Was wir hier diskutieren, meine Damen und Herren, ist mehr als eine Frage der Schulorganisation. Wir diskutieren hier einmal über das Menschenbild und darüber, welches Bild von Schule wir haben. Der Unterschied zwischen CDU und SPD in dieser Frage ist der Unterschied zwischen Vielfalt und Vereinheitlichung. Deshalb sind wir gegen die Einheitsschule.
Die Einheitsschule löst keine Probleme, aber sie schafft neue. Wir wissen durch den Bericht des Landesrechnungshofs, dass die Umwandlung des gegliederten Schulwesens in eine integrierte Beschulung der 5. bis zur 10. Klasse die Schließung von 96 Schulen nach sich ziehen würde. Das wäre eine Schließung von Schulen nicht aus demographischen, sondern aus rein politischen Gründen. Deshalb sind wir auch hier dagegen.
Ich kenne Ihre Gegenargumente, die immer lauten - Sie haben sie hier ja auch noch einmal vorgetragen, Frau Erdsiek-Rave -, dass das alles gar nicht so stimme, dass wir hier von einem Zeitraum von zehn bis 15 Jahren redeten und dass alles Schritt für Schritt passieren werde.
Dennoch ist das Ziel klar, das übrigens in dem Gutachten des Bildungsforschers Ernst Rösner beschrieben wird. Es ist überhaupt interessant, dass man, wenn man die Programmatik von Rot-Grün erfahren will, mittlerweile nicht mehr in deren Parteiprogramme gucken muss, sondern in Regierungsgutachten.
„Auch wenn die Gemeinschaftsschule nicht binnen kurzer Zeit zu einem ersetzenden Regelangebot ausgebaut werden kann, ist es aus Sicht des Gutachters - und damit der Landesregierung - notwendig, politisch unmissverständlich deutlich zu machen, in welche Richtung die Entwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein gehen soll. Klare Zielvorgaben erleichtern die Entscheidung der Schulen und der Schulträger.“
Sie verharmlosen Ihr eigenes Projekt, wenn Sie sagen, es dauere zehn bis 15 Jahre. Sie werden im nächsten Jahr damit beginnen, die Einheitsschule durch die Einführung des Einheitslehrers vorzubereiten. Dem muss man Einhalt gebieten. Wir machen das nicht mit.
Sie setzen eine Maschinerie in Gang, die unsere Schüler in einen offenen Feldversuch führen wird. Wir wissen von allen Gesamtschulen, die in Deutschland praktiziert worden sind, dass die Gesamtschulen dem gegliederten Schulsystem nicht überlegen sind. Aus dem Grund werden Sie sich auf den falschen Weg machen.
ziert in einer Weise, wie es bei Ihnen überhaupt nicht vorgesehen ist. Im Vergleich zwischen der Gemeinschaftsschule und der Gesamtschule erkennt man, dass eine Differenzierung überhaupt nicht mehr vorgesehen ist. Die Leistungszüge A, B und C, die es in der Gesamtschule noch gibt, werden in der Gemeinschaftsschule am Ende nicht mehr da sein. Sie werden daher alle Leistungsunterschiede nivellieren.
In Wahrheit übernehmen Sie gar nicht das finnische Modell, sondern Sie übernehmen diejenigen seiner Teile „à la carte“, die Ihnen ideologisch gerade passen.
Das finnische Modell, Herr Hay, ist durch ganz andere Dinge gekennzeichnet, zum Beispiel durch ein Zentralabitur, das Sie hier in Schleswig-Holstein auf das Bitterste bekämpfen. Das finnische Modell ist durch gebundene Ganztagsschulen gekennzeichnet, die Sie, wie wir gehört haben, in Schleswig-Holstein definitiv nicht einführen wollen.
Das finnische Modell ist fremdsprachenorientiert. Dort beginnt man in der dritten Klasse mit der ersten Fremdsprache, in der fünften Klasse mit der zweiten Fremdsprache und in der siebten Klasse mit der dritten. Sie haben es in Schleswig-Holstein nicht einmal geschafft, Englisch in die Grundschule richtig einzuführen.
