Protocol of the Session on October 17, 2001

Wir stehen zu den USA. Und so bitter die Erkenntnis ist: Kriege führen immer auch zu Toten unter der Zivilbevölkerung. Aber man muss sich auch die Frage stellen: Welche Alternative gäbe es denn? Für mich persönlich gibt es zu dem derzeitigen Handeln der USA und von Großbritannien keine Alternative. Ich glaube, dass Menschen verachtende Terroristen wie bin Laden Verhandlungen jetzt nur als ein Zeichen von Schwäche werten würden. Ich bin gegen jede Handlungsweise, die Terroristen als Ermunterung missverstehen könnten. Und ich hoffe, dass das Vorgehen gegen die Terroristen in Afghanistan schnell zum Ziel führen wird.

Unser Bundesaußenminister Joschka Fischer hat Recht mit seiner Einschätzung, dass sowohl Überreaktionen als auch Unterreaktionen gefährlich sein können. Aber - Frau Ministerpräsidentin Simonis hat darauf hingewiesen -: Militärische Aktionen alleine werden uns nicht den dringend notwendigen Frieden in diesem Teil unserer Welt bringen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Auch angesichts der ersten Milzbrandfälle in den USA ist und bleibt es wichtige Aufgabe der Politik, mit den Ängsten der Menschen angemessen umzugehen, sie aber nicht für eigene Ziele zu instrumentalisieren.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich glaube, dass das eine heikle Aufgabe ist. Aber daran wird sich auch messen, wie demokratische Parteien in unserem Land mit dem Thema innere Sicherheit und mit Menschen umgehen. Deshalb kann ich nur an alle appellieren: Kein Aktionismus, sorgfältiges Überprüfen jeder Maßnahme. Das ist aus meiner Sicht für die SPD-Fraktion der richtige Weg.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich sagte schon: Man muss auf das notwendige Maß achten. Deshalb halte ich Überlegungen zum Einsatz der Bundeswehr, der ja von bestimmter politischer Seite gefordert wird, über die für Ausnahmefälle schon geregelten Möglichkeiten hinaus für vollkommen in

diskutabel. Mit der SPD in Schleswig-Holstein ist das nicht machbar.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, FDP und SSW)

Die SPD-Landtagsfraktion unterstützt das gestern vom Kabinett verabschiedete Sicherheitspaket. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sollen dazu dienen, den veränderten Anforderungen an die innere Sicherheit Rechnung zu tragen. Gleichzeitig soll insbesondere durch präventive Komponenten das Bedrohungsrisiko gesenkt werden, ohne dabei - das betone ich ausdrücklich - unverhältnismäßige Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger vorzunehmen. Bei jeder vorgeschlagenen Maßnahme sind die Sinnhaftigkeit und die Effektivität zu überprüfen. Aktionismus führt nicht zu mehr Sicherheit. Die Bewahrung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates muss unser Ziel auch bei terroristischen Angriffen sein. Das ist ein so hohes Gut; das dürfen wir uns nicht gefährden lassen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Aus Sicht der SPD-Fraktion ist der gewählte Mix aus Einstellung von zusätzlich 100 Anwärterinnen und Anwärtern sowie 97 weiteren Stellen in anderen Bereichen der richtige Weg, des Weiteren die Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Abgeltung von Überstunden plus Beförderungsmöglichkeiten und Investitionen im Ausstattungsbereich. Dies ist der richtige Mix, um auf die veränderte Sicherheitslage zu reagieren. Hier werden nicht Mittel ziellos in unterschiedliche Bereiche gestreut, sondern es wird punktgenau versucht, in wichtigen Einzelbereichen von der Landespolizei über den Verfassungsschutz und den Katastrophenschutz bis hin zu den Gerichten und zum Strafvollzug Verstärkungen vorzunehmen.

Dass es bei der Umsetzung auch Schwierigkeiten geben wird, ist uns bewusst. Wir wissen, dass es schon in diesem Jahr trotz 3.000 Bewerberinnen und Bewerbern für den Polizeidienst nicht gelungen ist, die 220 Stellen, die besetzt werden könnten, zu besetzen. Besetzt wurden nur 210. Aber wir halten daran fest: Die Einstellungsvoraussetzungen für den Polizeidienst dürfen nicht verändert werden. Dies ist eine wichtige Aufgabe. Da darf man keine Abstriche bei Qualifikation und Eignung machen. Das würde sich später rächen.

