Diesen Weg sollten wir gehen. Nicht die Kinder sollten weite Wege haben, sondern wir sollten uns kreative Wege überlegen, um tatsächlich Bürokratie abzubauen und Ressourcen zu bündeln, ohne dass die kleinen Dorfschulen vor Ort eingehen müssen.
Ganz anders sieht es allerdings im Sekundarbereich I aus. Hier besteht der größte Umschichtungsbedarf. Wir müssen darüber nachdenken, ob wir nicht wenigstens durch Schulkooperation in der Schulentwicklungsplanung den Weg für mehr Ressourcenbündelung und insbesondere für mehr Chancengerechtigkeit der Schülerinnen und Schüler ebnen, das heißt, wenn nach der vierten Klasse deutlich wird, wo die Stärken und Schwächen eines Kindes liegen, dass ohne große Abschulung und Umschulung den Begabungen Rechnung getragen wird.
Wir haben bisher immer nur das Durchreichen „nach unten“. Ich erhoffe mir durch mehr Schulartkooperation, dass wir auch eine Förderung der Kinder ihren Begabungen gemäß „nach oben“ haben, dass das gelingt, was die Gesamtschulen längst vorweisen können, dass auch Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulempfehlung ihr Abitur machen.
Das Wort für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich seiner Sprecherin, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der jährliche Bericht zur Unterrichtsversorgung gehört zu den festen Ritualen dieses Hauses. Dieses Ritual - das haben wir gerade gehört - feiert mittlerweile seinen 25-jährigen Geburtstag. Das ist alles einmal so vom Landtag beschlossen worden.
Ich will nicht verhehlen, dass ich mich nicht mit allen Statistiken gleich intensiv beschäftigt habe. Denn wesentlich sind aus meiner Sicht die Teile des Berichts, die es uns ermöglichen, sich mit der künftigen Entwicklung unseres Schulwesens zu befassen. Auf einige Punkte werde ich daher ein bisschen stichwortartig eingehen.
Es ist erfreulich, dass die Unterrichtsversorgung durch die Bereitstellung von 200 zusätzlichen Stellen verbessert worden ist und dass bei steigenden Schülerzahlen die Relation Unterrichtsstunden pro Schüler in nahezu allen allgemein bildenden Schularten im Vergleich zum Vorjahr gehalten beziehungs
weise leicht angehoben werden konnte. Genau diese Entwicklung haben wir vor der Sommerpause begrüßt, als wir das Konzept „Jede Stunde zählt“ im Landtag debattiert haben.
Jetzt einige Aussagen des Berichts, die aus Sicht des SSW darauf hinweisen, worauf es - ich habe leider auch das Bild der Baustelle benutzt, liebe Frau Kollegin Eisenberg; aber die Schule ist so und so eine Baustelle - auf der „Baustelle Schule“ in den kommenden Jahren ankommen wird. Damit meine ich nicht, dass so sehr interessant ist, wie mit den steigenden beziehungsweise sinkenden Schülerzahlen umgegangen wird. Viel wichtiger ist, sich die Frage zu stellen, wie die Entwicklung der einzelnen Schularten aussieht. Es ist anscheinend so, dass sich das Gymnasium immer mehr zu einer Schule für Mädchen und die Hauptschule zu einer Schule für Jungen entwickelt. An Gesamtschulen entsprechen die Quoten einander, geht aus dem Bericht hervor. Soll heißen, dass die Quoten für die Übergänge auf die verschiedenen Schularten nach Geschlecht mit der Gesamtquote für die jeweilige Schulart übereinstimmen. Das gilt für die Gesamtschulen, nicht für die anderen Schularten.
Wir kommen außerdem nicht umhin, uns damit auseinander zu setzen, ob die Maßnahmen, die zur Verbesserung der Unterrichtsqualität ergriffen worden sind oder die in Planung sind, auch wirklich dazu beitragen, das „geschlechtsbezogene Erbe“ zu durchbrechen.
Um das „soziale Erbe“ von Kindern zu durchbrechen, kommen wir nicht umhin, uns auch mit den Strukturen unseres Schulwesens zu befassen. Die Statistiken des Berichts belegen, dass sich die Kluft zwischen den Lehrerempfehlungen nach der 4. Klasse und den tatsächlichen Anmeldungen an den weiterführenden Schulen weiter vergrößert. 31,5 % der Schüler bekamen eine Empfehlung für die Hauptschule, aber tatsächlich angemeldet wurden dort nur 19,8 %.
Das ist eine Kluft von 11,7 %. Bei den Realschulempfehlungen beträgt die Differenz zu den Anmeldungen weniger, nämlich nur 3,1 %. Für das Gymnasium bekamen hingegen nur 26,8 % eine Empfehlung, hier wurden aber 33,6 % angemeldet. Der Trend, sein Kind in einer Gesamtschule anzumelden, ist ungebrochen.
Hinter diesen Zahlen versteckt sich die gesellschaftliche Wirklichkeit, dass sich Eltern für ihre Kinder etwas anderes wünschen als die Hauptschule. Die Folgen sind bekannt: Viele Kinder können den Anforderungen nicht gerecht werden und nach der Ori
entierungsstufe, das heißt nach der 6. Klasse, beschließt dann die Schule, dass sie querversetzt werden - an die Real- beziehungsweise an die Hauptschule. Dass diese Querversetzungen nicht dazu geeignet sind, das Selbstbewusstsein von Kindern zu stärken, brauche ich hier wohl nicht näher zu erläutern. Sie sind auch nicht dazu geeignet, die soziale Integration zu fördern.
