Protocol of the Session on December 14, 2000

Unter die Rubrik „kriminelle Machenschaften“ ordne ich, auch wenn das legal ist - was ich betone -, die aktuellen Vorgänge an holländischen Schlachthöfen ein, die durch Reimporte die deutschen Kontrollmechanismen umgehen und erneut zu einer grundlegenden Verunsicherung unserer Verbraucher beitragen.

(Beifall bei der SPD - Zuruf von der SPD: Schweinerei!)

- Frau Kollegin, ich unterstütze das. „Schweinerei“ ist vielleicht unparlamentarisch, aber der treffende Ausdruck.

Diese Leute haben ein Vorurteil bestätigt. Ich möchte an dieser Stelle mit einem anderen Vorurteil aufräumen: In meinen Augen hat BSE eine ganze Menge mit Massentierhaltung zu tun

(Beifall bei der SPD sowie des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.])

- jetzt kann die andere Seite klatschen -, allerdings nicht in diesem Falle. Denn in Schleswig-Holstein beträgt die durchschnittliche Bestandsgröße zirka 60 Rinder. Das ist ein mittelständischer Betrieb. Der mittelständische Betrieb ist in Schleswig-Holstein die Regel. Auch der Betrieb in Hörsten war ein solcher. Herr Lorenzen, da Sie jetzt hier sind, sage ich: Ich habe Ihre Betroffenheit im Fernsehen gesehen und auch gespürt. Ich habe gesehen, wie Sie mit Ihren Tieren umgegangen sind. So geht nicht ein Massentierhalter mit seinen Tieren um.

In der Größe unserer Betriebe liegt aber auch eine Chance. Denn diese Betriebe sind flexibel. Sie werden qualifiziert geführt und sie können sich auf andere Fütterungsmethoden einstellen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Wir haben in Schleswig-Holstein die besten Voraussetzungen für eine Neuorientierung in der Land- und Ernährungswirtschaft. Nur, das muss man wollen, seitens der Praxis und der Theorie.

(Claus Hopp [CDU]: In welche Richtung?)

- Das sage ich dir gleich, Claus!

Ich fordere in diesem Zusammenhang auch ein anderes intellektuelles Klima an unseren landwirtschaftlichen Ausbildungsstätten.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Seit Jahren wird in der schulischen und universitären Ausbildung den Landwirten betriebswirtschaftliches Produzieren gelehrt. Dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Bedenklich ist es nur, wenn man indu

(Friedrich-Carl Wodarz)

strielle Produktionsweisen unkritisch auf ein Handeln mit Lebewesen und der Natur überträgt.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Dr. Hei- ner Garg [F.D.P.])

Landwirte, die Tiere als Geschöpfe ansehen und ihnen wenigstens etwas Würde durch artgerechte Haltung lassen und den Boden nicht bis auf den letzten Zipfel und mit allen machbaren Mitteln ausbeuten, sind keine Spinner, das sind gut und fachlich wirtschaftende Landwirte.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Sie werden gern als Spinner abgetan.

Die Querelen im Vorfeld der Einrichtung des ökologischen Landbaus auf dem Lindhof können als Beleg dafür gewertet werden, wie wenig einige Entscheidungsträger bereit sind, sich neuen Perspektiven zu öffnen. Ich fordere einen offenen Dialog zum Wohle unserer Umwelt, einer gesunden Ernährung und einer zukünftigen Ernährungswirtschaft in unserem Lande. Ich will hervorheben, dass es sehr viele so genannter konventioneller Landwirte gibt, die sich den oben angesprochenen Forderungen verpflichtet fühlen und den Dialog aufgeschlossen führen.

Wir befinden uns in einer Krise, die nicht durch Verbote oder Einrichtung von Entschädigungsfonds zu bewältigen ist. Die Landwirtschaft und die Ernährungswirtschaft stecken in einer Sackgasse. Wie tief wir in einer Sackgasse stecken, zeigt die Tatsache, dass es uns wahrscheinlich gar nicht möglich sein wird, in kürzester Frist unbedenkliches Futter bereitzustellen.

Solange es aber den Verbrauchern und auch Teilen der Politik egal ist, wie unsere Schlachttiere gehalten und ernährt werden, und solange sich die Verbraucher nur an den niedrigen Preisen orientieren, wird sich wenig ändern. Wenn heute die Verbraucher das Rindfleisch meiden und - Herr Minister Müller, da war Ihre Äußerung im Fernsehen zumindest für mich etwas missverständlich - dafür auf billiges Geflügelfleisch ausweichen, ist das die falsche Alternative.

(Beifall im ganzen Haus)

Der BSE-Skandal überdeckt einen anderen Skandal. Mit dem Kauf von Geflügel unterstützt man nämlich weiterhin die massenhafte und tierquälerische Produktion von billigem Puten- und Hähnchenfleisch.

(Beifall im ganzen Haus)

Gucken Sie sich die Sonderangebote an: Wenn man Hähnchen für 3,98 DM pro Kilo zu essen bekommt, muss jeder Verbraucher wissen - so dumm kann keiner

sein -, dass diese Tiere weder artgerecht gehalten noch gefüttert werden.

Die Verbraucher können und dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen. Zur Lösung der BSE-Krise brauchen wir einen neuen gesellschaftlichen Konsens, unter welchen Bedingungen wir uns ernähren wollen und vor allem wie wir mit unseren Mitgeschöpfen und der Natur umgehen.

