Protocol of the Session on January 23, 2004

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss und beziehe mich dabei auf die Abfolge der Nummern des Antrages des SSW. Erstens. Die SPD-Landtagsfraktion ist der Auffassung, dass parlamentarische Untersuchungsausschüsse sehr wohl ein geeignetes Instrument zur ob

jektiven Aufklärung von Sachverhalten im unmittelbaren oder mittelbaren Verantwortungsbereich der Regierung sind und dies auch bleiben müssen.

Zweitens. Die SPD-Landtagsfraktion sieht in unabhängigen Richteruntersuchungen keine gute Alternative zu Untersuchungsausschüssen. Dass die Rechte der parlamentarischen Minderheiten in vollem Umfang gewahrt werden, dass die Persönlichkeitsrechte Dritter unberührt bleiben und dass die Mitwirkungspflicht der Landesregierung gesichert wird, kann auch im parlamentarischen Untersuchungsausschussverfahren gewährleistet werden.

Drittens und Letztens. Die SPD-Landtagsfraktion spricht sich gegen ein Anhörungsverfahren aus, auf dessen Grundlage eine Änderung des Artikel 18 der Landesverfassung herbeigeführt und ein unabhängiges Richteruntersuchungsgesetz geschaffen werden soll, das das Untersuchungsausschussgesetz ablöst.

Die Untersuchungsausschüsse wurden verfassungsrechtlich als parlamentarisches Minderheitsrecht verankert. Regierungskontrolle ist eines der vornehmsten parlamentarischen Rechte. Wir sollten nicht darauf verzichten.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der CDU erteile jetzt Herrn Abgeordneten Thorsten Geißler.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Einer der geistigen Väter unseres Untersuchungsausschussrechtes war Max Weber. Seine Vorschläge fanden Einklang in die Weimarer Reichsverfassung in einem Klima des Antiparlamentarismus. Und wir sollten uns davor hüten, bei der Erörterung dieses Komplexes antiparlamentarische Reflexe wieder wirksam werden zu lassen.

(Beifall bei der CDU und des Abgeordneten Dr. Heiner Garg [FDP])

Denn bei unserem Untersuchungsausschussrecht ging es Max Weber darum, das Parlament von der Beschränkung von der Regierung vermittelter Informationen unabhängig zu machen. Es sollte eigene Sachermittlungskompetenzen erhalten, ihm sollte der Zugang zum Wissen der Verwaltung gewährt werden, um auf diese Weise eine effektive politische Kontrolle zu ermöglichen. Und davon haben viele Untersuchungsausschüsse Gebrauch gemacht, viele haben auch mit Erfolg gearbeitet. Nicht alle haben ihr Ziel

(Thorsten Geißler)

erreicht, aber auch in unserem Bundesland gibt es erfolgreiche Beispiele. Ich denke an den so genannten Schubladenausschuss unter Vorsitz des Herrn Landtagspräsidenten. Ich glaube, wir beschäftigen uns parteiübergreifend auch immer noch - -

(Zuruf des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

- Herr Neugebauer, das war ein sehr gutes Beispiel, auch wenn Ihnen die Ergebnisse vielleicht nicht gepasst haben. Aber wir haben ein Stück politischer Ehrlichkeit in diesem Land wieder hergestellt und das ist wichtig.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Und das gilt natürlich auch für den „Pallas“Untersuchungsausschuss, der auch konkrete Schlussfolgerungen für unsere parlamentarische Arbeit gefördert hat.

Immer wieder hat es Reformdiskussionen gegeben, drei Juristentage haben sich mit diesem Thema befasst, auch der Juristentag 1988. Immer war es unstreitig, parlamentarische Untersuchungsausschüsse müssen mit Mandatsträgern besetzt werden. Denn es geht nicht um die Erforschung strafrechtlich relevanter Sachverhalte. Dafür haben wir Staatsanwaltschaften und unabhängige Gerichte. Das, was Sie fordern, gibt es bereits und daran will niemand rütteln. Aber Untersuchungsausschüsse haben einen gänzlich anderen Charakter. Es ist ein Mittel parlamentarischer Kontrolle.

