Protocol of the Session on November 10, 2004

Am härtesten trifft es den Bund, der mit fast 6 Milliarden € weniger Einnahmen als geplant rechnen muss. Diese erneuten Einnahmeverluste der Bundesregierung erklären vielleicht auch den völlig perspektivlosen Vorschlag, den Tag der deutschen Einheit künftig auf einen Sonntag zu legen, um das Wirtschaftswachstum zu erhöhen. Dies hätte natürlich zu Steuermehreinnahmen gerade für den Bund geführt. Der Vorschlag ist richtigerweise vom Tisch. Aber es zeigt uns doch, welche Ausmaße die Finanzkrise der öffentlichen Hand bereits erreicht hat, wenn man zu solchen eher fragwürdigen Finanzierungsvorschlägen greift, um den Haushalt zusammenzubekommen.

Aus Sicht des SSW zeigen die Entwicklungen der Steuereinnahmen auch, dass die Steuersenkungspolitik ein Irrweg ist. Man hatte sich durch die massive Senkung der Einkommensteuer und der Unternehmensteuer der letzten Jahre erhofft, dass sie die Bundesrepublik auf den Wachstumspfad zurückführen würde. Aber diese Politik mit der Schrotflinte ist ins Leere gelaufen. Denn bisher ist das nicht eingetreten und auch das Inkrafttreten der letzten Stufe der Einkommensteuerreform zum 1. Januar 2005 wird kaum zu einer Belebung der Binnenkonjunktur führen.

Angesichts der großen Angst um den eigenen Arbeitsplatz und ungewisser Zukunftserwartungen wird sich die Nachfrage der Bürgerinnen und Bürger wohl auch 2005 nicht wesentlich erhöhen. Wer in dieser Situation weitere Steuersenkungen fordert, der gefährdet letztlich die Handlungsfähigkeit des Staates.

(Beifall beim SSW)

Ein positiver Effekt der Steuerschätzung ist dann auch die Folge einer Steuererhöhung. So können die Städte und Gemeinden im nächsten Jahr mit einem Plus von 1,1 Milliarden € rechnen. Dies liegt vor allem an der im Dezember 2003 beschlossenen Änderung der Gewerbesteuer und der Körperschaftsteuer. Nach drei Jahren Mindereinnahen können die Kommunen - auch in Schleswig-Holstein - zumindest ein bisschen Luft holen.

Die Mindereinnahmen der Länder hielten sich mit 0,8 Milliarden € sogar in Grenzen. Für SchleswigHolstein bedeuten die Ergebnisse der Steuerschätzung, dass wir 2004 mit einem Minus von 5,9 Millionen € Steuermindereinnahmen im Verhältnis zum Haushaltsansatz rechnen können. Damit brauchen wir für dieses Jahr keinen Nachtragshaushalt; darüber haben wir schon in der September-Sitzung miteinander diskutiert.

(Anke Spoorendonk)

Das ist im Vergleich zu 2002 und 2003, als wir gezwungen waren, jeweils einen Nachtragshaushalt mit einem Unterschuss in Millionenhöhe zu verabschieden, zwar ein großer Fortschritt. Das Problem ist aber 2005, da auch die neueste Steuerschätzung wieder mit weiteren Steuerausfällen rechnet. Danach fehlen uns 2005 circa 470 Millionen € Einnahmen, die im Landeshaushalt angesetzt waren. Das ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, eine dramatische Summe, die aus unserer Sicht nicht einfach so eingespart beziehungsweise gespart werden kann.

Denn die Sparmöglichkeiten des Landeshaushalts sind fast völlig ausgereizt. Das sieht realistischerweise der Spitzendkandidat der CDU, Peter Harry Carstensen, in einem Zeitungsinterview genauso. Zwar will er bis zu 200 Millionen € einsparen. Aber auch der CDU-Anwärter auf den Posten des Ministerpräsidenten sagt, dass nur bessere Rahmenbedingungen vonseiten des Bundes, die das wirtschaftliche Wachstum anstoßen und somit die Einnahmen für den Staat verbessern würden, Schleswig-Holstein wieder auf den richtigen Weg brächten.

