Protocol of the Session on December 11, 2003

Antrag der Fraktion der CDU Drucksache 15/3007 (neu)

Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.

Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort für die antragstellende Fraktion der CDU hat Frau Kollegin Sylvia Eisenberg.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer Untersuchung des Instituts für Angewandte Mathematik der Fachhochschule Flensburg vom Oktober dieses Jahres konnten wir nachlesen, dass nur einer von 447 Schülern der Abschlussklasse von Oberschulen im Norden Schleswig-Holsteins alle vorgegebenen 20 mathematischen Aufgaben gelöst hat, Aufgaben, die eher im Bereich des Mittelstufenstoffes angesiedelt waren. Nur 10 % aller Schülerinnen und Schüler waren einigermaßen fit, das heißt, nur insgesamt rund ein Viertel aller Schüler, die daran teilgenommen haben, wären dafür geeignet, ein mathematisches Studium aufzunehmen.

Unsere Schüler an den Oberstufen der Gymnasien sind nicht ausreichend auf das Studium vorbereitet. Das wird auch im Bericht des Hochschulinformationssystems zur Studienabbrecherquote vom Juli 2002 klar. Die Studienabbrecherquote in Mathematik und in den Naturwissenschaften liegt zwischen 12 und 37 %, die zusätzliche Quote der Fachbereichswechsler zwischen 7 und 45 %. Das heißt, die so genannte Schwundquote reicht bis 58 %. Ähnliches und noch Schlimmeres finden wir im Bereich der Sprach- und Kulturwissenschaften. Hier finden wir eine Schwundquote von insgesamt 73 % der Studienanfänger.

Das alles sind Studierende, die mit dem zunächst angedachten Studium nicht zurechtkommen.

Diese Zahlen können uns in Schleswig-Holstein nicht befriedigen. Die Ursachen für Studienabbruch und Studienwechsel sind sicher differenziert zu betrachten. Wie die Untersuchung des Institutes für Angewandte Mathematik in Flensburg zeigt, fehlen offensichtlich vor allen Dingen die Voraussetzungen, das heißt die inhaltlichen und methodischen Kenntnisse, die die Schulen den künftig Studierenden oder Auszubildenden mitgeben.

„Was die Schulen mit ihrem Unterricht den Schülerinnen und Schülern nicht beibringen, fehlt den späteren Studenten an den Hochschulen." Das ist nicht ein Zitat meiner Parteifreunde, sondern das ist ein Zitat der Bundesbildungsministerin Bulmahn vom 6. Juni 2003.

Deshalb haben wir heute unseren Antrag zur Reformierung der gymnasialen Oberstufe eingebracht. Die CDU will eine Stärkung der Kernfächer zugunsten eines klaren Bildungsgrundprofils. Die Spezialisierung auf und in Leistungskursen hat - wie die Zahlen belegen - während der letzten fast 30 Jahre Studienabbruch und Studienwechsel nicht verringert, sondern erhöht - nachzulesen im Hochschulinformationssystem.

Eine breitere inhaltliche und methodische Grundlage mit verbindlichen Stundenanteilen bis zum Abitur in den Kernfächern Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache sowie in zwei Naturwissenschaften wird den immer wieder von Wirtschaft und Hochschulen erhobenen Forderungen gerecht, sowohl den sprachlichen als auch den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich zu stärken und einer frühen Spezialisierung vorzubeugen. Nebenbei kann auf diese Art und Weise auch ein Fachbereichswechsel für die zukünftigen Studenten erleichtert werden. Durch die individuelle Wahl zweier weiterer Fächer bleibt eine zusätzliche Schwerpunktsetzung im mathematischnaturwissenschaftlichen Bereich, im sprachlichen Bereich oder im gesellschaftspolitischen Bereich weiterhin möglich.

Der in Schleswig-Holstein eingeführte VU-Unterricht, gerade auch von Schülern als Spielwiese belächelt, wird nach unseren Vorstellungen in die Fächer integriert und der Projektunterricht im Rahmen der in Punkt 5 unseres Antrages genannten Arbeits-, Lern- und Prüfungsformen ersetzt durch ein projektorientiertes Arbeiten mit dem verpflichtenden Abschluss eines Kolloquiums, das gleichzeitig die mündliche Prüfung im Abitur ersetzen kann. Das wäre auch ein größerer Anreiz, sich dieser Form zuzuwenden.

