Protocol of the Session on August 26, 2004

Das zeugt nämlich, offen gestanden, von grober Unkenntnis darüber, wie in Zukunft die pflegebedingten Kosten finanziert werden sollen.

Wenn Sie sagen, FDP und CDU wollten die solidarische Pflegeversicherung abschaffen, dann steht dahinter, dass wir die umlagefinanzierte, aber nicht mehr finanzierbare Pflegeversicherung in der Tat zugunsten einer kapitalgedeckten Pflegeversicherung abschaffen wollen, damit das, was Sie hier alles vorgetragen haben, was in Zukunft passieren soll und muss, tatsächlich finanziert werden kann.

(Beifall bei FDP und CDU)

Sie wissen selber - wir werden uns ja vermutlich am Freitag darüber streiten -, dass die umlagefinanzierte, am Erwerbseinkommen festgemachte Pflegeversicherung, wie sie heute besteht, überhaupt nicht in der Lage ist, die zukünftigen Pflegefälle, die wir aufgrund des demografischen Wandels bekommen, angemessen und ordentlich zu versorgen, geschweige denn das, was Sie hier alles vorgetragen haben, zu gewährleisten.

Wenn Sie das, was Sie heute gesagt haben, ernst meinen und fortführen wollen, dann wissen Sie genauso gut wie ich, dass wir dafür eine andere Finanzierungsform brauchen. Um diese streiten wir uns. Von mir aus streiten wir uns auch mit dem SSW in der Frage: Wie viel Steuerfinanzierung ist notwendig? Dass es so nicht mehr weitergeht wie bisher, müssten Sie fairerweise eigentlich zugeben.

(Beifall bei FDP und CDU)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Beratung.

Ich bin dahin informiert worden, dass das Haus übereingekommen ist, dass die Beschlussfassung morgen Vormittag erfolgen soll. - Ich stelle fest, dass wir einvernehmlich so verfahren können.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:

Beauftragte(r) für demokratische Entwicklung und Minderheitenangelegenheiten im Ostseeraum Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Abgeordneten des SSW Drucksache 15/3598

Wird das Wort zur Begründung dieses interfraktionellen Antrages gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Ich darf die Aussprache eröffnen und zunächst für die Fraktion der SPD Herrn Kollegen Rolf Fischer das Wort erteilen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn gleich drei Gründe für diesen Antrag nennen. Wenn sich ein Bürger in einem Staat an der Ostsee sorgt, weil Gesetz und Wirklichkeit zu sehr auseinander fallen, und einen unabhängigen Ansprechpartner sucht, wenn Nichtregierungsorganisationen in ihren Ländern nicht die Möglichkeit bekommen, politisch mitzuarbeiten, oder wenn die Staaten selbst neue Wege der Kooperation suchen, dann ist es Aufgabe der Politik, sich um diese Probleme zu kümmern, Vorschläge zu entwickeln und Lösungen zu finden.

Der vorliegende Prüfauftrag - es ist nichts anderes als ein solcher - an die Ostseeparlamentarierkonferenz ist ein solcher Vorschlag, der zudem an einem konkreten Punkt ansetzt. Mit der Erweiterung der EU ist es auch im Ostseeraum zu einem qualitativen Sprung gekommen, der uns vor neue Herausforderungen stellt, aber eben auch Chancen enthält. Aus Partnern sind Mitglieder geworden, die ein zentrales Interesse verbindet. Wir wollen die Ostseeregion zu einer Region der Demokratie und Stabilität ausbauen.

Damit dieses Ziel erreicht werden kann, bedarf es in allen Ländern neuer Anstrengungen, die Zivil- oder Bürgergesellschaft demokratisch weiterzuentwickeln. Das ist leicht gesagt, aber schwer getan. Die traditionellen Demokratien müssen sich darauf einstellen, dass sie ihre Gesellschaften reformieren müssen. Die neuen Staaten müssen damit leben, dass sie demokratische Strukturen nicht nur aufbauen, sondern sie auch fest verankern und in den Köpfen sicher machen. Diesen Prozess anzustoßen, ihn zu moderieren und zu lenken ist die ureigenste Aufgabe der Parlamente.

Deshalb richtet sich dieser Antrag an die Parlamentarier im Ostseeraum. Er ist getragen von dem Wunsch, dass sein Inhalt zur Stärkung der Parlamente beiträgt. Wir haben zudem mit der Funktion des oder der Beauftragten bewusst an eine Tradition angeknüpft, die von den nordischen Mitgliedern akzeptiert wird. Die Arbeit von Ombudsmännern ist fester Bestandteil der Politik in vielen nordischen Staaten. Sie ist anerkannt und durchaus einflussreich.

