Protocol of the Session on November 11, 2004

Ganztagsangebote, offene Ganztagsschulen, können ein Beitrag zur Betreuung sein, sie sind aber nicht die alleinige Antwort. Denn für die CDU geht es nicht nur um die Frage der Betreuung, sondern es geht auch um die Frage, wenn wir zusätzliches öffentliches Geld in die Hand nehmen, ob wir es dann allein für Betreuung ausgeben oder nicht auch für mehr Bildung.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind dafür, dass wir zusätzliche öffentliche Mittel vor allem für ein Mehr an Bildung hier in diesem Land ausgeben sollten.

(Birgit Herdejürgen [SPD]: Das findet in dem derzeitigen Angebot nicht statt?)

Wir wollen die gebundene Ganztagsschule deshalb als eine Zielvorgabe, weil wir glauben, dass die gebundene Ganztagsschule sehr stark auf einem ganzheitlichen pädagogischen Konzept aufbaut und weil sie die Möglichkeit hat, gewisse Dinge vorzunehmen, die man in der offenen Ganztagsschule oder bei Ganztagsbetreuungsangeboten nicht machen kann, etwa die Entzerrung der Unterrichtsblöcke am Vormittag, indem man Teile in den Nachmittag zieht oder auch schon am Vormittag andere unterrichtsergänzende Angebote macht. Wir glauben, dass vor allem bei einer gebundenen Ganztagsschule die Möglichkeit besteht, gezielte Fördermaßnahmen, die sehr eng mit dem zusammenhängen, was in der Schule und im Unterricht stattfindet, anzubieten.

Wir sagen - da sind wir auch ganz ehrlich -, dass die gebundene Ganztagsschule natürlich teuer ist. Wir wissen, dass sie pro Schule bei etwa 20 bis 25 % über den Kosten liegt, die jetzt zur Verfügung stehen. Insofern sagen wir nicht, dass wir innerhalb weniger Jahre den Schalter umlegen können und dann haben wir überall flächendeckend das Angebot. Wir sagen aber, dass die Zielvorgabe - auch vor dem Hintergrund der Lehren, die wir aus PISA zu ziehen haben - darin bestehen muss, vor allem ein pädagogisch ausgereiftes ganzheitliches Konzept anzubieten. Das ist aus unserer Sicht in allererster Linie die gebundene Ganztagsschule.

Damit sagen wir nicht, dass wir gegen andere Formen von zusätzlicher Betreuung sind. Ich bezweifle aber, dass es einer Initiative des Bundes, von Frau Bulmahn, bedurft hätte, um zusätzliche Betreuungsangebote vor Ort und ortsnah zu regeln. Mein Eindruck

ist, sehr viele Kommunen haben von sich aus diesen Weg beschritten. Deshalb ist es so, dass man nicht sagen kann, dass allein die Initiative von Frau Bulmahn dies erreicht hätte. Denn wir müssen auch sehen, dass es in diesem Bereich einige Probleme gibt.

