Ich denke also, für die Ursachenforschung und die Wissenschaft war es nicht sehr klug, alle Tiere aus dem Stall in Hörsten sofort zu keulen. Ich halte das Vorgehen ein bisschen für eine Panikreaktion, weil es sich bei BSE ja nicht um eine schnell um sich greifende Seuche handelt. Allerdings hätte es auch nach Auffassung der Wissenschaft gar nicht erst zu einem gene
rellen Verbot von Tiermehl kommen müssen; denn das eigentliche Problem liegt ja in den Vorschriften, wie Tiermehl überhaupt verarbeitet werden darf, in der mangelhaften EU-Kontrolle der Tiermehlproduzenten und in der mangelhaften Kontrolle von importiertem Tiermehl aus Nicht-EU-Ländern.
Außerdem waren Wissenschaft und Politik davon überzeugt, dass man tierische Abfälle bei 133° C und 3 bar in 20 Minuten sterilisieren kann. Seit längerem liegen aber Berichte vor, dass selbst bei 300° C und der Sterilisation durch UV-Strahlen und Desinfektionsmittel oder durch energiereiche Röntgenstrahlen die BSE-Erreger, die Prionen, nicht mit Sicherheit vernichtet werden. Man wiegt sich also in einer Sicherheit bei diesen Tests, die möglicherweise trügerisch ist. BSE-Tierkadaver, Hirn, Innereien und Rückenmark von BSE-Tierkadavern haben daher in Tiermehl nach unserer Auffassung nichts mehr zu suchen.
Aber die Standards in den einzelnen Länder sind eben zu unterschiedlich. Hier rächt sich, dass es kein einheitliches EU-Recht gibt. Jedes Bundesland wirtschaftet auf diesem Gebiet für sich und jedes EU-Land natürlich auch. Überall herrschen andere Vorschriften und Kontrollmechanismen. Das Futtermittel gehört aber in die Vorproduktkette der menschlichen Nahrung und es sollte deshalb auch ähnlich gut kontrolliert werden.
Wenn aber Kontrollen nicht stattfinden, weil es zu wenig Kontrolleure gibt, weil es Kompetenzgerangel gibt und weil Kontrollen nur nach Vorankündigung stattfinden und keine verbindlichen oder belastbaren Methoden vorliegen, kann man die Risiken noch weniger ausschließen.
Zusätzlich gab es immer Missbrauch und schwarze Schafe, auch im Agrarbereich. Das soll durchaus nicht verschwiegen werden. Ich erinnere nur an die Skandale um Glykol im Wein oder Dioxin im Tierfutter. Genau so unsensibel, wie man mit den Warnungen vor BSE und der Fütterung von Tiermehl an Wiederkäuer umgegangen ist, werden auch andere Fütterungsmethoden noch heute in der EU angewandt, bei denen sich dem Verbraucher die Haare sträuben. Dazu gehören Antibiotika in der Tiermast, aber auch Hornmehl, Knochenmehl, Federn und Haarmehl oder ähnliches, wie sie als „Bodenverbesserer“ in der ökologischen Landwirtschaft eingesetzt werden.
Alles dies könnte sich - wie das Tiermehl - zu einer Zeitbombe entwickeln. Was jetzt Not tut, ist ein sorgsamer Umgang mit all diesen „Allheilmitteln“, eine sorgsame Prüfung. Ich glaube, dass wir nach dieser
BSE-Krise, die uns zunächst einmal vor Entsorgungsprobleme stellen wird, jetzt anfangen müssen, uns mit der Forschung zu befassen und die Chance, die in der Forschung liegt, zu ergreifen. Allerdings habe ich den Eindruck, dass man zunächst einmal ein Gesetz gemacht hat und erst jetzt darüber nachdenkt, wie man es in die Praxis umsetzen kann. Sicherlich ist das nicht der optimale Weg, um das Vertrauen des Verbrauchers wieder herzustellen, aber wahrscheinlich war es auch nicht anders möglich. Es sind schnelle Konzepte gefordert, denn Schlachtabfälle und verendete Tiere fallen täglich an. Den Verwertern - das wissen Sie genau - sind die Absatzmärkte weggebrochen. Die Einnahmen fehlen, die Kosten entstehen weiterhin, sie belasten zunächst die Landwirtschaft und die Produzenten und sind eben im Moment noch nicht auf die Verbraucher umzulegen und die zusätzlich benötigten Lagerkapazitäten tragen weiter zur Kostenerhöhung bei. Konkurse sind also insbesondere in diesem Bereich zu erwarten. Deswegen, Frau Simonis, sind jetzt eine schnelle Hilfe und konkrete Entscheidungen gefragt. Erst wenn Sie das wirklich leisten, Frau Simonis, kann man sagen, dass das Krisenmanagement gelungen ist.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn der Ochse direkt Fleisch fressen würde, würde er verrückt werden. Diesen Satz soll Rudolf Steiner im Jahre 1923 gesagt haben. Also, welch eine Aktualität!
