Mehr Bildungsgerechtigkeit ist der Aspekt, der in der Diskussion, die sich jetzt etwas verschärft hat, leider zu stark ausgeblendet wird. Wir haben festgestellt: Mitverantwortlich an unserem schlechten Abschneiden ist die frühe Auslese der Kinder. Das ist mit Händen zu greifen und das sagen sogar diejenigen, die unserem Konzept von der Gemeinschaftsschule nicht zustimmen.
Ich könnte Herrn Jürgen Kaube aus der „FAZ“ zitieren, der gesagt hat: Unsere Schule in Deutschland ist der große Ungleichheitsverstärker. - Das Prinzip des Auseinanderdividierens überlagert bei uns das Prinzip des Forderns und Förderns. Es ist eben manchmal bequemer, einen Schüler nach unten durchzureichen, statt um ihn zu kämpfen.
Nun denken Sie nicht, ich sähe den Wald vor lauter Bäumen nicht und würde jetzt selbst den einfachen monokausalen Zusammenhang herstellen. Natürlich weiß ich, dass etwa allein die Abschaffung dieser europaweit - Österreich ausgenommen - einmalig frühen Auslese im Alter von zehn Jahren relativ wenig verändern würde. Natürlich sehe ich die Gefahren und Risiken, die Überforderung aller Beteiligten, wenn man dieses Ziel - das längere gemeinsame Lernen - zu schnell, zu abrupt ansteuern und den Schulen überstülpen würde. Wir müssen mit dem arbeiten, was wir haben, und daran anknüpfen. Wir haben ein enormes pädagogisches Potenzial, das unsere Lehrerinnen und Lehrer Tag für Tag entfalten.
Es ist übrigens in allen Schulen vorhanden. Hauptschullehrer arbeiten genauso engagiert wie die Kollegen an den Gymnasien. Aber Hauptschullehrer haben überdurchschnittlich häufig mit sehr schwierigen Lernmilieus zu tun. Herr Professor Baumert, den Sie so gern zitieren, hat in einer großen Studie dargestellt, wie dieses Lernmilieu verfestigend auf die Lernbereitschaft und die Schwierigkeiten, die in diesen Klassen vorhanden sind, wirkt.
Ausgerechnet die Hauptschullehrer kämpfen gegen fehlende elterliche Unterstützung, während die Gymnasialkollegen meistens auf ein privilegiertes Lernumfeld und große elterliche Unterstützung setzen können.
Meine Damen und Herren, ich stehe nicht für radikale Zäsuren. Ich stehe für eine Politik der kleinen Schritte und für die Beteiligung aller. Und da sagen mir die Diskussionen der letzten Wochen: Die Schulträger und die Schulen vor Ort und viele Lehrerinnen und Lehrer sehen das alles wesentlich gelassener und offener, als es uns manche Verbände glauben machen wollen, meine Damen und Herren.
Ich rede hier keine Schule und keine Schulart schlecht - auch die Hauptschule nicht. Ich weiß, dass die bloße Abschaffung einer Schulart die Probleme überhaupt nicht löst. Ich weiß vor allem auch, welche enorme Integrationsleistung die Lehrerinnen und Lehrer insbesondere an den Hauptschulen Tag für Tag bewältigen müssen.
Sie leisten eben einen Gutteil der sozialen Integration, die an und für sich die Aufgabe von allen Schulen ist, meine Damen und Herren.
Von der Opposition habe ich bisher keine Antworten auf die Probleme der demographischen Entwicklung gehört; ich will dies hier nur am Rande erwähnen. Wir haben keine Antwort auf die soziale Schieflage gehört, die wir konstatieren, sondern nur eine Art trotziges „Weiter so!“ und ein wenig hilfreiches Polemisieren, das natürlich bewusst mit Kampfvokabular wie „Einheitsbrei“ und „Gleichmacherei“ operiert. Das ist es, was Sie immer wiederholen und das soll natürlich verunsichern und abstempeln, aber Sie können mit diesen Angriffen nicht davon ablenken, dass wir jedenfalls konstruktive Vorschlägen gemacht haben.
Wollen Sie ausgerechnet mit der Verschärfung der Auslese, die Sie fordern, bessere Bildungserfolge für alle Jugendlichen und Kinder erreichen, meine Damen und Herren?
Es sollte Ihnen doch zu denken geben, dass selbst die Länder, die trotz integrativer Systeme bei der PISAStudie schlechter als wir abgeschnitten haben, wirklich nicht auf den Gedanken kommen, das deutsche Schulsystem übernehmen zu wollen.
Meine Damen und Herren, Sie versuchen immer noch, uns mit dem Stichwort „Ideologieverdacht“ zu bekämpfen. In Wahrheit - das sage ich Ihnen - hat die ideologische Abrüstung Gott sei Dank längst begonnen.
