Protocol of the Session on November 15, 2001

Die Probleme, Herr de Jager, um die es eigentlich geht, und unsere Ganztagsangebote kamen in Ihrem sehr oberflächlichen und sehr verkürzten polemischen Redebeitrag überhaupt nicht zur Sprache. Diese Probleme sind aber wirklich vielfältig. Es geht um die Jugendlichen, es geht um die mangelnde Erziehungskraft der Eltern, die den Schulen immer mehr Verantwortung und immer mehr Schwierigkeiten aufbürden, mit denen sie alleine nicht mehr klarkommen. Deswegen ist der Ansatz, Schule und Jugendhilfe zusammenzubringen und die unterschiedlichen Fähigkeiten, die im Umgang und der Erziehung von Jugendlichen vorhanden sind, zu nutzen und gemeinsam ein geeignetes Angebot zur Problemlösung zu schaffen, sinnvoll.

(Beifall bei der SPD)

Eine Bemerkung - ich kann nicht auf alles eingehen, die Zeit ist zu knapp - zum Stichwort Ehrenamt muss ich noch machen. Ich habe manchmal den Eindruck, Herr de Jager, dass Ehrenamtlichkeit bei Ihnen ein Thema für Sonntagsreden ist, aber es wenn es darauf ankommt, Ehrenamtlichkeit in Konzepte und die Gestaltung vor Ort einzubeziehen, dann reden Sie davon, dass wir uns aus der Verantwortung stehlen. Ich finde, dies ist eine Missachtung all derer, die sich seit Jahren in solchen Projekten ehrenamtlich engagieren. Man kann es ruhig deutlich sagen: Es sind Frauen, Mütter, die zum Teil ohne Bezahlung regelmäßig zum Beispiel Mittagstische anbieten, Cafeterien in Schulen betreiben und daran auch noch Spaß und Freude haben, weil sie sehen, dass das, was sie tun, etwas sehr Sinnvolles ist. Dies erwähnen Sie mit keinem Wort. Das finde ich einfach unangemessen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Caroline Schwarz [CDU]: Sie kalkulieren es mit ein!)

- Wir kalkulieren es nicht mit Mark und Pfennig ein - das tun wir ausdrücklich nicht -, aber wir wollen es auch nicht ausschließen. Wir wollen dazu ermuntern, dass diese Ehrenamtlichkeit in den Schulen auch gewürdigt wird. Dass die Konzepte diesen Willen einbeziehen, ist doch positiv. Wir sollten doch froh darüber sein, dass das geschieht.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Garg?

Gern.

Frau Ministerin, sind Sie mit mir darin einig, dass bei den Ehrenamtlichen der Eindruck auf jeden Fall vermieden werden muss, dass sie quasi als Lückenbüßer eingesetzt werden?

Ausdrücklich ja, Herr Dr. Garg. Das sehe ich ganz genauso.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Aber da, wo Ehrenamt und die Bereitschaft dazu, da ist, kann es in ein Konzept doch einbezogen werden. In unseren Richtlinien ist natürlich keinerlei derartige Bedingung formuliert. Aber die Richtlinien werden klare Strukturen schaffen, die das Umfeld der Schule einbeziehen. Dies war, wenn ich es richtig verstanden habe, der erklärte Wille all derer, die dies im Frühjahr beschlossen haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und vereinzelt bei der FDP)

Ich stelle fest: Diejenigen, die hier mehrheitlich für dieses Konzept von Ganztagsangeboten waren, haben ein anderes Verständnis von Schule. In diesem Verständnis haben Eigenverantwortung und die Einbeziehung der Kräfte vor Ort einen Platz. Es ist sozusagen ein Prinzip der Arbeit von unten nach oben. Wir geben kein Konzept vor, das sozusagen als Netz über das ganze Land gelegt wird. Wir setzen vielmehr darauf, dass vieles vor Ort schon entstanden ist, was wir weiter absichern und fördern und mit den knappen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, behutsam ausbauen werden. Ich bin mir sicher, die Kommunen und die Schulträger werden dieses Angebot akzeptieren.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mir liegen noch zwei Wünsche nach Kurzbeiträgen nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung vor. Zunächst hat der Herr Abgeordnete de Jager das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Erdsiek-Rave, Sie werfen mir vor, dass meine Rede oberflächlich und polemisch gewesen sei, ich kann aber nicht erkennen, dass Ihre in irgendeiner Weise anders war.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Aus diesem Grund fühle ich mich veranlasst, das eine oder andere dazu noch einmal zu sagen. Bei dem ehrenamtlichen Engagement geht es doch um Folgendes: Sie, Frau Erdsiek-Rave, instrumentalisieren das Ehrenamt für ein Landeskonzept, das sie sonst nicht hinbekommen. Haargenau dies werfen wir Ihnen vor.

