Protocol of the Session on December 14, 2000

Es gibt zwei Dinge, die geändert werden müssen. Zunächst muss die gesamte Förderpolitik der EU - aber auch die der Bundesrepublik - umgestellt werden. Ich freue mich, dass es aus Berlin Signale dazu gibt. Weiterhin müssen wir auch in Schleswig-Holstein unsere Hausaufgaben machen. Ich habe bereits gestern geschildert, dass dies ein Punkt ist, der zwischen den Parteien der Regierungskoalition - auch während der letzten Koalitionsverhandlungen - kontrovers diskutiert worden ist, nämlich inwieweit man in diesem Bereich Schritte unternimmt.

(Claus Ehlers [CDU]: Das entscheidet einzig und allein der Verbraucher!)

Ich hoffe, dass die heutige Diskussion dazu führt, dass wir in dieser Frage mit dem ganzen Haus einen Schritt weiterkommen. Deshalb richte ich an alle Parteien - an die Opposition, die Landwirtschaftsministerin, die Bundesregierung und alle Schwankenden - den Appell: Gehen Sie in sich, geben Sie den Widerstand auf! Lassen Sie uns gemeinsam die Konsequenzen aus den Vorfällen ziehen! Schaffen wir Rahmenbedingungen für den flächendeckenden Umstieg auf eine gesunde,

(Karl-Martin Hentschel)

natürliche Landwirtschaft in Schleswig-Holstein, in Deutschland und in Europa!

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Herr Abgeordneter Harms hat das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Noch vor einigen Wochen konnte man von offizieller Seite hören, dass Deutschland BSE-frei sei. Doch die Wahrheit hat uns alle am 22. November eingeholt. Die Bevölkerung in Deutschland wurde mit einem Schlag in helle Aufregung versetzt. Es ist egal, ob es sich bei dem Fund um einen Einzelfall handelt oder nicht. Wir müssen erkennen, dass Deutschland und Schleswig-Holstein keine Inseln der Glückseligkeit sind.

Die schon vor Jahren in Deutschland gefundenen englischen BSE-Rinder vermittelten uns damals eine trügerische Sicherheit, aus der wir jetzt herausgerissen wurden. Die heutige Erkenntnis ist: BSE macht nicht vor Grenzen halt, sondern ist ein europaweites und globales Problem. Ob man das Problem jetzt schlagartig in den Griff bekommt, scheint eher zweifelhaft, da es an Konsequenz und Handlungswillen gefehlt hat und - zumindest auf europäischer Ebene - immer noch fehlt.

Bisher ist nur wenig über BSE bekannt. Daher gibt es nur geringe Möglichkeiten, wirksame Methoden gegen den Erreger zu finden. Geht man jedoch vom derzeitigen Stand der Forschung aus, so gilt Tiermehl als der höchstwahrscheinliche Infektionsweg mit dem BSEErreger. Daher ist die einzig logische Konsequenz: Dieser Infektionsweg muss ausgemerzt werden. Da hilft es auch nicht, dass manch einer sagt, dass noch nicht erwiesen sei, ob Tiermehl im Futter der Rinder für die Weitergabe des BSE-Erregers verantwortlich ist. Die Vermutung ist da und sie ist begründet.

Mittlerweile hat die Bundesregierung es geschafft, im Eilverfahren ein Gesetz auf die Beine zu stellen, in dem festgelegt wird, dass Tiermehl aus der gesamten Futterkette in Deutschland verbannt wird. Eine weitere logische Konsequenz ist, dass ein komplettes Im- und Exportverbot von Tiermehl eingeführt wird. Für die EU gilt aber: Die Wege in Europa sind unergründlich und vor allem verschlungen. Noch mehr gilt dies für den Rest der Welt. Man weiß nicht, ob es nicht vielerlei Wege gibt, doch Tiermehl nach Deutschland einzuführen. Ähnliche Gedanken kommen mir, wenn ich darüber nachdenke, dass man nun, bevor ab Januar

2001 BSE-Tests europaweit vorgeschrieben sind, Tiere ins europäische Ausland bringt, um diese dort schlachten zu lassen - natürlich ohne vorher einen BSE-Test durchgeführt zu haben. Dies zeugt von einer gewissen kriminellen Energie, die man sicherlich in vielen Branchen vorfindet. Gerade aber diese kriminelle Energie macht mir Sorgen. Wenn nicht alle Europäer an einem Strang ziehen und einheitliche Kontrollen und Tests einführen, werden wir große Probleme bekommen.

