Protocol of the Session on March 10, 2004

Werden die Länder durch Vorschriften des Bundes finanziell belastet, muss der Bund hierfür einen entsprechenden finanziellen Ausgleich schaffen.

Im Hinblick auf die laufenden Diskussionen zur Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern merkt die Landesregierung an: Der Rückzug des Bundes aus den im Grundgesetz aufgeführten Gemeinschaftsaufgaben kommt für Schleswig-Holstein nur in Betracht, wenn im Gegenzug die Bundesmittel vollständig und dynamisiert den Ländern zur Verfügung gestellt werden. Das gilt für den Hochschulbau, für die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes sowie die Forschungsförderung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind ein kleines Land, deswegen müssen wir - Sie kennen den Satz - schlau sein. Das heißt für uns in der Föderalismusdiskussion, dass wir uns Verbündete suchen, mit denen wir unsere Interessen abstimmen können. Das hat nichts mit Nordstaat zu tun, der immer wieder durch den Blätterwald rauscht. Es geht um konkrete Zusammenarbeit, es geht um Kooperation und um das Durchsetzen gemeinsamer Interessen.

(Beifall bei der SPD)

Unsere Beziehungen, zum Beispiel mit Hamburg, sind schon sehr weit gediehen. Schleswig-Holstein wünscht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger eine intensive Kooperation mit allen norddeutschen Ländern, egal welche Parteien die Landesregierungen stellen.

Der Föderalismus ist eine historisch begründete und in der jüngsten Geschichte Deutschlands bewährte Form unserer Republik. Wir müssen ihn im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger zukunftsfähig machen. Wir müssen ihn so gestalten, dass wir den Anforderungen der globalen und europäischen Dynamik gewachsen sind. Ich bin mir sicher, dass hier sowohl der Landtag als auch die Landesregierung eine ähnliche Interessenlage haben. Wir alle wollen die Stärkung der Länder. Wir wollen dabei den Geist des Grundgesetzes, der uns zur Solidarität verpflichtet, unseren modernen Lebensbedingungen anpassen. In diesem Sinne scheut Schleswig-Holstein keinen Wettbewerb unter den Ländern, im Gegenteil, wir verstehen ihn als Herausforderung, als Ansporn für unser politisches Handeln und wir sind überzeugt davon, dass das Parlament und die Bürger dieses

Landes und die Regierung auf Kreis-, Kommunal- und Landesebene in der Lage sind, für das Land die Interessen zu formulieren und durchzusetzen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Meine Damen und Herren! Nach der Regierungserklärung eröffne ich die Aussprache und erteile zunächst dem Oppositionsführer, Herrn Abgeordneten Kayenburg, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute diskutieren wir über den deutschen Föderalismus. Damit stellen wir die Frage nach der Zukunft und Kompetenz der Landesparlamente und offenbaren gleichzeitig unser Selbstverständnis als Parlamentarier.

Die Väter des Grundgesetzes haben sich 1949 nach der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus, die auch durch die zentralistische Staatsform in Deutschland begünstigt wurde, ganz bewusst für den bundesstaatlichen Föderalismus entschieden.

Die deutsche Form des Föderalismus ist einerseits von gemeinsamer Verantwortung für das Ganze und von Solidarität und andererseits von der Bewahrung der Vielfalt der Länder mit ihren unterschiedlichen geschichtlichen und kulturellen Wurzeln und einer durch Wettbewerb sowie politische Landesentscheidungen gewollten und bedingten unterschiedlichen Gebietsstruktur, wirtschaftlichen Entwicklung und Bevölkerungszahl gekennzeichnet.

Dass sich diese ausgewogene Balance zwischen Einheit und Vielfalt, zwischen Subsidiarität und Solidarität insbesondere in der schweren Zeit des Wiederaufbaus in Deutschland bewährt hat, wissen wir alle. Die kontrollierte Gestaltung unserer Republik hat unserem Land einen festen Platz in den Demokratien und rechtsstaatlichen Ordnungen in Europa und in der Welt gesichert. Sie führte zu allgemeiner Anerkennung bei unseren Nachbarn und über die Grenzen Westeuropas hinaus.

Gleichwohl ist unser föderales System, unsere bundesstaatliche Ordnung in die Jahre gekommen und reformbedürftig.

