Protocol of the Session on April 29, 2004

Zukünftig soll es den Schulkonferenzen möglich sein, auf freiwilliger Basis die sechsjährige Grundschule einzuführen. Eine solche erweiterte Grundschule hätte den Charme, dass kleine Grundschulen im ländlichen Raum erhalten werden können und dass die kleinsten Schulkinder nicht schon kilometerweit durch das Land kutschiert werden müssen, um zur Schule zu kommen.

Lassen Sie mich nun auf einzelne Bestimmungen unseres Gesetzentwurfes eingehen: Es ist sehr wichtig, dass der Wunsch nach der Einführung einer sechsjährigen Grundschule von den Eltern und von der Schule vor Ort kommt. Deshalb ist die Teilnahme freiwillig. Dies ist in § 10 a Abs. 1 formuliert.

Die Öffnungsklausel ist als Schulversuch konstruiert. Das heißt, dass das Bildungsministerium einwilligen muss und somit die volle Kontrolle über die Einführung von sechsjährigen Grundschulen behält. Das ist wichtig, weil die gesamten örtlichen Schulstrukturen von einem solchen Versuch betroffen sein werden.

Die Absätze 2 und 3 stellen dar, dass die Schülerinnen und Schüler nach der 6. Klasse ohne Probleme in die jeweilige 7. Klasse des Gymnasiums, der Real- oder der Hauptschule wechseln können. Deshalb muss der Unterricht zum Teil individuell gestaltet werden. Der Unterricht in einer Fremdsprache gehört auch dazu.

Die Beurteilung der Lernentwicklung und die Empfehlung über die geeignete weiterführende allgemein bildende Schule für die Kinder wird in Absatz 4 analog zu den jetzt geltenden Regeln für die vierjährige Grundschule geregelt. Sichergestellt wird auch, dass die Schülerinnen und Schüler bis zu zwei Jahre länger als normal die sechsjährige Grundschule besuchen können.

Absatz 5 regelt die wichtige Frage der Finanzierung. Denn natürlich dürfen die Schulträger durch die Einführung der sechsjährigen Grundschule nicht zusätzlich finanziell belastet werden. Wichtig ist auch, dass genügend qualifizierte Lehrkräfte von den allgemein bildenden Schulen für die sechsjährige Grundschule zur Verfügung stehen. Dabei lassen wir uns in diesem Zusammenhang von dem Grundsatz leiten, dass es besser ist, wenn die Lehrkräfte zur Schule fahren, als dass die Schülerinnen und Schüler täglich weite Wege zurücklegen müssen.

Insgesamt stellt der vorliegende Gesetzentwurf einen praktikablen Kompromiss auf dem Weg zu einer ungeteilten Schule dar. Wir müssen endlich handeln und dürfen nicht nur reden. Unser Entwurf für eine Änderung des Schulgesetzes ist also nicht nur gut gemeint; er ist auch ein ganz konkreter und pragmati

scher Vorschlag, der schon jetzt in die Praxis umgesetzt werden kann.

Wir hätten uns natürlich gewünscht, das flächendeckend zu machen. Aber ich halte nichts davon, mit fliegenden Fahnen unterzugehen oder einen Heldentod zu sterben. Es gibt einfach viel zu viele Helden. Was wir wollen, ist, etwas vorzustellen, was umsetzbar ist, was machbar ist. Da beziehen wir uns auf das, was vorliegt. Wir müssen mit dem Schulsystem arbeiten, das wir in diesem Bundesland haben. Unser Vorschlag ist ein Einstieg, eine Möglichkeit, einen Schritt weiterzukommen. Ich hoffe, dass wir den Antrag in diesem Sinn im Bildungsausschuss diskutieren werden.

(Beifall beim SSW)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPDFraktion ist sich mit dem SSW einig darüber, dass wir unser Schulsystem in Deutschland erneuern müssen.

(Günter Neugebauer [SPD]: Das war ein gu- ter Anfang!)

Dass das notwendig ist, hat die PISA-Studie mehrfach deutlich gemacht, auch in der wissenschaftlichen Aufarbeitung.

Die schleswig-holsteinische SPD hat sich dazu auf ihrem Landesparteitag am 7. März 2004 in Norderstedt eindeutig positioniert. Der SSW hat sich vorhin darauf bezogen. Unsere Signale, liebe Anke Spoorendonk, sind jedoch nicht auf kurzfristigen Erfolg ausgerichtet, sondern auf das zweite Jahrzehnt unseres Jahrhunderts, und nicht nur auf Schleswig-Holstein, sondern wir wollen, dass sich bundesweit etwas verändert.

Der SSW will, dass Grundschulen zukünftig auf eigenen Antrag um die Orientierungsstufe, also die Klassenstufen 5 und 6, erweitert werden können. Ich bin mir sicher, dass ein solcher Weg von vielen Schulträgern unterstützt würde, würde er doch zukünftig das Überleben vieler kleiner Schulstandorte langfristig sichern

(Beifall beim SSW)

und zugleich vielen 10- bis 12-Jährigen lange Schulwege ersparen.

