Protocol of the Session on May 10, 2001

(Monika Heinold)

Holstein heraus durchaus Ideen entwickeln.

Wir unterstützen unsere grüne Bundestagsfraktion

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Oh!)

und hoffen, dass sie es schafft, das Modell zur Grundsicherung durchzusetzen.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] - Martin Kayenburg [CDU]: Was für eine Überra- schung!)

Zurück zum Bundeskanzler, der uns die heutige Debatte beschert hat. Natürlich ist es Aufgabe von Politikerinnen und Politikern, neue Denkanstöße zu geben, Debatten auch durch provokative Äußerungen zu initiieren und bestehende Strukturen infrage zu stellen.

Allerdings ist es klug, sich vorher mit den Fakten zu beschäftigen. Bei einer Arbeitslosigkeit von zirka 10 % und eingedenk der Möglichkeiten des Arbeitsamtes, Druck zur Aufnahme einer Arbeit auszuüben, kann es nicht nur an der Faulheit einiger liegen, dass diese Zahl so hoch ist. Die Bundesanstalt für Arbeit hat zu Recht darauf hingewiesen, dass ein erheblicher Teil derer, die sich Jahr für Jahr arbeitslos melden, schnell wieder in den Arbeitsmarkt finden. In der Zwischenzeit haben diese Beitragszahlerinnen und Beitragszahler natürlich einen wohlverdienten Anspruch auf Arbeitslosengeld beziehungsweise -hilfe.

Das Hauptproblem der Langzeitarbeitslosen liegt darin, dass Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber nur ungern Menschen einstellen, die älter als 50 Jahre sind, dass Behinderte schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben - ihre Arbeitslosenquote liegt 100 % über dem Durchschnitt - und dass auch Niedrigqualifizierte erhebliche Probleme bei der Arbeitssuche haben.

Ein weiteres Problem - vor allem im Niedriglohnbereich - sind die viel zu hohen Lohnnebenkosten. Wenn ich als Arbeitgeberin 1.600 DM aufwenden muss, damit meine Angestellte dann 1.000 DM netto bekommt, hilft auch das steuerbefreite Existenzminimum nur bedingt weiter. Die hohen Lohnnebenkosten verhindern das Entstehen von Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Gründe sprechen also dafür, den SSW-Antrag anzunehmen, allerdings mit der Änderung, die wir eingebracht haben. Außerdem bietet der Antrag die Chance, dass wir uns alle gemeinsam erneut Gedanken darüber machen, wie wir im Interesse der Arbeitslosen dazu beitragen, dass wir vor allem Langzeitarbeitslose und Menschen über 50 wieder in den Arbeitsmarkt

integrieren. Dabei kommen Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen eine entscheidende Rolle zu. Dies entspricht auch dem Interesse der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die in einigen Bereichen händeringend gut ausgebildete Fachkräfte suchen.

Deshalb müssen wir, wie vom SSW in einer Pressemitteilung zu diesem Antrag gefordert, die Rechte und Pflichten von Arbeitslosen diskutieren und sollten als Vorbild Dänemark, Schweden und die Niederlande nehmen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Zu den Rechten der Arbeitslosen in diesen Ländern gehört eben auch der Anspruch auf Weiterbildung und Qualifizierung. Dort suchen die Arbeitsämter nicht geeignete Menschen zur Besetzung freier Stellen, sondern stellen vielmehr einen individuellen Plan auf, wie ein Arbeitsloser weitergebildet werden kann, um die Anforderungen einer bestimmten Stelle zu erfüllen. Solange Politikerinnen und Politiker in Deutschland einen solchen Rechtsanspruch nicht geschaffen haben, sollten sie Forderungen nach mehr Druck auf „faule“ Arbeitslose unterlassen.

Immerhin, mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Jobrotation ist ein erster Schritt auf diesem Weg gemacht. Beschäftigte erhalten die Möglichkeit, zeitweise auszusteigen, um sich fortzubilden. Gleichzeitig werden den Betrieben qualifizierte Arbeitslose vermittelt. Auch die Landesregierung hat sich sehr schnell und sehr deutlich für dieses Modell ausgesprochen. Da gilt es, einen Dank an die Sozialministerin auszusprechen.

Ebenfalls ein Fortschritt ist das Recht auf Teilzeitarbeit, eine Initiative der rot-grünen Bundesregierung, die dazu beitragen wird, dass Arbeit auf mehr Schultern verteilt wird, und die somit neue Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet.

Ein weiterer Schwerpunkt der Politik muss darin liegen, Jugendliche auf Ausbildungs- und Arbeitsstellen zu vermitteln. Vor allem hier unterstützt meine Fraktion die verbindliche Festlegung von Rechten und Pflichten. Wir tun keinem Jugendlichen einen Gefallen, wenn er erst einmal ein paar Jahre „herumhängt“. Angebote, Beratung und Motivation sind Aufgabe von Elternhaus und Staat. Dann muss aber auch von den jungen Menschen erwartet werden, dass sie sich selbst aktiv ins Berufsleben einbringen.

Auch die Arbeitsämter sind gefordert, aktiv und kreativ zu beraten. Hier hat sich schon einiges getan, zum Beispiel die Jobvermittlung über PCs in den Arbeitsämtern, mit deren Hilfe sich Arbeitslose selbst über angebotene Arbeitsstellen informieren können.

(Monika Heinold)

Aber es mangelt zum Teil noch immer an einer zielgerichteten Vermittlung, welche auch Beratung einschließt. Die Frage der Kinderbetreuung ist hier heute schon angesprochen worden.

