Protocol of the Session on March 23, 2001

(Glocke des Präsidenten)

Frau Abgeordnete Hinrichsen, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kubicki?

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das ist ja scha- de!)

Es kann gar keinen Zweifel daran geben, dass wir in Schleswig-Holstein eine Person brauchen -

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Frau Warnicke, ich muss mich jetzt an Sie wenden!)

- Es wäre nett, wenn Sie sich Ihre Zwischenbemerkungen sparen könnten, wenn ich eine Zwischenfrage nicht zulasse.

Es kann gar keinen Zweifel daran geben, dass wir in Schleswig-Holstein eine Person brauchen, die sich gegenüber den Verwaltungen und dem Parlament für die Interessen der Bürgerinnen und Bürger stark macht. Wir erwarten, dass die Arbeit der Bürgerbeauftragten jetzt in vollem Umfang weitergeführt wird. Wir fordern nämlich auch, dass die Institution der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten in Schleswig-Holstein an dem Modell des rheinlandpfälzischen Bürgerbeauftragten ausgerichtet wird, dass der skandinavischen Institution des Ombudsmanns entspricht.

(Beifall beim SSW)

Die Bürgerbeauftragte für soziale Angelegenheiten muss zur Eingangsinstanz für Eingaben werden. Wer ein Problem mit Behörden hat, soll sich immer als erstes an die Bürgerbeauftragte wenden können. Der Eingabenausschuss soll nicht abgeschafft werden. Im Gegenteil, durch eine regelmäßige Berichtspflicht der Beauftragten an den Eingabenausschuss könnte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit ergeben.

Es ist sinnvoll, eine niedrigschwellige Anlaufstelle zu schaffen. Dafür ist das Büro der Bürgerbeauftragten besser geeignet. Nur die Bürgerbeauftragte hat das richtige Maß aus Nähe und Distanz zum Parlament. Denn nur eine weitgehend unabhängige Ombudsperson kann das Vertrauen möglichst vieler der Bürgerinnen und Bürger gewinnen und auch mal der Landespolitik die Stirn bieten. Ein entsprechender Vorschlag von uns ist leider zurückgewiesen worden.

Der vorliegende sechste Tätigkeitsbericht ist das berufliche Vermächtnis von Frau Warnicke. Er hinterlässt uns eine Reihe von offenen Fragen und Problemstellungen allgemeinen Charakters. Ein letztes Mal zeigen Sie, Frau Warnicke, uns auf, wo hinter den Einzelschicksalen die Fallen der Bürokratie lauern; denn Frau Warnicke - das sei wiederholt - hat nicht nur gemeinsam mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Menschen bei konkreten Problemen beigestanden. Sie hat auch die große Gabe, den Abgeordneten zu vermitteln, wo sich allgemeine gesetzliche Mängel verbergen. Das zeigt auch die beeindruckende Bilanz der Erfolge, die in dem vorliegenden Bericht nachzulesen sind.

Frau Warnicke hat nicht nur Einzelfalllösungen erreicht, sondern auch Anstöße für die Veränderung von Gesetzen und Verordnungen gegeben. - Ihre Nachfolgerin oder Ihr Nachfolger muss in sehr große Fußstapfen treten.

(Beifall beim SSW)

Ich möchte gern etwas zu Ihrer Nachfolge sagen. Ich wünsche den Mehrheitsfraktionen sehr viel Augenmaß bei der Neubesetzung dieses Postens. Es hat den großen Vorteil gehabt, dass er aufgrund der Ansiedlung beim Parlament nicht parteipolitisiert war. Durch die öffentliche Diskussion um die Nachfolge und die öffentliche Zurschaustellung von fraktionsinternen Entscheidungsprozessen hat man uns einen Bärendienst erwiesen. Die Bürgerbeauftragte gehört zum gesamten Landtag. Deshalb hoffe ich, dass wir bald gemeinsam eine würdige Nachfolgerin oder einen würdigen Nachfolger für Sie, Frau Warnicke, wählen können.