(Dr. Henning Höppner)

Gerade dann ist aber nicht einzusehen, warum der SSW-Entwurf in Absatz 5 dem Land nicht nur die Zuweisung entsprechender qualifizierter Lehrkräfte aus allen weiterführenden Schularten zur Pflichtaufgabe macht, sondern darüber hinaus das Land noch verpflichten möchte, den Schulträgern zusätzliche Zuschüsse zu den Sach- und Verwaltungskosten zuzuweisen. Das ist nicht einsehbar.

Ein weiteres Problem, dass der SSW aus meiner Sicht unterschätzt, ist das Problem der Lehrpläne für diejenigen Fächer in der Sekundarstufe I, die bereits ab dem 5. Schuljahr unterrichtet werden. Angesichts der bisherigen Ausdifferenzierung in die verschiedenen weiterführenden Schulen bedürfte es bei einer Integration der Klassenstufen 5 und 6 auch einer Integration der bisherigen Lehrpläne der unterschiedlichen Schularten in diesen Jahrgangsstufen.

Entsprechend stellt sich das Problem, wie die 12jährigen Schülerinnen und Schüler darauf vorbereitet werden, nach dem 6. Schuljahr auf eine weiterführende Schule der Sekundarstufe I zu gehen. Denn daran soll sich, wie ich Ihrem Antrag entnehme, nichts ändern. Diese Frage stellt sich insbesondere dann, wenn Familien in andere Bundesländer umziehen müssen.

Die Kriterien für die Entscheidung, welche weiterführende Schule ein Kind besuchen soll, sind zugegebenermaßen bei 12-Jährigen wesentlich besser abgesichert als bei 10-Jährigen. In diesem Alter liegen Erfahrungen vor, wie leicht oder wie schwer sich ein Kind beim Lernen von Fremdsprachen tut, wie gut oder weniger gut es mit naturwissenschaftlichen Denkweisen umgehen kann. Jeder von uns wünscht sich, dass Eltern und Schulen vielleicht zwei Jahre lang mehr besser zusammenarbeiten können. Aber wir müssen natürlich auch an diejenigen Fälle denken, in denen diese Zusammenarbeit trotz sechs Jahre Grundschule nicht so gut funktioniert. Daher würde ich entsprechend dem, was wir in den letzten Jahren bereits diskutiert und beschlossen haben, auch bei einem Übergang nach dem 6. Schuljahr an einer expliziten Beratungspflicht der Eltern festhalten, zumindest dann, wenn die Empfehlung der sechsjährigen Grundschule und der Wunsch der Eltern divergieren.

Das Modell, das uns der SSW vorstellt, ist - darauf hat Frau Spoorendonk am Schluss ihrer Rede hingewiesen - nicht am grünen Tisch entstanden, sondern in langjähriger Erfahrung der Schulen der dänischen Minderheit erprobt. Auch wir sind bereit, von diesen Schulen, von Modellen anderer Bundesländer und vor allen Dingen vom Beispiel anderer Staaten zu lernen. Das hat uns PISA aufgegeben.

Der Gesetzentwurf des SSW lässt - dass sage ich hier sehr deutlich - eine Reihe von Fragen offen. Meine Kollegen und ich möchten dies im Bildungsausschuss gern weiter diskutieren. Wir würden uns auch gern die Erfahrungen, die die dänischen Schulen mit diesem Modell gemacht haben, persönlich ansehen. Vielleicht wäre das für den gesamten Bildungsausschuss eine geeignete Form der Informationsaufnahme neben der klassischen Anhörung mit den üblichen dicken Bündeln von Verbandsstellungnahmen.

Ich glaube, wir werden im Bildungsausschuss eine sicherlich kontroverse, aber sehr interessante Diskussion haben. Ich bitte um Überweisung des Antrags.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile ich jetzt der Frau Abgeordneten Sylvia Eisenberg.

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag des SSW bezweckt - das haben Sie gesagt - den Einstieg in die Einheitsschule, etwas vornehm vermarktet als „ungeteilte Schule“ nach dänischem Vorbild und mit dem zusätzlichen Hinweis auf die finnischen Schulen, die bei PISA so gut abgeschnitten haben.

Liebe Kollegen, ich darf Sie zum wiederholten Mal darauf hinweisen, dass das finnische System nicht mit unserem zu vergleichen ist. Wenn die rot-grüne Landesregierung die notwendigen Ressourcen für Förderung und Forderung in unser bestehendes System gesteckt hätte - so wage ich zu behaupten -, hätten auch wir bessere Ergebnisse erzielt.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Wenn unser System Speziallehrer, Schulassistenten, Schulpsychologen, Verwaltungs- und Hilfskräfte in ausreichender Zahl wie in Finnland hätte, wenn sich also Lehrer, wie in Finnland, auf den Unterricht konzentrieren könnten, wenn der Unterrichtsausfall rechtzeitig und das Unterrichtsfehl schon vor sieben Jahren minimiert worden wären, stünden wir auch wesentlich besser da.