(Beifall bei der SPD)

Wir sind uns auch darüber im Klaren, dass es, da alle Bundesländer und der Bundesgrenzschutz zusätzliche Stellen schaffen werden, eines intensiven Werbens für den Beruf des Polizisten und der Polizistin bedarf.

(Lothar Hay)

Aber ich denke, dies wird uns gemeinsam gelingen. Ich habe die Hoffnung, dass der Innenminister dies für das Land Schleswig-Holstein umsetzen wird. Nicht hinnehmbar ist allerdings die Absicht der neuen politischen Mehrheit in Hamburg, Polizisten in den Nachbarländern abzuwerben. Wenn dies der neue Stil der norddeutschen Zusammenarbeit sein soll, dann gute Nacht!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Die SPD-Fraktion unterstützt die Anhebung der Nettokreditaufnahme in Höhe von 2,8 Millionen €, um die investiven Maßnahmen zur Stärkung von Polizei und Katastrophenschutz zu finanzieren. Die konsumtiven Personal- und Sachausgaben werden über Deckungsvorschläge des Finanzministers im Rahmen der Nachschiebeliste finanziert werden müssen. Hier gilt: Dieses Paket im konsumtiven Bereich ist durch Kürzungen zu finanzieren.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Verfassungsschutz, Staatsanwaltschaften, Gerichten, aber vor allem auch bei der Polizei für ihren Einsatz bedanken. Noch nie war er so wertvoll wie in der Gegenwart.

(Beifall bei SPD und SSW)

Wenn die CDU dem Paket jetzt mit dem Hinweis zustimmt, es bestehe fast ausschließlich aus ihren Forderungen,

(Klaus Schlie [CDU]: Das ist die Wahrheit!)

dann kann ich nur sagen: Wir werden uns auch in Zukunft nicht daran hindern lassen, wenn es einen sinnvollen Vorschlag der CDU gibt, diesen mit zu übernehmen. Leider kommt das selten vor.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam alles tun, was sinnvoll und nötig ist, um Terroristen und „Schläfern“ in Deutschland die Möglichkeit für Planung, Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen zu nehmen. Dieses Ziel sollte uns in diesem Hause einigen.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Kubicki das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dem Kollegen Dr. Wadephul außerordentlich dankbar dafür, dass er den Antrag gestellt hat, den wir debattieren, und zwar nicht, weil ich glaube, dass er auch nur ansatzweise etwas mit der Bekämpfung des Terrorismus zu tun hat, der sich in den Anschlägen in New York und Washington oder in der Versendung von Milzbranderregern widerspiegelt. Der Antrag gibt uns aber Gelegenheit, mit ein wenig Besinnung die Terrorattacken zu betrachten, die Ursachen zu analysieren und uns darauf zu konzentrieren, effiziente Maßnahmen zu ergreifen, um Wiederholungen zu vermeiden.

(Beifall bei der SPD und des Abgeordneten Karl-Martin Hentschel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hierbei müssen wir ehrlicherweise eingestehen, dass es einen hundertprozentigen Schutz weder gegen Kriminalität noch gegen Terrorismus gibt. Diese Illusion sollten wir auch gar nicht erst nähren. Niemals in der Geschichte ist es einem auch noch so totalitären System gelungen, Attentate gänzlich zu unterbinden.

Wir müssen uns auch von der etwas schlichten Auffassung der Ministerpräsidentin verabschieden, die aus humanitären Gründen wichtige Bekämpfung des Hungers in der Dritten Welt sei eine wirkungsvolle Maßnahme zur Terrorismusbekämpfung. Ein Mensch wie bin Laden ist Überzeugungstäter, der mit seinen Thesen von der Überlegenheit des Islams die gesamte andersgläubige Menschheit bekämpft, insbesondere Israelis und Amerikaner. Auf seinem Weg sind alle, auch Muslime, die ihn nicht unterstützen, seine Feinde, die er vernichten will. Bin Laden ist kein armer Mensch. Die Attentäter von New York und von Washington sowie ihre Helfershelfer kamen nicht aus Flüchtlingslagern oder Elendsvierteln.

