Protocol of the Session on January 24, 2002

Bevor ich der Landesregierung das Wort erteile, will ich einen Gast begrüßen. In der Loge hat der ehemalige Abgeordnete und Vizepräsident dieses hohen Hauses, Kurt Schulz, Platz genommen. Herzlich willkommen!

Jetzt erteile ich Frau Ministerin Moser das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eine kurze Vorbemerkung: Ich will jetzt keine Wahlkampfrede halten.

Die beiden Anträge haben eine Gemeinsamkeit: Sie sind nur Versatzstücke einer vielgestaltigen Debatte zum Niedriglohnsektor. Insofern gebe ich der Kollegin Strauss Recht. Der FDP-Antrag hat darüber hinaus schon eine gewisse Patina. Frau Aschmoneit-Lücke hat ihn in ähnlicher Form bereits in der letzten Legislaturperiode gestellt. Herr Dr. Garg, ich hoffe, Sie wissen das.

(Dr. Heiner Garg [FDP]: Ja, ich kenne ihn!)

- Das ist in Ordnung. Es gab mehrere ähnlich gelagerte Anträge zu diesem Thema. Ich bin Ihnen in der letzten Debatte im September den korrekten Wortlaut eines wie ich fand - passenden Goethe-Zitats schuldig geblieben. Ich hole das jetzt nach:

„Getretener Quark wird breit, nicht stark.“

Buch der Sprüche, West-Östlicher Diwan.

(Beifall bei der SPD - Dr. Johann Wadephul [CDU]: Goethe zu zitieren ist doch kein Ni- veau!)

Beide Anträge hätten die Aufhebung der 325-EuroRegelung zur Folge, ohne die noch ausstehende gesetzlich vorgeschriebene Evaluation abzuwarten, was ich immer schlecht finde.

Meine Damen und Herren, Sie wissen, dass ich ein besonderes Interesse an einer vernünftigen Gestaltung eines Niedriglohnsektors habe, und zwar aus arbeitsmarktpolitischen und sozialpolitischen Gründen,

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

und dass ich mich immer für eine effiziente Subventionierung einfacher und niedrig entlohnter Arbeit stark gemacht habe. Nichtsdestotrotz brauchen wir eine systematische Debatte. Eine solche haben wir bis jetzt nicht. Wir sind bereits seit Jahren in KombilohnModelle eingestiegen. Das „Elmshorner Modell“ ist ein erfolgreicher Ausweis für die arbeitsmarktpolitische Effizienz dieser Kombination, die es unterscheidet vom „Mainzer-Modell“, dieser Kombination von Unternehmensberatung und Akquirierung von Arbeitsplätzen und Subventionierung der Sozialversicherungsbeiträge. Mittelfristig - ob nun Elmshorn oder Mainz - müssen wir uns in der Kombilohndebatte entscheiden, ob wir vorrangig arbeitsmarktpolitische Instrumente entwickeln wollen oder ob wir ein Element der Grundsicherung mit diesen Kombilöhnen etablieren wollen. Das ist ein unterschiedlicher perspektivischer Ansatz.

Momentan schwirren viele Ideen relativ unsystematisch und perspektivlos durcheinander.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Sagen Sie einmal, was Sie wollen, Frau Ministerin!)

- Haben Sie noch ein bisschen Geduld! Bei den anderen hatten Sie mehr Geduld. Dass Sie so reagieren, nur weil ich Sie eben verärgert habe, indem ich Ihnen einen Spaß verdorben habe, tut jetzt nicht nötig.

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Haben Sie nicht!)

Angesichts der Vielzahl ist es wenig hilfreich, zwei weitere punktuelle Vorschläge ohne klare Perspektive für die Struktur der staatlichen Transfersysteme und Versicherungssysteme zu debattieren.

Beide Anträge schlagen erhebliche Eingriffe in das Steuer- und Sozialversicherungssystem vor, ohne dass die Konsequenzen im gesamten System zu Ende gedacht wären. Der Antrag der FDP führt auf der Einnahmenseite - ich sage das in aller Kürze - bei der Sozialversicherung zu deutlichen Ausfällen. Wie bitte - das ist schon angesprochen worden - gehen Sie mit der Folge um, dass dann Millionen von Menschen bei Krankheit, Pflegebedürftigkeit und auch bei Unfall ohne Schutz sind? Sollen sie das selbst bezahlen? Wie weit der Versicherungsschutz dieser Zwangsversiche

(Ministerin Heide Moser)

rung, die Kapital gedeckt sein soll, reicht, ist die Frage.

Herr Dr. Garg, Sie haben eben die Katze ein bisschen aus dem Sack gelassen. Sie gehen offenbar davon aus, dass dieses alles zusätzliche Arbeitsverhältnisse sind, also eine Art legalisierte Schwarzarbeit. Das kann weder arbeitsmarktpolitisch noch sozialpolitisch sinnvoll sein.

(Beifall bei SPD und SSW)

Frau Ministerin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Ja.

Frau Ministerin, würden Sie mir erklären, welche soziale Absicherung die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer solcher Beschäftigungsverhältnisse vor Inkrafttreten der Neuregelung gehabt haben und welche soziale Absicherung sie nach Inkrafttreten insbesondere im Bereich der Krankenversicherung haben werden?

