Protocol of the Session on September 22, 2004

Das Gleiche gilt für das Abitur nach zwölf Jahren. Wir sind zusammen mit Brandenburg das einzige Land, in dem das Abitur nach zwölf Jahren nicht umgesetzt worden ist. Dies ist ein weiteres Zeichen dafür, dass Ihre Schulpolitik, Frau Erdsiek-Rave, von Halbherzigkeiten, von nicht zu Ende gebrachten Projekten gekennzeichnet ist, die dazu führen, dass Schleswig-Holstein im Ländervergleich da steht, wo wir stehen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Eines Ihrer Probleme, Frau Erdsiek-Rave, meine Damen und Herren von den Regierungsfraktionen, besteht darin, dass Sie nach PISA die falschen Akzente gesetzt haben. Sie haben nach PISA - Herr Hay hat es dargelegt - vor allem auf mehr Betreuung gesetzt. Sie haben nicht auf mehr Bildung gesetzt. Das ist der Unterschied zwischen dem, was Sie gemacht haben, und dem, wofür wir stehen. Sie haben durch zusätzliche Betreuungszeiten, zu denen auch Lehrerstellen gehören, die Verlässliche Grundschule einführen wollen. Wir wollen aber die Verlässliche Halbtagsgrundschule durch mehr Unterricht verwirklichen, indem wir für die Grundschule eine Unterrichtsgarantie geben.

(Beifall bei CDU und FDP)

Damit erfüllen wir eine wesentliche Forderung von PISA. PISA hat gesagt: Stärkt die Grundschulen, und zwar mit mehr Zeit für Bildung, durch mehr Unterricht! Diesen zusätzlichen Unterricht wollen wir für die Grundschulen durch unsere Unterrichtsgarantie verwirklichen. Wir wollen aber nicht nur eine Unterrichtsgarantie geben, sondern auch eine Qualitätsgarantie, indem wir Englisch in die Grundschule durch zwei zusätzliche Wochenstunden einführen wollen. Es soll ordentliches Unterrichtsfach werden. Der Input, den wir dadurch geben, lautet ganz einfach: Bereitstellung von 650 zusätzlichen Planstellen!

Ich komme zum Schluss. Zum OECD-Bericht möchte ich etwas Nachdenkliches sagen. Wir dürfen nicht dauerhaft den Eindruck erwecken, dass wir einen Masterplan einer internationalen Organisation abarbeiten. Wofür wir hier in Schleswig-Holstein stehen, ist, dass wir Schulpolitik machen, indem wir uns schützend vor die Schulen stellen. Deswegen bekennen wir uns zum gegliederten Schulwesen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aktuell ist das Thema OECD-Bildungsbericht zweifellos. Aber die Regeln einer Aktuellen Stunde lassen natürlich nicht viel mehr zu als ein Schnellgericht, nämlich die bildungspolitische Fünf-Minuten-Terrine, die Anke Spoorendonk hier angerührt hat.

Weder der aktuelle OECD-Bericht noch die PISAStudie liefern empirische Belege für die von SPD, Grünen und SSW behauptete angebliche Überlegenheit eines Einheitsschulsystems. Dänemark hat bei PISA 2000 - das müsste Anke Spoorendonk eigentlich mit am besten wissen - mit einem solchen Schulsystem kaum besser und in einigen Bereichen, etwa bei den Naturwissenschaften, sogar noch schlechter abgeschnitten als Deutschland. In der nördlich unserer Grenze geführten PISA-Debatte hat seinerzeit die dänische Unterrichtsministerin Ulla Tørnæs darauf hingewiesen - nachzulesen übrigens im „Nordschleswiger“ -,

„dass in Dänemark das soziale Erbe, also die gesellschaftliche Stellung und das Bildungsniveau des Elternhauses, größten Einfluss auf den Schulerfolg der Kinder hat.“

Ein weiteres Zitat:

„Es sind Probleme, die nicht allein von den Schulen gelöst werden können, so die Ministerin. Die gesamte Sozialpolitik spiele dabei eine Rolle. Ulla Tørnæs nennt es besonders beunruhigend, dass jeder fünfte Schüler, der die Volksschule verlässt - Folkeskole -, nur unzureichend lesen kann. Daran sei vor allem das soziale Umfeld dieser Jugendlichen schuld. Sie möchte verstärkt differenzierten Unterricht anbieten, um den schwachen Schülern unter die Arme zu greifen.“

(Beifall bei FDP und CDU)

Ich verweise auf das dicke blaue Buch, das Herr Baumert herausgegeben hat: „PISA 2000“. Danach zeigt zum Beispiel Österreich, dass man mit einem gegliederten Schulwesen, auch gerade was die Förderung der Kinder aus Familien mit geringem Einkommen angeht, genauso gute Ergebnisse erreicht wie etwa Norwegen und deutlich bessere Ergebnisse als Dänemark. Das ist der empirische Befund der PISAStudie, nachlesbar in den Veröffentlichungen dazu.

