Protocol of the Session on March 21, 2001

Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich jetzt Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben es nicht zum ersten Mal, dass sich auf Bundesebene ein hoher Lehrerbedarf abzeichnet. Gleich nach den ersten Meldungen über Lehrermangel in Schleswig-Holstein wurde in den „Zwischenrufen“ einer großen Regionalzeitung an eine groteske Geschichte erinnert: Weil zu viele Kinder in die Schulen einzogen, gab es Ende der 60er-Jahre ein Konzept zur Sicherung des Lehrerbedarfs der ganz besonderen Art.

(Zuruf des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.])

Bekanntlich wurden damals über 300 Hausfrauen und andere in einem Schnellverfahren zu Lehrerinnen und Lehrern ausgebildet. Da aber die damalige Landesregierung vergaß, genügend neue Planstellen im Haushalt einzustellen, hätten fast erst einmal 300 angestellte Lehrkräfte entlassen werden müssen, um Planstellen für diese Hilfstruppe zu schaffen. In letzter Minute - so hieß es in dieser Geschichte - konnte man diesen Irrsinn damals verhindern.

So etwas würde uns heute natürlich nicht passieren.

(Dr. Ekkehard Klug [F.D.P.]: Hervorragend!)

Das ist klar. Uns ist es aber anscheinend „passiert“, dass es uns immer noch nicht gelungen ist, Instrumente zu entwickeln, die eine größere Flexibilität bei der zugegebenermaßen schwierigen Anpassung des Lehrerbedarfs an die Entwicklung der Schülerzahlen gewährleisten könnten. Wie hoch rechnerisch betrachtet die Deckungslücke ist, wenn der Einstellungsbedarf bis 2004 dem Lehrkräfteangebot entgegengehalten wird, hat uns das Bildungsministerium in einer Pressemitteilung vorgerechnet. Es fehlen dann über 1.500 Vollzeitkräfte. Hinzu kommt, dass sich der künftige Bedarf nicht gleichmäßig auf alle Fächer und Schularten verteilt.

(Anke Spoorendonk)

Das Problem ist also erkannt. Dabei kann ich mir nun doch die Bemerkung nicht verkneifen, dass es bei der Formulierung des „1.000-Lehrer-Programms“ der Landesregierung anscheinend doch keine Rolle gespielt hat. Vielleicht muss man sich auch ganz einfach damit abfinden, dass es keine antizyklischen Steuerungsinstrumente gibt, um den Bedarf an Lehrern mit den konkreten Schülerzahlen in Einklang zu bringen.

Als „antizyklische Maßnahme“ werte ich den Vorstoß der Bildungsministerin, zur Sicherung des Lehrernachwuchses auch eine „Wellcome-back-Aktion“ oder weniger schick formuliert: eine Rückholaktion zu starten mit Einarbeitungsangeboten für Wiedereinsteiger in den Lehrerberuf. Dadurch würde man längerfristig die Altersstruktur der Lehrerkollegien aufbrechen, weil die angesprochene Gruppe vermeintlich nicht zu den jungen Jahrgängen gehört.

(Unruhe - Glocke des Präsidenten)

Werte Kolleginnen und Kollegen, gemeinsames Singen hilft, gemeinsames Reden nicht - und auf das Zweite möchte ich ausdrücklich hinweisen.

Das ist also ein positiver Ansatz, auch wenn man bedenkt, was das Land an Pensionsausgaben spart. Für „Neueinstellungen auf Vorrat“ könne die Finanzlage der öffentlichen Haushalte nicht herhalten, so die Ministerin in der schon erwähnten Pressemitteilung.

Nun ist mir durchaus bewusst, dass die vorgeschlagene „Rückholaktion“ nicht im Mittelpunkt eines Maßnahmenkataloges steht; viel eher haben wir es mit einer Art Mitnahmeeffekt zu tun.

Der SSW begrüßt, dass die Bildungsministerin weitere Schritte angekündigt hat, um dem künftigen Bedarf an Lehrkräften gerecht zu werden. Dazu gehören sowohl die Einführung flexiblerer Strukturen in der Ausbildung als auch die Anwerbung von Fachkräften in Mangelfächern. Als Stichwort sei genannt, dass Quereinsteigern verstärkt die Möglichkeit geboten werden soll, sich zu bewerben. In diesem Zusammenhang möchte ich aber auch hervorheben, dass es gerade in den Mangelfächern darauf ankommt, dass die Wartezeiten bei der Zuteilung von Referendariatsplätzen weiter abgebaut werden. Ich gehe davon aus, dass wir uns im Bildungsausschuss mit den Vorschlägen der Bildungsministerin befassen werden, und erspare mir jetzt Details.