(Beifall bei der CDU)

Dem stimmt der SSW ausdrücklich zu, obwohl wir bekanntlich ein völlig anderes Konzept unterstützen.

(Glocke des Präsidenten)

Darum, liebe Kolleginnen und Kollegen - ich komme zum Schluss -, werden wir uns mit der Steuerschätzung im Finanzausschuss zu befassen haben. Die Steuerdiskussion aber wird weiterhin geführt und da sollten wir vielleicht auch einmal Nägel mit Köpfen machen.

(Beifall bei SSW und SPD)

Ich erteile Herrn Minister Dr. Stegner das Wort und weise gleichzeitig darauf hin, dass damit nach § 58 unserer Geschäftsordnung eine neue Runde eröffnet ist.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bitte um Verständnis dafür, dass ich hinsichtlich einiger Punkte Richtigstellungen anbringen muss. Es ist auch schwierig, wenn wir zur Eigenheimzulage zehn Minuten und zur Haushaltssituation des Landes fünf Minuten reden sollen.

(Rainer Wiegard [CDU]: Das ist wohl wahr!)

- Herr Wiegard, der Halbjahresbericht ist vom Finanzministerium wie jedes Jahr abgegeben worden,

und zwar ohne Veränderung. So machen wir es jedes Jahr und so machen wir das auch dieses Jahr.

Zweitens. Der Jahresabschluss wird beweisen, dass wir mit dem, was wir hier sagen, Recht haben und dass sich Ihr Agrarexperte um 200 Millionen € verschätzt hat.

Drittens. Ich habe wie jedes Mal nach der Steuerschätzung dem Finanzausschuss einen schriftlichen Bericht zugeleitet und über den wird im Finanzausschuss diskutiert. Insofern war Ihr Antrag überflüssig.

Viertens. Sie haben hier behauptet, Herr Wiegard, der Haushalt 2004 sei verfassungswidrig.

(Rainer Wiegard [CDU]: Warten Sie erst einmal ab!)

Ich frage mich: Warum haben Sie eigentlich den Haushalt 2004 nicht beklagt, sondern den Nachtragshaushalt, obwohl Sie doch hoffen, an die Regierung zu kommen? - Das passt doch hinten und vorn nicht zusammen. Dann sagen Sie auch noch, das wirtschaftliche Gleichgewicht sei gestört, obwohl man völlig verwundert in der Klageschrift - teilweise wirkt sie wie eine Anklageschrift - lesen kann, dass das wirtschaftliche Gleichgewicht trotz 4,5 Millionen Arbeitslosen nicht nachhaltig gestört sei. Das passt wirklich nicht zusammen.

Wie Sie darauf kommen, die Haftkapitalvergütung bei der HSH Nordbank als „Vermögensverzehr“ zu bezeichnen, Herr Wiegard, bleibt wirklich Ihr Geheimnis. Aber das muss mit Ihrer Position zur HSH Nordbank zu tun haben. Denn Ihre Vorschläge greifen das auf, was die FDP gesagt hat, dass Sie nämlich die Anteile verkaufen möchten, obwohl das bis 2013 gar nicht geht. Und Ihr Hamburger Kollege Peiner sagt: Wenn Sie so verfahren würden, wären die Arbeitsplätze in Kiel weg und den Interessen des Landes wäre nachhaltig geschadet worden. - Das ist doch wirklich Kraut und Rüben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist nun wirklich falsch zu behaupten, wir hätten keine Vorschläge gemacht. Ich werde nicht müde und versuche es bei Ihnen immer wieder; ich habe in Teilen Pädagogik studiert und weiß daher, dass Wiederholen ein bewährtes pädagogisches Prinzip ist. Ich sage es daher noch einmal:

(Rainer Wiegard [CDU]: Hat leider nichts genutzt!)