- Das ist richtig, dass Sie diese Frage stellen. Die Neuregelung hat aber bezweckt, gerade diesen Sektor nicht auszuweiten, sondern deutlich zu begrenzen, während Ihr Vorschlag darauf abzielt, einen Riesensektor für Millionen von Menschen aufzumachen, die dann keine geschützten Arbeitsverhältnisse haben und die das rein im Rahmen ihres Privatrisikos regeln müssten. Bei allem Bekenntnis zu mehr Eigenverantwortung: Es kann doch nicht Ihr Ernst sein, quasi für eine große Gruppe der Erwerbstätigen hinter Bismarck zurückfallen zu wollen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Ich sage es noch einmal: Wir stimmen im Ziel überein, die Beschäftigung zu steigern und dabei insbesondere im Bereich der niedrigqualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mehr Beschäftigung und mehr Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dem Weg, den hier die FDP vorschlägt, stimmen wir nicht überein, auch wenn er jetzt offenbar so ähnlich von der Arbeitgeberseite im Bündnis für Arbeit auf den Tisch gelegt wird. Aber dieses Bündnis schmähen Sie ja auch. Insofern ist es Ihnen sicherlich auch egal, was da auf den Tisch kommt.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Antrag der grünen Fraktion. Ich finde den Ansatz grundsätzlich überlegenswert, obwohl mir diese Aussage nach der

Begründung des Antrags durch Sie, Herr Hentschel, deutlich schwerer fällt als sie mir ohne Ihre Begründung gefallen wäre. Diese Ansatz einer steuerfinanzierten Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge unterhalb eines Freibetrages und einer degressiven Subventionierung oberhalb des Betrages ist sicherlich auf den ersten Blick attraktiv. Durch die Anhebung der Mehrwertsteuer würden für die Sozialversicherungen keine finanziellen Einbußen entstehen. Für die Arbeitgeber gäbe es eine Kostenentlastung und es wäre ein Anreiz - möglicherweise - zur Schaffung solcher Arbeitsplätze für Erwerbstätige mit einfacher Qualifizierung.

Es gäbe eben auch keinen Wegfall des Versicherungsschutzes der Arbeitnehmer.

Über die Verteilungswirkung einer erhöhten Mehrwertsteuer streiten die Experten. Einige haben Ihre Meinung, andere die Meinung, die der Kollege Baasch hier dargetan hat. Ich wage es nicht, eine Entscheidung zu treffen. Ich neige aber dazu - das sage ich hier in aller Deutlichkeit -, die Verteilungswirkung der Erhöhung der Mehrwertsteuer für nicht so schlimm zu halten, wie manche es meinen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, ein Umstieg auf das dänische System, viel diskutiert auch gern hier im Nachbarland Schleswig-Holstein, aber selten zu Ende gedacht, weil immer nur Systemteilchen angeguckt werden,

(Vereinzelter Beifall bei der FDP)

wäre allerdings mit diesen wenigen und sehr pauschal beschriebenen Maßnahmen nicht zu erreichen, wenn er denn - das sage ich jetzt ohne alle Polemik - überhaupt wünschenswert und machbar wäre; denn wir können ja nicht Knall auf Fall aus einem System ins andere umsteigen.

Gestatten Sie mir im Übrigen den Hinweis, dass die Senkung der Arbeitslosigkeit in Dänemark nun nicht nur der Steuerfinanzierung einer Grundsicherung zu verdanken ist, sondern dass dort sehr viel Geld eingesetzt worden ist,

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Anke Spoorendonk [SSW])

um einen zweiten Arbeitsmarkt, und zwar häufig im öffentlichen Bereich, zu subventionieren.

(Zuruf der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

Die Pauschalität der Vorschläge lässt auch eine Bundesratsinitiative fragwürdig erscheinen; denn, Herr

(Ministerin Heide Moser)

Hentschel, wir müssten schon vorher genau überlegen, welche Verwaltungsschritte das erfordern würde, dass heißt, wie viel Bürokratie diese neue Transferleistung erfordern würde. Die mindestens in der Progressionszone notwendige individuelle Berechnung wäre doch so glaube ich - sehr aufwendig.

Daher kann ich mich zum jetzigen Zeitpunkt diesem Antrag auch nicht anschließen, kann mich dafür nicht erwärmen.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Johann Wade- phul [CDU] Ich freue mich aber - das sage ich jetzt ohne alle Häme und nicht als Floskel -, Herr Dr. Wadephul - ich darf Sie einmal belehren; das haben Sie ja immer so gern -: Wir behandeln hier Anträge und nicht die Vorstellun- gen der Landesregierung - - (Klaus Schlie [CDU]: Es könnte ja sein, dass Sie welche haben!)

- Lieber Herr Schlie, wenn Sie nicht zuhören können, dann wiederhole ich: Ich habe Vorschläge deutlich anklingen lassen,

(Dr. Johann Wadephul [CDU]: Nein!)

aber ansonsten -

Ja, das tut mir jetzt Leid für Sie; das spricht für Ihr Verständnis in diesem Bereich.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Widerspruch bei der CDU)