(Günter Neugebauer [SPD]: Sehr richtig!)

Das ist gerade in den letzten Jahren und Monaten besonders deutlich geworden, in denen vor allem

(Martin Kayenburg)

viele auch so genannte Reformen in Deutschland auf der Agenda - auch auf der Agenda 2010 - standen.

Das im Grundgesetz angelegte ausgewogene Verhältnis zwischen dem Bund und den Ländern hat sich doch im Laufe der Jahre mehr und mehr zugunsten des Bundes und zulasten der Länder verschoben.

Der Bund hat in erheblichem Umfang von seinem Recht aus der konkurrierenden Gesetzgebung und von seinem Rahmenrecht Gebrauch gemacht. Die Folge war eine zunehmende Zentralisierung der politischen Entscheidungen. Berlin wurde überwiegend zum Zentrum aller politischen Entscheidungen in Deutschland; dies geschah zum Teil durchaus gewollt und zum Teil durch die Länder selbst verschuldet.

(Beifall des Abgeordneten Klaus Schlie [CDU])

Die Gesetzgebung der Länder, das heißt auch die unseres Schleswig-Holsteinischen Landtages, hat sich weitgehend auf mehr oder weniger unbedeutende Ausführungs- und Ergänzungsgesetze zum Bundesrecht reduziert.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie wissen es doch alle selbst und stellen mit Bedauern fest: Viele unserer Tagesordnungspunkte beschäftigen sich deswegen auch gar nicht mit landespolitischen Themen. Viel zu häufig fordern wir wegen dieser Verschiebung die Landesregierung auf, auf Bundesebene auf die Gestaltung der Bundesgesetze Einfluss zu nehmen. Auf diese Art und Weise wird das gestörte Gleichgewicht, die Unausgewogenheit in der Kompetenzverteilung überhaus deutlich.

(Beifall bei der CDU)

Wir sind immer mehr zu Zuschauern des Geschehens und als Parlamentarier immer weniger zu den Entscheidenden geworden.

Der besonders aufwendige und komplizierte Mitwirkungsföderalismus hat sich auch zu einem Hemmschuh für Reformen und Veränderungen in Deutschland entwickelt. Lähmung und gegenseitige Blockade sind die Folge. Zentralistisch regierte Staaten in Europa sind heute in ihren Entscheidungen viel schneller als wir.

Ein besonders auffälliges Beispiel für Fehlsteuerungen durch den Föderalismus in seiner aktuellen Ausprägung war für mich das, was im letzten Vermittlungsverfahren zu den Reformgesetzen im Dezember vergangenen Jahres abgelaufen ist. Letztlich haben in diesem zähen Verfahren die Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden entschieden, wo es lang geht. Der Bundestag hat die Entscheidungen nur noch abge

nickt. Wir waren allenfalls Zuschauer. Das ist für mich reiner Exekutivföderalismus, von dem wir weg müssen und bei dem demokratische Legitimation sowie Transparenz und Effektivität politischen Handelns verloren gehen. So kann es nicht weitergehen.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir haben nur eine Chance, den Reformstau in Deutschland aufzubrechen, wenn wir die Kompetenzen der deutschen Landesparlamente - ich meine nicht die Kompetenzen der Länder; das betone ich - wieder stärken und dem Föderalismus eine neue, europagerechte und moderne Ausprägung geben.

(Beifall im ganzen Haus)

Wir müssen weg von einem Mitwirkungsföderalismus, bei dem alle staatlichen Ebenen - vom Bund bis zu den Kommunen - in der jeweils anderen Ebene nicht nur mitreden wollen, sondern auch mitbestimmen können.

Wir müssen weg von einem Zustand, bei dem sich alle Ebenen gegenseitig blockieren und am Ende überhaupt nichts mehr entschieden wird. Eine Reform der bundesstaatlichen Ordnung ist meines Erachtens dringend erforderlich, um auch den Wettbewerb zwischen den Ländern wieder möglich zu machen.

Wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, haben das als Schleswig-Holsteiner bereits frühzeitig erkannt. Ich erinnere an unseren gemeinsamen Antrag aus dem September 2001, in dem wir einmütig einen Resolutionsantrag zur Stärkung des Föderalismus in Deutschland verabschiedet haben.