Erstens. Das Programm der Bundesregierung weckt Erwartungen, die oftmals vor Ort nicht erfüllt werden können. Sie selbst haben gesagt, Frau ErdsiekRave, die Aktie offene Ganztagsschule sei schon jetzt überzeichnet. Sie haben die Relationen genannt, dass es Anträge für 100 Millionen €, aber nur Investitionsmittel in Höhe von 33 Millionen € gibt. Man kann es auch anders ausdrücken. Bis zum Jahr 2008 stehen für Schleswig-Holstein 135 Millionen € zur Verfügung, allein für die Jahre 2003, 2004, 2005 sind Mittel in Höhe von 142 Millionen € beantragt oder bereits beschieden. Die Erwartungshaltung, die es gibt und die nicht gedeckt werden kann, weil das Geld fehlt, führt dazu, dass am Ende die Kommunalpolitiker und die kommunalen Träger der Schulen vor Ort das auszuhalten und zu entscheiden haben. Das ist haargenau der Punkt, aus dem ich nicht möchte, dass wir eine Arbeitsteilung bekommen. Die familienpolitischen Lorbeeren dieser Betreuung werden von der Bundesregierung eingestrichen und die Lasten, die Schwierigkeiten, die es gibt, landen bei den Kommunen. Haargenau dort landen wir.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Wir reden bei den Mitteln der Bundesregierung über Investitionsmittel, die immerhin zu 90 % - das muss man zugestehen - abgedeckt werden, aber es sind Investitionsmittel. Die eigentlichen Kosten auch bei der offenen Ganztagsschule sind aber die Folgekosten, die sich über die Jahre und Jahrzehnte danach ergeben, weil das Konzept weiter getragen werden muss. Es gibt sehr zaghafte Ansätze der Landesregierung, das mitzubegleiten. Es gibt in sehr vielen Gemeinden die Hoffnung, dass man die offene Ganztagsschule und die Angebote am Nachmittag über ehrenamtliche Arbeit abdecken kann. Ich freue mich über das Vertrauen in die Ehrenamtlichkeit.

(Glocke des Präsidenten)

- Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. - Ich glaube aber nicht, dass man am Ende dauerhaft über Jahre hinweg das Angebot einer offenen Ganztagsschule den Ehrenamtlichen aufbürden darf. Ich glaube, wenn ein solches Angebot von der öffentlichen Hand gemacht wird, muss es auch von der öffentlichen Hand getragen werden. Aus pädagogischen Gründen ist die Zielvorgabe einer qualitativ gebundenen Ganztagsschule die richtige und wir müssen uns bei allem, was wir machen, auch schützend vor die kommunalen

(Jost de Jager)

Haushalte stellen, die in diesen Tagen beraten werden. Wir wissen, wie es dort aussieht.

(Beifall bei der CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Höppner das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Angekündigt im Sommer 2002 läuft das Investitionsprogramm Bildung und Betreuung seit knapp zwei Jahren. Es ist auch bekannt geworden als das 4Milliarden-€-Programm, das zwischen den Jahren 2003 und 2007 den Aufbau von Ganztagsangeboten unterstützen soll.

Für Schleswig-Holstein stehen in diesem Zeitraum 135 Millionen € zur Verfügung. Ausgehend von einem 10-%-Anteil, der von den Trägern aufzubringen ist, wird das Fördervolumen hier insgesamt 148 Millionen € betragen. Diese Zuschüsse gibt es dann neben den üblichen Formen der Schulbaufinanzierung über den zentralen Schulbaufonds mit rund 30 Millionen € jährlich und den Kommunalen Investitionsfonds.

Wir werden im Schulbereich in den nächsten drei Jahren ein Investitionsvolumen haben, wie wir es im Land Schleswig-Holstein nie zuvor hatten. Ich sage ganz ehrlich, das ist auch eine echte Mittelstandsförderung; auch für das Bauhandwerk in SchleswigHolstein ist es ein ganz wichtiges Förderprogramm.

(Vereinzelter Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SSW)

Ich erinnere an die Skepsis - die ist hier eben noch einmal deutlich geworden -, mit der das Investitionsprogramm Bildung und Betreuung am Anfang aufgenommen wurde.

Nur Mittel für den investiven Bereich, hieß es, keine Mittel für Personalausstattung. Das werde doch keiner annehmen, so unkten damals die Kritiker. Wer den vorliegenden Bericht der Landesregierung durchgearbeitet hat, noch besser, wer sich im Land umschaut, wird zur Feststellung kommen, dass die Umsetzung dieses Programms in Schleswig-Holstein eine regelrechte Erfolgsstory darstellt. Ursprüngliches Ziel der Bundesregierung war, dass zukünftig jede zehnte Schule in Deutschland ein solches Ganztagsangebot vorhalten sollte. In Schleswig-Holstein werden wir dieses Ziel - mit regionalen Unterschieden - deutlich überschreiten.

