Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordneten! Der Schleswig-Holsteinische Landtag setzt heute ein wichtiges Zeichen. Über alle Parteigrenzen hinweg verurteilen Sie, die Abgeordneten, Rechtsextremismus, Fremdenhass, Gewalt und Intoleranz. Sie machen damit klar, dass rechtsextremistische und gewaltverherrlichende Ideologien in unserem Land, in unserer Demokratie keinen Platz haben. Und Sie machen klar, dass wir alle zusammen nicht zulassen, dass demokratische Rechte und Freiheiten
Übrigens: Die Verpflichtung zur Wahrung von Rechten und Pflichten in der demokratischen Gesellschaft gilt natürlich auch für diejenigen, die gegen Rechtsextremisten demonstrieren. Darüber darf kein Zweifel bestehen. Das ist von Ihnen hier auch klargemacht worden.
Wenn Menschen in unserem Land um ihr Leben fürchten, weil sie durch Straßen gehetzt und gejagt werden, weil sie anders aussehen, weil sie behindert sind, weil sie auf der Straße leben oder einen anderen politischen Standpunkt vertreten, dann muss die Gesellschaft zusammenrücken und dann muss der Staat Flagge zeigen.
Aufgabe der Politik ist es, die Regeln des Miteinanders in einer friedlichen und solidarischen Gesellschaft zu verteidigen, innerhalb des Rechtsstaats klare Grenzen gegen jede Form des Extremismus zu setzen, glaubwürdige Alternativen zu den simplen Welterklärungen und Angstszenarien der Rechtstextremisten zu formulieren und schließlich alle demokratischen Kräfte dabei zu unterstützen, eine selbstbewusste und stabile Zivilgesellschaft aufzubauen und zu erhalten. Das sehen jedenfalls wir als Landesregierung als unsere Verantwortung an.
Gegen rechtsextremistische Gewalttäter werden wir mit rechtsstaatlichen Mitteln konsequent vorgehen. Soweit es in seiner Verantwortung liegt, wird der Innenminister Neonazi-Organisationen in SchleswigHolstein verbieten. Dazu brauchen wir wirklich keine Schnellschüsse und hektischen Rufe nach Sondergerichten und härteren Strafen. Die bestehenden Gesetze geben uns alle notwendigen Instrumente in die Hand. Sie müssen nur konsequent angewendet werden.
Die Polizei hat in der Zwischenzeit den Kontrolldruck erhöht, um die rechtsextreme Szene weiter zu verunsichern. Polizeibeamtinnen und -beamte vor Ort erteilen schneller als bisher Platzverweise gegen Neonazis und nehmen deren Personalien auf. An den Brennpunkten rechtsextremistischer Straftaten werden Sonderkommissionen eingesetzt. Die Polizei zeigt also Flagge und tritt nicht erst auf, wenn es zu Demonstrationen oder Gegendemonstrationen kommt. Wir sind dafür dankbar, dass sie schon im Vorfeld zur Beruhigung und zur Deeskalation beiträgt. Es ist nämlich wichtig, dass Polizei und Justiz rasch und mit Nachdruck, aber auch mit Besonnenheit reagieren, ihre Arbeit eng aufeinander abstimmen und unmissverständlich klarmachen,
dass niemand rassistische und rechtsextremistische Straftaten duldet oder mit einem Augenzwinkern übergeht.
Volksverhetzung und Rassismus sind nämlich keine Bagatelldelikte. Sie treffen den Kern des Zusammenlebens in unserer freiheitlichen und solidarischen Demokratie. Sie sind auch keine Dummejungenstreiche, wie mancher Politiker vor Ort in falsch verstandenem Lokalpatriotismus erzählt. Dabei wird von dummen Jungen gesprochen, die ein Bier zu viel getrunken und ein bisschen über die Stränge geschlagen haben, damit der Name des Ortes aus der Zeitung verschwindet. Nein, sie sind wirklich mehr als Dummejungenstreiche.
Die Menschen, die in diesem Land leben, sollen wissen, dass der Staat auf jeder Ebene auf ihrer Seite steht, wenn sie Angst haben, Opfer rechtsextremer Gewalt zu werden, ganz gleich, ob in der Kommune, im Land, in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Sport. Wer das Leben von Ausländern, Homosexuellen, Behinderten oder Obdachlosen bedroht, darf nicht mit unserer Nachsicht, darf nicht mit der Nachsicht von Polizei und Justiz rechnen.
Doch neben dem Verbot extremistischer Gruppen nach dem Vereinsrecht, neben verschärften Kontrollen, neben einer engeren Zusammenarbeit aller Beteiligten sind weitere Antworten gefragt. Jedes Ressort kann in seinem Bereich dazu beitragen, rechtsextremistischen Ideologien, Organisationen und Strukturen den Boden zu entziehen. Das Jugendministerium veröffentlicht gemeinsam mit dem Jugendamt der Stadt Kiel eine Broschüre für Eltern, deren Kinder in Gefahr sind, in die rechte Szene abzurutschen, damit sie die ersten Zeichen erkennen. Sie enthält Adressen von Hilfseinrichtungen, zeigt, wie die Kommunikation in der Familie verbessert werden kann, und gibt Hinweise zu einem veränderten Erziehungsverhalten.
