Protocol of the Session on May 9, 2001

Über die Notwendigkeit von mehr Ganztagsschulen ist allzu lange nur geredet worden.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Herr Abgeordneter, erlauben Sie eine kurze Bemerkung! Es ist etwas zu unruhig. Wir müssen uns etwas mehr konzentrieren.

Die gesellschaftliche Wirklichkeit und die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen fordern, dass nun endlich auch Taten folgen. Sicher sind wir uns darüber einig, dass Ganztagsschulen in allen Bereichen des Schulwesens benötigt werden.

Wenn man realistisch an diese Sache herangeht, was man in heutigen Zeiten muss, wird man nur schrittweise vorankommen. Die FDP-Fraktion schlägt deshalb vor, dass wir dort beginnen, wo Ganztagsunterricht

(Dr. Ekkehard Klug)

aus pädagogischen und aus bildungs- und gesellschaftspolitischen Gründen besonders wirkungsvoll und hilfreich ist, nämlich bei den Haupt- und Sonderschulen.

(Beifall bei FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir schlagen deshalb vor, in jedem Kreis und in jeder kreisfreien Stadt zunächst drei Hauptschulen zu Ganztagsschulen zu machen. Darüber hinaus soll die Vorgabe des Schulgesetzes, dass an Schulen für Geistig- und Körperbehinderte in der Regel Ganztagsunterricht erteilt wird, endlich der schulischen Wirklichkeit in diesem Land entsprechen.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD])

Dieser Einstieg in die Errichtung von Ganztagsschulen bedeutet vor allem eines: Wir werden in SchleswigHolstein für Kinder und Jugendliche, die besondere Förderung benötigen, bessere Bildungs- und Lebenschancen schaffen. Dass die SPD-Fraktion und die Grünen für unseren Vorschlag Zustimmung signalisieren, zeigt soziale Verantwortung und bildungspolitische Konsequenz. Wenn sich die CDU-Fraktion dem nicht anschließen mag, widerspricht dies einerseits dem auch von der Union wiederholt vorgetragenen Bekenntnis zur Stärkung der Hauptschulen. Andererseits widerspricht es zu meinem Erstaunen auch dem Wortlaut ihres Mitte März in Weißenhäuser Strand verfassten Landesparteitagsbeschluss. Jedenfalls steht in der von den „Lübecker Nachrichten“ am 17. März 2001 abgedruckten Fassung, dass Sie auch bei den Hauptschulen beginnen wollten. Herr de Jager und Herr Kayenburg, vielleicht aber sollte man dieses Kapitel unter die Rubrik der kleinen Finten und Aktionen gegen den großen Landesvorsitzenden Wadephul einordnen.

(Zurufe von der CDU - Wortmeldung des Abgeordneten Jost de Jager [CDU])

Herr Abgeordneter Dr. Klug, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten de Jager?

Ich möchte den Abgeordneten Klug fragen, ob er bereit ist zuzugestehen, dass es einen Unterschied zwischen Parteitagsbeschlüssen und der abgedruckten Fassung einer Zeitung geben kann!

(Lachen und Beifall bei der CDU)

- Das mag so sein. Wie gesagt, das ist eine Formulierung im Wortlaut. Dort steht genau das, was ich gesagt habe. Das Ganze erinnert mich ein bisschen an eine Fabel von Aesop: Ein in seiner Heimatstadt wenig bekannter Fünfkämpfer prahlt nach seiner Heimkehr von einer Tournee, er sei auf der Insel Rhodos sogar einmal weiter gesprungen als ein Olympiasieger. Daraufhin ruft ihm einer aus der Menge zu: „Hic Rhodus, hic salta! - Hier ist Rhodos, hier spring!“ Kollege Kayenburg, das gilt auch für die CDU. Es gilt nämlich nicht nur zu wissen, wo man landen will, sondern es gilt, gelegentlich auch einmal in die angekündigte Richtung springen zu können.

(Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Das ist jedenfalls vernünftiger, als beleidigt vor dem Sprungbalken zu verharren, nur weil man meint, man habe das Thema gepachtet und darauf einen Alleinvertretungsanspruch.

