Protocol of the Session on November 14, 2001

Zeitgleich zur Pressekonferenz hat sich ein Tatverdächtiger mit seinem Anwalt bei den Ermittlern gemeldet und ist in Anwesenheit der zuständigen Staatsanwältin verhört worden. Gegen ihn wird zunächst wegen Vortäuschens einer Straftat ermittelt. Im Laufe des Abends werden die restlichen neun der 30 Pakete, von denen die Rede war, gefunden. Um 20 Uhr wird das Bürgertelefon geschaltet.

Um 20:20 Uhr erfahre ich vom BMG den Negativbefund des Robert-Koch-Institutes, der in einer zweiten Pressekonferenz den wartenden Journalisten unmittelbar mitgeteilt wird. In dieser Pressekonferenz muss ich mich einerseits dafür rechtfertigen, dass wir nicht bereits am Donnerstag bei dem allerersten Verdacht nach dem ersten Test durch das LVUA die Öffentlichkeit informiert hätten, und mich andererseits fragen lassen, warum wir nicht die endgültige Referenztestung durch das RKI abgewartet hätten. Dies macht schon deutlich, worum es eigentlich geht.

Die Antwort auf beides, meine Damen und Herren, ergibt sich nach wie vor zwingend aus dem dargestellten Ablauf. Eine Nichtunterrichtung der Öffentlichkeit wäre angesichts des positiven Befundes unverantwortlich gewesen, denn dieser Test gilt - ich sage

(Ministerin Heide Moser)

besser: galt - unter Fachleuten als zu 98 % zuverlässig. Es wäre vor allem deshalb unverantwortlich gewesen, weil es die Aufklärungs- und Schutzpflichten gegenüber Betroffenen und der Bevölkerung insgesamt missachtet hätte. Wir mussten angesichts der 98prozentigen Wahrscheinlichkeit Maßnahmen einleiten. Das konnten und wollten wir nicht heimlich tun.

Von dem Zorn der Medien und dem der Opposition im Landtag, wenn sich dieses Ergebnis denn wirklich positiv bestätigt hätte und wir die Öffentlichkeit und die Betroffenen nicht informiert hätten, will ich hier gar nicht reden -, das könnte peinlich werden.

Was folgt aus den geschilderten Abläufen, die ich jetzt natürlich ex post dargestellt habe? - Für mich folgt daraus: Das Risiko, in einem solchen Krisenfall von neunmalklugen Hinterher-Besserwissern oder Menschen mit einem oppositionellen Reflex, der auf jedem Trittbrett Fuß fasst, gescholten zu werden, ist nicht auszuschließen. Aber dieses Risiko wiegt leicht gegenüber der verantwortungsvollen Abwägung und sachlichem Vorgehen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was folgt daraus für die weitere Entwicklung zur Abwehr von Gefahren durch den Einsatz gefährlicher Krankheitserreger? - Ich denke, angesichts der Duplizität der Falschpositivtestung in Jena ist es richtig, dass das Robert-Koch-Institut eine Standardisierung der Testverfahren angekündigt hat. In der gestrigen Kabinettssitzung wurde für Schleswig-Holstein bereits geklärt, dass das so genannte PCR-Verfahren, das ist die so genannte Polymerase-Kettenreaktion, ein molekularbiologisches Verfahren, zukünftig auch im Land selbst durchgeführt werden kann.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Hört! Hört!)

- Zukünftig, Herr Dr. Klug; wirklich klug! -. Dazu ist das Medizinaluntersuchungsamt der CAU nach Überlassung des entsprechenden DNA-Materials durch das Institut für Umwelt und Tierhygiene der Universität Stuttgart-Hohenheim ebenso in der Lage wie das LVUA in Amtshilfe für die Gesundheitsbehörden.

Ich glaube, wir sind gut beraten, zukünftig bei Auffinden verdächtiger Gegenstände eine polizeiliche Plausibilitätsprüfung zu machen.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Wäre sinnvoll!)

- „Wäre sinnvoll“, richtig, man lernt ja auch.

Wenn ein verdächtiger Gegenstand beprobt wird, sollten wir uns auf ein einheitliches Verfahren verständigen. Wir werden es so machen: Das zuständige Gesundheitsamt sendet die entsprechend gesicherte

Probe an das Medizinaluntersuchungsamt Kiel. Sollten die dortigen Kapazitäten erschöpft sein, geht es ans LVUA in Neumünster. Ergibt die Untersuchung nach kultureller Anzüchtung den konkreten Verdacht auf Vorliegen von Milzbrandbakterien, unterrichtet das Labor das zuständige Gesundheitsamt und das Gesundheitsministerium. Nach Bestätigung des konkreten Verdachts aufgrund des PCR-Verfahrens teilt das untersuchende Labor dies dem zuständigen Gesundheitsamt und dem Ministerium mit. Dies dauert im Regelfall 30 Stunden. Das heißt, die zweite Untersuchungsstufe auf biochemische Stoffwechselprodukte, die man diesmal noch eingeschaltet hat, kann ohne Einbuße an Sicherheit entfallen.