Das finnische Modell hat eine Personalausstattung, die Sie in Schleswig-Holstein nicht hinbekommen. Das finnische Modell funktioniert, weil es in Finnland Förderlehrer gibt, die wir hier nicht haben. Das finnische Modell funktioniert, weil es in Finnland einen Psychologen pro Schule gibt, während es in Schleswig-Holstein einen schulpsychologischen Dienst gibt. Das sind die Unterschiede. Wir dürfen hier nicht Äpfel mit Birnen vergleichen.
Nach PISA ist das eigentliche Thema das der individuellen Förderung. Diese könnten die Schulen in Schleswig-Holstein leisten, wenn man sie nur ließe. Sie, Frau Erdsiek-Rave, sind Ministerin einer Regierung, die es zugelassen hat, dass sich in SchleswigHolstein ein Fehlbedarf von 1.100 Lehrern aufgebaut hat. Diese wären nötig, um individuelle Förderung zu machen.
Deshalb setzen wir einen anderen Schwerpunkt und ziehen aus PISA eine andere Schlussfolgerung als Sie. Wir ziehen die Schlussfolgerung, dass man die Grundschulen stärken muss, weil in der Tat dort die Grundlage für die weiteren Bildungsgänge und für die Startchancen junger Leute gelegt wird.
Deshalb wollen wir für die Grundschulen 650 zusätzliche Planstellen zur Verfügung stellen, damit die Stundentafeln erfüllt werden können, aber auch zur ordentlichen Einführung von Englisch in den Grundschulen als ordentliches Unterrichtsfach.
Gerade wo es Ihnen - zu Recht - um die Bildungsbeteiligung geht, müssten Sie unseren Weg der Stärkung der Grundschule eigentlich mitgehen. Denn wenn es einen Ort gibt, wo die Defizite ausgeräumt beziehungsweise ausgeglichen werden können, die die Kinder in die Schule mitbringen, dann ist es die Grundschule. Deshalb muss die Grundschule aus pädagogischen Gründen gestärkt werden.
Wir haben einen anderen PISA-Befund. Er lautet, dass wir in Deutschland überproportional viel Geld für die späten Jahrgänge ausgeben, aber viel zu wenig für die frühen Jahrgänge. Das wollen wir ändern.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich am Anfang drei Vorbemerkungen machen. Ich habe mit großer Aufmerksamkeit versucht, Ihren Worten zu lauschen, Herr de Jager, um Ihre eigenen Vorstellungen zu entdecken. Ich stelle erstens fest: Die CDU hat keine eigenen Vorstellungen. Sie beschäftigt sich ausschließlich mit unseren Vorstellungen. Vielen Dank für dieses Kompliment!
Zweitens. Mit Ihren Begriffen, die etwas mit Einheit zu tun haben, versuchen Sie an eine ideologisch verbrämte Diskussion der 70er-Jahre und davor anzuknüpfen. Wenn Sie von „Schulkampf“ sprechen, habe ich den Eindruck, dass Sie ihn anscheinend wollen. Wir wollen unser Schulsystem als Konsequenz von PISA I und II im Sinne der dort Tätigen, der Schülerinnen und Schüler und der Lehrer, weiterentwickeln. Das ist unser politisches Ziel.
Meine dritte Bemerkung ist ein guter Hinweis darauf, wie die CDU in unserem Land aufgestellt ist. Gucken
Sie sich Sachsen, das Saarland, Brandenburg an! In diesen Ländern ist die CDU viel weiter als Sie. Sie sind wirklich das Schlusslicht der CDUBildungspolitik.
Ihr Antrag „Bildungsqualität im gegliederten Schulwesen verbessern“ fasst nichts anderes zusammen als die Manifestierung des gegliederten Schulwesens. Von Weiterentwicklung ist in Ihrem Antrag nichts zu erkennen. Die von Ihnen formulierte Zielsetzung der deutlichen Trennung der drei Schulformen Hauptschule, Realschule und Gymnasium weist fast keine Änderung auf. Das zeigt nicht das geringste Verständnis für die notwendigen Konsequenzen, die aus beiden PISA-Studien dringend gezogen werden müssen.
