Protocol of the Session on May 10, 2000

aber auch das Problematische an dem Projekt, denn Schleswig-Holstein gilt ja nicht gerade als Medienhochburg.

(Martin Kayenburg [CDU] und Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Das hören wir von der Re- gierung sonst immer anders!)

Ich halte das Projekt für ausgesprochen spannend. Der Irrtum in dieser Diskussion ist nicht zufällig, sondern typisch für viele Modernisierungsdiskussionen, die von Leuten geführt werden, die sich mit dem Thema gar nicht so sehr beschäftigt haben.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Kollege Hay, das würde ich zurückweisen!)

Wir glauben manchmal, das Entscheidende am Informationszeitalter sei die Ausbildung von Informatikern und die Ausrüstung der Schulen mit Computern. Wir vergessen dabei, dass Silicon Valley 20 Jahre alt und längst Schnee von gestern ist.

Worauf es in Wirklichkeit ankommt, ist die Frage, was wir mit den Computern tatsächlich anfangen. Worauf es ankommt, ist die Frage, welche künstlerischen, medialen, sozialen und politischen Konsequenzen die neuen Technologien und Kommunikationsmöglichkeiten haben. Man kann es auch anders ausdrücken: Worauf es ankommt, sind die Inhalte. Bertelsmann hat gerade im Vorstand des Weltkonzerns die Position des Inhaltemanagers geschaffen und sie mit einem Journalisten besetzt.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auch an den Schulen werden uns noch so viele Computer nichts nützen, wenn wir nicht wissen, was wir Kreatives mit ihnen anfangen können.

(Wolfgang Kubicki [F.D.P.]: Also alle Jour- nalisten an die Schulen?)

Man kann den Computer mit der Erfindung der Dampfmaschine im 18. oder der des Elektro- und Ottomotors im 19. Jahrhundert vergleichen. Verkauft, produziert und zum Durchbruch kamen nicht die Dampfmaschine oder der Motor, den Durchbruch brachten vielmehr die Anwendungen: der automatische Webstuhl, die Eisenbahn, die Werkzeugmaschine, das Automobil, die Waschmaschine.

(Zurufe der Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU] und Wolfgang Kubicki [F.D.P.])

Auch die Erfindung des Kinos brachte keine Millionenkonzerne hervor, die Filmvorführgeräte oder Filmkameras produzierten. Milliarden wurden dagegen in Hollywood verdient, mit der Produktion von Träumen.

(Zuruf des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Bei dem Multimedia-Campus geht es also um eine Schmiede für das Management der Produktion von Träumen, von Visionen, von medialen Techniken, eben von Multimedia.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Dazu brauchen wir die Einbeziehung aller kreativen Potentiale dieses Landes. Ohne sie wird dieses Projekt scheitern.

(Martin Kayenburg [CDU]: Da sollten Sie die Regierung mal hinschicken!)

Wer die Zukunft dieses Landes im 21. Jahrhundert auf einen gnadenlosen Wettkampf um Effizienz, Technologien, Weltmarktanpassung, Aktienkurse und Renditen reduzieren will, der wird dieses Land in eine Sackgasse führen. Entscheidend sind am Schluss die kreativen Ideen, die soziale Kompetenz - altmodisch gesagt: die Gerechtigkeit der Gesellschaft -, die Verbindung von Kultur, Bildungseinrichtungen und Firmen dieses Landes.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und verein- zelt bei der SPD)

Politik hat in diesem Umfeld die Aufgabe der Moderation, der Filterung, der Organisation von Entscheidungen. Dies alles nützt aber nichts, wenn wir nicht den Mut haben, Entscheidungen zu fällen, politisch durchzustehen und umzusetzen.

