Protocol of the Session on May 30, 2001

Für den SSW lautet daher die Schlussfolgerung, dass wir uns nicht kurzfristigen oder pragmatischen Vorschlägen zur Verbesserung der Situation an den Hauptschulen verschließen werden. Wir werden aus unserer Sicht aber nicht darum herumkommen, uns längerfristig mit der Reform der Schule - und nicht nur mit der Reform der Hauptschule - zu befassen.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als ein erster Schritt in diese Richtung soll unser Änderungsantrag verstanden werden. Mit anderen Worten: Wer meint, eine Reformdebatte ohne den Zusammenhang von Inhalt und Struktur führen zu können, stößt schnell an Grenzen, lieber Kollege Weber!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sowohl in der Anhörung als auch in dem vorliegenden CDU-Antrag spielt die Einführung einer Hauptschulabschlussprüfung eine wesentliche Rolle. Nach Auffassung des SSW wird eine solche Prüfung nicht dazu beitragen, die Qualität der Hauptschule und des Hauptschulunterrichts zu verbessern. Im Gegenteil: Es bleibt - es sei denn, man macht eine ganz andere Art von Prüfung - zu befürchten, dass durch die Einführung einer formalen Prüfung sehr viel Unterrichtszeit in Anspruch genommen wird, die für andere Formen des Lernens viel sinnvoller genutzt werden kann. Ich denke in diesem Zusammenhang zum Beispiel an die Vorbereitung auf den Übergang in das Berufsleben.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Eine der Hauptaufgaben der Hauptschule muss es sein, auf die besonderen Stärken der einzelnen Schüler einzugehen und sie zu fördern, damit sie optimal auf Be

ruf und Gesellschaft vorbereitet werden. Für die Verwirklichung dieses Zieles ist ein hohes Maß an Flexibilität und ein Umdenken in vielen Bereichen notwendig. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch das gilt für die Schule als Ganzes und nicht nur für die Hauptschule.

In Bezug auf die Hauptschule kann man sagen, dass die individuelle Beratung der Schüler während der gesamten Hauptschulzeit sowie die Erstellung von Ausbildungsplänen hinsichtlich ihrer Berufs- und Zukunftsplanung dazugehört. Bei den dänischen Schulen gibt es seit Ende der 70er-Jahre mit gutem Erfolg Beratungslehrer für Berufs- und Ausbildungskunde, die in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt für die individuelle Beratung der Schülerinnen und Schüler verantwortlich sind. Wir meinen, dass man aus diesen Erfahrungen lernen kann, wir meinen, dass wir so etwas auch für unsere öffentlichen Schulen und damit für die Hauptschule brauchen.

Die Rückläuferproblematik zeigt, dass die Forderung, die ungeteilte Schule einzuführen beziehungsweise die Grundschulzeit auf sechs Jahre zu verlängern und die Schulartempfehlung erst am Ende der sechsten Klasse auszusprechen, richtig ist.

(Beifall beim SSW)

Die Trennung - wenn man sie denn unbedingt haben will - bringt wesentlich mehr, wenn man sie soweit wie möglich nach hinten verschiebt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es macht immer noch einen Unterschied, ob man als Kind in einem Elternhaus aufwächst, in dem ein Klavier steht, in dem sich Eltern über Literatur, Kultur und was weiß ich mit den Kindern unterhalten, oder ob man ohne Klavier aufwächst.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Ich bin ohne Kla- vier aufgewachsen! Wo ist der Unterschied?)

- Das werde ich anschließend erklären. Ich habe jetzt nicht mehr viel Zeit.

Der SSW schlägt eine Öffnungsklausel im Schulgesetz zur regionalen Einführung einer Grundschulzeit von sechs Jahren vor. Für uns bleibt es immer noch ein Ziel, eine Schule für alle zu haben.

Wir hätten uns gewünscht, dass es realistisch wäre, einfach die Einführung einer Grundschulzeit von sechs Jahren zu fordern. Aber weil wir realistisch sind, haben wir gesagt, es muss wenigstens im Rahmen der Autonomie von Schule möglich sein, auf regionaler

(Anke Spoorendonk)

Ebene, dort, wo es gewünscht wird, die Grundschulzeit von sechs Jahren einzuführen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Weil wir das im Ausschuss natürlich noch bereden werden, jetzt nur noch eine letzte Bemerkung zum Änderungsantrag der FDP! Inhaltlich gesehen stimmen wir dem Antrag zu; wir lehnen den Antrag nicht ab. Wir haben gesagt, lieber Kollege Garg - dazu stehen wir -, dass die Debatte im Zusammenhang mit der Haushaltsdebatte Freitagmorgen geführt wird. Dazu gibt es noch viel zu sagen. Das werden wir am Freitag auch tun.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile jetzt der Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer die Schullandschaft in Schleswig-Holstein gut kennt und wer gut beobachtet, der kann hervorragende Ansätze von Hauptschularbeit und ihrer Weiterentwicklung feststellen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt sehr viele gute Schulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten und bei meinen Schulbesuchen habe ich viele innovative Schulen kennen gelernt und habe diese schon zum zweiten Mal nach Kiel eingeladen, weil es mir wichtig ist, dass diese guten Beispiele auch öffentliche Anerkennung erfahren.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt sehr leistungsfähige Hauptschulen mit sehr engagierten Lehrkräften und auch sehr engagierten Elternvertretungen.

(Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Wolfgang Kubicki [FDP]: In Bay- ern!)