Die Kritik der CDU an der Umsetzung dieses Programms, lieber Herr Kollege de Jager, ist seit langem bekannt. Aber sie schlägt fehl. Denn der Run auf diese Förderung ist ausgesprochen groß, gerade auch bei konservativ geführten Schulträgern.

Im Übrigen darf ich Sie daran erinnern, wie Sie seinerzeit Ganztagsschule definiert haben, Herr Kollege Wadephul. Das haben Sie am 16. März 2001 auf dem Landesparteitag getan. Sie haben ausgeführt, wie das am Nachmittag aussehen soll: Beköstigung, Hausaufgabenbetreuung und Freizeitgestaltung. Das waren die Punkte, die Sie damals vorangestellt haben.

Die Schulen entwickeln mit ihren Schulträgern ganz engagierte Nachmittagskonzepte. Wir werden Schwierigkeiten haben, alle Antragsteller bedienen zu können beziehungsweise die Anträge in vollem Umfang des Kostenrahmens fördern zu können.

(Zuruf des Abgeordneten Werner Kalinka [CDU])

Diese Entwicklung zeigt uns sehr deutlich, dass Bewegung in die Schullandschaft gekommen ist, dass Lehrerkollegien, Schülerinnen und Schüler und Eltern offen für Neuerungen sind. Diese Schulen öffnen sich. Örtliche Vereinigungen aus dem Bereich des Sports, der Jugendarbeit, der Jugendhilfe und der Weiterbildung werden in die schulischen Angebote eingebunden. Es sind insbesondere die Eltern, die sich verstärkt aktiv in den Schulalltag einbringen. Das ist eine Entwicklung, die wir uns immer gewünscht haben. Sie ist ausnahmslos zu begrüßen. Ich richte meinen Dank daher ausdrücklich an die Schulen und an alle, die sich im Rahmen dieses Programmes ganz neu und ganz verstärkt in die Arbeit der Schulen einbringen.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Abschluss möchte ich darauf hinweisen, dass auch die Schulen in freier Trägerschaft mit einem kleineren Anteil aus diesem Programm gefördert werden. Die Schulen in freier Trägerschaft haben in der Regel sehr große Einzugsbereiche. Die Investitionen aus dem Programm Bildung und Betreuung werden dazu beitragen, dass auch diese Schulen in ihren Tagesabläufen schüler- und elternfreundlicher werden. Ich glaube, das unterstreicht sehr deutlich, welche Wertschätzung wir den Schulen in freier Trägerschaft von hier aus geben.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Ich bitte um Überweisung des Berichts an den Bildungsausschuss.

Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganztagsangebote eröffnen neue Chancen für die Bildung. Dies gilt gerade auch für das Konzept der offenen Ganztagsschule. Sie bietet nicht „mehr vom selben“, das heißt nicht die Verlagerung von Unterricht in den Nachmittag hinein, sondern ein zusätzliches Bildungsangebot anderer Art neben dem Unterricht, der weiterhin im Wesentlichen am Vormittag stattfindet.

Es gibt jetzt landesweit viele gute Konzepte für offene Ganztagsangebote, gute Konzepte, die weit mehr sind - Herr Kollege de Jager - als eine bloße Reduktion auf „Betreuung“.

(Beifall bei FDP, SPD und SSW)

Insofern ist auch die oft vonseiten der Union - wie heute wieder zu hören - geäußerte Kritik gegen das Konzept der offenen Ganztagsschule nach meiner Überzeugung nicht stichhaltig.

Notwendig ist allerdings eine erweiterte finanzielle Förderung solcher Ganztagsangebote durch das Land. Ich verweise auf Rheinland-Pfalz, wo man im Endausbaustadium für 300 Schulen landesweit 60 Millionen € per anno an Zuwendungen des Landes eingeplant hat. Da sind wir mit eineinhalb Millionen € Zuschüssen noch sehr weit davon entfernt. Meine Fraktion hat bei den Haushaltsberatungen für den Doppelhaushalt 2004/2005 deshalb konsequent eine Aufstockung dieser Landesförderung beantragt.

