Protocol of the Session on January 24, 2002

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Stellen Sie sich vor, das Haus der Geschichte gäbe es schon. Was würden Sie als Besucherin oder Besucher erwarten? Oder anders gefragt: Wie lässt sich unsere Landesgeschichte von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die unmittelbare Gegenwart in ein modernes Museumskonzept übertragen? Wie kann man der wechselvollen Geschichte der ehemals „op ewig ungedeelten“ Herzogtümer, der preußischen Provinz, des nördlichsten

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Flächenlandes der Bundesrepublik Deutschland eine Physiognomie geben, wie Walter Benjamin die Aufgabe des Historikers definiert hat? Gesucht wird eine Physiognomie, die sachlich richtig und zugleich sinnlich ansprechend ist, die repräsentative Details aufgreift und zirka 150 Jahre auf den Punkt bringt.

Ich will es kurz mit einer Art persönlichem Trailer versuchen: Am Anfang könnte die Proklamation der provisorischen revolutionären Regierung in Kiel aus dem Jahre 1848 stehen. Dann denke ich an die Baugeschichte des Kaiser-Wilhelm-Kanals beziehungsweise des Nord-Ostsee-Kanals, an die Kieler Woche oder an Meteor, an Zeugnisse der Werftindustrie und der Marine - als Wirtschaftskraft ebenso wie als Kriegsmacht und auch als Ausgangspunkt der demokratischen Revolution von 1918. Ich denke an den Kampf gegen das Meer: auf den Halligen, den Inseln, an den Küsten, insbesondere an die große Sturmflut 1962. Ich denke an die Nobelpreisurkunden von Thomas Mann, von Willy Brandt und Günter Grass und daneben: die Büsumer Krabbenfischer, die Flensburger Rumbuddeln, die Werften im Land, die Industrialisierung der Landwirtschaft in Form einer echten Milchzentrifuge und Ministerpräsident Lübke mit dem Modernisierungsprogramm Nord. Ich denke aber auch an die Konzentrationslager Ladelund und Kiel-Russee, an die Bombardierung der Cap Arcona, an das völlig zerstörte Kiel, an die Bartholomäus-Nacht in Lübeck, an Millionen von Flüchtlingen, an die Minderheiten, an den Taktstock von Leonard Bernstein und vielleicht auch an die Beate-Uhse-Aktie.

Dass uns die Hauptsache zu diesem Trailer fehlt, also eine umfassende landesbezogene Dokumentation, darüber besteht kein Zweifel. „Die politische und soziale Geschichte des Landes von den Anfängen bis heute ist bisher nicht zusammenhängend dargestellt worden“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Ein Entschließungsantrag aller im Landtag vertretenen Parteien hat die Notwendigkeit einer Präsentation von SchleswigHolsteins Weg in die Moderne bestätigt. Diese seltene und - wie ich finde - hoch zu schätzende Einstimmigkeit macht mich sehr zuversichtlich. Das Haus der Geschichte ist schließlich für uns alle da, es muss von allen getragen werden. Es eignet sich deshalb nicht als parteipolitischer Zankapfel.

(Beifall im ganzen Haus)

Weil über das Ziel Einigkeit besteht, stellt sich nun die Frage der Realisierungsmodalitäten, das heißt die Frage nach der Finanzierung und natürlich auch nach dem Standort. Der vorgelegte Bericht der Landesregierung zum Haus der Geschichte konzentriert sich auf Inhaltlich-Konzeptionelles und Methodisches. Herzstück ist ein Eckwertepapier, das eine Kommission

unter der Leitung des Vorsitzenden des Museumsverbandes Schleswig-Holstein, Professor Wolf, erarbeitet hat. Die geplante Dauerausstellung „Schleswig-Holsteins Weg in die Moderne“ soll in drei Ebenen untergliedert werden, in die Themen Demokratisierung, wirtschaftliche Entwicklungen und Zusammenleben. Den vorgeschlagenen inhaltlichen und didaktischen Ansätzen stimmt die Landesregierung zu. Ich möchte der Kommission - auch wegen ihrer umfangreichen ehrenamtlichen Arbeit - im Namen des ganzen Hauses und im Namen der Landesregierung Dank sagen.

(Beifall im ganzen Haus)

Zu den nächstfolgenden Fragen, nämlich zum Standort und der Art der Finanzierung, hat die Kommission ich füge hinzu: verständlicherweise - keine Aussagen gemacht.