(Beifall bei CDU und FDP)

Genauso wie wir Große und Kleine Anfragen stellen, genauso wie wir Berichtsanträge stellen - immer auch mit dem Ziel, Versagen und Fehlverhalten der Regierung offen zulegen und öffentlich zu debattieren -, ist auch das Parlamentarismus, gehört der Streit in der Sache mit den Mitteln, die dem Parlament dafür zur Verfügung stehen, dazu.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU - Werner Kalinka [CDU]: Und da gibt es auch viel An- lass!)

- Dazu gibt es auch reichlich Anlass und davon machen wir Gebrauch.

Es ist ein Minderheitsrecht. Und das Recht der Minderheit kann nicht darauf beschränkt werden, einen Untersuchungsgegenstand zu definieren und dann alle Rechte aus der Hand zu geben und Richtern zu übertragen.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Nein, das Parlament, die Opposition muss die Möglichkeit haben, den Gang der Untersuchung auch zu steuern. Das hat auch Einklang in unser Untersuchungsausschussgesetz gefunden. 1993, zehn Jahre bevor der Bund so weit war, ist es von den großen Fraktionen und vom SSW verabschiedet worden. Ich habe damals für meine Fraktion federführend daran mitgearbeitet und ich glaube, diese Minderheitsrechte haben sich voll und ganz bewährt.

Damit sind parlamentarische Untersuchungsausschüsse keine Gerichte, sondern sie sind Mittel der Ausübung politischer Kontrolle.

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Monika Heinold [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das erfolgt im Parlament durch die Herstellung von Publizität und verlangt nach öffentlicher Debatte. Konstitutiv für den Parlamentarismus ist der Streit, das Ringen um Sachverhalte und Bewertungen. Von daher ist es kein Degenerieren, sondern ganz normal, wenn politische Untersuchungsausschüsse auch Kampfmittel der Opposition sind. Anders kann es in einem parlamentarischen System überhaupt nicht sein.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Großbritannien gibt es in der Tat seit 1921 den Tribunal of Inquiry Act. Es gibt unabhängige Richteruntersuchungen. Aber - das hat schon Ziemske 1991 deutlich gemacht - 1979 wurde ein weiteres Instrument geschaffen, das Department of Select Committees Act, parlamentarische Untersuchungsausschüsse des Unterhauses. Und - darauf macht Ziemske 1991 aufmerksam - seit 1979, seitdem sich das Unterhaus die Möglichkeit parlamentarischer Kontrolle verschafft hat, hat es kein einziges Tribunal of Inquiry, keine unabhängige Richteruntersuchung, mehr gegeben.

Frau Kollegin Spoorendonk, die von Ihnen angesprochene Kelly-Affäre wurde nicht parlamentarisch untersucht. Die Regierung hat den Richter eingesetzt, die Regierung hat den Untersuchungsauftrag formuliert und später den Richter daran erinnert, er möge sich peinlich genau daran halten. In England mag das noch akzeptiert werden, da ist es völlig unvorstellbar, dass sich ein Richter auch noch außerhalb seiner Dienstzeit in irgendeiner Form politisch exponiert und engagiert. Dieses Richterbild mag Vorteile haben, in Deutschland ist das aber nicht der Fall. Wir hätten schon Streit bei der Einsetzung von Richtern.

(Thorsten Geißler)

Jeder stünde im Verdacht, der Seite zuzuarbeiten, die ihn eingesetzt hat.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei der SPD)

In den USA gibt es natürlich auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Der Watergate-Skandal ist von einem Senatsuntersuchungsausschuss aufgeklärt worden. Die unabhängige Richteruntersuchung, die Sie benannt haben, Kenneth Starr, ist ein Fall für den Missbrauch richterlicher Macht zur Bloßstellung einer Regierung aus falsch verstandenem Ehrgeiz.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei der SPD)

Und in Dänemark gibt es zwar Richteruntersuchungen, es gibt aber auch das Untersuchungsausschussgesetz von 1999. Das Parlament hat die Möglichkeit, auch parlamentarische Untersuchungsausschüsse einzusetzen, allerdings mit der etwas eigenartigen Konstruktion, dass in Dänemark diese Untersuchungsausschüsse vom Justizministerium besetzt werden. Also, das wollen wir wirklich nicht und das kann auch kein Vorbild für uns sein.