Ich danke der Frau Ministerin für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Kultur für den Bericht und eröffne jetzt die Aussprache. Ich erteile zunächst Herrn Abgeordneten de Jager das Wort.
Dieses PISA-Ergebnis unterscheidet sich eigentlich nicht sehr von dem PISA-Ergebnis von vor drei Jahren.
Aus diesem Grund, meine Damen und Herren, ist es so erstaunlich, dass wir heute bei Rot-Grün eine völlig andere Reaktion auf dieses Ergebnis erleben als vor drei Jahren. Zweieinhalb Jahre lang - seit dem Vorliegen der ersten PISA-Studie - bestand in diesem Haus der Konsens, dass aus der PISA-Studie keine Schulstrukturdebatte folgen solle. Diesen Konsens haben Sie gekündigt.
Meine Damen und Herren, die nächsten Wochen und Monate entscheiden über das Schulwesen hier im Land. Selten hatten die Menschen in SchleswigHolstein eine so klare Wahl zwischen der Abschaffung unserer Schulen und der Einführung der Einheitsschule auf der einen Seite und der Verbesserung der Bildungschancen im gegliederten Schulwesen, wie wir es wollen, auf der anderen Seite.
Meine Damen und Herren, wir haben diesen Schulkampf, den Sie begonnen haben, nicht gewollt. Aber wenn Sie ihn beginnen, dann werden wir in der Tat gegen ihn argumentieren, und wir sagen Ihnen, meine Damen und Herren: Der ideologische Impetus kommt von Ihnen und nicht von uns!
Meine Damen und Herren, die CDU lehnt die Einheitsschule ab. Wir stehen für unsere Schulen hier im Land, weil sie sehr viel mehr können, als es Rot-Grün in den vergangenen 17 Jahren zugelassen hat.
Insbesondere Bundesbildungsministerin Bulmahn will das abschaffen, was sie über Jahre hinweg vernachlässigt hat. Sie hat in Berlin gesagt, die Hauptschule müsse abgeschafft werden, weil die Hauptschule bei PISA II die wenigsten Fortschritte verzeichnet habe.
Ich frage Sie aber: Wie sollen die Hauptschulen überhaupt Fortschritte machen? - Festzustellen, die Hauptschulen hätten keine Fortschritte gemacht, ist eine Selffulfilling-Prophecy angesichts der Rahmen
Es gibt keine Schulart, die von Rot-Grün hier im Lande so stiefmütterlich behandelt worden ist wie die Hauptschule. Dieser Schulart jetzt die eigene Schlechterstellung zum Vorwurf zu machen, meine Damen und Herren, ist schon fast perfide.
Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, wie Hauptschullehrer darauf reagieren. Das ist nachzulesen in den „Kieler Nachrichten“ vom 10. Dezember.
„Mit den Worten: ‚Gegen das Image (der Restschule) kämpfen wir seit langem. Aber dass man uns das jetzt noch von höchster Stelle bescheinigt, ist nicht nur schmerzlich; das verkennt die Situation und den Auftrag, den die Hauptschule in dieser Gesellschaft hat’ hält Lehrer Rolf Jakob Clausen von der Muhliusschule dagegen.“
Der Mann hat Recht. Denn der Auftrag ist haargenau der springende Punkt: Der Auftrag, den die Hauptschulen in dieser Gesellschaft haben, und der Auftrag, den jede Schule in dieser Gesellschaft hat. Diesen Auftrag gibt es - das ist unsere feste Überzeugung - und es ist bei jeder Schulart in dieser Gesellschaft ein eigener, spezifischer Auftrag. Deshalb glauben wir an das bestehende und bewährte Schulwesen, weil es unsere Kinder entsprechend ihren Begabungen, Fähigkeiten und Neigungen fördert und weder über- noch unterfordert.
Die Einheitsschule dagegen wird alle Kinder des Begabungsspektrums in einer Klasse zielgleich unterrichten. Ich sage Ihnen: Jedes Kind ist anders. Nichts ist ungerechter als die Gleichbehandlung Ungleicher,
um es mit den Worten des Pädagogen Brandwein zu sagen. Doch gerade darauf läuft die Einheitsschule hinaus. Deshalb wird sie nicht funktionieren.
Was wir hier diskutieren, meine Damen und Herren, ist mehr als eine Frage der Schulorganisation. Wir diskutieren hier einmal über das Menschenbild und darüber, welches Bild von Schule wir haben. Der Unterschied zwischen CDU und SPD in dieser Frage ist der Unterschied zwischen Vielfalt und Vereinheitlichung. Deshalb sind wir gegen die Einheitsschule.