Wenn sich das Parlament nun für ein Haus der Geschichte ausspricht, so bedeutet dies den Startschuss für ein durchaus langfristiges und auch aufwändiges Projekt. Es wird für unser regionales Selbstverständnis, für unser schleswig-holsteinisches Selbstbild, aber auch für unsere Außenwirkung von großem Nutzen sein. Wenn ich manchmal - auch in diesem Parlament höre, wie oft und wie kleinmütig wir uns gelegentlich mit anderen Bundesländern vergleichen, dann habe ich ohnehin das Gefühl, dass uns ein bisschen mehr Souveränität - gerade wegen unserer schwierigen Geschichte -, ein bisschen mehr Selbstbewusstsein und ein starkes Selbstverständnis gut tun würden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW sowie vereinzelt bei CDU und FDP)

Wir hatten im vergangenen Jahr eine teilweise erbittert geführte Debatte um den Begriff der Leitkultur in Deutschland. So polarisierend dieser Terminus auch ist, so wenig dürfen wir mit dem Wort die Sache ablehnen. Schließlich stehen wir dauernd in einer Wertedebatte - ob wir das wollen, ob uns das bewusst ist oder nicht. Und regelmäßig fragen wir uns, wie viel Bildung, wie viel Familie, wie viel Umwelt und wie viel Infrastruktur wir wollen. Wir schützen und fördern, wir verbieten und regeln. All das hat mit dem Haus der Schleswig-Holsteinischen Geschichte unmittelbar zu tun. Es würde nicht nur identitätsstiftend wirken, es wäre zugleich ein wichtiger Beitrag zum Erhalt der Symbolfähigkeit unserer Gesellschaft.

„Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen. Was dieser gewollt hat, müssen wir erforschen, wenn wir wissen wollen, was jener will.“

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

So heißt es bei Heinrich Heine. Diese Verortung der Gegenwart und der Zukunft in der Geschichte gilt nach wie vor.

So viel zur Habenseite. Die Sollseite brauche ich nicht zu verschweigen.

Wenn wir uns für ein Haus der Geschichte entscheiden, wird diese Maßnahme den Landeshaushalt zusätzlich, und zwar langfristig, dauerhaft, in Anspruch nehmen. Wir können derzeit nur grobe Schätzungen vornehmen. Jede konkrete Aussage ist unmittelbar abhängig vom Umfang und auch vom Standort.

Ins Spiel gebracht haben sich inzwischen neben der Landeshauptstadt Kiel die Stadt Schleswig, deren Bewerbung vom Landkreis Schleswig unterstützt wird. Ich tue nun sicherlich nicht gut daran, einer Entscheidung vorzugreifen. Die derzeitige Situation will ich aber doch kurz beschreiben.

Die Landeshauptstadt Kiel hat ein konkretes und sehr ernsthaft vorgetragenes Angebot gemacht. Sie hat zusammen mit der Kulturinitiative „Kieler Altstadt“ eine integrative Lösung vorgelegt. Geplant ist, auch mithilfe eines privaten Investors, die Erweiterung des Städtischen Museums sowie die Integration des Hauses der Landesgeschichte in eine museale Gesamtkonzeption unter dem Arbeitstitel „Historisches Zentrum“ an dem Gelände der so genannten Alten Feuerwache. Die Landeshauptstadt macht für sich auch den Status als Landeshauptstadt geltend.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Wie ernsthaft die Bewerbung Schleswigs, das über unterschiedliche Areale und Liegenschaften verfügt und sie vorschlägt, als Standort für ein Haus der Geschichte ist, sehen Sie an der Gründung eines Förderkreises, an der Einwerbung von Investitionszusagen und nicht zuletzt an einer Anzeige, die heute im „Flensburger Tageblatt“ erschienen ist.

(Beifall bei SPD, CDU und SSW)

- Ich wundere mich jetzt, warum der Lübecker Abgeordnete klatscht.

(Vereinzelter Beifall - Heiterkeit - Dr. Ekke- hard Klug [FDP]: Aus Prinzip!)

Ich lasse das aber einmal so stehen.

Ich interpretiere dieses Inserat, diese Anzeige zum heutigen Tag als sehr engagierte Werbung für einen Zuschlag, aber darüber hinaus auch als ein ermutigendes Zeichen dafür, dass dieser Gedächtnisort keineswegs nur politisch gewünscht wird. Das Projekt wird von einer breiten Bevölkerung getragen. Hier engagieren sich Geist und Geld, Kirchen und Klinikleitungen, Wirtschaft und Wissenschaft, Militär und Museen,

Männer und Frauen mit und ohne Parteibücher - wenn ich das mit Verbeugung vor Siegfried Lenz sagen darf - für eine schleswig-holsteinische Deutschstunde in einem Haus der Geschichte.

(Beifall bei SPD, CDU und FDP)

Die Standortfrage kann nun natürlich nicht ohne die Finanzierungsfrage geklärt werden. Derzeit rechnen wir mit Gesamtkosten in Höhe von circa 5 Millionen € und mit jährlichen Folgekosten in Höhe von mindestens - muss man wohl ehrlicherweise sagen 250.000 €. Mehr als diese grobe Schätzung ist derzeit nicht möglich.