(Beifall bei CDU und FDP sowie vereinzelt bei der SPD)

Kurz und gut: Die Einschätzung des SSW beruht auf einem Missverständnis unseres parlamentarischen Systems. Die beschworenen Beispiele im Ausland halten einer Überprüfung nicht stand. Es gibt sie so in dieser Form überhaupt nicht. Von daher können Sie mit meiner Fraktion über vieles diskutieren, in der Tat gibt es interessante rechtspolitische Ansätze dazu, wie man das Untersuchungsausschussrecht fortentwickeln kann, zum Beispiel die Frage der Anwendbarkeit strafprozessualer Vorschriften, die Ausgestaltung des Betroffenenstatus, die Aussagepflichten, die Einräumung der Befugnis, Strafbefreiung für den Fall einer Aussage zu garantieren, die Zuordnung von Ermittlungsbeauftragten.

Meine Damen und Herren, es lohnt sich, darüber zu diskutieren,

(Beifall der Abgeordneten Irene Fröhlich [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

damit das Parlament wirksame parlamentarische Kontrolle ausüben kann. Darum muss es uns im Kern gehen: parlamentarische Kontrolle zu ermöglichen und zu verbessern und nicht abzulösen durch Instrumente, mit denen das Parlament dieser Möglichkeit gerade verlustig geht.

(Beifall bei CDU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der FDP erteile ich jetzt dem Fraktionsvorsitzenden, Herrn Abgeordneten Wolfgang Kubicki.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Recht, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss einsetzen zu können, ist insbesondere das Recht der parlamentarischen Minderheit. In unserer Vergangenheit ist es sehr hart erkämpft worden. Schon die Frankfurter Nationalversammlung hatte 1848 ein parlamentarisches Untersuchungsrecht nach englischem Vorbild formuliert. Doch erst die Weimarer Reichsverfassung konnte dieses Recht in sich selbst inkorporieren.

Bis dahin war - Kollege Geißler hat darauf hingewiesen - nach Max Weber das Parlament schlicht zur dilettantischen Dummheit und zur Unkenntnis verurteilt. Untersuchungsausschüsse sind deshalb nach Max Weber gedacht als eine Rute, deren Vorhandensein die Verwaltungschefs zwingt, in einer Art Rede zu stehen, die ihre Anwendung unnötig macht. Nur so kann das Parlament - insbesondere die parlamentarische Minderheit - überhaupt eine Kontrolle über die jeweilige Regierung ausüben.

Denn stellvertretend durch die von ihm eingesetzten Untersuchungsausschüsse übt das Parlament seine eigene originäre Untersuchungsbefugnis aus. Das ist es, was ein parlamentarisches Untersuchungsrecht zu einem wesentlichen und immer wichtiger werdenden Kontrollinstrument des Parlaments macht.

Ich habe den Eindruck, dass der SSW mit seinem Antrag das Kind mit dem Bade ausschüttet. Weil die Abgeordneten des SSW der subjektiven Meinung sind, dass ein Untersuchungsausschuss zur Aufklärung eines politischen Missstandes nicht in der Lage ist, will man den frei gewählten Abgeordneten eines Parlaments eines der schärfsten Schwerter der parlamentarischen Demokratie aus der Hand nehmen, das Recht, die Tatsachenermittlung in einem Untersuchungsausschuss selbst vorzunehmen.

Auch bei der heutigen Debatte kann ich fragen: Was würde uns eigentlich fehlen, wenn wir nicht die hervorragenden Auseinandersetzungen in der Sache und auch in der Person von Günter Neugebauer, KlausPeter Puls und Trutz Graf Kerssenbrock hätten? Das allein schon dient der Meinungsbildung über die Art und Weise des Umgangs miteinander.

Der SSW möchte gern neutrale Sonderermittler, die eine objektive Sachverhaltsaufklärung vornehmen.

(Wolfgang Kubicki)