Arbeitslose brauchen Perspektiven, konkrete Angebote und Beratung. Dass vor allem die Vermittlung von Langzeitarbeitslosen noch verbesserungswürdig ist, hat auch die Bundesanstalt für Arbeit erkannt. Sie hat ein Konzept zur vorzeitigen Vorbeugung vor Langzeitarbeitslosigkeit vorgestellt. Hier soll im Rahmen einer erweiterten Intensivberatung und -vermittlung gemeinsam mit Arbeitslosen, denen aufgrund von Alter, Gesundheitsbeeinträchtigung oder auch mangelnder Qualifikation Langzeitarbeitslosigkeit droht, ein individuell abgestimmtes Konzept erarbeitet werden.

Die Bundesregierung hat den ersten Schritt gemacht, indem sie die Lohnnebenkosten gesenkt hat. Die Ökosteuer wird dieses große Problem der sehr hohen Lohnnebenkosten allein nicht lösen können. Hauptforderung meiner Fraktion ist es, dass die Sozialkassen von versicherungsfremden Leistungen befreit werden. Sie sind in den letzten Jahren unter CDU und FDP leider extrem in die Höhe gegangen. Außerdem wollen wir - was ja in der politischen Diskussion durchaus strittig ist -, dass möglichst alle Menschen in die Sozialversicherung einzahlen, damit sich alle an den sozialen Pflichten in unserer Gesellschaft beteiligen.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Es bleibt also viel zu tun. Ein Recht auf Faulheit hat der Kanzler erst, wenn die Probleme in unserem Land gelöst sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Mir liegen zwei Wortmeldungen zu Kurzbeiträgen vor. Zunächst erteile ich nach § 56 Abs. 4 der Frau Abgeordneten Hinrichsen das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich darf mich bei den Vorrednern bedanken. Sie haben wieder das wunderbare Beispiel genommen, wie alles in Dänemark ist. Sie übersehen dabei eines: Man übernimmt aus Dänemark immer nur einen Teilaspekt der Arbeitsmarktpolitik, einen winzigen kleinen Teil. Wir möchten gern darauf hinweisen, dass es im Bereich der dänischen Arbeitsmarktpolitik auch noch Folgendes gibt: Dänemark hat den flexibleren Arbeitsmarkt.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Rechte und Pflichten, Kündigungs- und Einstellungsmöglichkeiten sehen ganz anders aus als in Deutschland.

Einen Moment bitte, Frau Abgeordnete! - Ich bitte zu beachten, dass es auch ein Recht auf etwas mehr Ruhe im Plenum gibt.

Frau Abgeordnete Hinrichsen, Sie haben das Wort.

Dieses ist aber ausschließlich dann vertretbar, wenn gleichzeitig großzügige Sozialleistungen für jene zur Verfügung stehen, die aus einem solchermaßen flexibleren Arbeitsmarkt herausfallen. Davon habe ich aber hier die ganze Zeit nichts gehört. Insbesondere von der CDU habe ich immer nur von „weiter kürzen“ gehört. Damit sind wir nicht einverstanden.

Darüber hinaus bitte ich hinsichtlich unseres Antrages um Einzelabstimmung beziehungsweise abschnittsweise Abstimmung.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag nach § 56 Abs. 4 hat der Herr Abgeordnete Müller.

Meine Damen und Herren von der CDU-Fraktion, ich finde, diese Diskussion ist ein hervorragendes Beispiel, wie verlogen Politik sein kann. Ich mache wirklich schon eine ganze Weile Politik und gerade von Vertretern Ihrer Partei wird seit Jahren und Jahrzehnten landauf, landab etwas über den Missbrauch von Sozialhilfe erzählt und von Arbeitslosigkeit, die eigentlich keine ist. Jetzt haben wir endlich einen Kanzler, der einmal sehr differenziert, Frau Heinold er hat niemanden pauschal in irgendeine Ecke gestellt -, sehr qualifiziert sagt,

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der SPD)

dass es auch Missbrauch gibt und dass wir diesen Missbrauch nicht dulden können.

(Zuruf der Abgeordneten Roswitha Strauß [CDU])

- Das, Frau Kollegin Strauß, sagt er zum Schutz der

(Klaus-Dieter Müller)

absoluten Mehrheit der Arbeitslosen, denen geholfen werden muss.

(Beifall bei SPD und FDP)

Ich erteile jetzt Frau Ministerin Moser das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sollten den Antrag des SSW nach meinem Verständnis nutzen, um die in der Öffentlichkeit geführte Diskussion über die Äußerungen des Bundeskanzlers sozusagen vom Kopf auf die Füße zu stellen. Die in der Tat provokanten Formulierungen Schröders haben etwas bewirkt, was man auch nennt, die Spreu vom Weizen trennen. Damit ich hier jetzt nicht missverstanden werde: Die Spreu sind in diesem Falle die Stammtischstrategen, die Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger und andere, die sozialer Hilfestellung bedürfen, wahllos diffamieren, gleichgültig, ob es sich wie beim Arbeitslosengeld um eine erworbene und bezahlte Versicherungsleistung, um einen Anspruch oder um gesetzliche Leistungsansprüche handelt.

Übrigens, liebe Frau Kollegin Heinold, die Arbeitslosenhilfe steht zwischen diesen beiden Hilfearten. Sie ist kein in dem Sinne erworbener und bezahlter Anspruch, sondern eine steuerfinanzierte Leistung.

(Beifall bei SPD und FDP)

Den Weizen stellen die Diskussionen dar, die zwischen der Feststellung des SSW-Antrags, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Arbeitslosen nicht aus Gründen der Faulheit keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, und der Feststellung des Kanzlers, es gebe keine Recht auf Faulheit, eben keinen Widerspruch sehen, sondern - im Gegenteil - beide Feststellungen zu einem Prinzip des Gleichgewichts von Rechten und Pflichten zusammenführen.

Insofern verstehe ich die ganze Aufregung nicht.