Die Entwicklung hinsichtlich BSE in den letzen Jahren erinnert mich ein bisschen daran, dass jemand einem ein Gewehr in die Hand drückt und sagt: „Kein Problem, keine Gefahr, das Gewehr ist nicht geladen.“ Was macht man in einem solchen Fall? Solange man sich nicht selbst davon überzeugt hat, dass das Gewehr auch wirklich ungeladen ist, so lange behandelt man es so, als wäre es geladen. Man ist vorsichtig und überprüft die Waffe. Wenn man sich überzeugt hat, dass die Waffe wirklich ungeladen ist, hat man die entsprechende Gewissheit, dass von der Waffe keine Gefahr ausgeht. Solange man sich aber nicht sicher ist, so lange hängt man das Gewehr nicht an die Wand oder drückt es dem Nächsten mit den Worten „Keine Gefahr!“ in die Hand.

Genau dies ist aber im Fall BSE geschehen. Man hat gesagt: „Kein Problem, keine Gefahr, Tiermehl im Futter erscheint gefährlich, aber erwiesen ist nichts.“ Dies führte aber nicht dazu, vorsorglich Tiermehl aus der Nahrungskette zu verbannen und die Wirkung zu überprüfen. Genau das Gegenteil ist der Fall. In der BSE-Forschung ist man nicht weitergekommen und Tiermehl wurde in der EU als Futtermittelzusatz weiter verwendet. Das möglicherweise geladene Gewehr wurde ungeprüft weitergereicht. Jetzt scheint es wohl doch geladen gewesen zu sein.

(Präsident Heinz-Werner Arens übernimmt den Vorsitz)

Nicht nur, dass man in der Vergangenheit inkonsequent war. Die Inkonsequenz scheint sich fortzusetzen. Anders ist das Tiermehlfütterungsverbot, das sich derzeit nur auf ein halbes Jahr beschränkt, nicht zu verstehen. Die BSE-Forschung wird in diesem Zeitraum nicht viel weitergekommen sein, sodass von dieser Seite keine neuen bahnbrechenden Erkenntnisse zu erwarten sind. Das ist in dieser kurzen Zeit nicht möglich. Auch erreicht man durch ein „Nur-für-einhalbes-Jahr-Gesetz“ keine Alternativnutzungen, da nur die wenigsten in neue Strukturen investieren werden. Insofern kann ich dem Umweltminister nur Recht

(Lars Harms)

geben, wenn er öffentlich sagt: „Die haben nicht alle Tassen im Schrank!“ Das trifft es ziemlich genau.

(Beifall bei SSW, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir wissen, dass für Tiermehl durchaus alternative Verwendungsmöglichkeiten vorhanden sind. Es gibt Interessenten, die Tiermehl und Tierfette in Biogasanlagen nutzen können und möchten. Auch über den Einsatz von Tiermehl in der Betonindustrie wird mittlerweile nachgedacht. Genügend Möglichkeiten sind also vorhanden, sodass es hier nicht zu einem totalen Einbruch in der Tiermehlindustrie kommen wird. Daher bin ich der Auffassung: Wenn so etwas in Schleswig-Holstein möglich ist, dann ist eine Alternativnutzung von Tiermehl und Tierfetten auch in anderen Teilen Europas möglich.

(Beifall beim SSW)

Allerdings sind derartige Investitionen nur zu erwarten, wenn man die Gewissheit hat, dass Tiermehl nicht mehr für das Futter der Tiere Verwendung finden wird. Wenn nach einem halben Jahr wieder alles beim Alten ist, wird es keine Zukunftsinvestitionen geben. Die Gefahr, dass BSE übertragen werden könnte, bleibt weiterhin bestehen.

