Protocol of the Session on June 7, 2000

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Mitglieder der von Altbundespräsident Richard von Weizsäcker geführten Kommission zur Wehrstrukturreform empfehlen unter anderem eine deutliche Reduzierung der Zahl der Wehrpflichtigen. Eine solche Entscheidung würde das Gesicht der Bundeswehr vollkommen verändern.

Aber nicht nur die Bundeswehr wäre massiv betroffen. Die Umsetzung der Reformvorschläge hätte auch dramatische Auswirkungen auf den Zivildienst in unserem Land. Eine entsprechende Kommission wird im Herbst ihre Vorschläge unterbreiten.

(Vizepräsident Thomas Stritzl übernimmt den Vorsitz)

Noch vor der parlamentarischen Sommerpause in Berlin will der Bundesminister der Vereidigung sein eigenes Konzept für die künftige Struktur der Bundeswehr vorstellen und im Kabinett beraten lassen. Die Entscheidungen in der Bundeshauptstadt werden also nicht nur die Bundeswehrstandorte in SchleswigHolstein zu spüren bekommen. Die Sozialarbeit in Schleswig-Holstein wird durch eine damit zusammenhängende Reduzierung des Zivildienstes ganz direkt betroffen sein.

Zivildienstleistende sind in vielen sozialen Einrichtungen zu unverzichtbaren Mitarbeitern geworden. Sie nehmen viele Aufgaben wahr, die durch Bundes- und Landesgesetz in der Finanzierung nicht geregelt, aber trotzdem lebensnotwendig für eine große Zahl von Mitbürgerinnen und Mitbürgern geworden sind.

Zivildienstleistende engagieren sich in zahlreichen Alten- und Pflegeeinrichtungen. Sie leisten Aufgaben, die durch die Pflegeversicherung nicht finanziert

(Torsten Geerdts)

werden können, weil es sich nicht um pflegerische Aufgaben handelt. Diese jungen Menschen sind für viele ältere Mitbürgerinnen und Mitbürger zu ganz wichtigen Kontaktpersonen geworden.

Aus der Behindertenarbeit sind Zivildienstleistende zurzeit nicht wegzudenken. Insbesondere die Fahrdienste für Menschen mit Behinderungen sind zu begehrten Einsatzstellen von Ersatzdienstleistenden geworden.

Aber auch in Krankenhäusern sind die so genannten Zivis im Einsatz. Insbesondere für Langzeiterkrankte und Gehbehinderte sind Zivildienstleistende zu einer Entlastung geworden. Aber auch Krankenschwestern und Krankenpfleger können auf die Unterstützung der ‘Zivis’ nicht verzichten.

Weitere Einsatzorte sind zum Beispiel die Kindertagesstätten im Lande. Insbesondere integrative Gruppen benötigen jede helfende Hand. Oft sind die Zivildienstleistenden die einzigen männlichen Mitarbeiter in den Kindertagesstätten. Für Kinder mit einem allein erziehenden Elternteil - das ist in der Tat überwiegend die Mutter - sind die Zivildienstleistenden oft in der Rolle des einzigen männlichen Erziehers.

Die Arbeiterwohlfahrt beschäftigt in SchleswigHolstein zirka 300 Zivildienstleistende, der CaritasVerband zwischen 80 und 100 Personen, der Paritätische Wohlfahrtsverband kommt auf 600 Zivis, das Deutsche Rote Kreuz hat 200 Stellen und die Diakonie meldet uns 600 Zivildienstleistende.

Allein im Tätigkeitsbereich der Wohlfahrtsverbände haben ungefähr 1.800 Ersatzdienstleistende ein Tätigkeitsfeld gefunden. Wenn man - so argumentieren die Wohlfahrtsverbände - von einer Drittelarbeitskraft bei einem ‘Zivi’ ausgeht, dann diskutieren wir ganz konkret 600 Stellen in der Sozialarbeit.

Die CDU-Landtagsfraktion ist der Auffassung, dass wir uns umgehend mit dieser Thematik im Land befassen müssen. Wenn im Sommer dieses Jahres der Bundesminister der Verteidigung und im Herbst die Kommission „Zivildienst“ konkrete Zahlen auf den Tisch legen, müssen wir einen Überblick erhalten, welche Auswirkungen auf Schleswig-Holstein zu erwarten sind. Wir müssen uns ein Bild davon machen, wie sehr die Strukturen unserer Sozialarbeit betroffen sein werden. Selbstverständlich können die Auswirkungen erst ermittelt werden, wenn die Zahlen konkret auf dem Tisch liegen. Aber ich denke, wir sollten jetzt in die Vorarbeit - auch im Sozialministerium - eintreten.

Wir möchten von der Landesregierung wissen, welche Schritte sie unternehmen wird, um die bisher von Zivildienstleistenden erbrachten Arbeiten auf andere zu übertragen. Uns interessieren die Auswirkungen auf

den Landeshaushalt, aber auch auf die kommunalen Haushalte beispielsweise für die Träger der Sozialhilfe.

