Frauen, die Kinder in die Adoption geben, nicht viel weniger als Rabenmütter angesehen werden als diejenigen, die ihr Kind in die Babyklappe legen. Wenn die Adoption für die Frau eine letzte Möglichkeit ist, müssen wir sie von dem Makel befreien, dass sie sich vor ihrer Aufgabe drücken will. Diesen Punkt sollten wir in Angriff nehmen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Irene Fröhlich.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich noch einmal zu Wort gemeldet, um zu klären, was wir in dieser Diskussion eigentlich bewegen wollen. Wir sind uns einig, wir möchten diesen Antrag mit einer gemeinsamen Zielrichtung an den Ausschuss überweisen. In der Tendenz gibt es da keinen Widerspruch.

Wir sind uns einig, dass wir hier ein Problem benannt haben, das als Problem zu benennen ist.