(Beifall bei SPD, F.D.P., BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Solange die Devise gilt: „Erst der Mensch und dann die Natur“ - das ist ein schönes, griffiges Schlagwort und überhaupt nicht begriffen wird, dass der Mensch ein Teil der Natur und damit von ihr abhängig ist, werden wir die nächste Krise ins Haus bekommen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Natürlich brauchen wir Substitute für das weggefallene Tiermehl. Sojaschrot bietet sich an und der größte Sojalieferant, die USA, produzieren - fallen Sie jetzt nicht vom Hocker - zu 80 % gentechnisch verändertes Soja. Wie naiv technikgläubig muss man sein, um das als Ausweg zu sehen!

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW - Zuruf des Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU])

Um es klarzustellen: Ich bin kein Gegner der Biotechnologie und ich sehe durchaus sinnvolle Anwendungen der Gentechnologie - neben den medizinischen Anwendungen auch in der Nahrungsmittelproduktion. Allerdings können das nur ganz spezielle Bereiche sein, die Produkte müssen klar deklariert sein und es darf nicht zu einem massenhaften, nicht mehr nachvollziehbaren Einsatz kommen, der nur großen Agrarchemiekonzernen einen riesigen Marktanteil sichert. Diese Gefahr steht uns ins Haus.

(Vereinzelter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Claus Ehlers [CDU]: Wie willst du das denn ersetzen?)

Mittlerweile kennen wir BSE als Krankheit schon lange. Bis heute hat die Wissenschaft keine Wege gefunden, diese Krankheit zu heilen, und schon machen wir uns auf einen neuen risikobeladenen Weg mit Genfood, zum Profit einiger weniger. Die natürlich gezüchteten Pflanzen - da besteht eine Aufgabe für unsere heimische Landwirtschaft -, zum Beispiel heimischer Raps, Mais, Bohnen, Erbsen, Lupinen - das alles ist ja nicht neu erfunden -, bringen genügend Erträge, um den Eiweißbedarf in der Fütterung zu decken. Das Problem ist nur, dass es in Europa zurzeit nicht genügend Eiweißfutter gibt. Im Gegenteil, wir

(Friedrich-Carl Wodarz)

haben ein Abkommen, das sogar eine Anbaubeschränkung von Ölsaaten vorsieht. Das ist misslich und hat auch etwas mit unseren Beziehungen zu den Vereinigten Staaten zu tun. Auch ich weiß, dass der Eiweißbedarf mit heimischen Futtermitteln kurzfristig nur schwer zu decken sein wird. Aber gentechnisch verändertes Futter darf nicht die Alternative werden.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich sagte eingangs, dass wir unsere Forschungsanstrengungen in Sachen BSE intensivieren müssen. Das gilt aber für diese tückische Krankheit insgesamt. Bislang starben Creutzfeldt-Jakob-Patienten unbemerkt. Die allgemeine Verunsicherung hat ihnen eine ungewollte Aufmerksamkeit beschert. Zu hoffen ist nur, dass die Forschung und die Pharmakonzerne hier nun endlich einen Markt entdecken und intensiver forschen.

Wir haben im Agrarausschuss erfahren können, welche Auswirkungen die derzeitige Krise auf die Tierkörperbeseitigungsanstalten hat. Ich betone ausdrücklich: Diese Betriebe sind aus seuchenhygienischen Gründen unverzichtbar und dürfen nicht in den wirtschaftlichen Ruin getrieben werden.

(Beifall bei SPD, F.D.P. und SSW)

Ich konnte feststellen, dass wir uns in dieser Frage einig sind. Ich konnte weiter feststellen, dass die Regierung hier sehr flexibel und verantwortungsbewusst handelt. Frau Ministerin Franzen, dafür noch einmal recht herzlichen Dank!

(Beifall bei SPD und SSW)

Das bloße Verbrennen von Tiermehl in MVAs erscheint mir nur eine momentane Notlösung. Es gibt wesentlich intelligentere Lösungen. Die angedachte energetische Verwertung wird eine davon sein, bedarf aber eines gewissen Vorlaufes und sorgfältiger Begleitung, um eine hygienische Sicherheit zu garantieren. Ich darf an meine Pressemitteilung erinnern: Insbesondere was die Vergasung anbelangt, muss ein gewisser Standard gesichert sein; das kann man nicht unüberprüft übernehmen.

(Beifall des Abgeordneten Karl-Martin Hent- schel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Als völlig unsinnig sehe ich die zeitliche Begrenzung der Tiermehlverfütterung an. Wie soll denn ein Verwertungsbetrieb für einen solchen Zeitraum eine Zukunftsinvestition tätigen? Wir wollen klare und zukunftsorientierte Rahmenbedingungen für diese Betriebe haben.

Die SPD fordert aber - das ist die Konsequenz - ein eindeutiges und vor allem unbegrenztes Fütterungsverbot für Tiermehl.

(Beifall bei der SPD sowie der Abgeordneten Dr. Heiner Garg [F.D.P.] und Peter Jensen- Nissen [CDU])

Frau Ministerpräsidentin - ach, sie ist gar nicht mehr hier -, Sie haben die so genannte „Rauskaufaktion“ der EU erwähnt. Mir fällt da auch nicht mehr ein als „Wahnsinn“. Denn dieses Geld fehlt uns für die Ursachenforschung.