Protocol of the Session on January 23, 2004

Die Einführung richterlicher Untersuchungen ist kein skurriler Einfall einer Minderheitenpartei.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Offensichtlich!)

Das zeigt schon die Tatsache, dass sich auch Mitglieder anderer Untersuchungsausschüsse in Deutschland ebenso Gedanken in diese Richtung gemacht haben,

zuletzt auch Mitglieder des „Lügenausschusses“ auf Bundesebene.

Die Idee der unabhängigen Richteruntersuchungen ist aber nicht nur nahe liegend, sie ist auch erprobt. Es gibt schon Vorbilder aus anderen Demokratien, die zeigen, dass sie praktisch umsetzbar sind und gut funktionieren. Natürlich finden diese Untersuchungen in anderen Rechtssystemen statt und die Spielregeln sind teilweise andere, als wir sie uns vorstellen. Die Beispiele zeigen aber grundsätzlich, dass wir heute bestimmt keinen unrealistischen Weg anstreben.

Im angelsächsischen Rechtsraum hat sich die unabhängige Richteruntersuchung bewährt. Das aktuellste Beispiel ist die Aufklärung des Kelly-Selbstmordes in Großbritannien.

(Rolf Fischer [SPD]: Das ist ein ganz ande- res System!)

Der britische Oberrichter Lord Hutton steht einer unabhängigen Untersuchung vor und unterbreitet seinen Bericht in der kommenden Woche dem Parlament. Alle beteiligten Regierungsmitglieder waren zur Aussage verpflichtet und die Regierung musste alle relevanten Akten herausgeben. Auch für die Opposition wäre es viel vorteilhafter, wenn der Lordrichter in der kommenden Woche vor laufenden Kameras im Parlament Premierminister Blair belastet, als wenn monatelang ein Oppositionsabgeordneter die Regierung beschuldigt hätte.

In Dänemark können unabhängige Richteruntersuchungen vom Parlament oder von der Regierung beantragt werden. Auch das dortige Beispiel zeigt deutlich, dass unabhängige Richteruntersuchungen bestimmt nicht die Opposition schwächen. 1993 stürzte die bürgerlich-konservative Regierung von Staatsminister Poul Schlüter sogar aufgrund einer unabhängigen Richteruntersuchung zur so genannten TamilenAffäre.

Der Kollege Kubicki, der sich schon ganz hibbelig zeigt, wird jetzt natürlich noch ein drittes prominentes Beispiel anführen wollen: die Untersuchung des Sonderermittlers Kenneth Starr gegen Präsident Bill Clinton im Jahre 1998. Dieses Beispiel hat mit unserem Antrag allerdings so wenig zu tun wie ein katholischer Inquisitor aus dem Mittelalter mit einem deutschen Richter von heute.

(Holger Astrup [SPD]: Na ja!)

Niemand kann unterstellen, dass wir so etwas im Sinn haben und dass unser Antrag solche Konsequenzen hätte. Es wäre ganz einfach zu billig und unter dem Niveau dieses Hauses, unseren Antrag durch solche falschen Parallelen lächerlich machen zu wollen.

(Anke Spoorendonk)

Der vorliegende Antrag des SSW ist der Versuch, eine konstruktive Diskussion um ein Problem zu beginnen, das nicht nur wir im Parlament wahrnehmen. Deshalb hoffe ich, alle Kolleginnen und Kollegen, dass im Innen- und Rechtsausschuss eine sachliche Debatte stattfinden wird und dass sich alle an dieser Debatte beteiligen werden.

Wir haben bewusst darauf verzichtet, eine konkrete Lösung als Gesetzentwurf vorzulegen, weil wir jetzt keinen unnötigen Streit um Details, sondern eine grundsätzliche Verständigung wünschen. Wir schlagen vor, neue Wege zu beschreiten, und haben eine Richtung angeregt. Wann wir aufbrechen und welchen Kurs wir nehmen, darauf sollten wir uns im Dialog verständigen.

Ich freue mich auf die Ausschussberatung.

(Beifall beim SSW)

Für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt Herrn Abgeordneten Klaus-Peter Puls das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Wahrheitssuche, scharf und trutzig, wirkt bisweilen eher putzig.“

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN] - Wolfgang Kubicki [FDP]) : Sehr gut!)

"Schlimmer ist und dabei stutz’ ich: Manchmal wird’s auch richtig schmutzig.“

(Vereinzelter Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Untersuchungsausschüsse in Schleswig-Holstein geraten zunehmend zum Tummelplatz für Profilneurotiker, Hobbystaatsanwälte und schwarze Hilfssheriffs.

(Lebhafter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Trotzdem, Herr Kollege Kubicki - -

(Zuruf des Abgeordneten Wolfgang Kubicki [FDP])

- Ich habe Sie doch nicht persönlich angesprochen. - Noch nicht.