(Beifall bei der FDP und des Abgeordneten Jürgen Weber [SPD] - Zuruf des Abgeord- neten Klaus Schlie [CDU])

Im Detail wird die Organisation der Ganztagsschulen, ausgerichtet auf die unterschiedlichen Bedingungen in den einzelnen Schularten, von Schulart zu Schulart unterschiedlich zu regeln sein. Wir Liberale teilen die Auffassung, dass mit dem Konzept der Ganztagsschule prinzipiell ein Mix aus unterschiedlichen Elementen verbunden sein muss. Das ist übrigens auch an den bestehenden Ganztagsschulen in SchleswigHolstein bereits der Fall. Dabei handelt es sich in der Regel um Gesamtschulen, doch sind auch einige Schulen aus dem gegliederten Schulwesen darunter, die auch heute schon in Schleswig-Holstein als Ganztagsschulen betrieben werden. Zu diesen Elementen zählen am Nachmittag mögliche Unterrichtsteile ebenso wie verschiedene Formen der Betreuung, zum Beispiel in Form von Hilfen bei den Hausaufgaben. Weiter zählen dazu auch pädagogisch und erzieherisch sinnvolle Formen betreuter Freizeitgestaltung. Das ist besonders wichtig. Wo immer möglich, könnten in diesem Sektor auch Vereine, Verbände und Initiativen einbezogen werden, die vor Ort aktiv sind.

(Beifall der Abgeordneten Lothar Hay [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Dankenswerterweise haben wir in Deutschland ein sehr aktives und sehr breites Vereinsleben - ganz im Gegensatz zu Ländern, in denen heute schon die Ganztagsschule der Regelfall ist. Man sollte mit dem

(Dr. Ekkehard Klug)

Konzept der Ganztagsschule diese Angebote auch nicht ausbremsen.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Lothar Hay [SPD], Jürgen Weber [SPD] und Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Deshalb gilt es, diese Möglichkeiten einer organisierten und pädagogisch sinnvollen Freizeitgestaltung vor Ort in die Entwicklung eines solchen Konzeptes einzubeziehen.

Nur unter diesen Voraussetzungen ist die Erweiterung von Ganztagsangeboten am Ende auch finanzierbar. Wir können Ganztagsschulen nicht ausschließlich mit Lehrerinnen und Lehrern ausstatten, die sehr teuer wären.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich füge hinzu, dass das Land für die Einrichtung einer Ganztagsschule einen Zuschlag für die Personalausstattung einbringen muss. Das ist für mich genauso selbstverständlich.

Ein gelungenes Beispiel für ein in diesem Land gut funktionierendes Ganztagsschulkonzept ist die Kooperative Gesamtschule in Elmshorn. Sie erhält wie alle Ganztagsschulen im Bereich der Gesamtschulen - zwar vom Land eine zusätzliche Personalausstattung, aber viele Nachmittagsangebote im Bereich der so genannten gebundenen Freizeit, aus dem die Schüler eine bestimmte Zahl von Angeboten auswählen müssen, werden nicht von Lehrern organisiert und geleitet. Die Palette reicht hier von zahlreichen Aktivitäten im musisch-kulturellen und sportlichen Bereich bis hin zu Themen wie Tierpflege, Möbelbau, Holzarbeiten oder - aus dem sozialen Bereich - der Patenschaft mit einem Altenheim vor Ort.

In solche Nachmittagsangebote lassen sich im Übrigen auch in idealer Weise berufsorientierende und berufsvorbereitende Inhalte einbeziehen, wie sie im Hauptschulbereich von nahezu allen Seiten als dringend notwendig angemahnt werden. Gerade die ausbildende Wirtschaft fordert dies dringend. Im Rahmen eines Konzepts Ganztagsschule könnten wir diese Inhalte gerade im Hauptschulbereich - wesentlich besser verankern, als das heute der Fall ist. Vor allem müssten diese Inhalte nicht auf Kosten der Unterrichtsstunden vermittelt werden.