Wir können zu Recht stolz darauf sein, dass auf unsere Initiative der Föderalismuskonvent der deutschen Landesparlamente im März 2003 in der Hansestadt Lübeck stattgefunden hat.

Mit der „Lübecker Erklärung der deutschen Landesparlamente“ haben wir die Initiative für eine Fortentwicklung des Föderalismus in Deutschland ergriffen. Dabei gebührt unserem Präsidenten, dem Kollegen Heinz-Werner Arens, ganz besonders Dank und Anerkennung.

(Beifall im ganzen Haus)

Mit unermüdlichem Engagement hat gerade er sich für die Landesparlamente als vom Volk gewählte oberste Organe der politischen Willensbildung stark gemacht.

Eine Reform, eine Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung ist meines Erachtens aber nur dann ein Erfolg, wenn die Entscheidungskompetenz und die Eigenverantwortung der Länder nachhaltig gestärkt

(Martin Kayenburg)

werden. Der Bund als Gesamtstaat soll nur für die Dinge zuständig sein, die im Interesse des Volkes einheitlich geordnet werden müssen; dies gilt aber auch wirklich nur für diese Dinge.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, inzwischen hat die „Kommission zur Neuordnung der bundesstaatlichen Ordnung“ ihre Arbeit intensiviert. Unter Leitung von Edmund Stoiber und Franz Müntefering wird in sehr enger Tagungsfolge und mit großem Engagement sowohl von den Bundestagsabgeordneten als auch von den Ministerpräsidenten der Länder und zahlreichen Sachverständigen erfreulich sachbezogen und ernsthaft an einer Reform gearbeitet. Ich glaube, mit Heinz-Werner Arens sagen zu können: Es bewegt sich etwas!

Aufgrund unseres hartnäckigen Drängens, insbesondere auch aufgrund des Drängens unseres Präsidenten, ist es gelungen, dass auch die Landesparlamente in den Arbeitsgruppen vertreten sind. Und während sich zum Beispiel Ministerpräsident Steinbrück aus Nordrhein-Westfalen zusammen mit anderen Ministerpräsidenten sehr konstruktiv in die Diskussion einbringt, können wir Frau Ministerin Lütkes besonders dankbar sein, dass sie Frau Simonis mit so großem Engagement vertritt.

(Vereinzelter Beifall)

Die Diskussionen in der Kommission und ihren Arbeitsgruppen bewegen sich im Spannungsfeld zwischen der Erhaltung und Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse in den Ländern und damit zentralistischen Tendenzen einerseits und einem reinen Wettbewerbsföderalismus andererseits.

Ich will gern zugeben, dass es aus Sicht Bayerns, Baden-Württembergs oder Nordrhein-Westfalens leichter ist, einem Wettbewerbsföderalismus das Wort zu reden. Aber auch als Vertreter eines kleinen Landes möchte ich mich grundsätzlich für den Wettbewerbsföderalismus aussprechen, da seine Chancen auch für kleine Länder meines Erachtens größer sind als die damit verbundenen Risiken.

Zu einem eigenständigen Bundesland gehört für mich eben mehr, als nur am Tropf der Bundesergänzungszuweisungen und des Länderfinanzausgleichs zu hängen.

(Beifall bei CDU und FDP)

Auch ein kleines Land kann sich durch gezielte Förderung seiner Stärken im Wettbewerb aller Länder durchaus behaupten. Ich denke dabei in SchleswigHolstein insbesondere an die maritimen Technologien, an die Medizintechnik und die Biotechnologie, aber auch an den Tourismus.

Soll die Kommission aber Erfolg haben, ist es besonders wichtig, bei der künftigen Kompetenz- und insbesondere bei der Finanzverteilung pragmatische Lösungen zu finden, die den deutschen Föderalismus revitalisieren und zukunftsfähig machen. Dieses Ziel wird nach meiner Wahrnehmung von allen Teilnehmern der Föderalismuskommission ohne Vorfestlegungen diskutiert und intensiv verfolgt.

Dabei stehen neben der konkurrierenden Gesetzgebung und der Rahmengesetzgebung des Bundes besonders die Gemeinschaftsaufgaben und die Finanzbeziehungen auf dem Prüfstand.