Wer ein Konzept zur Terrorismusbekämpfung erarbeiten will, muss sich genau mit der Denkstruktur und den Entäußerungsformen der Terroristen auseinander setzen und darf nicht Maßnahmen auf den Weg bringen, von denen nicht sicher zu beurteilen ist, ob sie nicht eher das Gegenteil dessen bewirken, was sie erreichen sollen.

(Beifall bei FDP, SSW und der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Herr Kollege Wadephul, es gibt gegenwärtig kein Konzept zur Terrorismusbekämpfung, weil dessen Ursachen nicht ausreichend analysiert sind.

(Wolfgang Kubicki)

Eile scheint die erste Bürgerpflicht zu sein, wenn es darum geht, den Menschen möglichst schnell wieder das Gefühl der Unsicherheit zu nehmen. Selbstverständlich müssen wir das Gefühl der Menschen ernst nehmen, Herr Dr. Wadephul. Wir dürfen uns davon aber nicht anstecken oder sogar leiten lassen; denn Gefühle kommen aus dem Bauch. Verantwortliche Politik will aber mit dem Kopf gemacht werden, obwohl mir manche Äußerungen verantwortlicher Politiker in den letzten Tagen teilweise kopflos erscheinen.

(Beifall bei der FDP sowie der Abgeordneten Lothar Hay [SPD] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Jeder einzelne Parlamentarier ist gehalten, in dieser Situation kühl zu differenzieren und sich nicht darin zu überbieten, wer die größeren Eingriffsbefugnisse für den Staat, die Polizisten, die Nachrichtendienste, die Staatsanwälte oder die Steuerfahnder schafft. „Staatsfeind Nummer 1“ sind nicht die Menschen unseres Landes - gleich welcher Herkunft -, sondern diejenigen, die die demokratische Grundordnung und die offene Gesellschaft mit den Eigenschaften Achtung, Toleranz und individuelle Freiheit bekämpfen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Bei- fall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Terroristen - gleich ob die der RAF in den 70er-Jahren in Deutschland, eines Timothy McVeigh und seiner rechten Gesinnungsgenossen in Oklahoma/USA oder eines bin Laden in Afghanistan - denken in totalitären Strukturen. Sie brauchen „Fanale“, mediale Publizität für die eigene Legitimation, damit sie Angst und Schrecken erzeugen und Anarchie verbreiten oder aus ihrem Weltbild heraus die Unterdrückung der Menschen durch den Staat, das Kapital oder den industriell-militärischen Komplex dokumentieren können.

Der wirksamste Schutz einer freiheitlichen Gesellschaft gegen Terroristen ist es, diesem geschlossenen totalitären Weltbild die Werte unserer freiheitlichdemokratischen Grundordnung entgegenzusetzen, die ja in ihrem Kern auch Werte des Islam sind: Toleranz, Unabhängigkeit und gegenseitige Achtung.

(Beifall bei FDP, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht Menschen in ein Raster zwängen, in das sie nicht gehören.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei der SPD und Bei- fall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Timothy McVeigh, der in Oklahoma ein Gebäude in die Luft sprengte, war kein Moslem und die Mitglieder

der japanischen RAF, die einen Giftgasanschlag auf die Tokioter U-Bahn verübten, waren keine Araber.

Mich hat es merkwürdig berührt, dass Ministerpräsidentin Simonis in der Pressekonferenz, in der sie Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung vorstellte, auch davon sprach, sie wolle es nicht dulden, wenn Lehrerinnen moslemischen Glaubens in der Schule ein Kopftuch trügen. Unabhängig von der Frage, welches Bild hier eigentlich gezeichnet wird und wie viele Lehrerinnen moslemischen Glaubens wir in Schleswig-Holstein eigentlich haben, die so etwas vorhatten: Führt das Tragen von Kopftüchern zum Terrorismus?

(Unruhe)