Es besteht die Gefahr, dass das Tiermehl für ein halbes Jahr zwischengelagert, danach wieder auf den Markt geworfen und wie in der Vergangenheit seine Abnehmer finden wird. Darüber hinaus besteht das Problem, dass, wenn Tiermehl im Ausland wieder erlaubt ist, ausländische Landwirte - finanziell gesehen - einen Wettbewerbsvorteil haben werden. Das kann nicht im Interesse unserer Landwirte sein.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Daher kann es nur eine Forderung geben: Das Tiermehl europaweit komplett aus der Nahrungsmittelproduktion herauszunehmen. Es ist ohnehin abartig, tierische Produkte an pflanzenfressende Wiederkäuer zu verfüttern.

(Beifall bei SSW und SPD)

Der SSW begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung in dieser Frage endlich eine konsequente Haltung eingenommen hat. Diese Konsequenz würden wir uns auch auf europäischer Ebene wünschen.

(Beifall beim SSW)

Jetzt ist es wichtig, dass wir so schnell wie möglich Alternativen zum bisherigen Futtermittel finden. Wir dürfen jedoch nicht den Fehler machen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, indem wir den Landwirten ermöglichen, Gen-Soja zu verfüttern. Auch dies ist eine wichtige Forderung in unserem

gemeinsamen Antrag zusammen mit der SPD und den Grünen. Würden wir jetzt Tür und Tor für Gen-Soja öffnen, kämen wir vom Regen in die Traufe. Jedenfalls sind die Auswirkungen derzeit noch nicht hinreichend erforscht.

(Beifall beim SSW)

Wir können im Rahmen einer landwirtschaftsorientierten Technologiefolgenabschätzung nur die Grundlagen für einen nachhaltigen Einsatz von Biotechnologie in diesem Bereich schaffen. Das dauert aber. Darauf hat der SSW schon in der letzten Landtagssitzung hingewiesen.

(Beifall beim SSW)

Die Forschung im Bereich Futtermittel und die Vermittlung von entsprechenden Kenntnissen in der Landwirtschaft sind unerlässlich und sie müssen in Zusammenarbeit mit allen Landwirten erfolgen. Hier möchte ich auf die Arbeit des Grünen Zentrums in Bredstedt hinweisen, aber auch auf die Arbeiten in Futterkamp, die sich mit der Zucht von Rindern beschäftigen. Es wird deutlich, dass diese Maßnahmen im Bereich Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft außerordentlich wichtig sind. Diese Bereiche werden von den möglichen zukünftigen Kürzungen bei der Landwirtschaftskammer hart getroffen werden. Es ist klar, dass die Finanzierung der Standesvertretung für die Landwirte wie auch bei anderen Berufszweigen auf andere finanzielle Beine gestellt werden muss. Gleichwohl muss man unter anderem die Forschungs- und Entwicklungsbereiche, die unter dem Dach der Landwirtschaftskammer angesiedelt sind, anders sehen.

(Beifall beim SSW)

Es handelt sich hier um Zukunftsinvestitionen, die auch im Sinne der Verbraucher sind. Selbstverständlich muss man versuchen, Synergieeffekte mit anderen Einrichtungen zu suchen. Aber man muss auch einen zeitlichen Rahmen schaffen, dass diese Synergieeffekte gesucht werden können. Daher schlage ich vor, dass sich die Landesregierung mit der Landwirtschaftskammer einmal an einen Tisch setzt, um über die zukünftige finanzielle Ausstattung der Kammer zu reden.

(Unruhe)

Meine Damen und Herren, da niemand in diesem Haus über einen Königsweg verfügt, wäre es ganz gut, wenn wir einander etwas mehr zuhörten.

Ich persönlich könnte mir vorstellen, dass anstelle einer institutionellen Förderung Zielvereinbarungen treten könnten, die Ziele und notwendige Mittel hierfür genau festschreiben und die dann auch zu einer einigermaßen stetigen und haushaltsunabhängigen Finanzierung führen müssen. Hierbei kann man dann bewusst auch ökologische Zielsetzungen in die Arbeit einbauen. Nach den gemachten Erfahrungen wäre dies nur zu begrüßen und läge auch im Interesse der konventionellen Landwirtschaft.