Ich will nicht verhehlen, dass das Abitur in fünf Fächern - vier schriftlich und eins mündlich - für die Lehrkräfte zunächst eine Horrorvorstellung wegen des zusätzlichen Arbeitsaufwandes darstellt. Ich will aber noch einmal daran erinnern, dass die CDU für landesweit zentrale Abschlussprüfungen eintritt, wie wir sie in unserem Antrag zum Zentralabitur gefordert haben, Frau Erdsiek-Rave.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Diese neue Form der gymnasialen Oberstufe eröffnet auch die Möglichkeit, verstärkt auf den Unterricht im Klassenverband abzustellen. Damit werden stabile Lerngruppen mit gemeinsamem Unterricht auf hohem Niveau geschaffen und damit tragen wir auch zur Qualitätssicherung am Gymnasium bei. Gleichzeitig erfüllen wir auf diese Art und Weise das Anliegen der Wirtschaft und der Unternehmensverbände, die im September ähnliche Forderungen an die gymnasialen Oberstufenschüler gestellt haben.

Ich bitte um Überweisung an den Ausschuss.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort für die Fraktion der SPD erteile ich jetzt dem Herrn Abgeordneten Dr. Henning Höppner.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Eisenberg, ich wage an dieser Stelle einfach einmal die Behauptung, dass die Abbrecherquote an den Universitäten mit einer mangelhaften mathematischen Grundausstattung oder unzureichenden Mathematikkenntnissen sicherlich nichts zu tun hat. Nach meinem Kenntnisstand ist die Anzahl der Abbrecher an philosophisch-geisteswissenschaftlichen Fakultäten mindestens genauso hoch wie an mathematisch-naturwissenschaftlichen. Ich sehe hier überhaupt keinen Zusammenhang.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Herr Höppner, Sie hätten zuhören müssen!)

Noch vor relativ kurzer Zeit hat sich hinsichtlich der gymnasialen Oberstufe eine Grundsatzauseinandersetzung um die Frage entwickelt, ob man zu einer Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von 13 auf 12 Jahre kommen kann, ohne damit die Qualität dieses Bildungsabschlusses und damit die Hochschulzugangsqualifikation entscheidend zu verschlechtern. In letzter Zeit wird vonseiten der CDU über ganz andere Strukturmaßnahmen nachgedacht. Die bildungspolitische Wortführerin der Union, die baden-württembergische Kultusministerin Annette Schavan, will das bisherige nach Grund- und Leistungskursen differenzierte Oberstufensystem ablösen. Anstelle der differenzierten Kurse sollen obligatorische vierstündige Kurse in Mathematik, Deutsch und in einer Fremdsprache sowie weitere Kursverpflichtungen treten, die für die studienvorbereitende individuelle Profilierung eines Schülers kaum noch Raum lassen, wie wir meinen. Es ist eben jenes baden-württembergische Modell, das im Wortlaut, aber nicht im Inhalt nur unwesentlich von Ihrem Antrag abweicht.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Das ist richtig!)

Sie haben an dieser Stelle ja schon einmal festgestellt, wenn man sich auf Anträge der CDULandtagsfraktion in Schleswig-Holstein vorbereiten will, dass man dann am besten ins Internet geht und unter „Baden-Württemberg“ nachschaut.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Das ist besser, als wenn man gar keine Anträge stellt!)

Aus der Sicht meiner Fraktion macht ein solcher Antrag keinen Sinn. Bereits bisher ist durch Absprache innerhalb der Kultusministerkonferenz sichergestellt, dass die Schulabschlüsse der einzelnen Bundesländer gegenseitig anerkannt werden und als bundesweite Hochschulzugangsberechtigung ausreichen. Was wir brauchen - das gilt für alle Schularten und alle Altersgruppen -, sind präzise Standards, nicht engere

Strukturen. Dieser Auffassung waren Sie, Frau Kollegin Eisenberg, gestern auch.