Die Information der Öffentlichkeit erfolgt nach der PCR-Analyse im Lande, allerdings nicht durch das Labor, sondern selbstverständlich durch die zuständigen Behörden. Zur endgültigen Absicherung sendet das Labor die Probe an das Robert-Koch-Institut.

Dies entspricht auch weitgehend dem, was die Gesundheitsminister der Länder am Rande der ASMK schon einmal besprochen haben. Wir wollen ein einheitliches Vorgehen. Wir haben die Bund-LänderArbeitsgruppe Gesundheitsschutz, die nach dem 11. September eingerichtet worden ist, gebeten, Eckpunkte für ein einheitliches Verfahren zu erarbeiten. Dieses einheitliche Verfahren soll dazu führen - das sage ich mit allem Nachdruck -, dass die fachlich gebotene Verantwortung ohne Rücksicht auf parteipolitischen Schlagabtausch wahrgenommen werden kann. Herr Kalinka, Sie hätten rote Ohren gekriegt, wenn sie den der CDU angehörenden Staatssekretär aus dem Saarland zu diesem Thema und seine Einschätzung zu bestimmten Äußerungen im Lande Schleswig-Holstein gehört hätten.

(Arno Jahner [SPD]: Aha! - Glocke des Prä- sidenten)

- Herr Präsident, ich danke für Ihre Geduld.

Im Übrigen erwarten wir Gesundheitsminister eine bundesweite Analyse der Laborkapazitäten und der Gefährdungspotenziale durch Bioterrorismus von dieser Arbeitsgruppe ebenso wie eine Strategie zur Bevorratung von Medikamenten.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass weiterhin alle präventiven Möglichkeiten zur Gefährdungsminimierung genutzt werden. Die Landesregierung wird sich darin jedenfalls nicht beirren lassen, von niemandem.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich darauf hinweisen, dass nach unserer Geschäftsordnung, wenn die Landesregierung die angemeldete Redezeit überschreitet, in gleicher Form die Fraktionen dahin gehend betroffen sind, dass ihnen die Dauer der Überschreitungszeit als zusätzliche Redezeit zur Verfügung steht. Das ist keine Kritik, sondern die Vorstellung der Vorschriften unserer Geschäftsordnung. Da die Landesregierung ihre Redezeit um vier Minuten überschritten hat, stehen jeder Fraktion vier Minuten zusätzliche Redezeit zur Verfügung.

Zur Aussprache sind im Ältestenrat bis zu zehn Minuten Redezeit angemeldet worden. Die Fraktionsgeschäftsführer haben sich in ihrer Verantwortung für die Abwicklung der Tagesordnung in zügiger Form nach dem Ältestenrat darauf verständigt, eine Aussprachezeit pro Fraktion von fünf Minuten anzustreben. Ich will darauf hinweisen, dass diese zweite Runde nur eine Empfehlung sein kann. Es gilt die im Ältestenrat beschlossene Redezeit. Vielleicht können wir uns aber darauf verständigen, dass sie nicht noch darüber hinausgeht. Rein formal stünden jeder Fraktion bis zu 14 Minuten zur Verfügung. Wenn es zwischen fünf und zehn Minuten abgehen könnte, würde dies einer zügigen Beratungsleistung folgen. Die Geschäftslage ist aber so, wie ich sie dargestellt habe.

Ich eröffne jetzt die Aussprache und erteile für die Fraktion der CDU Herrn Abgeordneten Werner Kalinka das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mein erster Satz gilt dem Dank all jener, die vor Ort in den letzten Wochen gute Arbeit geleistet haben und uns in harter Zeit Sicherheit geben.

(Beifall)

Diese guten Noten, die wir hier ausstellen dürfen, hätte ich auch gern der Regierung gegeben. Frau Moser, dem faden Inhalt, den Sie uns hier vermittelt haben, habe ich aber nicht abgewinnen können, warum eine spektakuläre Pressekonferenz stattfinden musste, obwohl zweieinhalb Stunden später das endgültige Ergebnis bekannt gewesen wäre. Sie haben durch Ihre Regierungserklärung keinen Nachweis dafür erbringen können und der Vorwurf bleibt: Schlagzeilen hatten den Vorrang vor Seriosität.

(Beifall bei der CDU)

Ich möchte Ihnen dazu einige Punkte auflisten. Beginnen wir mit dem Freitag. In Ihrer Regierungserklärung heißt es zur Presse:

„Um 17:24 Uhr lief eine dpa-Meldung, um 18 Uhr habe ich die Presse informiert.“

Dies ist leider nur die halbe Wahrheit. Denn dpa meldete um 15:57 Uhr, dass die Pressestelle der Landesregierung den Milzbrandverdacht bereits bestätigt habe. Dies hat den Pressedruck erst maßgeblich erzeugt.