Da es eben schon erwähnt worden ist, will ich es Ihnen ersparen, über die Entstehung der Übertragungswege zu spekulieren. Wir haben - das müssen wir uns eingestehen - für dieses Phänomen keine gesicherten Erkenntnisse. Wir können es beschreiben und bestimmen und wir können Vermutungen über die Übertragungswege anstellen, aber wir kennen nicht einmal das richtige Ausmaß der Katastrophe. Es ist dies eine Katastrophe, die im Kern eine tiefe Vertrauenskrise der Bevölkerung in die Zuverlässigkeit unserer Nahrungsmittel bedeutet.
Die Frau Ministerpräsidentin hat den chronologischen Ablauf geschildert. An dieser Stelle möchte ich der Ministerpräsidentin und der Ministerin Franzen sowie
Herr Kayenburg, die Regierung hat zielgerichtet und sachorientiert gehandelt und sie hat, was in dieser Situation ganz wichtig ist, jede Hysterie vermieden.
Herr Kayenburg, ich kann mich mit vielen Passagen Ihres Beitrages identifizieren. Nur, Ihre Ausfälle gegen Herrn Müller waren daneben; aber das passt zu der Orientierungslosigkeit, die Sie gestern bei der Haushaltsrede an den Tag gelegt haben.
Was haben Sie denn damals Herrn Steenblock vorgeworfen? Im Grunde konnten Sie ihm nur vorwerfen, dass er nicht mit dem Klappspaten auf der „Pallas“ gestanden hat. Und heute machen Sie dem Minister Vorwürfe, dass er an vorderster Front aktiv ist. So sind Sie auf dem falschen Wege.
Es scheint ziemlich sicher, dass ein Übertragungsweg von BSE-Erregern das kontaminierte Tiermehl ist. Wir vermuten, dass die Krankheit durch Mutation von Scrapie-Erregern oder durch direkte Mutation bei einzelnen erkrankten Rindern entstanden ist. Abgesehen von den katastrophalen Folgen - das muss man hier einmal ganz deutlich sagen - haben wir meines Erachtens ethische Grenzen überschritten, indem man Pflanzenfressern Fleisch ins Futter gemischt hat.
Ich weise ganz bewusst darauf hin, dass es einen Unterschied macht, ob man Kühen oder Schafen Tiermehl gibt oder ob man das an Hühner oder Schweine verfüttert, die von Natur aus Fleischfresser sind.
- Hühner sind Fleischfresser, lieber Kollege! Ich lade Sie gern ein, Ihnen das einmal zu zeigen. Es ist immer schlecht, Herr Garg, wenn Leute von etwas reden, von dem sie keine Ahnung haben. Hiervon verstehe ich ein bisschen mehr als Sie. Sie sollten einmal sehen, wie sich ein Fasan oder ein Huhn über ein Aas hermacht lecker, lecker!
Das Thema BSE ist seit Jahren durchaus nichts Neues. Es wird immer so getan, als sei das über uns hereingebrochen. Das stimmt nicht. Man kannte das Problem in den Grundzügen und man wusste von der tödlichen Bedrohung. Man verdrängte es aber lieber nach England und - diesen Vorwurf kann ich sehr breit streuen; da sollte sich eigentlich keiner ausnehmen - erklärte sich mit einer unverständlichen Ignoranz zur BSEfreien Zone.
Die ständigen Beteuerungen, in Deutschland sei alles anders, hielten uns nämlich von vernünftigen präventiven Maßnahmen ab und gaukelten den Verbrauchern eine Pseudosicherheit vor, für die heute ein ganzer Wirtschaftszweig bitter bezahlen muss.