(Heiterkeit)

Trotzdem: Wenn ein sinnvolles parlamentarisches Instrument missbraucht wird, dann sollten wir nicht das Instrument abschaffen, sondern den Missbrauch bekämpfen.

(Lebhafter Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt in der Tat eine Reihe von Kritikpunkten am bisherigen Untersuchungsausschussverfahren, insbesondere am derzeit im PUA 2 praktizierten Verfahren, der sich auf Pröhl und Lohmann und die Nebentätigkeits- und Vergabepraxis im Regierungsbereich bezieht. Der Erste Parlamentarische Untersuchungsausschuss war eher überflüssig, weil, als er eingesetzt wurde, eigentlich alles bereits bekannt war. Dort ist also viel Papier gewälzt worden und im Ergebnis ist nichts dabei herausgekommen.

(Beifall der Abgeordneten Ursula Kähler [SPD])

Der zweite Untersuchungsausschuss zeigt jetzt allerdings, dass doch erhebliche Mängel im Verfahren zu beklagen sind, insbesondere was die Praxis und Anwendung dieses in der Verfassung vorgesehenen Verfahrens angeht. Ich nenne die politische Auswahl von Vernehmungspersonen, die Ermöglichung von Auftritten dubioser Zeugen oder von Auskunftspersonen mit erkennbaren Eigeninteressen.

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU]: Das ist überall so!)

Ich nenne die Durchsetzung der Vernehmung auch randständigster Personen eines Geschehens als Auskunftspersonen, häufig bloße Wichtigtuer, ungeachtet der abzusehenden Unergiebigkeit der Aussage und der aufzuwendenden Kosten. Ich nenne den Versuch der Ausforschung des Privatlebens missliebiger Auskunftspersonen durch den Grafen und Kollegen Kerssenbrock, der daraufhin sagt, er werde sich nicht vorschreiben lassen, in welcher Weise er „Nachforschungen“ über die Glaubwürdigkeit von Zeugen anzustellen habe. Dass solche Nachforschungen zulässig seien, sei über jeden Zweifel erhaben.

(Dr. Ulf von Hielmcrone [SPD]: Ein Großin- quisitor!)

Ich nenne die sehr selektive Darstellung von verfahrensrechtlichen Sachverhalten in der Öffentlichkeit und die Verbreitung falscher Schlussfolgerungen. Ich nenne die rechtliche Würdigung unaufgeklärter Sachverhalte durch interessengeleitete Nichtjuristen.

Der Kollege und Fraktionsvorsitzende der CDU, Kayenburg, war ja nur ein paar Mal als Gast an den Sitzungen des Ausschusses beteiligt, hat aber gleich

(Klaus-Peter Puls)

wohl zu den Vorwürfen gegen Heide Simonis, sie habe vor dem PUA die Unwahrheit gesagt, am 11. Juni 2003 in die „Schleswig-Holsteinische Landeszeitung“ hineinschreiben lassen:

„Für mich würden die Fakten für einen Indizienprozess immer ausreichen.“

Leicht und locker.

(Dr. Trutz Graf Kerssenbrock [CDU]: Recht hat er!)

Ich nenne außerdem, Herr Kollege Trutz, dann die mit diesen Vorverurteilungen aus der Opposition heraus verbundene Hetzkampagne gegen die Ministerpräsidentin in der „Bild“-Zeitung und anderen einschlägigen Organen - reißerische Berichterstattung durch einen Journalisten in der „Bild“-Zeitung, einen Herrn Soyka, der selbst nie an den Terminen des Ausschusses teilgenommen hat, sondern seine Informationen offensichtlich von Ihnen, Herr Kollege Graf, erhalten hat. In diesem Zusammenhang nenne ich diverse erfolgreiche Gegendarstellungsverfahren der Ministerpräsidentin gegen die „Bild“-Zeitung und auch gegen den „Focus“.

Alles zusammen nenne ich das: Missbrauch der zum Schutz der Opposition von uns eingeführten Minderheitsrechte durch die Opposition.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Diesen Missbrauch sollten wir anprangern. Wir sollten versuchen, ihn abzustellen, auch um das Ansehen der Politik generell nicht noch mehr in Misskredit zu bringen.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und des Abgeordneten Lars Harms [SSW])

Ich glaube nicht, dass ein Appell an die Selbstdisziplin der Opposition in diesem Zusammenhang erfolgreich sein wird. Wir würden uns auch nicht sperren, Frau Kollegin Spoorendonk, liebe Anke, weitere zusätzliche verfahrensrechtliche Absicherungen miteinander zu erörtern. Allerdings sind wir - deswegen werden wir den SSW-Antrag ablehnen - gegen die Abschaffung der Untersuchungsausschüsse.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)