Zum heutigen Zeitpunkt erscheint es deshalb nur folgerichtig, nicht auf eine neue bürokratische Ebene

(Rolf Fischer)

oder auf einen Ausschuss zu setzen, sondern eine Person mit diesem Amt zu beauftragen. Sie soll in der Parlamentarierkonferenz berichten und kann Motor für die zivilgesellschaftliche Entwicklung und Ansprechpartner für die Menschen sein.

Die Arbeit von Frau Helle Degn als ehemaliger Beauftragter des Ostseerates für Demokratieentwicklung belegt diese Notwendigkeit eindrucksvoll. Ich erinnere noch einmal an ihre Rede in diesem Haus anlässlich der Kieler Woche. Diese Rede im Rahmen des Gesprächs zur Kieler Woche hat sehr eindrucksvoll deutlich gemacht, welche Aufgaben auch auf uns als Parlamente im Ostseeraum zukommen.

Eines möchte ich deutlich sagen - und das steht hinter unserer Forderung einer Demokratiebeauftragten -: Gerade in den jungen Demokratien der neuen Mitgliedsländer müssen wir ganz deutlich fordern, dass die Feinde der Demokratie keine Chance haben dürfen. Der Beauftragte soll sich dieser Aufgabe widmen.

(Beifall bei der SPD)

Es ist an der Zeit, dass sich die Parlamente dieser Frage annehmen. Wir sollten uns selbstbewusst auf die gleiche Augenhöhe mit den Regierungen begeben. Der Antrag ist eine Chance dazu.

Ich erinnere daran: Auf allen Ostseeparlamentarierkonferenzen haben die Aspekte der Demokratieentwicklung und der Minderheitenpolitik indirekt oder direkt eine Rolle gespielt. Mit diesem Prüfauftrag besteht die Chance auf eine konkrete Umsetzung. Diese Chance sollten wir nicht vorbeiziehen lassen, sondern sie ergreifen.

Ich darf dies mit einem weiteren Gedanken belegen. Ein Demokratieombudsmann wäre auch ein Ansprechpartner für Brüssel. Denn die Fragen der Demokratieentwicklung und der Minderheitenpolitik ist eine europäische Frage von besonderer Bedeutung. Für die Stärkung der europäischen Identität ist es von größter Wichtigkeit, dass sich die Menschen mit ihrem Europa identifizieren. Dazu gehört, dass sie sich ohne Ängste für ihre Volksgruppe, für ihre nationale Minderheit entscheiden können. Die Schaffung eines solchen Ansprechpartners wäre also auch ein europäisches Signal für eine offensive Minderheitenpolitik. Ich sage ganz offen: Es gefällt mir, wenn diese Initiative von Schleswig-Holstein ausgeht und dann von der Ostseeregion unterstützt wird.

(Beifall bei der SPD)

Ich betone den Brüssel-Bezug deshalb besonders, weil eines der Beitrittskriterien für die neuen EUMitglieder die Ansätze für eine demokratische Min

derheitenpolitik war. Mit dem Beitritt ist dieser Anspruch nicht erledigt. In manchen Ländern steht die Minderheitenpolitik vielmehr erst am Anfang. Deshalb ist es nur konsequent, wenn sich ein Beauftragter um diese Fragen kümmert.

Da die Fragen der Minderheitenpolitik immer auch die jeweiligen Mehrheiten berühren, ist ein parlamentarischer Ansprechpartner genau richtig. Welche Status der Beauftragte erhält, ob er zum Beispiel ehrenamtlich wirkt oder einer Institution angegliedert wird, ist noch offen und für uns heute bei unserer Entscheidung nicht wirklich wichtig.

Wichtig ist das Signal. Wichtig ist, dass es von Schleswig-Holstein ausgeht. Wichtig ist, dass wir auch in Zukunft im Ostseeraum den Mut haben, mehr Demokratie zu wagen.

(Beifall bei der SPD)

Für die Fraktion der CDU darf ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Manfred Ritzek das Wort erteilen.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Kollege Rolf Fischer hat schon sehr viele gute Argumente gebracht. Ich möchte aber noch einige kurze ergänzende Bemerkungen dazu machen.

Wir möchten die Ostseeregion stärken. Wir möchten sie zu einem Modell in Europa entwickeln, und zwar nicht nur im wirtschaftlichen und ökologischen, sondern auch im politischen und kulturellen Bereich. In den politischen und kulturellen Bereich passt unser Antrag an die Ostseeparlamentarierkonferenz zur Prüfung der Einsetzung einer oder eines Beauftragten für die Entwicklung demokratischer Prinzipien und für Minderheitenfragen.