Es trifft eben nicht nur die Landwirtschaft, sondern, wie die Ministerpräsidentin das ausgeführt hat, auch den Tourismus - und die Ernährungswirtschaft sowieso.
Die Verunsicherung und das Misstrauen der Verbraucher sind von grundlegender und - in einem negativen Sinne - sehr nachhaltiger Natur. Für die SPD-Fraktion hat der Schutz der Verbraucher vor Schlampereien und kriminellen Machenschaften absoluten Vorrang - ich wiederhole: absoluten Vorrang! Deshalb sage ich Herr Kayenburg, Sie sollten hier im Zusammenhang mit der Aussage von Herrn Hay von gestern keine Gerüchte streuen -: Wir wollen weder die Initiative zur Verbesserung der Lebensmittel aus SchleswigHolstein unter dem Gütezeichensiegel infrage stellen noch die Arbeit der Verbraucherzentrale einstellen. Aber wir fordern eine Mitverantwortung der Nahrungsindustrie ein, die ihre Marketingkonzepte selbst finanzieren muss.
Verbraucheraufklärung, Herr Kayenburg, wird nicht dadurch besser, dass es eine Vielzahl von Beratungsstellen gibt. Wir erwarten hier ganz konkret mehr Effektivität und eine Bündelung der Ressourcen.
Herr Kayenburg, Ihnen fällt wirklich nicht mehr ein das war auch schon gestern die Devise - als die Forderung nach mehr Geld.
Lassen sie mich wieder direkt zur BSE-Vertrauenskrise kommen. Das Verfütterungsverbot von Tiermehl ist eine richtige Maßnahme; die zeitliche Begrenzung ist - Frau Ministerpräsidentin, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu - Unsinn. Es reicht aus meiner Sicht nicht, wenn ab sofort alle Rinder, die älter als 30 Monate sind, auf BSE getestet werden. Diese 30Monats-Frist ist ein rein technisch begründeter Wert, der mit größerer Wahrscheinlichkeit Ergebnisse erwarten lässt und sich an den Laborkapazitäten und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen orientiert. Wir wissen, dass für die derzeitigen Testmethoden - ich betone: für die derzeitigen Testmethoden! - eine gewisse Dichte an Prionen vorhanden sein muss, um überhaupt einen Nachweis führen zu können. Ein Beweis für einen Nichtbefall ist das aber keineswegs. Fakt ist auch, dass bereits jüngere Rinder befallen waren und mit negativen Testergebnissen zum Beispiel bei Kälbern überhaupt nichts über die BSE-Freiheit gesagt ist - bestenfalls über die Dichte der eventuell vorhandenen Prionen.
Deshalb - so steht es ja auch in unserem seinerzeitigen gemeinsamen Antrag - fordern wir, dass in Zukunft alle geschlachteten Rinder getestet werden, was ja interessanterweise von einigen Verarbeitungsbetrieben bereits praktiziert wird, zumal wir davon ausgehen, dass bald bessere Tests entwickelt werden können. Aber dazu bedarf es einer verstärkten Forschung. Es wäre wirklich besser: wenn man schon Subventionen fordert, dann Subventionen in diesem Bereich!
Die Zufütterung von tierischem Eiweiß - ich sagte es bereits - ist unterschiedlich zu betrachten. Auch wenn Sie, Herr Garg, es nicht so richtig einsehen: Fleisch gehört auf den Speiseplan eines Huhnes. Nur, die Vergangenheit hat gezeigt, dass das, was auf der Futterdeklaration stand, nicht in der Futterkrippe war. Angefangen von einem Sammelsurium kranker Tiere über Altöl bis Klärschlamm handelte es sich oftmals um ein Futter, das noch zusätzlich mit Antibiotika und Leistungsförderern angereichert war. Natürlich sind das - auch wenn man nicht pauschalieren sollte - kriminelle Machenschaften. Aber die Form der industriellen Futtermittelherstellung macht doch erst diese Machenschaften möglich. Viele Landwirte, die in gutem Glauben füttern, wissen gar nicht, was sie ihren Tieren als Futter anbieten.
Unter die Rubrik „kriminelle Machenschaften“ ordne ich, auch wenn das legal ist - was ich betone -, die aktuellen Vorgänge an holländischen Schlachthöfen ein, die durch Reimporte die deutschen Kontrollmechanismen umgehen und erneut zu einer grundlegenden Verunsicherung unserer Verbraucher beitragen.