Die Kernfrage war die: Bestand Gefahr für Personen? - Dies konnten Sie mit einer Pressekonferenz nicht mehr verhindern.

Das Robert-Koch-Institut hat in seinem Leitfaden für potenziell exponierte Personen drei Punkte genannt: Personen, die direkten Kontakt zum verdächtigen Gegenstand hatten, Personen, die sich nach dem Öffnen des Gegenstandes im selben Raum aufgehalten haben, falls der konkrete Verdacht besteht, dass die Raumluft kontaminiert ist; dies schließt alle Personen ein, die sich in den Räumen aufgehalten haben, welche von diesem Raumbelüftungssystem versorgt werden.

Alle drei Kriterien haben bei den Paketen nicht zugetroffen. Sie wussten am Abend um 18 Uhr genau, wer die acht Personen waren, die theoretisch überhaupt in Betracht kamen, damit in Kontakt getreten zu sein. Daher lässt sich eine Pressekonferenz nicht begründen, Frau Moser.

(Unruhe)

- Hören Sie sich doch einfach einmal an, was wir zu sagen haben, bevor Sie dazwischenreden.

In Ihrer Darstellung heißt es weiter, Freitagmittag sei die Regierung informiert worden. - Ist das wirklich so oder wurde das Ministerium schon am Donnerstag informiert, Frau Moser? Diese Frage hätte ich von Ihnen gern beantwortet gehabt. Denn wenn Sie am Donnerstag informiert waren, hätten Sie zeitiger konkrete Vorsorgemaßnahmen in die Wege leiten müssen.

Dies gilt im Übrigen auch für die Frage, in welcher Hektik Sie am Abend agiert haben. In einer Pressemitteilung, nämlich der von 18:19 Uhr, ist die Bürgertelefonnummer 0431/160666, um 21:17 Uhr ist es eine andere Bürgertelefonnummer. Für das Bürgertelefon war eine Leitung geschaltet, für die Medien waren es vier. Auch von daher gesehen war die Hektik, mit der Sie agiert haben, nicht gut, Frau Moser.

Dies alles ist wenig überzeugend, vor allen Dingen, weil es um eines gegangen ist und geht: um Ängste von Menschen. Ängste von Menschen sind hier ganz tief berührt, junge Leute, ältere, die den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, die gefragt haben, nach dem, was ist in Afghanistan und Amerika: Kommt dies zu uns? In einer solch sensiblen Situation ist ein besonders hoher

(Werner Kalinka)

Sorgfaltsmaßstab angeraten, bevor man die Öffentlichkeit informiert.

(Beifall bei der CDU und der Abgeordneten Dr. Christel Happach-Kasan [FDP])

Ich bin überzeugt davon, dass unsere Presse im Lande verantwortlich damit umgegangen wäre, wenn man gesagt hätte: Hier gibt es Hinweise, aber sie sind noch nicht endgültig abgeklärt. Ich habe Vertrauen in die Presse im Lande und dies hätten auch Sie haben sollen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU)

Dies will ich mit einem weiteren Punkt ergänzen. Spätestens seit Dienstag waren Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft tätig. Sie haben Ermittlungen geführt. Es war wohl so, dass zunächst zwei Pakete untersucht wurden und dann vonseiten der Kripo und der Staatsanwaltschaft angeordnet wurde, weitere 19 zu untersuchen.

Dann frage ich mich, Frau Ministerin: Haben Sie eigentlich von allen diesen Dingen bis Donnerstag nichts gehört? - Das kann ich mir nicht vorstellen.

Ich denke, wenn sich am Dienstag der Anwalt bei der Polizei gemeldet hat und am Donnerstag Abend eine Wohnung durchsucht worden ist, dann werden Sie doch wohl im Laufe der Tage erfahren haben, um welche Dimension es gehen könnte. Von daher glaube ich, dass die gesamte Regierung betroffen ist und die Frage beantworten muss, was sie zu welchem Zeitpunkt als Reaktion getan hat.

Ich kann mir nicht vorstellen, Frau Ministerin der Justiz, dass die Staatsanwaltschaft und die Kripo Sie nicht informiert haben.

Es stellt sich dann die Frage, welche Plausibilität hinzukommt. Meinen Sie wirklich, dass es dann, wenn jemand Pakete in Neumünster auslegt, wenn sich der Anwalt am Dienstag meldet und dann die ersten Untersuchungen keinen Hinweis ergeben, sehr plausibel ist, dass dies einer jener Terroristen sein könnte, die hier bei uns zuschlagen wollten? Ich glaube, diese Plausibilitätsüberlegung hätten Sie anstellen müssen.