Das Kultusministerium fordert alle Schulen des Landes auf, Intoleranz, Ausländerhass und Gewalt im Unterricht stärker zu thematisieren. Um die Lehrerinnen und Lehrer mit dieser Aufgabe nicht allein zu lassen, werden ihnen Unterrichtsmaterialien zur Friedenserziehung an die Hand gegeben, das IPTS bietet Fortbildungen und eine Konferenz zum Thema „Rechtsextremismus - Was kann die Schule tun?“ an.
Unter der Federführung des Innenministeriums wird außerdem eine Arbeitsgruppe Rechtsextremismus eingesetzt. Sie soll Strategien entwickeln, so früh wie möglich gegen rechtsradikale und rechtsextremistische Orientierungen vorzugehen. Auch die kriminalpräventiven Räte vor Ort haben es sich zur Aufgabe gemacht
einzugreifen, wo es notwendig ist, genauso wie übrigens der Landessportverband, der seit langer Zeit „Sport gegen Gewalt“, „Sport gegen Ausländerhass“ unterstützt. Wir haben also Anzeichen, beruhigende Anzeichen von Bürgermut und Bürgersinn in unserer Gesellschaft zu beobachten.
Das bedrückendste an dem Phänomen, das wir hier diskutieren, ist, dass sich viele Kinder und Jugendliche zu ausländerfeindlichen Gewalttaten hinreißen lassen. Nach der Polizeistatistik zu fremdenfeindlichen Straftaten werden in Schleswig-Holstein zwei Drittel der Delikte von 14- bis 20-Jährigen begangen. Ich bin sicher, dass manche Parole, die gegrölt wird, auch zu Hause erzählt wird. Man darf also nicht nur auf die Jugendlichen zeigen,
sondern muss auch überlegen - da widerspreche ich bis zu einem gewissen Grad dem Abgeordneten Kubicki -, ob Witze, die am Stammtisch, in der Schule oder am Arbeitsplatz wiederholt werden, nicht doch den Effekt haben, dass mancher meint, das wäre gesellschaftsfähig.
Nicht jeder Witz ist gleich zu verurteilen. Man muss nur wissen, was man tut, wenn man einen solchen Witz weitererzählt. Darüber muss man sich bewusst werden und da darf man die Leute nicht zu schnell aus der Verantwortung entlassen, so nach dem Motto: Das war ja nur ein Witz.
15-Jährige wurden von der Polizei in SchleswigHolstein beim Kleben neonazistischer Plakate erwischt. Ein 14-Jähriger war dabei, als in Ludwigshafen Brandsätze in ein Asylbewerberheim geworfen wurden. Auch bei anderen Straftaten sind insbesondere Jugendliche und leider fast 100 % jugendliche Männer dabei, die sich zu solchen Taten hinreißen lassen.
Erschreckend ist dabei der exzessive Charakter der Gewalttaten. Es scheint in machen Fällen keine Grenzen mehr zu geben. Wer 20-, 30-, 40-mal mit Springerstiefeln seinem Opfer ins Gesicht tritt, auch wenn es schon auf dem Fußboden liegt, wer schwangere Frauen, Kinder, Jugendliche und Alte angreift, hat meiner Meinung nach alle Regeln des menschlichen Zusammenlebens über Bord geworfen.
Machen wir uns nichts vor, es ist nicht nur ein Problem der neuen Bundesländer - dort tritt es ein biss
chen geballter auf als bei uns, dort gucken Polizei und manche Kommunalpolitiker schneller weg -, sondern es ist auch ein Problem bei uns und es ist nicht nur ein Problem schlecht ausgebildeter, sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen; sehr häufig stammen die Täter aus einem ganz normalen, ganz vernünftigen Umfeld und es müsste uns zu denken geben, inwieweit hier der Protest gegen uns, die Alten, vermischt wird mit fürchterlichen Formen dessen, was wir eigentlich ablehnen. Den Protest gegen uns würden wir akzeptieren, aber die Formen sind auf keinen Fall zu akzeptieren.
Wer sich einmal anhört, welche Hassmusik unter Jugendlichen heute kursiert, der bekommt eine vage Vorstellung davon, was in manchen Köpfen vorgehen muss und vor allem dann artikuliert wird, wenn wir nicht dabei sind.