Gerade die letzte Oberstufenverordnung, die - Sie werden sich erinnern - erst im vergangenen Jahr novelliert worden ist, lässt keinen Zweifel daran, dass der Schwerpunkt Mathematik gestärkt wurde. Es gibt hier keinen Nachholbedarf. Es gibt sogar viele Stimmen aus dem Bereich der Geisteswissenschaften, die darüber klagen, dass der mathematisch-naturwissenschaftliche Bereich gegenüber den Geisteswissenschaften bevorzugt wird.

Ich mache mir diese Kritik nicht zu Eigen: Wer aber die Stärkung einer Fächergruppe fordert, der muss auch sagen, welche er stattdessen reduzieren will. Denn über eines müssen wir uns klar sein: Das Prinzip „additiv statt alternativ“ kann es in der gymnasialen Oberstufe nicht geben.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir halten es weiterhin für richtig, dass für 16-jährige Schülerinnen und Schüler, für die die Frage nach ihrer weiteren Ausbildung nach dem Abitur, sei es eine Berufsausbildung - das ist für mehr als die Hälfte der Fall - oder sei es ein Studium, immer näher rückt, eigene Profilierungsentscheidungen notwendig sind. Das in den 70er-Jahren bundesweit etablierte System der Wahl zwischen verschiedenen Fächern und zwischen Grund- und Leistungskursen hat sich unserer Auffassung nach bewährt.

Baden-Württemberg - das können wir durchschauen - hat einen anderen nachvollziehbaren Grund, zu weniger, aber dafür größeren Lerngruppen innerhalb der gymnasialen Oberstufe zu kommen. Dieser Grund liegt in der Mittelknappheit. Das ist ganz offensichtlich. Ein durchlaufendes Klassenprinzip bindet weniger Lehrkräfte als ein ausdifferenziertes Kurssystem. Das legt den Verdacht nahe, dass das Kurssystem in der Oberstufe das Opfer ist, das Frau Schavan ihrem Finanzminister zu erbringen hat.

Wir sehen keine Notwendigkeit, uns in interne Auseinandersetzungen der baden-württembergischen Landesregierung einzumischen. Von daher werden Sie es uns nicht verübeln, wenn wir Ihren Antrag heute ablehnen werden.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Wort für die Fraktion der FDP erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Ekkehard Klug.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Verbesserung der gymnasialen Oberstufe ist zweifellos ein wichtiges bildungspolitisches Anliegen. Dazu unterbreitet der Antrag der CDU-Fraktion einige durchaus bedenkenswerte Vorschläge. In einigen Teilen ist der Antrag der Union nach meiner Überzeugung aber überhaupt nicht dazu geeignet, das deklarierte Ziel tatsächlich zu erreichen. Geradezu kontraproduktiv, Frau Kollegin Eisenberg, finde ich die in Ihrem Antrag vorgesehene Möglichkeit, die ohnehin nur in einem einzigen Fach vorgeschriebene mündliche Abiturprüfung durch eine so genannte besondere Lernleistung zu ersetzen, zum Beispiel durch eine Seminararbeit oder durch einen Wettbewerbsbeitrag.

Viel sinnvoller, Frau Kollegin Eisenberg - ich denke, bei einem gewissen Nachdenken werden Sie auch zu diesem Schluss kommen -, wäre es, solche besonderen Lernleistungen, also eine Seminararbeit oder einen Wettbewerbsbeitrag, als Ersatz für eine der schriftlichen Abiturprüfungen vorzusehen. Wir haben jetzt drei schriftliche Abiturprüfungsfächer. Sie wollen, wie es auch in dem letzten Landtagswahlprogramm der FDP heißt, die Zahl der Prüfungsfächer im Abitur auf fünf erhöhen. Es gäbe dann vier schriftliche Prüfungen. Eine davon durch eine besondere Lernleistung ersetzen zu lassen, wäre in der Tat eine sinnvolle Lösung. Was Sie vorschlagen, erlaubt es den Schülern gegebenenfalls, um eine mündliche Abiturprüfung vollkommen herumzukommen.

(Sylvia Eisenberg [CDU]: Das stimmt nicht!)