So wäre es aus unserer Sicht wichtig zu erfahren, wie der zeitliche Rahmen für die Umsetzung aussieht; denn wenn man bedenkt, dass wir von einem Mehrbedarf an

Lehrerinnen und Lehrern bis 2004 ausgehen, dann ist eine gewisse Eile geboten. Wenigstens muss klar sein, welche Maßnahmen nach Meinung der Landesregierung kurzfristig greifen sollen und welche auf eine mittel- oder längerfristige Wirkung angelegt sind.

(Unruhe)

In dem vorliegenden F.D.P.-Antrag geht es um beides. Wir unterstützen die Auffassung der F.D.P., dass eine Sicherung des Lehrerbedarfs nur möglich sein wird, wenn die strukturellen Rahmenbedingungen verbessert oder geändert werden.

(Beifall bei SSW und F.D.P. sowie der Ab- geordneten Jürgen Weber [SPD] und Rolf Fi- scher [SPD])

Der Antrag enthält dazu konkrete Vorschläge, die nicht einfach vom Tisch zu wischen sind. Somit freuen wir uns auf die Beratung im Ausschuss.

Womit wir uns aber überhaupt nicht anfreunden können, Kollege Klug, ist die „Kiel-Lastigkeit“ des Antrages. Es wirkt schon fast wie eine Zumutung, dass die Neustrukturierung der Lehrerbildung mit Punkt 1 des Antrages wieder infrage gestellt wird. Mag sein, dass dies nicht beabsichtigt ist, aber unter dem Strich betrachtet ist es genau das, was dabei herauskommt.

Doch auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten frage ich mich, was dieser erste Punkt des Antrages soll. Fest steht, dass die Lehramtsstudiengänge an der Universität Flensburg eine Steigerung von 24 % verzeichnen können. Damit liegen sie bundesweit mit an der Spitze. Fest steht weiter, dass der Übergang oder der Transfer von der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der CAU zur Uni Flensburg noch gar nicht abgeschlossen ist. Wenn man schon eine Erweiterung des Studienangebotes fordert, dann - bitte schön muss dies in Flensburg geschehen.

(Beifall des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Alles andere wäre eine Ressourcenverschwendung.

(Beifall der Abgeordneten Dr. Ulf von Hielm- crone [SPD] und Frauke Tengler [CDU])

Aber letztlich gibt es keinen Beleg dafür, dass eine Erweiterung des Studienangebotes automatisch zu mehr Lehrerinnen und Lehrern in Schleswig-Holstein führt. Ganz zu schweigen davon, dass dies alles auch Geld kostet.

(Unruhe und Zurufe)

Das ist Geld, das aus der Sicht des SSW wesentlich sinnvoller in andere Maßnahmen zur Sicherung des Lehrerbedarfs gesteckt werden könnte. Wer arm ist,

(Anke Spoorendonk)

muss wenigstens schlau sein, heißt es, und schlau ist dieser Ansatz des F.D.P.-Antrages nicht. Da ist es schon sehr viel schlauer zu überlegen, wie das Image des Lehramtsstudiums verbessert werden kann, zum Beispiel das Studium für Grund- und Hauptschullehrer. Denn es ist ja nicht so, dass die Studierenden Schlange stehen, um einen solchen Studienplatz zu erwerben. In Klammern gesetzt möchte ich hinzufügen, dass wir hier auch noch eine Arbeit unter der Überschrift „Gender Mainstreaming“ zu leisten haben. Wenn man sich die Lehrerkollegien an Grund- und Hauptschulen ansieht, merkt man, dass die Mitglieder dort alle nicht nur gleich alt, sondern auch in erster Linie weiblich sind.