Wir wollen einen Dreiklang fahren. Dieser besteht erstens aus Sparen und zweitens aus Konsolidieren, was Bürokratieabbau, Förderprogramme und Perso

(Minister Dr. Ralf Stegner)

nalkostenreduzierungen betrifft. Dagegen stimmen Sie auch hier im Landtag immer, obwohl Sie draußen etwas anderes sagen. Wir investieren in Bildung und Wissenschaft. Und drittens beteiligen wir uns mit eigenen Vorschlägen - obwohl wir ein kleines Land sind - nicht nur zur Steuerreform, sondern auch zum Subventionsabbau.

Ihre Vorschläge heißen: Wir verkaufen die HSH Nordbank, obwohl es gar nicht geht. Wir schaffen neue Stellen. Wir schaffen die Gebühren ab, um Atomkraftwerksbetreibern etwas Gutes zu tun. Das heißt, Sie rechnen immer wieder laut und deutlich vor: Zwei plus zwei ist fünf. - Es tut mir Leid, meine Grundrechenarten führen bei dieser Rechnung nur zum Ergebnis vier.

Zur Reclam-Ausgabe von Herrn Kubicki - um es deutlich zu sagen -: Lieber Herr Dr. Garg, das Mikrofon verstärkt die Lautstärke, aber nicht die Argumente. Ihre Vorschläge zur Haushaltskonsolidierung sind die, die die CDU inzwischen übernommen hat, nämlich die HSH Nordbank zu verkaufen, die Reiterstaffel einzuführen. Dann wollen Sie das Thema Kormorane noch ein bisschen vereinfachen. Mein Gott, was ist das für eine Haushaltspolitik! Das hat mit der Realität wirklich nichts zu tun.

(Beifall bei der SPD)

Ich hatte vorhin den Wunsch geäußert, eine Debatte zu führen, bei der Sie, statt die Regierung zu beschimpfen, konkrete Vorschläge vorlegen. Der Wunsch war vergeblich. Ich suche Trost - ich bin ja Mitglied einer sehr alten Partei - bei August Bebel, der gesagt hat: „Lobt dich der Gegner, dann ist das bedenklich. Schimpft er, dann bist du in der Regel auf dem richtigen Weg.“ - So wird das wohl sein.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Wiegard das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr angenehm, dass wir eine so lebhafte Debatte führen; das ist ja nicht bei jedem Tagesordnungspunkt so. Es zeigt, dass das Thema offensichtlich von größerem Interesse ist, als es der Bericht, den der Finanzminister gegeben hat, vermuten lässt. Denn er hat eigentlich nichts berichtet, sondern sich auf verschiedenen Feldern getummelt.

Ich will noch einmal - ich glaube, zum dritten Mal; das schadet nichts, vielleicht bleibt es irgendwann einmal haften -

(Helmut Plüschau [SPD]: Hängen!)

die von mir nach außen getragene Zahl von mehr als 200 Millionen € Steuermindereinnahmen des Landes Schleswig-Holstein aufgreifen.

Ich verweise auf den beschlossenen Haushalt vom Dezember. Da haben Sie an Steuereinnahmen 5,0255 Milliarden € eingeplant; bitte merken Sie sich diese Zahl. Dann haben Sie im Januar verkündet: Der Vermittlungsausschuss bringt uns weitere 118 Millionen € in den Haushalt. - Das sind zusammen 5,1435 Milliarden €. Das Schätzergebnis jetzt im November lautet: 4,894 Milliarden €. Das macht Steuermindereinnahmen im Haushalt gegenüber Ihren eigenen hier vorgelegten Planungen in Höhe von 259 Millionen € aus. Das ist die Zahl, die ich genannt habe.

(Zurufe des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

- Herr Neugebauer, Sie versuchen doch, der Öffentlichkeit weiszumachen, dass die Haushaltslücke im Jahr 2004 - das entnimmt man all Ihren Verkündungen - diese läppischen 5 Millionen € beträgt, nämlich die Differenz zwischen der letzten Steuerschätzung und dieser. Das ist eine Verkleisterung und Verschleierung der Haushaltswahrheit und damit werden wir uns nicht zufrieden geben.