(Beifall der Abgeordneten Frauke Tengler [CDU])

Ob 6-jährige, 9-jährige oder 10-jährige Einheitsschule, diese Strukturdiskussionen - egal, ob von RotGrün oder von SSW - vernebeln das eigentliche Prob

(Sylvia Eisenberg)

lem unserer Schulen, nämlich die Schwierigkeit, sich auf das zu konzentrieren, was Schule vermitteln soll, nämlich Bildung und Erziehung, Fachkompetenz, Persönlichkeitsbildung und Teamfähigkeit.

Schulstrukturdebatten, wie sie jetzt wieder und wahrscheinlich auch noch die nächsten zehn Jahre geführt werden,

(Beifall der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

dienen eher der politischen Diskussion im Wahlkampf, Frau Heinold. Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich. Aber sie dienen leider nicht unseren Schülern jetzt. Davon haben die Schüler nämlich rein gar nichts.

Der Antrag des SSW reiht sich in diese sinnlose Strukturdebatte ein. Er sucht zugegebenermaßen einen Kompromiss, aber einen schlechten. Der SSW will die Entscheidung für die weiterführende Schule um zwei Jahre hinausschieben, um unter anderem auch die kleinen Grundschulen auf dem Land zu erhalten.

Meine Damen und Herren, Schleswig-Holstein hat zurzeit 423 Grundschulen, 46 Hauptschulen und 158 Grund- und Hauptschulen. Die Antragsteller wollen einem Teil der 46 Hauptschulen die Schüler der 5. und 6. Klassen entziehen, was faktisch die Schließung dieser Schulen bedeuten würde. Sie wollen den Gymnasien und Realschulen ebenfalls die Schüler der 5. und 6. Klassen entziehen. Damit stehen die Klassenräume dort leer. Dafür bürden sie aber den Schulträgern die Kosten für den dann notwendigen Neubau der Klassenräume in den erweiterten Grundschulen auf.

Ich frage den SSW und auch Rot-Grün, die sich ja grundsätzlich positiv dazu geäußert haben, ob sie die Folgen dieser Gesetzesänderung wirklich bis zum Ende durchdacht haben.

Aber nicht nur die organisatorischen Probleme haben Sie meiner Auffassung nach nicht berücksichtigt, auch entwicklungspsychologisch ist Ihr Plan kontraproduktiv. Die Entscheidung für eine weiterführende Schule im Schüleralter von zwölf, also im 6. Schuljahr, fällt in der Regel in die Vorpubertät. Mit 14 Jahren - dies ist ja nach Ihrem Konzept auch möglich - fällt sie in die volle pubertäre Phase der Jugendlichen. Der schulische Erfolg ist aber in dieser Entwicklungsphase wesentlich schwerer abzuschätzen als im Alter von zehn Jahren, Frau Spoorendonk. Aus diesem Grund - das behaupte ich und das ist so - ist die sechsjährige Grundschule abzulehnen.

(Zurufe von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

- Lesen Sie es einmal nach! - Ebenfalls aus den Ergebnissen der Entwicklungspsychologie: In dem Standardwerk, verfasst von Köller und Baumert, gibt es unter der Überschrift „Entwicklung schulischer Leistungen“ eine Analyse, einen Vergleich zwischen Gymnasiasten, die aus der vierjährigen Grundschule kommen, mit Gymnasiasten, die aus der sechsjährigen Grundschule kommen. Die Gymnasiasten aus der sechsjährigen Grundschule schneiden wesentlich schlechter ab. Diese Untersuchung sollte man vielleicht einmal nachlesen.

Ich muss mich jetzt beeilen. - Außerdem gibt es in Deutschland bereits sechsjährige Grundschulen, und zwar in Berlin und in Brandenburg. Berlin hat an der PISA-Untersuchung nicht teilgenommen, Brandenburg befindet sich an der 12. Stelle von 14 teilnehmenden Ländern.

Ich denke, Frau Spoorendonk, auf der Basis all dieser Ergebnisse müssten Sie Ihren Antrag eigentlich selbst ablehnen. Ich denke, wir sollten uns lieber gemeinsam um die Durchlässigkeit zwischen den Schularten bemühen. Wir haben schon entsprechende Anträge vorgelegt. Sorgen Sie für mehr Förderung und Forderung und eine bessere Unterrichtsversorgung. Dann brauchen wir uns nicht länger mit Schulstrukturdebatten aufzuhalten.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug [FDP])

Für die Fraktion der FDP erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon die Grundannahme, die Anke Spoorendonk vorangestellt hat, ist falsch. Im PISA-Vergleich hat sich keineswegs die Überlegenheit eines Einheitsschulsystems herausgestellt. Dazu braucht man bloß auf die dänischen Ergebnisse zu schauen. Die dänischen Schüler sind nur in Teilbereichen geringfügig besser über die Ziellinie gekommen als die deutschen Schüler. In manchen Bereichen haben sie schlechter abgeschnitten. Neben dem Wunderland Finnland, das immer zitiert wird, gibt es auch Länder, die mit einem gemeinsamen Unterricht und mit einem Einheitsschulsystem durchaus nicht besonders gut dastehen.

(Zuruf der Abgeordneten Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])