Mehr denn je werden wir uns in den kommenden Jahren mit der Zukunft der Lehrerbildung befassen müssen, und zwar - wie gesagt - unter inhaltlichen und strukturellen Gesichtspunkten. Die neuen Prüfungsordnungen zementieren zum Beispiel die Auffassung vom Lehramtsstudium als einem stark fachorientierten Studium. Wer innerhalb dieses Rahmens etwas verändern will, gerät schnell an Grenzen. Es muss somit die Frage gestellt werden, ob es nicht sinnvoller wäre, statt von Fächern von „Fächerbereichen“ auszugehen. Hinterfragt werden müsste auch, ob ein schulartspezifisches Lehramtsstudium eigentlich zukunftweisend ist. Nicht zuletzt die internationalen Vergleichstests, zum Beispiel die TIMS-Studie, belegen, dass die Leistung und die Qualität der Schule nicht als Argumente für ein nach Schularten aufgeteiltes Schulsystem eingebracht werden können.

Für den SSW gilt somit zusammengefasst, dass folgende Grundsätze bei der Sicherung des Lehrerbedarfs eine Rolle spielen sollten:

Erstens. Wir wollen eine flexiblere Gestaltung der Übergänge, damit Quereinsteiger bessere Möglichkeiten bekommen, sich schon während des Studiums oder später im Berufsleben für den Lehrerberuf zu entscheiden.

Zweitens. Wir wollen Maßnahmen zur Stärkung der Attraktivität des Lehramtsstudiums und des Lehrerberufs. Das hat beispielsweise mit der Vergütung von Funktionen an den Schulen zu tun.

Drittens. Wir wollen eine Änderung der schulischen Strukturen, damit die Lehrer bedarfsgerechter eingesetzt werden können. Das Wort „Stufenlehrer“ ist für den SSW kein Unwort.

Mit diesen Grundsätzen wird es einerseits nicht möglich sein, kurzfristig Ergebnisse zu erzielen. Sie passen daher vielleicht auch besser in die Debatte, die mit den Empfehlungen der Fachkommission zur Weiterentwicklung der Lehrerbildung und der Schul- und Unter

richtsfachberatung in Schleswig-Holstein in Gang gebracht worden ist. Andererseits ist es aus unserer Sicht wichtig, daran festzuhalten, dass es darauf ankommen muss, letztlich antizyklisch zu denken.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD])

Die Bildungsministerin hebt in ihrer schon mehrfach zitierten Pressemitteilung hervor, dass SchleswigHolstein im bundesweiten Wettbewerb um den Lehrernachwuchs nicht schlecht dasteht.

Zu dem letzten Einstellungstermin gab es 1.400 Bewerberinnen und Bewerber aus anderen Bundesländern. Vieles deutet aber darauf hin - auch das ist schon gesagt worden -, dass sich dieser Wettbewerb in den kommenden Jahren eindeutig verschärfen wird. Da wird es nicht mehr reichen, dass die Kultusministerkonferenz Erklärungen zum Thema Lehrerbildung beschließt.

Mit anderen Worten: Je zügiger wir auf Landesebene Konzepte zur Sicherung des Lehrerbedarfs und des Lehrernachwuchses entwickeln und umsetzen, desto stärker stehen wir da.

Zu dem CDU-Antrag will ich nur noch einen Satz loswerden, Herr Präsident: Ich denke, es ist richtig wie auch schon der Kollege Klug gesagt hat -, dass wir auch diesen Zusatzantrag noch einmal im Ausschuss beraten; denn ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, einfach pauschal mehr Planstellen zu fordern. Das muss schon zielgerechter formuliert werden. Aber das klären wir dann im Ausschuss.

(Beifall bei SSW und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Landtagsregierung erteile ich jetzt der Frau Bildungsministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe es noch gut im Ohr, Herr Kayenburg, wie die CDU vor fast zwei Jahren meine Imagekampagne für Lehrer „Gute Leute machen Schule“ als pures Wahlkampfmanöver abgetan hat.

(Martin Kayenburg [CDU]: War das nicht so?)

Heute kann ich mit einiger Genugtuung darauf verweisen, dass andere Bundesländer das nachmachen und die KMK in ihrer Gesamtheit - mit Unterstützung ihrer

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Präsidentin - genau solch eine Lehrerbild-Imagekampagne bei einer Werbeagentur in Auftrag gegeben hat.

(Martin Kayenburg [CDU]: Herzlichen Glückwunsch!)