Über das Fiasko der Luxemburger kann man natürlich auch noch etwas sagen. Da gibt es die Vorschulpflicht mit vier Jahren und eine sechsjährige Grundschule. Im Sekundarbereich findet weitgehend eine Integration zu dem hochgelobten gemeinsamen Un

(Dr. Ekkehard Klug)

terricht statt. Die OECD hat gerade festgestellt: Die Bildungsausgaben im Primarbereich sind so hoch wie nirgendwo sonst. Trotzdem hat Luxemburg nach der PISA-Studie den drittletzten Platz vor Mexiko und Brasilien.

Wenn man sich die Situation etwas genauer ansieht, dann findet man für Ihre These der angeblichen Überlegenheit eines Einheitsschulsystems überhaupt keine Berechtigung.

(Beifall bei FDP und CDU)

Zu dem, was Sie als großes Heilsversprechen für die Zukunft verkünden - Sie wollen ja auf dieses neue Schulsystem bauen -, kann ich nur sagen: Sie stellen einen ungedeckten Scheck auf die Zukunft aus und unterschätzen mit dieser Art von Bildungspolitik tatsächlich, meine Damen und Herren von SPD, Grünen und SSW, die Intelligenz der Bürger unseres Landes. Die können nämlich sehr genau beurteilen, was hier passiert ist.

Wer hat denn in Schleswig-Holstein in den 90erJahren die Vorklassen an den Grundschulen abgeschafft, die heute eine hervorragende Infrastruktur für ein Vorschulangebot wären? - Das waren Sie! Sie haben die abgeschafft.

(Lachen bei der SPD)

- Ja, Sie haben die Vorklassen abgeschafft. Die sind in den 90er-Jahren ausgelaufen.

Wer hat es denn noch vor wenigen Monaten abgelehnt, ein Hochschulstudium für Elementarpädagogen, für Erzieher einzuführen? Das war doch die SPD-Fraktion! Wer hat denn unsere Haushaltsanträge abgelehnt, die Landesförderung für Kitas zu erhöhen? Die Haushaltsanträge, die wir Ende letzten Jahres eingereicht haben, sind doch von Ihnen abgelehnt worden!

(Beifall bei FDP und CDU)

Wer ist denn dafür verantwortlich, dass gerade die schwächsten Schüler in unserem gegliederten Schulwesen die absolut niedrigste Förderung erhalten? In den Bemerkungen des Berichts des Landesrechnungshofs 2003 heißt es: Fast jede fünfte Unterrichtsstunde, die gemäß den Stundentafeln für Hauptschulen eigentlich erteilt werden sollte, kann nicht erteilt werden. Die effektive Unterrichtsversorgung beträgt rund 81 %.

Von den 200 zusätzlichen Stellen, die der Landeshaushalt in diesem Jahr für die Schulen zur Verfügung stellt, kommt nicht eine einzige bei den Hauptschulen an, obwohl an diesen Schulen die Schülerzahlen auch in diesem Schuljahr höher liegen als im Vor

jahr. Das ist eine konsequente Fortsetzung der Linie, die von Ihnen schon seit mehreren Jahren betrieben worden ist. Auch im Jahr davor haben Sie die Unterrichtsversorgung im Hauptschulbereich weiter verschlechtert. Rot-Grün behandelt gerade die Hauptschüler am schäbigsten von allen Schülergruppen. Das entlarvt die Wahrheit hinter Ihrer Aussage, Sie wollten für die sozial Schwächeren und Benachteiligten auch im Bildungswesen etwas tun. Ihre Aussage ist wirklich pure Heuchelei!

(Lebhafter Beifall bei FDP und CDU)

Ich erteile Herrn Abgeordneten Hentschel das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Analysen von PISA, IGLU, TIMSS, OECD und so weiter werden von Mal zu Mal eindeutiger. Unser Bildungssystem ist leistungsschwach, elitär und teuer. Wir schließen ein Drittel der Bevölkerung vom intellektuellen Dialog aus, indem wir es auf Haupt- und Förderschulen isolieren. Ergebnis: 15 % haben nach der Schule nicht die nötigen sozialen und geistigen Kompetenzen, um eine Lehre im Handwerk beginnen zu können.

Was machen erfolgreiche Länder anders? Die wichtigste Lehre formulierte Reinhard Karl so:

„Niemals darf eine Schülerin oder ein Schüler beschämt werden.!

