Protocol of the Session on October 18, 2000

Ich glaube aber, das, was wir in den Leitlinien der Landesregierung vorgelegt bekommen haben, ist kontraproduktiv. Ich bedauere, dass hier eine Chance

(Peter Jensen-Nissen)

vertan worden ist, eine im Kern gute Absicht vertan worden ist. Ich will dies auch im Einzelnen begründen.

Nach unserer Auffassung besteht für die hier vorgenommene Festlegung von Leitlinien zur guten fachlichen Praxis einer ordnungsgemäßen Landwirtschaft keine Notwendigkeit. Es gibt schon jetzt eine umfangreiche gesetzliche Grundlage. Angefangen vom Bodenschutzgesetz über die Tierschutzgesetzgebung bis hin zur Tierkennzeichnung haben wir den gläsernen Hof. Es ist aus meiner Sicht eben nicht notwendig und auch rechtlich nicht zulässig, mit diesen Leitlinien Verschärfungen gegenüber dem bereits vorhandenen Rechtsraum vorzusehen, zum Beispiel bei der Gülleverbringung, dem Pflanzenschutz und auch der Ackernutzung.

Frau Ministerin, natürlich kann die Erarbeitung eines Leitfadens sinnvoll sein, etwa um aus der nicht mehr überschaubaren Anzahl der Rechtsvorschriften die für die Landbewirtschaftung einschlägigen in einem Regelwerk zusammenzufassen. Dann darf man jedoch durch bestehende Gesetze aufgestellte Rahmen nicht verlassen und man darf auch keine Verschärfung vornehmen. Dies betone ich noch einmal ausdrücklich. In den Leitlinien wird nun aber genau das getan, was nicht getan werden sollte. Ich habe die Befürchtung, dass die Verwaltung im konkreten Einzelfall im Rahmen der Leitlinien zu entscheiden hat. Mit anderen Worten: Die Leitlinien werden für die Verwaltung verbindlich. Sie haben im Interview auch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Leitlinien nur eine Beratungshilfe sein sollen. Ich weise aber sehr deutlich darauf hin, dass Ihr Kollege Müller in einem Zeitungsinterview sehr klar eingefordert hat, dass die Leitlinien auch einer ordnungsgemäßen Landbewirtschaftung bei einer Bezuschussung im Sinne der EUPrämien herangezogen werden.

Eine Festlegung durch Leitlinien ist auch nicht geeignet, den Begriff der „guten fachlichen Praxis“ sinnvoll auszufüllen. Der Begriff der „guten fachlichen Praxis“ ist ein dynamischer Begriff. Die „gute fachliche Praxis“ ergibt sich aus dem Zusammenspiel von Agrarwissenschaft, Ausbildung, Beratung, Information, Wetterdaten und dem Wirtschaften auf den Höfen. Eine Festschreibung des Begriffes durch diese Leitlinien ist unserer Meinung nach kontraproduktiv, da sie eine Anpassung an die sich schnell verändernden Gegebenheiten in der praktischen Landbewirtschaftung behindert, wenn nicht gar verhindert. Die Ausfüllung dieses Begriffs muss deshalb der Praxis überlassen bleiben.

Eine ordnungsgemäße Landbewirtschaftung ist eine Selbstverständlichkeit für uns. Sie ist ein dynamischer

Prozess im Zusammenspiel von Wissenschaft und Praxis und lässt sich nicht in feste Formen gießen.

Der Gesetzgeber hat aus vielfältigen Gründen auf eine detaillierte Festlegung in einer Fülle von Gesetzen verzichtet. Er hat gerade den unbestimmten Rechtsbegriff der „guten fachlichen Praxis“ gewählt, um der Verwaltung einen weitgehenden Ermessensspielraum zu geben, damit sie in Einzelfällen dem jeweiligen Erkenntnisstand der Praxis entsprechend sachgerecht entscheiden kann. Diesen Spielraum werden die Leitlinien in der vorgesehenen Form einschränken. Leitlinien, von denen bereits im Vorfeld gesagt wird, dass sie durch Erläuterungen und Protokollnotizen klargestellt und ausgelegt werden müssen, dienen aus unserer Sicht nicht gerade der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit. Darüber hinaus darf nicht verkannt werden, dass die Leitlinien weitere Auswirkungen im Bereich der Landwirtschaft haben können, die aus der Sicht der Landwirtschaft nicht gewollt und auch nicht akzeptiert werden können.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stellen daher Folgendes fest.

Erstens: Die Grundsätze der „guten fachlichen Praxis“ sind hinreichend in Gesetzen festgelegt; sie müssen daher nicht in Leitlinien wiederholt werden.

Zweitens: Die gute fachliche Praxis ist Spiegelbild des technischen Fortschritts. Es macht daher keinen Sinn, den technischen Stand festschreiben zu wollen.

Drittens: Die Leitlinien verschärfen gesetzliche Regelungen. Dies ist unzulässig und völlig unnötig.

Viertens: Die Behauptung, die Leitlinien sollten Hinweis und Empfehlung sein, ist nicht sehr glaubwürdig. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie in die Verwaltung einfließen und damit für das Verwaltungshandeln verbindlich werden.