Die zu unterstützen und zu Multiplikatoren über ihre eigene Schule hinaus zu machen, ist übrigens ein sehr guter Weg, um die Hauptschule und ihren Ruf zu verbessern. Man nennt das bildungspolitisch „best practice“. Ich finde, das ist ein hervorragender Weg, den wir noch stärker nutzen wollen.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD und Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP] - Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Deshalb haben wir im Mai auch den Hauptschultag veranstaltet. Über 300 Lehrerinnen und Lehrer haben ihn besucht und sich über aktuelle Beispiele informiert und neue Ansätze diskutiert. Dabei ging es unter anderem auch um einen veränderten Abschluss am Ende der Hauptschule, Herr de Jager.

Ich teile nun nicht Ihre Auffassung - das wissen Sie -, dass eine Qualitätsverbesserung allein durch eine Abschlussprüfung erreicht wird, die für alle zum selben Zeitpunkt von oben verordnet wird. Wir wollen ja, dass möglichst viele Schülerinnen und Schüler den Abschluss erreichen und möglichst keine Schülerin und kein Schüler die Hauptschule ohne Abschluss verlässt. Das heißt, jede Schule muss ein gut funktionierendes System von Unterstützungsmaßnahmen haben, und wir haben zum Beispiel mit der Entwicklung von Standards in Deutsch und Mathematik ein gutes Förderinstrument entwickelt, das den Schulen zu Beginn des nächsten Schuljahres zur Verfügung gestellt werden wird. Dabei soll natürlich nicht der Lehrplan verkürzt werden, es sollen nur eindeutige fachliche Schwerpunkte gesetzt werden.

Das Ziel der Hauptschularbeit ist es, dass Schülerinnen und Schüler bis zum Ende ihrer Schulzeit motiviert lernen, dass sie einen Querschnitt ihres Wissens in den Kernbereichen reproduzieren und nachweisen können, dass sie auf Berufswahl und Ausbildung so gut wie möglich vorbereitet werden.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Für den Abschluss - nennt man das nun Prüfung oder Qualifikation - haben schon viele Hauptschulen in Schleswig-Holstein gute Modelle entwickelt, Frau Spoorendonk, gerade in dem Bereich, aus dem Sie kommen. Die haben übrigens auf dem Hauptschultag ein ganz reges Interesse gefunden. Ich habe in den letzten beiden Jahren zweimal an solchen Abschlussgesprächen teilgenommen und ich teile die positive Haltung, die sich dazu an den Schulen wirklich entwickelt hat.

Ich fordere deshalb die Hauptschulen in SchleswigHolstein auf, in den kommenden zwei Schuljahren den Abschluss des neunten Schuljahres neu zu gestalten, und die Schulämter sollen dies dabei zur Sicherung der Qualität regional abstimmen. Ich halte das für einen guten Weg, auf dem übrigens auch die Schulen mit gehen können, die für ihre Schülerinnen und Schüler aus guten Gründen Nachteile befürchten oder Sorge haben, dass die Zahl der Abschlüsse sinkt, dass das

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

etwa bei Schulen mit hoher Ausländerquote gar nicht machbar ist. Alle diese Bedenken und diese Skepsis gibt es und ich finde, wir müssen sie ernst nehmen und wir müssen angepasste Modelle entwickeln, bei denen die Schulen auch wirklich mitmachen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD sowie Beifall des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Die Forderung nach mehr Praxisbezug unterstütze ich natürlich. Wir haben es mittlerweile fast als Regel, dass zwei aufeinander folgende Betriebspraktika in den Klassen acht und neun stattfinden. Das muss weiter ausgebaut werden. Auch Werkstattunterricht, Berufsorientierung, Berufswahlunterricht mit erweitertem Praxisbezug sind wichtig und richtig. Sie wissen auch, dass wir die einengenden Erlasse schon aufgehoben haben.

Darüber hinaus wollen wir auch das Lehrerbetriebspraktikum intensivieren - zusammen mit der Wirtschaft. Das ist ein weiterer Schritt, um auch die Lehrkräfte für diese Arbeit besser zu qualifizieren.

Zum Thema Ganztagsbetreuung will ich das nicht wiederholen, was in der letzten Tagung dazu gesagt worden ist. Diese Aufgabe - ich glaube, das ist noch einmal wichtig festzustellen - kann nicht von der Schule allein gelöst werden, sondern sie ist nur gemeinsam vor Ort mit allen Beteiligten zu realisieren. Auch dafür gibt es schon gute Beispiele, die wir weiterentwickeln wollen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Eines ist dabei klar: Die Schule kann und die Schule soll sich auf diese Weise von einem Lernzentrum zu einem Lebenszentrum für die Schülerinnen und Schüler entwickeln. Das ist die Philosophie.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Alle Vorschläge, die heute zur Veränderung der Orientierungsstufenordnung und zur Organisation - so sage ich einmal - der Hauptschule insgesamt eingebracht worden sind, müssen mit den Betroffenen sehr genau diskutiert werden, bevor sie in förmliche Verfahren gehen. Das werden wir tun; denn der Ansatz, der darin steckt, vor allem die Eltern so zu beraten, dass sie den Grundschulempfehlungen folgen, ist ja richtig. Die Hauptschule stärken, das klingt ja als Ziel sehr abstrakt, aber es wird auch an vielen Stellen konkret. Für mich heißt das vor allem, diejenigen, die die Hauptschule besuchen, in ihrem Selbstbewusstsein, in ihrer Lernfähigkeit zu stärken.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Das ist der Maßstab, der über allem steht.

Eine abschließende Bemerkung zu dem, was hier von Herrn de Jager und von Herrn Dr. Klug in die Debatte eingebracht worden ist! Ich setze mich jetzt nicht mit dem Zahlenwerk zur Nachschiebeliste auseinander Herr Dr. Klug, das wissen Sie auch -, weil ich das Zahlenwerk hier nicht vorliegen habe.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Schade! - Martin Kayenburg [CDU]: Das hätten Sie besser vorher getan!)