Meine Fraktion ist entschlossen, ihren Teil dazu beizutragen. In der Regierungserklärung können wir uns damit gut wieder finden: Offenheit für die Zukunft statt Besserwisserei und die Bereitschaft, für unsere Kinder Verantwortung zu übernehmen, sind die gemeinsame Herangehensweise, die diese Koalition prägt.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich bin deshalb guter Dinge, dass wir mit unserem Koalitionspartner, mit unserer Ministerpräsidentin und mit dem neuen Kabinett auf dem richtigen Weg sind.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD)

Ich erteile das Wort der Vorsitzenden des SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Frau Anke Spoorendonk.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Wahl am 27. Februar war ein Medienspektakel - wegen des Spendenskandals, wegen ihrer bundesdeutschen Bedeutung, doch nicht zuletzt auch wegen der schlichten Tatsache, dass wir in einer Mediengesellschaft leben. Was bleibt, wenn die Scheinwerfer verschwunden sind, ist die Feststellung: Es gibt bekanntlich keinen schlimmeren Geist als den Zeitgeist. Wer ihm verfällt, verfällt leicht der Illusion, dass nur das, was im Scheinwerferlicht passiert, auch wirklich stattfindet.

Ich könnte in Klammern hinzufügen: Wer ihm verfällt, scheint manchmal auch zu vergessen, dass eine tolle Rhetorik nicht alles ist. Eine Ähnlichkeit mit hier anwesenden Personen wäre rein zufällig.

(Beifall bei SSW und SPD)

In Übereinstimmung mit dem Zeitgeist ist es daher nur selbstverständlich und folgerichtig, dass sich die CDU nach ihrem Bundesparteitag in Essen wieder zurückmeldete, denn im Scheinwerferlicht steht die neue Bundesvorsitzende und nicht mehr der Finanzskandal ihrer Partei. Politik profitiert mehr vom Vergessen als vom Gedenken, behauptet sehr zutreffend der Publizist Roger Willemsen.

Es mag bequem sein, sich unter dem Deckmantel der Sachpolitik wieder den aktuellen Themen und dem alten Parteienstreit zu widmen. Außerhalb des Scheinwerferlichts geht es jedoch um ganz andere Fragen. Dort ist es ein Problem, dass die Skepsis der Menschen den Politikerinnen und Politikern gegenüber vielerorts weiterhin mit den Händen zu greifen ist. Dass trotz gegenteiliger Befürchtungen die Wahlbeteiligung bei der Wahl am 27. Februar nur knapp unter der letzten Landtagswahl lag, darf kein Ruhekissen sein.

(Beifall bei SSW und SPD)

Dass die Politik in der Bundesrepublik durch jeden politischen Skandal ein Stück Glaubwürdigkeit verliert, dürfte mittlerweile ein Allgemeinplatz sein. Was dies wiederum zur Folge hat, führt uns unter anderem die letzte Shell-Jugendstudie vor Augen. Wir müssen uns deshalb alle Gedanken darüber machen, wie wir es schaffen, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik zurückzugewinnen. Das Schüren alter Feindbilder und das Herausposaunen überholter Parolen scheinen dazu wenig geeignet. Stattdessen brauchen wir einen echten Dialog darüber, wie wir die Zukunft unseres Landes am Anfang des 21. Jahrhunderts gestalten wollen.

Zur Glaubwürdigkeit der Politik gehört aber auch, dass wir bei uns selbst anfangen und immer wieder die Rahmenbedingungen für unsere eigene Arbeit auf den Prüfstand stellen. Daher begrüßt der SSW, dass wir uns gleich in dieser ersten Landtagstagung der 15. Legislaturperiode mit der vorgeschlagenen Änderung des Landesministergesetzes zur Reduzierung der Pensionsansprüche und mit der Änderung des Wahlgesetzes zur Begrenzung des Landtags auf 75 Mitglieder befassen werden. Wir stehen aber auch in der Pflicht, das Abgeordnetengesetz auf mögliche Ungereimtheiten abzuklopfen und dementsprechend zu ändern. Wer als verantwortliche Politikerin oder als verantwortlicher Politiker anderen Härten zumutet, muss immer wieder auch seine eigenen Besitz- und Versorgungsansprüche auf ihre Angemessenheit überprüfen.

(Beifall beim SSW)

Aus allen Wahlumfragen ging hervor, dass für die Menschen in Schleswig-Holstein die Arbeitslosigkeit das wichtigste gesellschaftliche Problem sei. Was vor der Wahl als Erwartung an die Politik herangetragen und in Wahlaussagen umgemünzt wurde, darf nach der Wahl nicht als „Wahlspeck“ entlarvt werden - etwa nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern!