(Beifall bei der CDU)

Es ist keine Frage von Sonntagsreden, sondern es ist die Frage, ob das, was Sie in dem Bericht inhaltlich beschreiben, durch ein ehrenamtliches Engagement der Eltern nachmittags tatsächlich geleistet werden kann. Wenn es die Probleme gibt, die in dem Bericht stehen, dann haben die Eltern und die Schüler ein Anrecht darauf, dass es dann auch ein Angebot an Betreuung gibt, das über das hinausgeht, was ehrenamtlich gemacht werden kann. Es ist nicht Aufgabe des Ehrenamtes, Lückenbüßer für eine Schulpolitik zu sein, die manches selber nicht mehr leisten kann.

Aus diesem Grunde sind wir der Auffassung, dass wir mit einem Ganztagsschulangebot diese professionelle Betreuung erreichen können.

Frau Spoorendonk, es ist ein mittlerweile bewusst fortgeschlepptes Missverständnis, dass wir unser Konzept der Ganztagsschule so verstehen, dass wir Unterricht von morgens bis 16 Uhr haben wollen. Gesagt haben wir, dass wir mit der Ganztagsschule erreichen wollen, was von vielen Schulpraktikern gefordert wird, nämlich die Entzerrung des Unterrichtsblocks am Vormittag, indem man Teile in den Nachmittag und Teile der Betreuung in den Vormittag legen kann. Dies ist das eigentliche Konzept der Ganztagsschule, wie es auch vom Ganztagsschulverband befördert wird. Dies ist pädagogisch sinnvoll und erlaubt wirklich eine sinnvolle Verbindung der Schule mit der Schulsozialarbeit und einer der Schule verbundenen Freizeitbetreuung, so wie wir es haben wollen.

Noch einmal zu den Finanzen, Frau Erdsiek-Rave. Bei Ihrem Landeskonzept werfen wir Ihnen vor, dass es nicht ehrlich ist. Wenn Sie ehrlich vor sich selber sind, dann müssen Sie doch zugeben, dass dieser Bericht zunächst aufgrund eines Beschlusses entstanden ist, den wir einstimmig hier im Landtag gefasst haben, Sie aber in der vergangenen Woche zusammen mit Ihren Kolleginnen ein Konzept vorgestellt haben, das die politische Antwort auf unseren Vorschlag der Ganztagsschule sein soll. Das, was Sie vorgestellt haben, ist von der Finanzierung her gesehen aber nicht ehrlich. Wenn Sie das Geld nicht haben oder nicht aufbringen wollen, um den Kommunen und den Schulträgern bei der Organisation dieses Schulangebots wirklich ernsthaft unter die Arme zu greifen, dann sollten Sie nicht ein Landeskonzept vorstellen, sondern so ehrlich sein und den Kommunen sagen, sie sollen es alleine ma

(Jost de Jager)

chen. Dann können sie es allein nämlich viel besser machen als Sie mit Ihrem Landeskonzept.

(Beifall bei der CDU)

Mit dem, was Sie vorgestellt haben, erwecken Sie Erwartungen, die Sie nicht erfüllen können. Wir werfen Ihnen Folgendes vor: Die Leute, die jetzt glauben, dass es überall an jeder Schule ein Ganztagsangebot geben wird, melden sich nicht im Landeshaus, Frau Lütkes, die melden sich in den Rathäusern, und dort muss es dann gemacht werden, ohne dass es am Ende eine müde Mark seitens des Landes geben wird, obwohl Sie seitens des Landes das Konzept vorgestellt haben. Sie können die Erwartungen nicht erfüllen. Dies ist gegenüber den Eltern, den Schülern, aber auch den ehrenamtlichen Kommunalpolitikern hochgradig unehrlich. Diese müssen nämlich das ausbaden, was Sie angerichtet haben.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag nach § 58 Abs. 2 der Geschäftsordnung hat jetzt Frau Abgeordnete Spoorendonk.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Kollegin Erdsiek-Rave, ich denke, ich habe vorhin eine ausgewogene Rede gehalten.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Lars Harms [SSW]: Wie immer!)