Gibt es aus der Sicht der Landesregierung Alternativen? Sollen die bisher für den Zivildienst zur Verfügung gestellten Mittel - auch das wird diskutiert - für neue Beschäftigungsformen beispielsweise bei den Wohlfahrtsverbänden verwandt werden? Und natürlich interessiert uns die Position der Landesregierung zu dem Vorschlag, der auch aus der Kommission von Herrn von Weizsäcker stammt, nämlich Zivildienststellen umzuwandeln in Stellen innerhalb des Freiwilligen Sozialen Jahres. Daher haben wir als CDUFraktion parallel zu diesem Berichtsantrag eine Kleine Anfrage zum Freiwilligen Sozialen Jahr in SchleswigHolstein gestellt. Richtig ist allerdings, dass es bei diesem Umwandlungsvorschlag große Skepsis gibt, weil das FSJ eben von der Freiwilligkeit lebt. Auch das sollten wir in der Diskussion berücksichtigen.

Wenn der Bericht vorliegt, möchte die CDULandtagsfraktion ihn im Sozialausschuss diskutieren, unter anderem mit den Wohlfahrtsverbänden im Land. Dabei sind wir überzeugt, dass das Gesamtthema „Wehrgerechtigkeit“ eine zunehmende Rolle spielen wird.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung zu unserem Antrag. Der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geht in eine andere Richtung. Sie wollen, dass uns der Stand bezüglich der Reduzierung von 13 auf elf Monaten mitgeteilt wird. Wir wollen die Auswirkungen auf das Land Schleswig-Holstein erfahren, die auf uns zukommen, wenn es zur Reduzierung der Zahl der Zivildienstleistenden insgesamt kommt. Ich glaube, da sind Sie im Herbst des Jahrs sprachfähig. Deshalb bitten wir um diesen Bericht und wir bitten um Zustimmung zum Berichtsantrag der CDU-Fraktion. Darüber hinaus bitten wir, den Berichtsantrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN abzulehnen.

(Beifall bei der CDU)

Für die SPD-Fraktion erteile ich jetzt das Wort dem Herrn Abgeordneten Wolfgang Baasch.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Zukunft des Zivildienstes ist mehr als nur eine Diskussion hier und heute. Der Antrag der CDU trägt diesem Rechnung, indem er auf der Grundlage eines

(Wolfgang Baasch)

Berichts eine weitere Diskussion einfordert. Dies ist aber auch schon das einzig Perspektivische im CDUAntrag. Ich will sagen: Eine erneute Diskussion über die Zukunft des Zivildienstes macht nur Sinn, wenn wir auch die Debatten auf Bundesebene sachgerecht einbeziehen können. Hierzu gilt es auch die Ergebnisse der Kommission „Zukunft des Zivildienstes“, die die Bundesministerin Christine Bergmann eingesetzt hat, abzuwarten.

Eine inhaltliche Diskussion können wir heute über die aktuelle Situation des Zivildienstes führen und wir können Ausblicke wagen und persönliche Erwartungen formulieren, wie wir uns die Aufgaben des Zivildienstes in der Zukunft vorstellen.

Zur aktuellen Situation! Im Jahr 1999 wurde eine Verkürzung des Zivildienstes von 13 auf elf Monate beschlossen, eine Verkürzung der Zivildienstzeit, die der Verkürzung der Wehrpflicht folgt und zur grundsätzlichen Gleichbehandlung von Grundwehrdienst und Zivildienst beiträgt und vor allem längst überfällig war. Diese Verkürzung der Zivildienstzeit tritt zum 1. Juli 2000 in Kraft. Hier ist es aus unserer Sicht schon interessant zu hören, wie sich die Träger der Zivildienststellen und wie sich die Zivildienstleistenden mit dieser veränderten Zivildienstzeit eingerichtet haben und wie sie diese Änderungen bewältigen werden, eine Verkürzung der Zivildienstzeit, die allseits als richtige und gute Entscheidung gewürdigt wurde. Gut und richtig war, dass diese Verkürzung mit einem Vorlauf von einem Jahr umgesetzt werden konnte, sodass sich alle Träger und alle am Zivildienst Beteiligten darauf einstellen konnten.

Auch die aktuelle Verringerung der Plätze im Zivildienst ist einen Sachstandsbericht wert. Die Zahl der Zivildienstleistenden ist bundesweit um 15.000 auf 124.000 zurückgefahren worden. Zurzeit sind in den sozialen Diensten etwa 90.000 Zivildienststellen besetzt. Da die Besetzung der Stellen in den sozialen Diensten unberührt geblieben ist beziehungsweise geblieben sein soll und die Verminderung der Stellen in erster Linie die Verminderung der Zivildienstplätze in Büro- und Verwaltungsbereichen sowie im handwerklichen Bereich betreffen sollte, geht der CDUAntrag auch in dieser Frage erst einmal, was den aktuellen Sachstand und mögliche Auswirkungen anbelangt, ins Leere.

Bevor ich zur Zukunft des Zivildienstes noch einige Sätze sage, will ich an dieser Stelle die Gelegenheit ergreifen, um festzuhalten, dass junge Männer durch den Zivildienst großartige Leistungen für die Allgemeinheit erbracht haben und erbringen.

