Protocol of the Session on November 14, 2003

(Karl-Martin Hentschel)

Solidarität. Meine Solidarität haben diejenigen, die sich engagieren, und das sind sehr viele in der Wirtschaft. Ich unterstütze auch diejenigen, die sich in den Berufsschulen engagieren. Meine Solidarität haben vor allem die Jugendlichen, die sich um einen Ausbildungsplatz bemühen und die ein Recht darauf haben, dass ihnen in dieser Gesellschaft eine Chance gegeben wird. Wir haben die Pflicht, ihnen in unser aller Interesse eine Chance zu geben, denn von der Zukunft der Jugend und ihrer guten Ausbildung hängt die Zukunft unseres ganzen Landes ab.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir haben in der Ausbildung eine kritische Situation, die nicht damit zusammenhängt, dass der Mittelstand und die kleinen Handwerksbetriebe nicht ausbilden. Wir haben eine kritische Situation, weil in vielen Groß- und Kettenunternehmen nicht ausgebildet werden darf, weil diese Betriebe nur noch an der Maßgabe der Profitmaximierung orientiert werden, weil es kein persönliches Engagement von Eigentümern gibt, die ein Interesse daran haben, dass ihre Kinder ausgebildet werden und daher selber ausbilden. Ausbildungsplätze werden wegrationalisiert, weil sie etwas kosten oder weil sie umständlich sind.

(Dr. Ekkehard Klug [FDP]: Was ist eigent- lich mit den öffentlichen Arbeitgebern?)

Darauf, dass sich Ketten- und Großbetriebe aus der Ausbildung verabschiedet haben, muss reagiert werden, denn diese Betriebe, die sich aus der Ausbildung verabschieden, sind Trittbrettfahrer. Sie vertrauen darauf, dass kleine Betriebe und Handwerksbetriebe aus persönlichem Engagement heraus Arbeitsplätze und Ausbildungsplätze schaffen, von denen die großen Betriebe dann später profitieren. Das darf nicht sein!

(Beifall des Abgeordneten Günter Neuge- bauer [SPD])

Es ist richtig, dass sich die Politik Gedanken darüber macht, wie zu reagieren ist. Ich verstehe es überhaupt nicht, wenn hier zwei Fraktionen so auftreten, als gäbe es kein Problem.

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Sie verschärfen das Problem!)

Ich bin gegen eine Ausbildungsplatzabgabe. Ich glaube, dass das, was von der Bundestagsfraktion der Grünen vorgeschlagen worden ist, gut ist. Es wird nämlich ein Gesetz vorgeschlagen, in dem geregelt wird, dass für den Fall, dass nicht genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, eine Ausbildungsplatzumlage erhoben wird, die den Betrieben zugute

kommt, die ausbilden. Kleinbetriebe werden dabei nicht berücksichtigt.

(Christel Aschmoneit-Lücke [FDP]: Wer stellt das fest?)

Das ist ein vernünftiger Vorschlag. Wir haben bereits eine Ausbildungsplatzumlage. Wissen Sie das überhaupt?

(Wolfgang Kubicki [FDP]: Im Baugewerbe!)

- Ja, im Baugewerbe haben wir eine Ausbildungsplatzumlage. Bei dieser Ausbildungsplatzumlage ist noch niemand auf die Idee gekommen zu sagen, sie sei zu bürokratisch und sollte daher abgeschafft werden.

(Roswitha Strauß [CDU]: Das ist der Tarif- vertrag! Das ist etwas anderes!)

- Entschuldigung, ich glaube, dass gerade diese Umlage dafür verantwortlich ist, dass in der Bauindustrie deutlich überproportional ausgebildet wird.

(Beifall der Abgeordneten Detlef Matthies- sen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Günter Neugebauer [SPD])

Obwohl sich die Bauindustrie seit Jahren in der Krise befindet, ist sie ein Beispiel dafür, dass das Ausbildungssystem in Deutschland funktioniert. Wenn es im Einzelhandel, wo sehr viele Ausbildungsplätze fehlen, ein entsprechendes System gäbe, dann hätten wir - glaube ich - auch dort eine völlig andere Situation. Zu behaupten, das System funktioniere nicht, könne nicht funktionieren und sei bürokratisch, ist falsch. Das System kann funktionieren. Ich bin aber gar nicht dafür, dass die Umlage erhoben wird. Ich bin nur dafür, dass wir ein Gesetz haben, das den Fall regelt, wenn es in einem bestimmten Bereich - von mir aus sektoral nach Wirtschaftszweigen differenziert - keine ausreichende Anzahl an Ausbildungsplätzen gibt. Das ist der Fall, wenn Firmen, Verbände oder die Innung sich nicht entsprechend engagieren.

Ich finde den Vorschlag, den der Wirtschaftsminister des Landes Schleswig-Holstein gemacht hat, nämlich dass man für die Regionen, in denen sich die Handwerkskammern und Industrie- und Handelskammern vorbildlich so engagieren wie in Schleswig-Holstein, in denen die Betriebe einzeln überzeugt werden, auszubilden, wo es gelingt, selbst in einer schwierigen Zeit die Ausbildungssituation stabil zu halten, sagt: Okay, in den Regionen, in denen es funktioniert, wird die Ausbildungsplatzumlage nicht erhoben. In den Regionen, in denen es nicht funktioniert hat, wird sie

(Karl-Martin Hentschel)

erhoben. Ich glaube, das ist ein ausgezeichnetes Druckmittel, um zu erreichen,

(Zurufe von der FDP)

dass in allen Regionen in Deutschland die Ausbildungsplatzumlage nicht erhoben wird. Wir kommen dann zu der Situation, dass wir in allen Regionen Schleswig-Holsteins genügend Ausbildungsplätze haben. Das wäre das Beste, was wir für unsere Jugend erreichen können.

(Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abgeordneten Günter Neugebauer [SPD])

Für den SSW im Schleswig-Holsteinischen Landtag erteile ich Herrn Abgeordneten Lars Harms das Wort.

(Zuruf: Der ist nicht da!)

In seiner Vertretung erteile ich der Sprecherin, Frau Abgeordneter Anke Spoorendonk, das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch für uns gilt: Wer zu spät kommt - -

(Heiterkeit)

Ich glaube, aus schleswig-holsteinischer Sicht können wir nicht ohne Stolz feststellen, dass SchleswigHolstein im bundesweiten Vergleich beim Ausbildungsplatzangebot eigentlich sehr gut abschneidet. Obwohl es auch bei uns Anfang des Jahres auf dem Ausbildungsmarkt nicht gerade rosig aussah, hat sich die Lage seitdem doch weitgehend entschärft. Dank des großen Einsatzes der Landesregierung, der Arbeitgeberverbände, der Gewerkschaften und der Unternehmen im Lande können wir jetzt auf dem Ausbildungsmarkt in Schleswig-Holstein eine Entwarnung geben.

Das gemeinsam erarbeitete „Sofortprogramm für mehr Ausbildung und Qualifizierung in SchleswigHolstein“ hat nach Angaben der Landesregierung sehr gute Ergebnisse gezeigt. In Schleswig-Holstein wird es in diesem Jahr möglich sein, allen ausbildungswilligen und ausbildungsfähigen Bewerbern eine Lehrstelle anzubieten. Hierbei möchte ich mich vor allem bei den Unternehmen bedanken, die wirklich eine große Last schultern, um den Jugendlichen eine Perspektive in unserem Land zu bieten.

Kernpunkt dieses Programms war der erheblich verstärkte Einsatz von Ausbildungsplatzakquisiteuren, die in den Betrieben für mehr Lehrstellen werben und

gleichzeitig geeignete Bewerber und Bewerberinnen vermitteln. Insgesamt umfasst das Programm 13 Module, die noch in diesem Jahr mit einem Aufwand von rund 3,3 Millionen € über 2.000 Ausbildungs- und Qualifizierungsplätze schaffen sollen. Das Sofortprogramm, das erst einmal drei Jahre laufen soll, ergänzt auch die Maßnahmen der Bundesregierung und des schleswig-holsteinischen Bündnisses für Ausbildung. Ich finde, dass das Programm der Landesregierung eindeutig zeigt, dass wir zurzeit - jedenfalls in Schleswig-Holstein - keine Ausbildungsplatzabgabe brauchen und damit diese Debatte über eine Ausbildungsplatzabgabe eigentlich eine Geisterdebatte ist.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Natürlich wissen wir alle, dass es bundesweit große Probleme gibt, für die Jugendlichen genügend Ausbildungsplätze zu schaffen. Wir fürchten auch, dass hier ein riesiger Bürokratiemoloch aufgebaut wird.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Die Bundesregierung hat schon vor der Sommerpause eine Ausbildungsplatzabgabe angedroht, wenn die Unternehmen nicht genügend Ausbildungsplätze schaffen. Jetzt will die SPD-Bundestagsfraktion ein entsprechendes Gesetz in den Bundestag einbringen, damit Kanzler Schröder sein Gesicht wahren kann. Die entscheidende Frage ist aber, ob man mit einer Bestrafung der nicht ausbildenden Betriebe wirklich mehr Ausbildungsplätze schafft oder nicht gar das Gegenteil erreicht.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Der SSW tritt für tarifliche Regelungen ein, wie wir sie beispielsweise in der Baubranche haben, in der es ein Umlageverfahren zur Ausbildungsförderung gibt. Hier haben sich die Gewerkschaften und Arbeitgeber gemeinsam auf eine Umlage geeinigt, die zum Beispiel auch die außerbetriebliche Ausbildung finanziell unterstützt. Wir sind der Meinung, dass solche Anreizsysteme besser sind als eine Bestrafung der Unternehmen.

(Beifall bei SSW, CDU und FDP)

Dazu kommen wir nicht darum herum, das Ausbildungssystem insgesamt zu reformieren. Nur eine Abgabe einzuführen, ansonsten das duale System aber unverändert zu lassen, trägt nicht wirklich dazu bei, ein modernes Ausbildungssystem zu schaffen, das sowohl internationalen Ansprüchen genügt als auch genügend Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt.

Ich komme daher auch dieses Mal nicht darum herum, auf das vorbildliche dänische Ausbildungssys

(Anke Spoorendonk)

tem zu verweisen, das 1999 mit dem BertelsmannPreis ausgezeichnet wurde. Das muss ich Ihnen noch einmal sagen!

(Beifall beim SSW)

Hier gibt es schon seit 1972 keine Meisterpflicht mehr, ohne dass dadurch das Abendland untergegangen wäre.

(Beifall beim SSW)

Hier gibt es kein duales System, sondern ein Modulsystem, das durch viele außerbetriebliche Angebote Jugendlichen einen Ausbildungsplatz sichert.

Ich fasse zusammen: Wir werden dem FDP-Antrag zustimmen, da wir der Meinung sind, dass die Einführung einer Ausbildungsplatzabgabe in der jetzigen Situation - oder überhaupt - nicht sinnvoll ist. Wir brauchen eine Reform des dualen Systems und eine Einigung der Tarifpartner, um in Zukunft ausreichend Ausbildungsplätze für unsere Jugendlichen zur Verfügung zu stellen.

(Beifall beim SSW und vereinzelt bei der CDU)