Das habe ich; das war meine Intention. Meine Intention war auch, deutlich zu machen, dass der SSW zu einer besseren Verzahnung von Schule und Jugendhilfe steht, dass wir kein Ganztagsangebot haben wollen, wie es der Kollege de Jager vorhin noch einmal vorgestellt hat. Wir wollen die Verzahnung von Schule und Jugendhilfe.

Wir finden - ich sagte das vorhin bereits; das möchte ich gern wiederholen -, dass der Bericht ein Sachstandsbericht ist, mit dem sich gut arbeiten lässt. Uns ist bewusst, dass wir alle Schwierigkeiten haben werden, die Intentionen, die aus dem Bericht hervorgehen, umzusetzen, wegen der Nöte unseres Finanzministers, wegen unserer finanziellen Situation im Lande. Man kann sich den einen oder anderen Ausdruck aussuchen. Aus meiner Rede ging jedoch deutlich hervor, dass ich mir sehr wohl bewusst bin, wie die Finanzlage unseres Landes ist.

Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sich die Richtlinien der Landesregierung allein auf Ganztags

angebote für öffentliche Schulen beziehen. Das muss ich bemängeln und kritisieren unter der Überschrift „Chancengleichheit“ bemängeln und kritisieren. Damit müssen wir uns, wenn wir es mit der Verzahnung von Schule und Jugendhilfe ernst meinen, auch befassen. Das war mein Anliegen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort hat nunmehr Frau Abgeordnete Heinold.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Debatte reizt zum Mitstreiten, wenn sich die CDU hier hinstellt und der Regierung Unehrlichkeit vorwirft. Da möchte ich einmal hinterfragen, was denn bei der CDU los ist. Die CDU fordert ein rein vom Land finanziertes Konzept „Ganztagsschule“ für alle im ganzen Land, wohl wissend, dass sie dies nicht bezahlen muss.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Würden Sie sich gedanklich auch nur ein Stück auf unser Konzept einlassen, nämlich Vernetzungsstrukturen der Kommunen in den Vordergrund zu stellen, hätten Sie das reale Problem vor Ort, mit den Kommunen zu diskutieren, wie es finanziert werden soll, und davor scheuen Sie sich, weil Sie auf kommunaler Ebene Verantwortung tragen und wissen, wie schwierig die Finanzstrukturen sind. Im Land, wo Sie das Geld immer nur theoretisch bereitstellen können, ist das sehr viel einfacher; also fordern Sie, das voll vom Land zu bezahlen. Herr de Jager, Sie verkennen dabei - das ist das, was ich nicht verstehe - die reale Situation vor Ort. Sie verkennen, dass das ehrenamtliche Engagement vorhanden ist. Sie verkennen, dass es nur mit einer Vernetzung gehen wird.

Ich freue mich über den Beitrag von Herrn Garg, der die Realität zur Kenntnis nimmt, der zur Kenntnis nimmt, dass das Ganze in einer gemeinsamen Kraftaktion finanziert werden muss, und der auf der Grundlage der Wahrnehmung der Realität kritische Gedanken einbringt. Das freut mich, das sind konstruktive Beiträge; dann können wir in der Sache streiten.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Glocke der Präsidentin)

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wadephul? - Bitte, Herr Abgeordneter!

Frau Kollegin Heinold, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die CDU vorgeschlagen hat, einen Einstieg mit 15 Ganztagsschulen zu machen, und dass wir angeboten haben, dazu ein Finanzierungskonzept vorzulegen?

Ich nehme das zur Kenntnis. Ich weiß das; ich habe das in Erinnerung. Aber es entspricht leider nicht dem, was Herr de Jager hier gesagt hat. Herr de Jager hat hier dargestellt, dass die CDU alles vom Land bezahlen lassen will, nicht von den Kommunen, weil sie dort mit in der Verantwortung steht.

(Widerspruch bei der CDU)

Ich werde die Rede von Herrn de Jager gern noch einmal nachlesen. Es freut mich ja, wenn auch die CDU erkennt, dass leider nicht alles sofort machbar ist.

(Zurufe von der CDU)

Auch in einem anderen Punkt fordere ich die CDU auf, mit uns gemeinsam zu denken. Wir haben sehr viele Betreuungsangebote vor Ort wie die betreute Grundschule und den Hort. Meine Fraktion ist der Meinung das ist aber noch nicht Koalitionsmeinung -, dass wir jetzt, wenn wir anfangen, Betreuung vor Ort neu zu organisieren, natürlich auch den Hort gedanklich in das Konzept einbeziehen müssen

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])