Nun zu den Ergebnissen! Frau Erdsiek-Rave hat schon auf einige Punkte hingewiesen. Die gute Nachricht lautet, dass die 15-jährigen Schülerinnen und Schüler aus Deutschland bei PISA 2003 besser abgeschnitten haben als bei PISA 2001. Leider gibt es keinen Anlass für die Annahme, dass sich die deutsche Schule auf dem richtigen Weg befindet und sich quasi ganz von allein nach vorn arbeiten wird.
Die große Stärke der PISA-Studie ist, dass sie nicht bei der Diagnose der Leistungsergebnisse stehen bleibt. Denn dass die Fähigkeit, Probleme zu lösen, gerade bei den Hauptschülern und Gesamtschülern besonders gut entwickelt ist, macht deutlich, dass nicht die Hauptschüler und nicht die Hauptschullehrer, sondern die Hauptschule als System selbst das Problem ist.
Was die neue Studie so spektakulär macht, ist gerade das, was sich nicht geändert hat. Dazu gehört an allererster Stelle der unerträgliche Befund, dass in der Bundesrepublik Deutschland noch immer die soziale Herkunft der entscheidende Faktor für Bildungschancen ist. Wer dies zementieren will, zeigt sein eigentliches Demokratieverständnis und sein Verständnis von dieser Gesellschaft. Davon unterscheiden wir uns Gott sei Dank sehr deutlich.
44 % unserer Hauptschüler stammen aus den 25 % Familien mit dem geringsten ökonomischen, sozialen und kulturellen Potenzial und 52,8 % der Gymnasiasten stammen aus den 25 % Familien mit dem höchsten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Status. Nur die Integrierten Gesamtschulen bieten ein ausgewogeneres Bild.
Damit sind wir - Sie haben es sicherlich schon geahnt - bei der Frage, die für uns mit im Mittelpunkt der PISA-Debatte steht, nämlich bei der Frage: Wie soll sich unser Schulsystem weiterentwickeln? Ich gebe gern zu - das gehört zur Selbstkritik -, dass sich auch die SPD dieser Frage viel zu spät gestellt hat. Fast alle von uns sind unter den Bedingungen des gegliederten Schulwesens aufgewachsen. So ist es mehr als verständlich, dass sich viele Menschen in Deutschland nach einer Entwicklung von über 30 Jahren ein grundsätzlich anderes Schulsystem wie das in den skandinavischen Ländern nur schwer vorstellen können.
Unser Schulsystem ist eine historische Sonderentwicklung, die die meisten anderen Länder schon lange hinter sich gelassen haben. Die soziale Aufspaltung der Schüler ist ein Erbe aus der Vergangenheit, aus dem preußischen Obrigkeitsstaat. Das muss man an dieser Stelle auch einmal deutlich betonen.
Es war ein schwerer Fehler in der Anfangsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland - die Amerikaner haben ausdrücklich darauf hingewiesen -, dass dieser Schritt aus grundsätzlichen demokratischen Erwägungen nicht - auch von Sozialdemokraten nicht - vollzogen worden ist.
Aber der entscheidende Unterschied ist, dass all jene Länder, die einen anderen Weg weg vom gegliederten Schulwesen gegangen sind, die Bildungspotenziale der nachwachsenden Generationen viel stärker ausschöpfen, als wir das tun.
Die Gemeinschaftsschule, die uns dabei vorschwebt, ist eben keine Einheitsschule, die alle Kinder über einen Kamm schert. Wenn Kinder punktuelle Schwächen in ihrer Lernlaufbahn zeigen, besteht unsere Antwort heute leider teilweise darin, sie nicht individuell zu fördern, sondern wir zwingen sie, komplette Jahrgänge zu wiederholen. Wenn man sich die anderen Länder anschaut, so weiß man: Der andere Weg in Skandinavien ist richtiger. Dort fördert man individuell, fordert aber auch und erzielt damit bessere Leistungsergebnisse. Das haben beide PISA-Studien begründet.