Die erneut aufgeflammte Diskussion über BSE und ihre Verbreitung hat dazu geführt, dass auch Regelungen für die Untersuchung von Rindern auf BSEErreger getroffen worden sind. So sollen Rinder, die über 30 Monate alt sind, ab jetzt auf BSE im Schnelltest untersucht werden. Vor dem Hintergrund, dass ein Großteil an Schlachtrindern ihren zweiten Geburtstag nicht erlebt, ist dies nur eine eingeschränkt gute Nachricht. Das jüngste Rind, bei dem BSE bisher erkannt wurde, war bei der Schlachtung 20 Monate alt und zeigte schon zu Lebzeiten deutliche Anzeichen von BSE. Rechnet man die Inkubationszeit ab, so hätte man bei diesem Rind theoretisch im Alter von 14 Monaten, sofern es zu diesem Zeitpunkt geschlachtet worden wäre, BSE erkennen können. Aus Verbraucherschutzgründen spricht diese Tatsache dafür, auch jüngere Rinder zu testen.

Am sinnvollsten erscheint es mir, alle geschlachteten Rinder zu testen, egal wie alt sie sind. Zwar ist die Chance, BSE nachzuweisen, bei jüngeren Tieren zurzeit tatsächlich sehr gering, aber jedes BSE-Rind, das man findet und aus dem Verkehr zieht, trägt dazu bei, den Verbraucher zu schützen. Und Verbraucherschutz haben wir uns alle im Parlament auf die Fahnen geschrieben.

Dem Verbraucher muss deutlich gemacht werden, dass der Stempel „BSE-geprüft“ nicht garantiert, dass das jeweilige Rind BSE-frei ist. Hierdurch wird Sicherheit suggeriert, die unmittelbar nicht vorhanden ist. Aber man muss alles versuchen, um den Verbraucher zu schützen und ihn darüber zu informieren, dass es zurzeit keine absolute Sicherheit gibt. Hier besteht heute nur die Wahl zwischen „schon etwas für den Verbraucher tun“ und „alles heute Mögliche für den Verbraucher tun, auch wenn es auf dem Papier ab und zu etwas verwirrend ist“. Es muss derzeit alles Menschenmögliche getan werden, ehe man sich wieder Vorwürfe macht, nicht konsequent genug gewesen zu sein.

Die Untersuchungen kosten zwar im ersten Moment Geld, aber die Konsumenten werden lernen müssen, dass Gesundheit etwas kostet. Zudem hat man errechnet, dass die BSE-Schnelltests beim Endpreis für

Rindfleisch mit 30 bis 40 Pf/kg zu Buche schlagen. Dies sind Beträge, die keine Probleme beim Verbraucher auslösen dürften. Ein größeres Problem wäre es, wenn der Verbraucher annehmen müsste, dass nicht alles getan würde, um Schaden von ihm abzuhalten. Dann wäre das Vertrauen - wie zurzeit - nachhaltig getrübt. Dies wäre das weitaus größere Problem für die Landwirtschaft, da sie ihre Fleischprodukte dann dauerhaft nicht mehr verkaufen könnte.

Im Übrigen muss ich sagen, dass ich in keiner Weise Verständnis dafür habe, dass die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung der Lebensmittelkette Edeka verbieten will, ein Etikett mit der Aufschrift „BSE-getestet“ an ihren getesteten Waren anzubringen.

(Beifall beim SSW)

Dies ist die heute bestmögliche Verbraucherinformation. Wenn jemand schon alles tut, um Schaden von seinen Kunden abzuhalten und hierfür auch noch in BSE-Tests investiert, darf man ihn dafür nicht bestrafen. Andere Ketten testen nicht und haben so einen Preisvorteil gegenüber Edeka. Nichtstun wird somit belohnt. Das ist ein unhaltbarer Zustand, der schnellstmöglich geändert werden muss.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich habe mir aber sagen lassen, dass Landwirtschaftsministerin und Umweltminister schon dabei sind, dieses Problem zu lösen. Dafür bin ich sehr dankbar.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der SPD)

Ich wäre in diesem Zusammenhang froh, wenn sich alle Lebensmittelketten so verantwortungsbewusst wie Edeka verhalten würden. Dann wären wir beim Verbraucherschutz und bei der Zurückgewinnung des Vertrauens der Verbraucher mit Sicherheit weiter als jetzt. Schnelltests sind derzeit nun einmal das einzige mögliche Mittel, um den Verbraucher zu schützen.