Fünftens: Sie könnten als Voraussetzung für die Bewilligung von Ausgleichszahlungen im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU herangezogen werden. Dies hat Ihr Kollege Müller ja ausdrücklich bestätigt, Frau Franzen. Diesen Widerspruch werden Sie auflösen müssen.

Wir lehnen die Leitlinien aus den vorgenannten Gründen ab und fordern die Landesregierung auf, sie zurückzuziehen. Sie sind in dieser Form nicht geeignet, Landwirtschaft und Naturschutz zusammenzuführen.

(Beifall bei der CDU)

Für die Fraktion der SPD hat jetzt Herr Abgeordneter Wilhelm Malerius das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Leitlinien für eine ordnungsgemäße Landbewirtschaftung in Schleswig-Holstein fassen zum einen zusammen, was an gesetzlichen Vorgaben bei der Landbewirtschaftung zwingend zu beachten ist, und sie nehmen darüber hinaus zum anderen auch jene Aspekte auf, die heute im Sinne einer zeitgemäßen Form der Landbewirtschaftung zu beachten sind und die die Grundlage eines nachhaltigen Wirtschaftens bilden.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Schon frühzeitig - im Jahre 1997 - wurde der Auftrag zur Erarbeitung der Leitlinien an die Landwirtschaftskammer - ich betone: die Landwirtschaftskammer - durch das Ministerium für ländliche Räume, Landwirtschaft, Ernährung und Tourismus erteilt. Der Vorstand der Landwirtschaftskammer stimmte zu und sah somit die Notwendigkeit der Leitlinien. Durch die Vorlage der Leitlinien ist das Land Schleswig-Holstein dem Bundestrend einen Schritt voraus, denn auch in anderen Bundesländern und auch in der Bundesregierung haben die Diskussionen über eine ordnungsgemäße Landbewirtschaftung begonnen.

Die Leitlinien sollen und müssen der Anfang einer umfangreichen Diskussion zwischen allen Beteiligten sein, um endlich ein fehlendes gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Die Leitlinien sind nicht besserwisserisch oder unerträglich, sondern sie sollen später ein ökonomisch-ökologisches Handbuch für die Berater der Landwirtschaftskammer, für den Landwirt und die Landwirtin bilden. Herr Jensen-Nissen, die Landwirtschaftskammer steht zum Beispiel zur Empfehlung der Ausbringung von Gülle auf Grünland bis August und auf Marktfruchtflächen bis Mitte Oktober, obwohl nach der Düngeverordnung noch bis Mitte November 80 kg Gesamtnährstoff über Wirtschaftsdünger ausgebracht werden dürfen. Laut Landwirtschaftskammer ist aber ab Mitte November bei allen Kulturen ein Nährstoffbedarf nicht mehr vorhanden. Hier ist doch die Frage erlaubt: Ist das eine Bevormundung, ist das eine stärkere Regulierung? Nein, hier sollte man den Erkenntnissen der Landwirtschaftskammer folgen.

Meine Damen und Herren, wir befinden uns eben nicht mehr in den Sechzigerjahren, als über den Kunstdünger vereinfacht gesagt wurde: Viel hilft viel! So spiegelt sich in den Leitlinien wider, was an ökologischen und ökonomischen Erfordernissen zu beachten ist, damit die Landwirtschaft das darstellt, was der Präsident der Landwirtschaftskammer jüngst angemahnt hat, nämlich eine zukunftsträchtige Wirtschaftsform in Schleswig-Holstein.

Meine Damen und Herren, ein Exemplar der Leitlinien für eine ordnungsgemäße Landwirtschaft in Schleswig-Holstein übergab ich einem praktizierenden Landwirt mit der Aufforderung zur Stellungnahme, denn im Sinne einer pragmatischen Politik der SPD soll die Praxis eingebunden werden.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sehr richtig!)

Die Stellungnahme lautete: „Große Teile der Leitlinien werden von uns schon erfüllt beziehungsweise in großen Teilen wirtschaften wir nach diesen Leitlinien.“

Die Leitlinien sind rechtlich unverbindlich und haben zum besseren Verständnis von Wechselbeziehungen einen erklärenden Charakter. Sie sind der Anfang eines Diskussionsprozesses mit den Verbänden aus Landwirtschaft und Naturschutz. Lassen Sie uns endlich damit anfangen, untereinander Brücken zu bauen, Kompromisse zu finden zum Wohle einer modernen Landwirtschaft.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schon aufgrund dieser Stellungnahme ist der Antrag der CDU abzulehnen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die Fraktion der F.D.P. erteile ich Frau Abgeordneter Dr. Christel Happach-Kasan das Wort.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die F.D.P. unterstützt - das haben Sie wohl auch nicht anders erwartet - den Antrag der CDU. Ich bedanke mich bei meinem Kollegen Jensen-Nissen für die sachgerechte Aufarbeitung meiner beiden Kleinen Anfragen an die Landesregierung.

(Heiterkeit und Beifall bei F.D.P. und CDU)

Für die Leitlinien gilt, was auch sonst Gültigkeit hat: Gut gemeint ist nicht gut gemacht! Ich unterstelle, Herr Kollege Malerius, dass sie gut gemeint sind, glaube aber nicht, dass sie gut gemacht sind.