Im real existierenden Leben spielen nicht die Scheinwerfer die entscheidende Rolle. Da geht es ganz einfach um die Bewältigung des Lebens und somit auch um das Recht auf Arbeit. Deshalb begrüßt der SSW, dass sich die Ministerpräsidentin in ihrer Regierungserklärung ausdrücklich dazu bekannt hat, dass das Problem der viel zu hohen Arbeitslosigkeit für die Landesregierung weiterhin oberste Priorität haben soll.

Auf Bundesebene wurde zwar im vergangenen Monat - wir haben jetzt die neuen Zahlen bekommen - die psychologisch wichtige 4 -Millionen -Marke unterschritten und die Fachleute gehen in diesem Jahr von einem Rückgang der Arbeitslosenzahlen um mindestens 140.000 aus. Dennoch waren Ende April allein in Schleswig-Holstein über 115.000 Menschen ohne Arbeit.

Natürlich begrüßt auch der SSW die aktuellen Konjunkturdaten und die positive Arbeitsmarktentwicklung in Schleswig-Holstein. Beim Wirtschaftswachstum lag Schleswig-Holstein 1999 mit 2 % sogar bundesweit an der Spitze. Vor Jahren konnten wir von solchen Fakten nur träumen. Bei den Existenzgründungen und Unternehmensansiedlungen liegt Schleswig-Holstein ebenfalls bundesweit in der Spitzengruppe. Sowohl die Wirtschaft als auch die Landesregierung haben für dieses und das kommende Jahr eine optimistische Konjunkturprognose abgegeben. Für

(Anke Spoorendonk)

das Jahr 2000 rechnet man sogar mit einem Wachstum von rund 3 %.

Bei aller Freude über diese guten Aussichten dürfen wir nicht vergessen, dass sich hinter diesen Zahlen ein struktureller Wandel verbirgt, der zwar immer mehr Gewinner hat, aber - wenn wir nicht aufpassen - auch sehr viele Verlierer.

Ich habe dies in der letzten Legislaturperiode bereits mehrfach betont: Je schneller unsere Gesellschaft diesen Modernisierungsprozess voranbringt, je schneller sich der Strukturwandel auf allen Ebenen durchsetzt, umso mehr brauchen wir eine zukunftsweisende Sozialpolitik.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei sind Sozial- und Arbeitsmarktpolitik immer auch zwei Seiten derselben Medaille. Es geht in Zukunft mehr denn je darum, wirtschaftliches Wachstum und technologischen Fortschritt mit sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit zu verbinden. Ich hätte schon Lust, mich an der Diskussion über das neue Grundsatzprogramm der SPD zu beteiligen.

(Peter Jensen-Nissen [CDU]: Du kannst ja eintreten!)

Wir begrüßen es daher, wenn die Ministerpräsidentin die guten wirtschaftlichen Bedingungen dazu nutzen will, um vor allem die Zahl der Langzeitarbeitslosen zu reduzieren. Auch das Ziel, dass spätestens am Ende dieser Legislaturperiode jeder Arbeitslose, der in Schleswig-Holstein länger als sechs Monate arbeitslos ist, ein entsprechendes Angebot erhalten soll, findet unsere Zustimmung - zumal dieses Modell nördlich der Grenze bereits mit großem Erfolg praktiziert wird.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Das Programm der Bundesregierung zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit hat nicht nur wesentlich zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beigetragen, sondern gezeigt, dass mit aktiver Arbeitsmarktpolitik wie vom SSW gefordert - Wirkung erzielt werden kann. Die Fortführung des Bündnisses für Arbeit und des Bündnisses für Ausbildung sowie die Weiterführung des Programms zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit sind wichtige Pfeiler einer solchen Politik. Dazu steht auch der SSW.

(Beifall beim SSW und des Abgeordneten Lothar Hay [SPD])

Interessant für die Diskussion über den Bedarf einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ist vor allem die Höhe der so genannten Beschäftigungsschwelle. Laut Aussagen

von Experten sind erst bei einem Wirtschaftswachstum von mindestens 2,8 % positive Arbeitsplatzeffekte zu verzeichnen. Da auch in Zukunft pro Jahr kaum viel höhere Wachstumsraten zu erwarten sind, müssen wir also weiterhin Beschäftigungsmöglichkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt schaffen.