Auch der SSW möchte sich heute bei Ihnen mit einem Blumenstrauß bedanken. Noch so viele Blumen und Danksagungen werden Ihrer Arbeit aber nicht gerecht.

(Silke Hinrichsen)

Der einzig richtige Dank für Ihre Arbeit, Frau Warnicke, ist es, wenn wir uns in den Ausschüssen mit jedem einzelnen der offenen Probleme auseinander setzen und so viele dieser Mängel wie möglich durch Gesetze oder auf anderen Wegen ändern können. Herzlichen Dank für Ihre Arbeit!

(Beifall im ganzen Haus)

Ich erteile Frau Ministerin Moser das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Sigrid Warnicke, sehr verehrte Frau Bürgerbeauftragte, bald sind Sie versteckt hinter den ganzen Blumen, aber noch kann ich Sie gut erkennen.

Für die breiten Schichten der Bevölkerung ist die soziale Sicherung von elementarer Bedeutung. Die Kenntnis des Rechts dieser sozialen Sicherung ist aber leider wenig verbreitet. Die Gründe dafür sind schon genannt worden: Die Rechtsquellen sind zersplittert, das Recht der sozialen Sicherung ist immer komplexer und unübersichtlicher geworden und die vielen Besonderheiten, die es auch auf Wunsch von sozialpolitisch engagierten Menschen gibt, machen den Blick auf einen umfassenden Schutz für die Wechselfälle des Lebens an manchen Stellen schwer bis unmöglich.

Der sechste Tätigkeitsbericht der Bürgerbeauftragten für soziale Angelegenheiten zeigt einmal mehr, dass Sie, Frau Warnicke, den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes bei der Anwendung dieses komplizierten Sozialrechts erfolgreich helfen konnten und dass Sie oftmals eine Bresche in dieses schier undurchsichtige Dickicht schlagen konnten. Das war keine leichte Aufgabe und keine bequeme Arbeit. Frau Warnicke, wer Sie kennt, der weiß, dass Sie sich nie die bequemsten Dinge ausgesucht haben. Die Vielfalt der sozialen Anliegen ist schon angesprochen worden. Diese Vielfalt hat es auch notwendig gemacht, sich mit einer ebenso großen Vielfalt von unterschiedlichsten Kostenträgern - bekanntlich sind das immer die schwierigsten Partner - auseinander zu setzen und nicht nur Lösungen für Probleme zu suchen, sondern Lösungen für einzelne Menschen zu finden.

Frau Warnicke und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben diese Hilfe vor Ort angeboten und damit Bürgernähe praktiziert. Wie wir eben gehört haben, hat es auch Ansätze von Undercover-Arbeit gegeben. Frau Warnicke, mit Ihrer Präsenz vor Ort haben Sie sozusagen Kontrapunkte zu der Anonymität, die man

chen Verwaltungen und manchen Behörden noch immer anhaftet, gesetzt.

Fast 13.000 Bürgerinnen und Bürger haben in der jetzt zu Ende gehenden sechsjährigen Amtszeit bei Ihnen Rat und Hilfe gesucht und - was das Schöne ist - in der überwiegenden Mehrzahl auch gefunden. Im abgelaufenen Jahr waren es wieder rund 2.500 neue Eingaben in sozialen Angelegenheiten. Die Bilanz macht deutlich, dass die Institution der Bürgerbeauftragten anerkannt, bekannt und akzeptiert ist, dass die Menschen in die Institution, aber vor allen Dingen auch in die Person, die dahinter steht, Vertrauen entwickelt haben.