Vor der Erarbeitung solcher Leitlinien muss doch die Beantwortung der Frage stehen: Wer braucht sie? Schon bei der Beantwortung dieser Frage hat die Landesregierung versagt. Niemand braucht die Leitlinien. Sie sind überflüssig. Die Landwirtinnen und Landwirte brauchen sie nicht, weil von ihnen verlangt wird, im Rahmen der bestehenden Gesetze zu handeln, egal, was in irgendwelchen Leitlinien aufgeschrieben oder vereinbart wurde.

(Dr. Christel Happach-Kasan)

Die Behörden brauchen sie ebenfalls nicht, weil für sie dasselbe gilt. Frau Ministerin Franzen, ich gehe davon aus, dass Sie auch entsprechend Ihrer Antwort auf meine Kleine Anfrage handeln und diese Leitlinien nicht zur Grundlage für die Bewilligung von Anträgen heranziehen.

(Beifall bei der CDU)

Es bleiben die echten und die vermeintlichen Naturschützer. Auf sie zielt ja wohl die Überschrift „Dialog statt Konfrontation“, die die Landesregierung gewählt hat. Diese Überschrift könnte als Indiz für einen Erkenntnisgewinn der Landesregierung gewertet werden. Doch mit der Erkenntnis, dass durch Dialog mehr zu erreichen ist als durch Konfrontation, läuft die Landesregierung den vor Ort praktisch arbeitenden Naturschützern hinterher. Diese sind allein an praktischen Verbesserungen für die Natur interessiert. Deshalb suchen sie seit langem das Gespräch mit der Landwirtschaft. Sie gelangen dabei zu konkreten Ergebnissen, die sich sehen lassen können. Diese Naturschützer brauchen die Leitlinien also ebenfalls nicht.

Es bleiben die ideologisch ausgerichteten Gutmenschen. Diese hat die Landesregierung in der Vergangenheit immer gern hofiert und in ihrem Glauben bestärkt, sie seien im Besitz der reinen Wahrheit. Es ist nicht zu erwarten, dass diese Gutmenschen von ihrem Konfrontationskurs gegenüber der Landwirtschaft Abschied nehmen. Sie handeln frei nach dem Motto: Naturschutz lohnt erst, wenn er den Bauern wehtut.

Die Qualität der Leitlinien ist unterschiedlich. Ein Teil ist trivial und beschreibt die gängige Praxis der Landwirtschaft; diese Leitlinien sind überflüssig, aber sie sind unschädlich. Zum Beispiel ist die Sicherung der nachhaltigen Ertragsfähigkeit des Bodens langjährige Praxis der schleswig-holsteinischen Landwirtschaft und Grundlage ihres Erfolges.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)

Ein weiterer Teil beschreibt die vorhandene Gesetzeslage. Sie ist den Landwirtinnen und Landwirten bekannt. Eine Wiederholung ist überflüssig, aber ebenfalls unschädlich.

Spannend wird es bei den verschiedenen Bestimmungen, die das Handeln von Landwirtinnen und Landwirten stärker regulieren, als es die Gesetze und zugehörigen Verordnungen vorsehen. Die F.D.P. lehnt dieses Verfahren ab.

In der Antwort auf meine Kleine Anfrage führt die Landesregierung aus, dass die Leitlinien Ermessensspielräume konkretisieren sollen. Damit, werte Landesregierung, greifen Sie in die Gesetzgebung ein, die ausschließlich den Parlamenten vorbehalten ist. Er

messensspielräume in den Gesetzen sollen den Fachbehörden Spielräume in der Behandlung von Einzelfällen offen halten. Wer diese Spielräume nicht erhalten wissen will, muss die Gesetze ändern. Wir als F.D.P. wollen Spielräume erhalten, weil wir meinen, dass nur dann eine fachgerecht arbeitende Behörde gute Arbeitsbedingungen hat.

(Beifall des Abgeordneten Günther Hilde- brand [F.D.P.])

Es bleibt die Frage, warum das Land einen siebenseitigen Knick-Erlass braucht, obwohl doch nun die Landesregierung erklärt, dass in den drei Spiegelstrichen der Leitlinien dasselbe stehe wie auf den sieben Seiten. Ich teile diese Auffassung im Übrigen nicht; die Leitlinien bedeuten eine deutliche Verschärfung gegenüber dem Knick-Erlass.

Leitlinien bedeuten eine zusätzliche Bürokratisierung, sie sind rechtlich unverbindlich, können gesetzliche Regelungen nicht ersetzen oder gar verändern und verursachen damit Rechtsunsicherheit. In vielen Punkten sind sie eine unerträgliche Besserwisserei, die unsere fachlich gut qualifizierten Landwirtinnen und Landwirte nicht verdient haben.

Im Fazit ist festzuhalten, dass die Leitlinien nicht geeignet sind, einen Diskussionsprozess zwischen Umweltschutz und Landwirtschaft zu initiieren oder zu fördern.

(Beifall bei F.D.P. und CDU)