(Beifall bei der CDU)

Herr Finanzminister, Sie hätten die Gelegenheit nutzen sollen, auf meinen Beitrag von vorhin noch einmal positiv einzugehen oder wenigstens zu erklären, warum Sie sich weigern, einen Bericht über den Stand des Haushaltsvollzugs und über die Konsequenzen, die die Landesregierung aus Haushaltsvollzug und Steuerschätzung zieht, vorzulegen. Warum verweigern Sie das hier? - Der einzige Grund kann nur darin bestehen, dass Sie die tatsächliche Finanzlage des Landes Schleswig-Holstein verschleiern wollen und dass Sie der Öffentlichkeit vor der Landtagswahl im Februar nicht darlegen wollen, in welchen Zustand Sie dieses Land manövriert haben. Daran werden wir Sie hindern.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gute in der jetzigen Situation ist ja, wenn wir solche Diskussionen führen, dass die Oppositionsparteien ihre Wahlprogramme vorgelegt haben. Das ist gut, da kann man nämlich sehen, was sie vorschlagen und was tatsächlich passiert. Dass wir eine schwierige Finanzsituation haben, bestreitet niemand. Das wissen wir alle. Die Frage ist doch: Was schlagen wir vor, was schlagen Sie vor, wie verhalten wir uns in der Praxis? - Über den Wunschkatalog der CDU hat meine Kollegin Heinold schon öfter einiges gesagt. Interessant ist für mich, einmal die FDP vorzunehmen, weil die der CDU vorgeworfen hatte, sie sei völlig verschwenderisch in ihrem Programm. Herr Garg hat das erzählt. „Wer soll das alles bezahlen?“ hat er gefragt, als die CDU ihr Programm vorgestellt hat. Nach dem Wahlsieg werde die FDP vieles zurückrücken.

Schauen wir uns an, was die FDP vorhat. Die FDP hat folgende Mehrausgaben in ihrem Programm: mehr Finanzbeamte in der Betriebsprüfung, mehr Personal für die Kindertagesstätten, Einführung der Vorschule, mehr Geld für die Schule - 1.000 neue Stellen -, Sonderzulagen für Berufsschullehrer, mehr Geld für Hochschulen, für verschiedene Fonds, Ausstattungen, Investitionen und Personal, viel mehr Geld für Investitionen besonders im Straßenbau, Schienenwegebau, Kanalausbau und Häfen. Dafür sollen zusätzliche Mittel in den Landeshaushalt eingestellt werden. Mehr Geld für die Kommunen für die touristische Infrastruktur, für die Übernahme zusätzlicher Umweltaufgaben, mehr Geld für die Polizei, zum Beispiel für Beförderungen, mehr Stellen, Ausstattung von Polizeibüros und eine neue Reiterstaffel, mehr Geld für die Landwirtschaft. Insbesondere soll ein Ökosteuerausgleich finanziert werden sowie zusätzlich eine Gründlandprämie. Die umfangreichen Forderungen im Sozialbereich will ich jetzt nicht im Einzelnen aufführen. Das hat allein sechs Seiten. Mehr psychiatrisches Fachpersonal in den Sozialstationen, mehr Geld für die Feuerwehr, mehr Geld für die Justiz, insbesondere die Ausstattung der Gerichte und den Justizvollzug, flächendeckender Bau von kleinen dezentralen Einrichtungen in ganz SchleswigHolstein, Ausbau der Drogen- und Schuldnerberatung, Förderprogramm Opferschutz, Förderprogramm Therapie von Gewalttätern, stärkere Förderung von Kulturinitiativen, von Musikschulen, von Chören und so weiter sowie von Baudenkmälern. Das alles versprechen Sie in Ihrem Programm in der jetzigen Finanzsituation.

Schauen wir, was Sie in Niedersachsen gemacht haben. Dort sind Sie ja beteiligt. Dort haben Sie 1.000 Lehrer eingespart, die Schulbuchfreiheit abgeschafft, das Blindengeld abgeschafft. In Hamburg haben Sie Demonstrationen vor den Kindertagesstätten, vor den Hochschulen, von der Polizei und von den Schulen vor dem Rathaus. Das ist die reale Situation dessen, was Sie machen und was Sie alles versprechen. Ihr ganzes Programm ist ein reiner Wunschkatalog ohne irgendeine konkrete Einsparmaßnahme.