Dies gilt trotz extremer Unterschiede der Systeme in Ostasien genauso wie in Skandinavien und Neuseeland, aber eben nicht in Deutschland. Die deutschen Bildungspolitiker haben aus der Bildung von homogenen Lerngruppen einen Fetisch gemacht. Die Instrumente dafür sind Zurückstellung bei der Einschulung, Sitzenbleiben, Auslese nach der vierten Klasse nach Schularten, Querversetzen, Einteilung in G-, A- und E-Kurse in der Gesamtschule. Auf diese Weise soll die Homogenität der Klassen immer wieder neu hergestellt werden. Ein gleich intelligenter Zehnjähriger, dessen Eltern Akademiker sind, hat in Deutschland eine viermal so große Chance, aufs Gymnasium zu kommen, wie der Sohn eines Facharbeiters mit der gleichen Kompetenz. Weltweit können wir sehen, dass gute und schwache Schüler sich gegenseitig motivieren können, dass Unterricht in gemischten Klassen viel eher in der Lage ist, auf die individuellen Fähigkeiten der Schüler einzugehen, dass Schüler von Anfang an lernen, selbstständig zu arbeiten, während Lehrer zu Tutoren werden.

(Karl-Martin Hentschel)

Bei uns in Deutschland gilt genau das, was überall in der Welt erfolgreich ist, als Gleichmacherei.

Man kann Statistiken hier hin und her zitieren. Aber Tatsache ist, dass die Länder, die bei PISA am besten abgeschnitten haben, alle ein Schulsystem haben, in dem die Kinder neun Jahre lang gemeinsam unterrichtet werden.

(Zuruf von der CDU: In Österreich nicht!)

- Österreich ist nicht unter den ersten zehn Ländern. Aber Österreich hat ein zweigliedriges Schulsystem, wo 60 % der Schüler zusammen in einer Schule sind, und hat keine Hauptschule, in der man das untere Drittel isoliert. Das ist der große Unterschied zwischen Österreich und Deutschland.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe auch sehr gut in Erinnerung, was der Leiter der finnischen Schulbehörde mir sagte, als ich ihn fragte, warum Finnland das dreigliedrige Schulsystem abgeschafft hat. Das war sehr interessant. Er hat nämlich gesagt: „Das dreiteilige Schulsystem war für uns zu teuer. Wir sind ein armes Land.“

Wir haben nachgerechnet, was das bedeutet, wenn wir tatsächlich das finnische System einführen würden. Wir würden allein durch das Einsparen des Sitzenbleibens, durch das Zusammenführen der vier Schularten, durch die Änderung der Oberstufe und durch die Verkürzung der Schulzeit insgesamt 20 % der Lehrer freisetzen für zusätzliche Förderungen, für die Einstellung von Schulassistenten in den Grundschulen wie in Finnland, für die Freistellung des letzten Kindergartenjahres, das wir kostenlos machen könnten. Alle diese Ressourcen würden wir mobilisieren, wenn wir ein vernünftiges, rationales Schulsystem einführen würden. Das ist doch eine Riesenchance.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir reflektieren durchaus, dass die süddeutschen Länder besser abgeschnitten haben. Ich glaube, es gibt auch Gründe dafür, weil zum Beispiel die Evolution dort besser ist, die Hauptschulen in Bayern noch einen stärkeren Charakter als Gesamtschulen haben, weil ein größerer Anteil der Schüler dort hingeht.

(Lachen bei der CDU)

Wir müssen genau analysieren, was tatsächlich stattfindet. Wir müssen das alles analysieren.

Die internationalen Ergebnisse einfach zu ignorieren, wie es hier vonseiten der Opposition geschieht, als wäre nichts passiert, als hätten wir nichts gemacht, ist unglaublich; dass die internationalen Experten nicht

einmal mehr die Ergebnisse vorstellen dürfen, weil die Kultusministerkonferenz sie nicht wahrhaben will - das bedeutet „Augen zu und durch“ -, das ist ein Verbrechen an den Kindern in Deutschland.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, SPD und SSW)

Wir brauchen nicht nur eine Systemdiskussion, wir brauchen vieles mehr: frühkindliche Förderung, Deutschausbildung im Kindergarten, Einstellung von Schulassistentinnen und -assistenten, die Einführung von Oberstufenzentren, die ganztägige Öffnung von Schulen, die Weiterentwicklung der Autonomie der Schulen als ganz zentrales Element, damit die Schulen sich selbst verbessern. All das gehört zu einer Besserung dazu, all das hat die Ministerin angefangen. In diesen Punkten ist Schleswig-Holstein in den letzten drei Jahren vorangegangen.