(Beifall im ganzen Hause)

Zivildienstleistende entlasten mit ihrem Einsatz hauptamtliches Fachpersonal in den sozialen Diensten. Sie übernehmen dort Aufgaben, wo es an ehrenamtlichen freiwilligen Helfern und Helferinnen fehlt. Die ‘Zivis’ leisten einen Dienst für uns alle, für unsere Gesellschaft.

Wenn es der CDU-Fraktion in der Frage „Zivildienst in Schleswig-Holstein“ aber um die Zukunft des Zivildienstes geht, und zwar abgeleitet aus dem Bericht der Kommission „Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr“, dann lässt sich für die Zukunft einfach und sehr banal festhalten: Jede Änderung der Wehrpflicht wirkt sich unmittelbar auf den Zivildienst aus. Welche Änderungen uns hier aber bevorstehen, können wir alle noch nicht genau vorhersagen.

Darum lassen Sie mich einen Gedanken aus einer Debatte, die auch in meiner Fraktion noch lange nicht abgeschlossen ist, formulieren. Wer als Alternative zur Wehrpflicht und damit verbunden auch zum Zivildienst die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Männer und Frauen fordert, begibt sich außerhalb des Grundgesetzes.

(Vereinzelter Beifall)

Eine allgemeine Dienstpflicht für Männer und Frauen ist mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar. Sie würde alle Bemühungen, das freiwillige Engagement für den sozialen Bereich zu unterstützen und zu fördern, konterkarieren. Als Alternative kann aus meiner Sicht nur eine Stärkung von Angeboten wie dem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Freiwilligen Ökologischen Jahr gehören. Gerade in diesem Bereich setzen sich heute schon viele junge Männer und Frauen für das Gemeinwesen ein. Sie setzen sich für unsere Gesellschaft ein und übernehmen dabei soziale und ökologische Verantwortung. Das haben wir in SchleswigHolstein erkannt, in den Haushaltsberatungen auch ständig gewürdigt und die Zahl der Stellen für das Freiwillige Soziale Jahr und das Feiwillige Ökologische Jahr beständig erhöht.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Für die Zukunft ist anzustreben, freiwillige Dienste nicht Pflichtdienste - weiter zu fördern, zum Beispiel durch die Anerkennung bei der Berufsausbildung oder bei der Studienplatzvergabe.

Dies ist sicherlich nur ein Ausblick auf die Zukunft des Zivildienstes. Wir sollten die Diskussion auf der Grundlage der Berichte, aber auch auf der Grundlage der sich jetzt entwickelnden Diskussion auf Bundes

(Wolfgang Baasch)

ebene im Herbst fortsetzen. Ich bitte Sie um Zustimmung zu unserem Berichtsantrag.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die F.D.P.-Fraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Dr. Heiner Garg das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich kann mir eine Bemerkung am Anfang nicht verkneifen: Ich finde es immer wieder überraschend, welch erstaunliche Wendung die Wahrheit im Laufe der Zeit nehmen kann; waren sich manche konservativen Kreise in Deutschland noch weit bis in die achtziger Jahre einig, dass es sich bei Zivildienstleistenden um so genannte Drückeberger handelte, so sehen dieselben konservativen Kreise heute den Sozialstaat bedroht, sollte der Zivildienst durch eine Änderung der Wehrpflicht in Dauer und Umfang eingeschränkt werden.

(Lothar Hay [SPD]: Gilt das auch für die Konservativen in Ihrer Partei?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, eines will ich deshalb zu Beginn ganz deutlich sagen: Ich halte die Begründung, mit der sich die CDU/CSUBundestagsfraktion derzeit gegen die Reduzierung der Zivildienstdauer von 13 auf elf Monate ausspricht, für - sagen wir es einmal vorsichtig - sehr unzeitgemäß.

(Beifall bei F.D.P., SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wenn Ihre Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag davon sprechen, eine Verkürzung der Zivildienstdauer auf elf Monate böte einen doppelten Anreiz, den Wehrdienst zu verweigern, werden damit einmal mehr alte Vorurteile geschürt, Wehrdienstverweigerer seien nichts anderes als Drückeberger.

(Beifall bei F.D.P., SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich dachte eigentlich, dass wir diese Zeiten hinter uns gelassen hätten.

Für mich stellt im Übrigen die Dauer des Zivildienstes im Verhältnis zum Wehrdienst auch überhaupt keinen Beitrag zur Prüfung der Ernsthaftigkeit der Wehrdienstverweigerung dar. Solche Argumente taugen meiner Ansicht nach heute überhaupt nichts mehr.

(Lothar Hay [SPD]: Richtig!)

Tatsächlich ist es doch vielmehr so, dass aufgrund der gewachsenen Strukturen im Kranken-, Alten- und Pflege- oder im Umweltbereich jede Verkürzung des Zivildienstes bereits in der Vergangenheit zu erheblichen personellen Problemen bei den betroffenen Einrichtungen geführt hat. Viele soziale Leistungen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten waren in der Intensität überhaupt nur möglich, weil es Zivildienstleistende gab.