Unbeantwortet ist aus der Sicht des SSW auch die Frage, was mit einer Abschlussprüfung für Hauptschüler bezweckt wird. Daher sage ich: Wenn sonst nichts passiert, dann wird so eine Abschlussprüfung ganz leicht zu einem weiteren Instrument, mit dem man Kinder sortiert. Wir vom SSW sagen also, dass dies ist zu kurz gesprungen ist. Wir brauchen stattdessen gemeinsames Lernen, am liebsten bis zum Ende der Sekundarstufe I.
Wir müssen aber schon jetzt einen Anfang machen. Der lautet aus unserer Sicht bekanntlich: die Einführung der sechsjährigen Grundschule auf regionaler Ebene, dort, wo sie gewünscht ist. Wir sind uns ist sehr wohl bewusst, dass dies nur ein ganz kleiner Schritt in Richtung „ungeteilte Schule“ ist. Wir wollen aber nicht nur reden, sondern auch versuchen, die Realität zu verändern.
Interessant ist hier, dass sich die ungeteilte Schule in den Augen des Landesrechnungshofs durchaus rechnen würde. Interessant ist, wie unterschiedlich wir die Aussagen des Landesrechnungshofs lesen. Nach seinem Bericht vom 4. Juni gäbe es bei der sechsjährigen Grundschule zwar einen Mehrbedarf von rund 230 Lehrerstellen, diese Mehrkosten würden aber durch Einsparungen aufgrund von laufbahnrechtlichen Veränderungen kostenneutral gedeckt. So steht es im Bericht zu lesen. Bei der Verlängerung der Grundschulzeit auf neun Jahre käme es sogar zur Einsparung von 30.000 Unterrichtsstunden, da der 10. Jahrgang der Sekundarstufe I entfallen würde. Hierbei wären dann rund 1.320 Stellen weniger vonnöten. Das bedeutet rund 79 Millionen € weniger Personalkosten für das Land. Dadurch würde man - so lautet unsere Konklusion - Mittel für eine bessere und kindgerechtere Schule „freischaufeln“ können.
Ein ganz anderer Aspekt wird von Dr. Dieter Dohmen, Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie in Köln, aufgegriffen. Das Institut veröffentlichte Anfang Mai einen 12-Punkte-Plan für das Bildungssystem. Laut Analysen müssen wir schon heute die Gleise stellen, um in 20, 25 Jahren - so sagt er - genug Akademiker und gut ausgebildete Arbeitskräfte zu haben. Denn aufgrund des demogra
phischen Wandels werden wir in Zukunft weniger junge Menschen haben, die in den Arbeitsmarkt eintreten können.
Hinzu kommt die grundsätzliche Frage, wie wir uns überhaupt den Bereich „berufliche Bildung“ in der Zukunft vorstellen. Der Bericht zur Unterrichtssituation oder zur Unterrichtsversorgung bringt dazu nur eine Momentaufnahme, wenn er gleich zu Anfang angibt, dass die Schülerzahl der berufsbildenden Schulen insgesamt um 1,9 % gestiegen ist, nachdem sie in den vergangenen drei Jahren stagnierte. „Dabei setzt sich mit einem Minus von rund 800 Schülerinnen und Schülern der Rückgang der Zahl der Jugendlichen in einem Ausbildungsverhältnis fort“, heißt es weiter, während die Zahlen im ausbildungsvorbereitenden Jahr, in berufsvorbereitenden Maßnahmen, im Berufsbildungsjahr sowie die Zahl der Jugendlichen ohne Ausbildung gestiegen sind.
In dieses Bild hinein passt auch die Tatsache - auch das steht im Bericht -, „dass die Zahl der Vollzeitschülerinnen und -schüler sehr viel stärker gestiegen ist als die Schülerzahl im Teilzeitbereich. Damit steigt der Unterrichtsbedarf im berufsbildenden Bereich deutlich an, da Vollzeitschüler mehr Unterricht erhalten als Teilzeitschüler“. Das ist nur eine Momentaufnahme. Aber man kann sagen: Hier liegt Sprengstoff, denn in der Berufschule von heute warten im Prinzip die Arbeitslosen von morgen. Soll heißen, wenn wir uns dieses Schwelbrandes nicht jetzt annehmen, dann haben wir in ein paar Jahren auf dem Arbeitsmarkt einen ausgewachsenen Flächenbrand zu löschen. Qualifizieren heißt also die Botschaft. Damit rückt dann auch unsere heutige Debatte zu Hartz IV in ein ganz neues Licht.
Ist Ausschussüberweisung oder Kenntnisnahme beantragt? - Zur abschließenden Beratung an den Bildungsausschuss überweisen! - Wer beschließen möchte, den Bericht über die Unterrichtssituation im Schuljahr 2003/04, Bericht der Landesregierung, Drucksache 15/3558, zur abschließenden Beratung an den Bildungsausschuss zu überweisen, den bitte ich um sein Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Das ist vom Haus einstimmig so beschlossen.
Ich weise darauf hin, dass wir die Debatte morgen mit dem Tagesordnungspunkt 16, Zukunft Meer, fortsetzen werden. Ich weise ferner darauf hin, dass es heute Abend - wenn ich richtig informiert bin - noch drei parlamentarische Abende gibt: den der freien Berufe, den der Feuerwehr und den der Zahnärztekammer.
Morgen findet im Anschluss an das Ende der Plenartagung eine Sondersitzung des Wirtschaftsausschusses statt. Ich bitte, den Sitzungsbeginn zu überdenken für den Fall, dass das Plenum bereits vor 13 Uhr zu Ende sein sollte. Wir hätten dann nämlich - wie es auf neudeutsch heißt - einen Timelag bis zum Beginn der Ausschusssitzung. Ich bitte Sie, das im Blick zu behalten. Vielleicht sollte man hier etwas flexibler sein.