Doch der Hass geht einen langen Weg, bis er in den Köpfen ankommt. Er entsteht aus Vorurteilen, aus Langeweile, aus Ängsten und aus eigener Gewalterfahrung. Er kann allerdings an vielen Stellen auch aufgehalten werden: in der Familie, in der Schule, im Freundeskreis, im Sportverein und durch dem Mut von Bürgerinnen und Bürgern, die sich wie in Neumünster, aber auch anderswo zusammentun und einfach Gegendemonstrationen aufziehen und sagen: Wir sind hier, um für unsere ausländischen Mitbürger, um für die, die anders sind als wir, Wache zu stehen, einzustehen, Mut zu zeigen.
Wir brauchen Konzepte, um mit Jugendlichen umzugehen, die sich im Dunstkreis der braunen Szene bewegen, aber - Gott sei Dank - noch nicht alle Gewalttäter geworden sind. Solchen Jugendlichen müssen wir die Chance geben, auszusteigen und sich wieder in unsere Gesellschaft einzugliedern.
Zum Innenministerium - auch das Kultusministerium baut das aus - gibt es eine Hotline, wo sich Jugendliche anonym beraten lassen können, Eltern nachfragen können, aber auch Menschen, Nachbarn Beobachtungen erzählen können, wenn sie das Gefühl haben, dass sich in ihrer Umgebung eine Szene auftut.
Wir müssen verhindern, dass junge Menschen den braunen Ideologen überhaupt erst auf den Leim gehen. Denn ist es erst einmal passiert, braucht man unendlich viel mehr Mühe und Überzeugungskraft, um sie wieder zurückzubekommen in unsere Mitte. Sie brauchen eine persönliche und berufliche Perspektive, die sie stark macht gegen die dumpfen Parolen von Rassismus und Gewalt.
Politik, Justiz, Polizei und Schule können das nicht allein leisten. Jugendhilfe, Familien, Freunde und Nachbarn, Trainer in den Vereinen, Vorgesetzte bei der Bundeswehr, Ausbilder in den Betrieben, sie alle sind hier in der Pflicht. An diesem Punkt zeigt sich ganz deutlich: Der Kampf gegen Intoleranz, Rassismus, Antisemitismus und Gewalt ist nicht nur Sache des Staates. Wir können nicht einfach anordnen, dass Menschen tolerant sein sollen, dass sie friedlich und solidarisch miteinander leben sollen. Wenn sie es nicht wollen, ist es nicht hinzubeordern. Sie müssen es wollen und wir müssen sie dabei unterstützen, was übrigens auch ein Hinweis darauf ist, dass wir den ehrenamtlichen Kräften in unserer Gesellschaft dafür dankbar sein müssen, dass sie viele Aufgaben übernehmen, die genau dies zum Ziel haben.
Wir als Politiker - wir als Landesregierung und Sie als Parlamentarier - müssen klarmachen, dass wir diese Leistung anerkennen, die da von vielen in unserem Land, fast namenlos und zumindest ohne nachzufragen, was man dafür bekommt, gemacht wird.
In Schleswig-Holstein jedenfalls zeigen die Menschen mit vielen eindrucksvollen Beispielen, dass sie Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Gewalt in ihrer Mitte nicht hinnehmen. Die Bündnisse gegen Rechts in Neumünster und Lübeck, Demonstrationen und Unterschriftenlisten, Runde Tische und Kriminalpräventionsräte in den Kommunen, Initiativen von Unternehmen, Gewerkschaften, Kirchengemeinden und Vereinen sind ein gutes Zeichen für die Zivilgesellschaft, die wir immer anmahnen. Die Schlewig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner stehen ein für das partnerschaftliche, weltoffene und friedliche Zusammenleben in diesem Land. Dafür danken wir ihnen und werden sie, so gut wir können, unterstützen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit schließe ich die Beratung. Wir kommen zur Abstimmung über Drucksache 15/417, über die Resolution „Gegen Rechtsextremismus - für ein tolerantes Schleswig-Holstein“. Wer dieser Resolution, die von allen Fraktionen gemeinsam getragen wird, zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. - Nach Gegenstimmen und Stimmenthaltungen brauche ich nicht zu fragen.
Ich erlaube mir ausnahmsweise einmal eine Kommentierung. Die Beschlussfassung, der Verlauf der Debatte und die Redebeiträge haben deutlich unter Beweis gestellt, dass sich die demokratischen Parteien in
diesem Haus der Notwendigkeit des Grundkonsenses in der Verteidigung der Grundrechte und Grundwerte unserer Gesellschaft bewusst sind und dies deutlich und offensiv in die Gesellschaft signalisieren wollen. Herzlichen Dank!
Meine Damen und Herren, wir haben keine andere Möglichkeit, als jetzt noch Tagesordnungspunkt 6 aufzurufen. Das geht natürlich nur - man hat mir versichert, dass man sich darum bemühen will -, wenn es zu gestrafften Redebeiträgen kommt. Vielleicht gelingt es, sich auf Kernaussagen zu konzentrieren.