In dem vorliegenden sechste Tätigkeitsbericht spiegeln sich - auch das wurde bereits gesagt - die Auswirkungen und Handhabungen von Rechtsnormen wider, die wir zum Teil selbst auf den Weg gebracht und beschlossen haben. Zusätzlich zu den an die Bürgerbeauftragte gerichteten Eingaben gehen Eingaben an den Eingabenausschuss, die obersten Landesbehörden, die Kommunalverwaltungen und an die Sozialverbände. Auch vor den Sozialgerichten und anderen Gerichten wird in strittigen Angelegenheiten Recht gesprochen.

Wenn man all diese Eingaben, Anfragen und Verfahren vor den Verwaltungs- und Sozialgerichten zusammennimmt, dann stellen diese Dinge eine Art Controlling der Arbeit des Parlaments als Legislative aber auch der Arbeit der Exekutive - dar. Sie machen deutlich, dass wir unserem gemeinsamen Ziel sozialer Gerechtigkeit und der entsprechenden bürgernahen Verwaltung zwar immer ein Stück näher kommen können, es aber noch lange nicht erreicht haben. Vielleicht können wir es dauerhaft nie zu 100 % erreichen. Insofern ist die Institution der Bürgerbeauftragten oder des Bürgerbeauftragten nicht eine, die die Chance hat, sich irgendwann selbst überflüssig zu machen, denn bei allem Philosophieren über die zu große Fülle oder die Entbehrlichkeit von Rechtsnormen, das heute hier stattgefunden hat, bleibt, dass Recht nie in jedem Fall Einzelfallgerechtigkeit garantieren kann. Insofern ist eine Institution, die Bürgerinnen und Bürgern im Einzelfall hilft, niemals überflüssig und niemals entbehrlich.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, F.D.P. und SSW sowie der Abgeord- neten Herlich Marie Todsen-Reese [CDU])

Lassen Sie mich auch auf einige Beispiele aus dem Bericht eingehen. Ich beginne mit einem Aspekt, der hier noch nicht genannt worden ist: Das schleswigholsteinische Verwaltungsgericht hat in einem Urteil entschieden, dass blinde Minderjährige, denen neben Leistungen des Pflegeversicherungsgesetzes nach Pflegestufe 3 auch Landesblindengeld nach dem Landesblindengeldgesetz zusteht, Anspruch auf Gewäh

(Ministerin Heide Moser)

rung von Landesblindengeld unter Anrechnung von lediglich 25 % des Pflegegeldes haben. Wir werden das Landesblindengeldgesetz entsprechend ändern und dabei auch die Pflegestufen 1 und 2 einbeziehen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich wähle gerade dieses Beispiel, weil es deutlich macht, dass wir als diejenigen, die dieses Gesetz auf den Weg gebracht haben und als Parlament, das dieses Gesetz beschlossen hat, eine Sache sehr systematisch geregelt haben, die aber letztlich für einige Menschen in diesem Land Ungerechtigkeit geschaffen hat. Hier müssen wir uns korrigieren, weil die Bürgerbeauftragte dies so erstritten und auf den Weg gebracht hat. Ich glaube, das ist ein sehr gutes Beispiel für die Notwendigkeit dieser Arbeit. Wir haben es damals nicht an Sorgfalt fehlen lassen, wir haben es wirklich systematisch gemacht. In der Systematik ist aber eben nicht jeder Einzelfall - und sind manchmal auch ganze Gruppenfälle - nicht angemessen geregelt. Herzlichen Dank für diesen Erfolg, den Sie für die betroffenen Menschen erreicht haben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN, SSW und vereinzelt bei der CDU)

Ein zweites Beispiel, das auch noch nicht erwähnt wurde: Frau Warnicke hat dafür gesorgt, dass die Berechnung der Investitionskosten für Pflegeheime nach der Anzahl der Zimmer und nicht - wie es bis dato üblich war - nach der Anzahl der Betten erfolgt. Ich brauche nicht auszuführen, worin der erhebliche Unterschied liegt. Nach meiner Auffassung ist diese Berechnung schon jetzt nach der Landespflegesatzverordnung möglich. Da es aber anders praktiziert worden ist, werden wir noch in diesem Jahr für eine Klarstellung in der Landespflegesatzverordnung sorgen.

