Die Sitzung ist wieder eröffnet; wir treten wieder in die Tagesordnung ein. Ich darf zunächst die Gelegenheit nutzen, die Gäste auf der Tribüne zu begrüßen, und zwar die Damen und Herren der Interessengemeinschaft „Pro Eiderstedt“. - Ihnen ein herzliches Willkommen im Schleswig-Holsteinischen Landtag!
Wir fahren dann mit dem Tagesordnungspunkt 39 fort. Bevor wir die sachliche Beratung des Tagesordnungspunktes aufnehmen, möchte ich darauf hinweisen, dass nach der vorliegenden Mitteilung an das Präsidium die Fraktionen von CDU und FDP gemäß § 63 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung zum Tagesordnungspunkt 39 - also den, den wir jetzt behandeln wollen - die namentliche Abstimmung beantragt haben.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Dem ist nicht so. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion erteile ich Frau Abgeordneter Herlich Marie Todsen-Reese.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute haben wir die letzte Chance, die Notbremse zu ziehen, damit NATURA 2000 nicht endgültig zum Fiasko für Schleswig-Holstein wird.
Darum haben wir unseren Antrag gestellt. Die zunehmende parteiübergreifende Kritik im Land, aber auch in anderen Fraktionen in diesem Haus hatten mich hoffen lassen, dass noch eine Korrektur des unsinnigen Müller-Kurses möglich wäre. Der Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verhindert diese dringend erforderliche Kurskorrektur.
Und darum wollte ich jetzt sagen: Frau Ministerpräsidentin, jetzt sind Sie gefordert! Leider ist Frau Simonis nicht hier.
„Es ist kein butterweicher Appell, sondern eine unmissverständliche Forderung: Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin soll den Vogelschutzkonflikt auf der Halbinsel Eiderstedt zur Chefsache machen … Wir erwarten das von Heide Simonis.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nicht meine Worte, sondern das ist ein Zitat der SPDFraktionsvorsitzenden im nordfriesischen Kreistag, Frau Rönnau, und ihres Stellvertreters, Herrn Nissen, aus dem „Nordfriesland-Tageblatt“ vom 24. April 2004. Darin geht es weiter:
„Alles muss völlig neu bewertet und fair abgewogen werden, und zwar nicht vom Umweltminister, sondern mit der Autorität der Ministerpräsidentin.“
Diese Forderung gilt allerdings nicht nur für das geplante Vogelschutzgebiet auf Eiderstedt, sondern für alle in Rede stehenden Problemgebiete, zum Beispiel
im Bereich der Eider-Treene-Sorge-Niederung, auf Fehmarn, in Großenbrode, für Neustadt oder die Kaltenkirchener Heide.
Spätestens das Gutachten des Kölner Instituts für Faunistik zu dem ETS-Gebiet, zu Eiderstedt und auch zu Vogelschutzgebieten im Norden Ostholsteins belegt eindrucksvoll unsere wiederholte Kritik: Der Umweltminister ist bei der Gebietsauswahl - insbesondere der dritten, vierten und fünften Tranche - weit über das erforderliche Ziel hinausgeschossen. Und er hat bei der Umsetzung der EUVogelschutzrichtlinie und der FFH-Richtlinien grobe handwerkliche Fehler gemacht. Sie sind in unserem Antrag nachzulesen.
Aber insbesondere bei den Vogelschutzgebieten haben Sie es versäumt, vorher zu überprüfen, Herr Minister, inwieweit die Wert gebenden Vogelarten bereits in ausreichender Zahl und gleichmäßiger Verteilung in den NATURA-2000-Gebieten der ersten und zweiten Tranche vorhanden sind. Diese Fehler wären zu vermeiden gewesen, wenn Sie von Anfang an ein in sich schlüssiges Konzept gehabt hätten, in dem alle infrage kommenden Gebiete in Schleswig-Holstein einer zeitgleichen Bewertung, Abwägung und Entscheidung unterzogen worden wären.
Allein die Tatsache, dass Sie immer wieder neue Tranchen nachgeschoben haben, belegt sehr eindrucksvoll, dass Sie nie, nie ein wirklich gutes Konzept gehabt haben.
Freuen Sie sich doch über das große Lob von Herrn Dr. Esser, dass Sie bereits mit der Meldung der ersten und zweiten Tranche, sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich, Spitze sind. Dazu gehört natürlich, dass man ehrlicherweise auch in Schleswig-Holstein die Wasserflächen in die Bilanzierung einbeziehen muss. Es gibt keine Begründung dafür, dass man sich in Schleswig-Holstein in dieser Frage anders verhält als in anderen Staaten, so zum Beispiel in Dänemark, das von der EU-Kommission als vorbildlich bewertet wird. Und all Ihr Kopfschütteln - „Nicker und Lächler“ hat Herr Kubicki einmal gesagt - nützt Ihnen da nichts, Herr Minister.
Wie sagte Herr Dr. Esser so klar: Die Landesregierung sollte die Meldung der ersten und zweiten Tranche mit ihrer Gebietskulisse gegenüber der EUKommission offensiver und damit als Erfolg verkaufen. Sonst sind Sie doch auch so gut darin, sich gut zu verkaufen, Herr Minister. - Warum eigentlich gerade hier nicht?
An dieser Stelle möchte ich dann noch einmal mit dem ewigen Märchen des Umweltministers von der fordernden zwingenden EU-Kommission aufräumen.