Bei den Sonderschulen für Geistig- und Körperbehinderte, die ja laut Schulgesetz in der Regel Ganztagsunterricht erteilen sollen, bestehen wiederum andere Voraussetzungen, die nach hierfür geeigneten Lösungsansätzen verlangen. Selbst der Bereich der reinen

Betreuungsmaßnahmen erfordert bei den Sonderschulen - um nur ein Beispiel zu nennen - in höherem Maße spezielle sonderpädagogische und heilpädagogische Aus- und Fortbildung. Das heißt jedoch nicht, dass man nicht auf die Elterninitiativen, die sich an diesen Schulen gebildet haben, zurückgreifen und sie einbeziehen sollte. Es geht darum, vor allem sonderpädagogische Kompetenz und Qualifikationen in die Ganztagsbetreuung einzubringen. Ein Einheitsmodell Ganztagsschule kann es in einer differenzierten Schullandschaft nicht geben. Ich denke, das ist nicht sinnvoll. Wir müssen bei der Entwicklung von Ganztagsangeboten an Schulen auf die Situation und die Bedürfnisse sowie die Realität der einzelnen Schulen eingehen.

An den Schulen für Geistig- und Körperbehinderte ist die Situation derzeit in Schleswig-Holstein deshalb so miserabel, weil sich Land und kommunale Schulträger gegenseitig die Verantwortung zuschieben und am Ende nichts passiert. Beispiel Nummer eins: Das Kultusministerium teilt mir am 3. April 2001 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage mit, die Schulträger müssten für diese Sonderschulen Anträge auf Erteilung von Ganztagsunterricht stellen. Solche Anträge lägen aber nicht vor. Würden sie unterbreitet, wäre man Willens, gegebenenfalls entsprechende Mittel bereitzustellen.

Beispiel zwei: Der Verein „Tollhaus Flensburg e.V.“ schreibt mir wenige Tage später am 10. April 2001 nach der Lektüre dieser Antwort der Landesregierung auf meine Kleine Anfrage: Im vergangenen Jahr habe das Kultusministerium einen Förderantrag des Vereins für Betreuungsangebote an der Flensburger Friholtschule unter Berufung auf den Status der G-Schulen als Ganztagsschule abgelehnt. Betreuungsangebote seien deshalb dort nicht mehr nötig.

Wenn man dies zusammennimmt, muss man sagen: Das Kultusministerium weiß genau, dass diese Sonderschulen nirgendwo im Lande Ganztagsschulen sind, und wartet, ob Schulträger vielleicht irgendwann Anträge auf deren Einrichtung stellen. Gleichzeitig aber weist das Ministerium Förderanträge von Elterninitiativen mit der Begründung zurück, diese Sonderschulen seien doch laut Schulgesetz Ganztagsschulen. Da dreht sich die Sache im Kreis. Es gilt, diesen Teufelskreis im Sinne der Kinder, die eine bessere Förderung brauchen, endlich zu durchbrechen.

(Beifall bei der FDP und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN])

Ich erteile Herrn Abgeordneten de Jager das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte mich eigentlich darauf eingestellt, erst noch den Ausführungen des SPD-Redners lauschen zu können.

(Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ich auch!)

Dann hätte ich sie kritisieren können.

(Heiterkeit bei der CDU)

Nun will ich also gleich selbst reden.

Konzentrieren Sie sich bitte auf Ihre Ausführungen!

Als Redner der CDU-Fraktion freue ich mich zunächst einmal, dass die Bildungskampagne vom Herbst und Winter Früchte getragen hat

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

und dass der Beschluss unseres Landesparteitages, flächendeckend und bedarfsgerecht Ganztagsschulen in Schleswig-Holstein einzuführen, eine politische Diskussion im Lande in Gang gesetzt hat, die heute in diese Landtagsdebatte mündet.

Unbestritten ist es so, dass erst durch die Initiative der CDU die Ganztagsschulen, die zu Karteileichen der Bildungsprogramme von Rot und Grün verkommen waren, wieder zum Leben erweckt werden.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind - das geben wir gern zu - nicht die Ersten gewesen, die die Ganztagsschulen fordern,