(Beifall bei SPD, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ein Bereich, der von Ihnen allen angesprochen wurde, ist das Wirrwarr beim Kostenausgleich im Kindertagesstättengesetz. Unsere Erfahrungen decken sich mit dem, was im Bericht steht. Aus unterschiedlichen Gründen - sicherlich auch aus denen, die Frau Birk genannt hat - gibt es eine Reihe von Konfliktfällen. Vor dem Hintergrund der angespannten Finanzsituation in den Kommunen neigen die Kommunen offensichtlich dazu, sich an dieser Stelle zu verweigern und die Eltern und Kinder sozusagen zu Betroffenen zu machen. Wir arbeiten in vielen bereits geführten Gesprächen daran, diesen Konflikt zu bereinigen. Ich persönlich glaube nicht, dass uns mit einer weiteren Novellierung des Gesetzes gedient ist, weil wir einen solchen Paragraphen nie auf jeden Einzelfall passend

zuschneiden können. Sie werden die Konflikte mit Gesetzestexten nicht minimieren können. Ich denke, es ist besser, im Rahmen des Dialogs mit den Jugendämtern der Kreise und kreisfreien Städte verabredete Lösungen zu finden, an die dann alle gebunden sind.

(Beifall bei SPD, F.D.P. und SSW)

Es ist richtig, in jedem Jahresbericht nehmen die Einzelfälle aus dem Bereich der Sozialhilfe einen breiten Raum ein. Zu den tragenden Grundsätzen des Sozialhilferechts gehören Individualisierung und der Nachrang der Sozialhilfe. Über Form und Maß der Hilfe entscheidet der Sozialhilfeträger nach pflichtgemäßem Ermessen. Teil dieses Ermessen - und das ist das Entscheidende, auf das die Bürgerbeauftragte immer wieder aufmerksam macht - ist natürlich die Würdigung der Besonderheit des Einzelfalls. Hier haben Sie immer eine sehr wichtige Aufgabe übernommen, um den Behörden klar zu machen, wo ihr Ermessen eigentlich liegt und wo sie es auch transparent wahrnehmen müssen. Ich glaube, dass wir in dem Bemühen, Sozialhilfe transparenter zu gestalten, mit unserem Benchmarkingsystem einen großen Schritt vorankommen. Als Partner müssen wir dafür sorgen, dass die Dienstleistungsmentalität - auch der Sozialhilfeträger und der Behörden - ausgeprägter wird.

(Beifall der Abgeordneten Angelika Birk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir werden mit allem Nachdruck und auch mit der Hilfe der Bürgerbeauftragten dafür sorgen, dass die Leistungen der Sozialhilfe, wo immer es möglich ist, zur Überwindung der Sozialhilfeabhängigkeit eingesetzt werden. Das von Herrn Baasch angeführte Beispiel der jungen Frau, die sich bemüht, in Zukunft auf Sozialhilfe verzichten zu können, indem sie arbeitet, die dann aber bei der Kinderbetreuung entsprechend unterstützt werden muss, ist passend.

Die Fülle von Einzelfällen, die Fülle von Hinweisen, Anregungen und Änderungen

(Glocke des Präsidenten)

- Herr Präsident, ich bemühe mich, zum Schluss zu kommen;

(Zuruf von der SPD: Sie bemüht sich!)

ich will nicht sofort abbrechen

(Heiterkeit und Beifall im ganzen Haus)

sind dazu geeignet, positive Wirkungen zum Wohle der Bürgerinnen und Bürger nach sich zu ziehen, sozusagen ein Frühwarnsystem, wie ich es immer gern nenne - Frau Warnicke hat mich auf die Idee gebracht, es so zu nennen -, zu etablieren. Es zeigt sich: Wenn rechtzeitig Hilfe gesucht wird, können auch noch

(Ministerin Heide Moser)