Wir brauchen auch eine Zuweisung von Leitungszeit für die Organisation.

(Zuruf von Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

- Ja. Die ist knapp bemessen. Die Organisation eines guten Ganztagsangebotes braucht Zeit. Diese Kritik muss ich anfügen. Die Grundidee einer offenen Ganztagsschule ist aber absolut vernünftig.

Mit Kooperationspartnern aus dem Bereich der kommunalen Jugendhilfe, aus Jugendverbänden, Sportvereinen, Musikschulen, Kirchengemeinden - diese Aufzählung ist keineswegs vollständig - erschließen offene Ganztagsschulen Kindern und Jugendlichen Erfahrungsfelder, die ihnen in der heutigen gesellschaftlichen Realität sonst vielfach verschlossen bleiben. Dass dies frei von prüfungs- und lehrplanbezogenen Anforderungen bleibt, ist nicht nur kein Nachteil, sondern meines Erachtens sogar ein Vorteil.

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Die Eltern behalten dadurch die Entscheidungsfreiheit, ob sie ihre Kinder für ein Ganztagsangebot anmelden wollen. Es kann gute Gründe dafür geben, dass man sich nicht für ein solches Angebot entscheidet - sei es, weil manche den Nachmittag für die Familie nutzen wollen, sei es, weil es Schüler gibt, die diese Zeit für andere Interessen brauchen, etwa für eine Aktivität in einem Sportverein oder in einer Musikschule. Gleichwohl wissen wir, der Bedarf an Ganztagsangeboten ist sehr groß. Die Wahlmöglichkeit muss aber bestehen bleiben.

Im Konzept einer gebundenen Ganztagsschule ist das nicht möglich, meine Damen und Herren von der CDU. Denn wenn am Nachmittag Unterricht stattfindet, ist die Möglichkeit, sich auch gegen eine Ganztagslösung zu entscheiden, nicht mehr gegeben. Dann würde man als Schülerin oder als Schüler einen Teil des Unterrichts nicht mitbekommen. Eine gebundene Ganztagsschule - das muss man der CDU sagen - muss eine Pflichtveranstaltung sein. Damit versperrt Ihr Konzept die Wahlmöglichkeit, die für die Eltern nach Überzeugung der FDP weiter gewährleistet bleiben muss.

(Beifall bei FDP und SSW - Jost de Jager [CDU]: Es gibt schon welche!)

- Es gibt welche. Aber im Regelfall halten wir für ein breites Ganztagsangebot im Land das Konzept der offenen Ganztagsschule für besser. Wenn man nur auf gebundene Ganztagsschulen setzt, könnte man diese Schulen wegen der viel höheren Kosten sehr viel langsamer errichten und man schafft an vielen Standorten die Wahlmöglichkeit für die Eltern de facto ab. Das muss ich als Kritikpunkt an Ihre Adresse sagen. Wir sagen: Im Regelfall ist das Konzept der offenen Ganztagsschule ein besseres Konzept.

(Beifall bei FDP und SPD)

Ausdrücklich dazu gesagt sei, dass wir nachbessern müssen, was die Ausstattung angeht.

Bildungsdefizite und Defizite im erzieherischen Bereich entstehen unter den heutigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem auch deshalb, weil Kinder und Jugendliche in der Familie und in deren sozialem Umfeld oft nicht mehr in dem gleichen Maße wie früher Förderung und Unterstützung erhalten. Kontaktarmut von Einzelkindern, die Tendenz, sich eher mit elektronischen Medien zu befassen, als sich in gemeinschaftlichen Zusammenhängen zu bewegen, seien hier nur als Stichworte genannt. Auch als Alternative zur „Clique“ sind pädagogisch

(Dr. Ekkehard Klug)