Wir haben eine europäische Verfassung. Wenn wir uns da nur an das Wort hielten, brauchten wir keinen Beauftragten. In der Verfassung steht alles drin. Da steht, dass die Europäische Union auf den Prinzipien der Demokratie aufgebaut ist und Minderheiten nicht diskriminiert werden dürfen. Aber ich bin der Meinung, das geschriebene Wort muss durch Taten ergänzt werden. Dafür steht unser Antrag.

Die Entwicklung demokratischer Prozesse, die Einrichtung entsprechender Institutionen, das Einüben, das Korrigieren, die Fortentwicklung und Vertiefung des Denkens und Handelns sind demokratische Abläufe und Notwendigkeiten. Der Aufbau von Bürgergesellschaften bedarf der Zusammenarbeit vieler.

(Manfred Ritzek)

Dafür ist die Ostseeparlamentarierkonferenz eine unschätzbare Institution. Offenheit und Verständnis füreinander, persönliches Kennen und gemeinsames Planen für eine konstruktive Zusammenarbeit im Prozess Demokratie.

(Beifall des Abgeordneten Rolf Fischer [SPD])

Auch für die Mitgestaltung der Minderheitenpolitik im Ostseeraum bietet die Ostseeparlamentarierkonferenz eine hervorragende Plattform. SchleswigHolstein ist ein Land mit drei von vier anerkannten Minderheiten - kein anderes deutsches Bundesland hat vier Minderheiten -: die dänische Minderheit, die Friesen in Deutschland und die deutschen Sinti und Roma.

Durch die Einbeziehung der Minderheitenpolitik in unsere Landesverfassung haben wir eine herausragende Stellung nicht nur in der Definition der Minderheitenpolitik, sondern auch in der Umsetzung. Wir sind vertraut mit der Situation lokaler, nationaler und teilweise auch europäischer Situationen von Minderheiten.

Wenn unsere Grenzregion zu Dänemark als Vorbildregion bezeichnet wird, dann sollten wir auch den Mut haben, unser Wissen und unser Verhalten zu den Minderheiten in einem Antrag für die Ostseeparlamentarierkonferenz zur Prüfung der Einsetzung eines Beauftragten zu formulieren - mit aller Zurückhaltung, wie im Antrag definiert.

Unsere neuen EU-Partner im Ostseeraum, insbesondere die drei baltischen Staaten, haben mit ihren Unabhängigkeiten erhebliche Umbrüche erlebt. Mehrheiten wurden zu Minderheiten. Das kann hinsichtlich des Erhalts der eigenen Identität und Kultur bei jeder nationalen Integrationspolitik zu Schwierigkeiten führen.

Die Ostseeparlamentarierkonferenz - ich erwähnte es bereits - ist ein herausragendes Gremium, eine Beauftragte oder einen Beauftragten für die demokratische Entwicklung und für Minderheitenangelegenheiten zu definieren. Wir sollten jedoch darauf bedacht sein, keinen neuen, kostenaufwendigen Apparat ins Leben zu rufen. Darüber hinaus könnte diese Aufgabe von jedem Land der Ostseeregion übernommen werden.

In der heutigen Zeit der zunehmenden Internationalisierung wird es immer notwendiger, Bedingungen zu fördern, die es den nationalen Minderheiten ermöglichen, ihre Kultur zu pflegen und weiterzuentwickeln und die wesentlichen Bestandteile ihrer Identität wie Religion, Sprache, Tradition und kulturelles Erbe zu bewahren. Dafür gilt auch dieser Beauftragte.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sehr gut!)

Die Benennung eines Beauftragten innerhalb der Ostseeparlamentarierkonferenz bedeutet auch eine Stärkung und Weiterentwicklung der Ostseeparlamentarierkonferenz selbst, wenn diese Aufgaben gemeinsam in dieses Gremium getragen werden. Deshalb bitten wir um Zustimmung zu unserem gemeinsamen Antrag.

(Beifall)

Das Wort für die Fraktion der FDP erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Joachim Behm.

(Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die FDP streitet jetzt für einen Beauftragten!)

Meine Damen! Meine Herren! Herr Präsident! Mit dem 1. Mai dieses Jahres sind zehn weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union beigetreten. Von diesem Beitritt profitieren auch die nationalen Minderheiten im Ostseeraum. Nach der Vertreibung und Zwangsumsiedelung im Gefolge des Zweiten Weltkrieges waren einige dieser Volksgruppen über Jahrzehnte stalinistischen Repressalien und starkem Anpassungsdruck ausgesetzt.