Herr Minister, Sie haben bei den Menschen im Land, aber auch hier im Parlament, immer wieder den Eindruck erwecken wollen, dass Sie von der EUKommission gezwungen würden, nicht nur die EURichtlinien umzusetzen, sondern auch ganz bestimmte Gebiete zu melden.
Reisen bildet, Herr Minister. Wir haben bei unserem kürzlichen Besuch in Brüssel von der für Deutschland zuständigen Mitarbeiterin der Generaldirektion Umwelt dazu klare gegenteilige Aussagen erhalten. Es wurde unmissverständlich erklärt, dass die Umsetzung der Richtlinien im Rahmen von NATURA 2000 und deren Detailausgestaltung ausschließlich Sache der Mitgliedsstaaten und in unserem Fall der Landesregierung Schleswig-Holstein sei. Dies gilt insbesondere für die Auswahl und Benennung der einzelnen Gebiete.
Und lassen Sie mich gleich mit Ihrem weiteren Märchen über enge Fristsetzungen aufräumen. Schon bei vergangenen Tranchen haben Sie in dem Beteiligungsverfahren den Kommunen sowie den betroffenen Menschen viel kürzere Fristen zugestanden, als es Ihnen aufgrund viel weitreichenderer Fristen gegenüber der Bundesregierung und der EU-Kommission möglich gewesen wäre.
Sie haben in Kenntnis einer außerordentlich schwierigen Materie unanständig kurze Fristen gesetzt, völlig unzureichende Planunterlagen versandt und sich dann auch noch über die eingegangenen Stellungnahmen mokiert. Das war der unanständige Versuch, die Betroffenen und Beteiligten mundtot und unglaubwürdig zu machen, um sie anschließend mit Ihrer überzogenen Gebietskulisse über den Tisch zu ziehen.
Wir haben auch zum Thema Fristen eine klare Auskunft in Brüssel erhalten. Im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens der EU-Kommission gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zur Umsetzung der FFH-Richtlinie hat man sich hinsichtlich der Fristen darauf geeinigt, dass Deutschland die FFHMeldung an die Kommission abschließend bis zum Februar 2005 vornehmen soll.
Deshalb frage ich Sie an dieser Stelle, Herr Minister Müller: Wann haben Sie persönlich welche Gesprä
che bei der Kommission geführt? Sind Sie womöglich erst nach dem Besuch der CDU-Teilfraktion in Brüssel gewesen und haben dort vorgesprochen? Oder ist dies ein Irrtum meinerseits? Dann würde es mich freuen, wenn Sie dies richtig stellten. Wie kommen Sie, Herr Minister, vor dem Hintergrund dieser Fristen eigentlich dazu, für die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben, erneut eine viel zu knapp bemessene Frist, nämlich eine Frist bis Ende Mai 2004, zu setzen? Für eine Meldung an die EU-Kommission ist offensichtlich noch ausreichend Zeit. Darum fordern wir Sie heute mit unserem Antrag auf, die Frist bis zum Ende des Jahres 2004 zu verlängern.
Diese Fristverlängerung ist angesichts der Aussagen und Ergebnisse der bereits erwähnten neuen Gutachten unabdingbar geworden, liebe Kolleginnen und Kollegen. Wir müssen uns noch einmal grundlegend und in aller gebotenen Sachlichkeit mit der naturschutzfachlichen Notwendigkeit der gesamten Gebietskulisse von der ersten bis zur fünften Tranche auseinander setzen.
Dazu gehört als Allererstes, dass die Landesregierung das seit langem angemahnte Konzept endlich erstellt. Nach allen bisher gemachten Erfahrungen sollte die Überprüfung der geplanten Gebietsmeldungen aller Tranchen und das daraus zu entwickelnde Konzept nicht mehr unter der Federführung des Umweltministers erfolgen beziehungsweise erarbeitet werden. Vielmehr sollten Sie, Frau Ministerpräsidentin, dies zur Chefsache erklären und eine unabhängige Instanz mit der Prüfung und Erarbeitung beauftragen. Das fordern sogar Ihre sozialdemokratischen Kollegen aus Nordfriesland.
Nach meinem Eindruck haben wir nur eine leise Ahnung davon, wie die bisherige Gebietsauswahl erfolgt und die Meldung zustande gekommen ist. Auch hier gibt es aus meiner Sicht viele Ungereimtheiten und Aufklärungsbedarf. Das gilt sowohl für die angewandte fachliche Systematik als auch für die Gutachterauswahl und die Rolle und Bedeutung der Naturschutzverbände mit ihren so genannten Schattenlisten.
Es fällt schon auf, dass es in Schleswig-Holstein eine sehr einseitige Vergabe von Gutachteraufträgen an den NABU gegeben hat. Auch ist bemerkenswert, dass die Kommission nach Aussage des NABU Schleswig-Holstein die Naturschutzverbände ausdrücklich um Stellungnahme gebeten hat. Es regt die Phantasie an, wenn man weiß, dass die für Deutsch
land zuständige Mitarbeiterin der Generaldirektion Umwelt in Brüssel aus dem Umweltministerium der grünen Ministerin Frau Höhn in Nordrhein-Westfalen stammt und dass der zuständige Abteilungsleiter im Umweltministerium des grünen Bundesministers Trittin ein früherer Präsident des NABU Deutschland ist. Bekannt ist auch, dass der grüne Umweltminister in Schleswig-Holstein die Leitlinien der Umweltpolitik regelmäßig gemeinsam mit dem NABU ausrichtet.