- Natürlich. Eine Seminararbeit ist eine schriftliche Leistung. Ein Wettbewerbsbeitrag, „Jugend forscht“ und Ähnliches, beruht im Wesentlichen auf dem schriftlich eingereichten Wettbewerbsprojekt. Das heißt, die Zuordnung als Ersatz für eine schriftliche Prüfung ist logisch. Sie sehen vor, dass die mündliche Prüfung ganz entfallen könnte, wenn die Schüler stattdessen eine so genannte besondere Lernleistung erbringen.

(Wortmeldung der Abgeordneten Sylvia Ei- senberg [CDU])

- Lassen Sie mich das kurz erläutern, damit Sie auch meine Begründung haben. Dann können Sie gerne eine Frage stellen.

Im Hochschulbereich gibt es im Laufe des Studiums viele mündliche Prüfungen. Es ist eher ein Problem - ich bin selber Hochschullehrer -, dass Studierende nicht hinreichend gut auf die Situation der mündlichen Prüfung vorbereitet sind. Wenn im Schulbereich, im Abitur, keine mündliche Prüfung mehr

stattfände, wäre das ein Problem. Im Berufsleben, in der Wirtschaft, bei der Auswahl der Arbeitsplätze spielen Dinge wie Assessment Center und Ähnliches eine wichtige Rolle. Das ist im Grunde auch so etwas wie eine mündliche Prüfung.

Ich bleibe dabei: Es muss wenigstens in einem Fach - das ist ohnehin ein Minimum - im Abitur eine mündliche Prüfung stattfinden.

(Beifall bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und SSW)

Man darf sich darum nicht in irgendeiner Weise herumnavigieren können. - Jetzt haben Sie die Begründung gehört. Sie können jetzt gern eine Frage stellen.

Eine Sekunde bitte. Das Wort wird nach wie vor durch das Präsidium erteilt. Das ist jetzt der Fall. Frau Kollegin Eisenberg, Sie haben das Wort.

Die Frage, Herr Dr. Klug, kennen Sie sicher vom Inhalt her auch. Wenn ich von einem Kolloquium als Abschluss rede, so gehe ich davon aus, dass auch das eine mündliche Arbeit ist. Sie werden das sicher bestätigen können.

Sie haben die besonderen Lernleistungen definiert. Sie haben gesagt: Besondere Dinge wie Seminararbeiten oder Wettbewerbsbeiträge können die mündliche Prüfung ersetzen. Meine Kritik bezieht sich darauf. Ich bleibe bei dem Vorschlag, dass, wenn man etwas anrechnen lässt, man das beim schriftlichen Teil der Abiturprüfung machen sollte, keinesfalls aber bei der mündlichen Prüfung.

Um etwas Positives zu sagen: Ich halte den Vorschlag, auf jeden Fall zwei naturwissenschaftliche Fächer bis zum Abitur einschließlich des 13. Jahrgangs verbindlich zu machen, für richtig. Diese Position haben auch wir schon vertreten. Es ist vollkommen logisch, dass man Chemie nicht machen kann, ohne Physik zu können. Man kann auch Biologie nicht machen, ohne im Fach Chemie ein Grundverständnis zu haben. Der Zusammenhang der Naturwissenschaften muss gesehen werden. Ich gehe aber über Ihren Vorschlag noch hinaus und sage: Wir müssen die Dreistündigkeit der naturwissenschaftlichen Grundkurse in der Oberstufe sicherstellen. Es gibt heute an den Gymnasien auch zweistündige Grundkurse in Naturwissenschaften. Das ist in Fächern, die mit Experimenten im Unterricht arbeiten

(Dr. Ekkehard Klug)

müssen, ein zu geringes Zeitbudget. Deshalb sollte man hier draufsatteln.

Über Ihren Vorschlag - damit will ich schließen -, dass man den Bereich der Kernfächer zeitlich etwas erweitert und die bisherigen Leistungskurse nicht mehr fünfstündig macht, sondern sie durch zwei Kursangebote ersetzt, die vierstündig sind, kann man diskutieren. Es spricht vieles dafür, dass man in diesem Sinne eine verbreiterte Allgemeinbildung verbindlich bis zum Abitur im Bereich der Oberstufe der Gymnasien klarer verankert. Weil meine Redezeit - wegen der langen Unterbrechung ist sie kürzer - abgelaufen ist, werde ich mich noch mit einem Kurzbeitrag melden und einige Punkte ergänzend darlegen.