Wenn wir von einer mehr als paritätischen Kostenübernahme des Kooperationspartners ausgehen, verbleibt für den Landeshaushalt als allerunterste Grenze des Vertretbaren eine Belastung für die investiven Kosten in Höhe von mindestens 2 Millionen € und von circa 100.000 € an jährlichen Betriebskosten. Ich höre die Finanzpolitiker stöhnen. Ich treffe jetzt eine sehr grundsätzliche Aussage. Ich finde - in welcher Frist auch immer -, dieses Projekt sollte uns diese Summe wert sein.

(Beifall im ganzen Haus)

Gerade die besondere Geschichte unseres Landes, trotz des Slogans „op ewig ungedeelt“ immer wieder zerrissen und immer wieder zuammengeflickt worden zu sein, verlangt nach einer solchen Selbstvergewisserung und nach solch anschaulichen Gedächtnisorten. Auch in Zukunft. Die Orientierung in einem erweiterten Europa ruft geradezu nach einer regionalen Selbstbestimmung. Ich sehe das einerseits als inhaltliche Herausforderung. Es gibt gewiss nicht nur Schönes und Gutes in Schleswig-Holstein zu dokumentieren, sondern auch viele Schattenseiten, bis hin zu den rechtsradikalen Anschlägen der jüngsten Vergangenheit. „Wenn man aus der Geschichte lernen will“, geht es, wie Willy Brandt mit Recht gesagt hat, „ohne Schmerz“ nicht ab.

Ich sehe es als eine große museumspädagogischdidaktische Aufgabe, wenn unsere Landesgeschichte der letzten 150 Jahre eine „Physiognomie“ erhält, in der sich die schleswig-holsteinischen Bürger wiederfinden, die es aber auch Fremden ermöglicht, sich ein Bild von diesem Land zu machen. Dann hätten wir einen Meilenstein für die Gegenwart und auch für die Zukunft gelegt.

Ich schlage vor, dass die Landesregierung im Fall der Zustimmung zu diesem Projekt eine weitere Kommission einberuft, die auf der Basis der Eckdaten, auf der Basis der Diskussion hier heute und in den Ausschüssen die Umsetzung erarbeitet, also die Standortfrage weiter diskutiert und sie mit einem tragfähigen Finan

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

zierungskonzept verbindet. Dabei erwarte ich, dass nicht nur mit öffentlichen Geldern gerechnet wird. Jeder Standortvorschlag wird genaustens zu prüfen sein, und zwar auch hinsichtlich der Bereitschaft von Bürgerschaft, von Gebietskörperschaften, von Kommunen und von privaten Sponsoren, eine enge Partnerschaft mit dem Land einzugehen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Lassen Sie mich zusammenfassend sagen und damit die Philosophie des Ganzen beschreiben: Nur wenn wir uns darüber im Klaren sind, was gestern war, werden wir Gegenwart und Zukunft nicht nur begreifen, sondern auch gestalten können. - Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.

(Beifall im ganzen Haus)

Nach dem Bericht der Kultusministerin werden wir in die Aussprache eintreten. Der Ordnungsgemäßheit wegen will ich darauf hinweisen, dass die Ausführungen zwei Minuten länger als geplant in Anspruch genommen haben. Insofern steht den Fraktionen nach § 56 Abs. 6 der Geschäftsordnung jeweils die gleiche Überschreitungszeit zu. Jeder mag prüfen, ob er davon Gebrauch macht.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Hätte er das nicht gesagt, wäre es keinem aufgefallen!)

Ich eröffne die Aussprache. Für die Fraktion der CDU erteile ich der Frau Abgeordneten Caroline Schwarz das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Brauchen wir eigentlich ein Haus der Geschichte? Wir haben doch circa 150 Museen im Land, die, wie man dem Museumsbericht der Landesregierung in der letzten Landtagstagung entnehmen konnte, in der Regel gut besucht sind und lebhaft angenommen werden und die voll von Zeugnissen unserer Landesgeschichte sind. Ist es vor diesem Hintergrund überhaupt nötig und können wir es uns angesichts der leeren Kassen leisten, noch ein großes Museum wie das Haus der Geschichte in Schleswig-Holstein zu etablieren? Haben nicht andere Vorhaben und Projekte Vorrang, um die Zukunft unseres Landes zu gestalten, wie Wirtschaftsförderung, moderne Technologien, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur und Schaffung von Arbeitsplätzen? Können wir es verantworten, im Zeitalter von Europäisierung und Globalisierung in ein Haus der

Geschichte mit dem Blick zurück zu investieren, auch wenn es nur der Blick von heute auf gestern ist?

(Günter Neugebauer [SPD]: Das reicht nicht aus!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis eben habe ich den Advocatus Diaboli gespielt.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Advocata!)

Denn die Antwort lautet eindeutig - Frau Ministerin, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie das auch so deutlich gesagt haben -: Wir brauchen ein Haus der Geschichte.