Protocol of the Session on November 14, 2003

Vor allem muss der Antrag aber in den Ausschuss überwiesen werden, weil wir nur eine überparteiliche Lösung in dieser Frage akzeptieren können. Ein Kopftuchverbot muss gegebenenfalls einstimmig beschlossen werden. Noch schöner wäre es natürlich, wenn wir zu einer bundeseinheitlichen Regelung kommen könnten. Allerdings sehe ich wenig Grundlage für einen Konsens, wenn die süddeutschen Länder das Gebot der Neutralität so interpretieren, dass die Religion des christlichen Abendlandes gleicher ist als andere.

(Vereinzelter Beifall bei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Denn um eines geht es uns garantiert nicht: die leidige Neidkulturdebatte mit anderen Mitteln fortzusetzen.

Natürlich wollen wir auch gläubige Muslima als Lehrerinnen in unseren Schulen. Denn natürlich müssen unsere Kinder auch lernen, andere Kulturen und Religionen zu tolerieren. Ich glaube aber nicht, dass das Kopftuch hierzu einen Beitrag leisten kann - im Gegenteil.

(Beifall bei SSW, SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Das Wort zu einem Kurzbeitrag hat Herr Abgeordneter de Jager.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Hinrichsen, ich möchte mich ausdrücklich für Ihren Beitrag bedanken, weil ich glaube, dass er noch einmal eine Differenzierung und Versachlichung in die Debatte hineingetragen hat. Ich glaube, das war ein sehr guter Beitrag, der auch für die Beratungen im Ausschuss sehr wohl aufzeigt, in welche Richtung das gehen kann.

(Vereinzelter Beifall bei der CDU)

Und ich möchte den Dank an Sie damit verbinden, dass ich mich, Frau Birk, doch dagegen verwahren

(Jost de Jager)

möchte, dass Sie der Kollegin Eisenberg unterstellen, sie würde hinter jedem Kopftuch gleich eine Terroristin vermuten.

(Beifall bei der CDU)

Das hat sie weder gesagt, noch angedeutet, noch entspricht das unserer Geisteshaltung.

(Beifall bei CDU und FDP)

Deshalb sollten wir auch nicht versuchen, hier eine unsachliche Ebene in die Diskussion hineinzubringen, die hier überhaupt nichts zu suchen hat.

Ich möchte das, was Sie gesagt haben, auch noch in einer anderen Hinsicht aufgreifen. Sie sagten, Verbote wirkten antiintegrativ. Ich möchte Sie doch einmal auffordern, die Fragestellung auch haargenau umgekehrt zu betrachten. Glauben Sie denn, dass das Tragen eines Kopftuches bei einer Lehrerin integrativ wirkt? Glauben Sie, dass dadurch die Zielsetzung der Integration von Ausländern, die wir uns überparteilich auf die Fahnen geschrieben haben, tatsächlich erfüllt werden kann, indem wir das Tragen eines Kopftuches zulassen? - Dazu sagen wir: Nein. Das ist der Grund, weshalb wir mit unserem Antrag im Ausschuss zusammen mit der Landesregierung da hinkommen wollen, dass wir eine gesetzliche Grundlage finden, die vom Haus mit getragen wird und die in der Tat auch wasserdicht ist.

(Beifall bei CDU und FDP)

Zu dieser Fragestellung gehört auch immer die Fragestellung hinsichtlich der Glaubensfreiheit und der weltanschaulichen Freiheit, je nachdem, von welcher Blickwarte aus man das betrachtet. Es gibt auch die Rechtsauffassung, die besagt, dass man das Grundrecht, die Grundfreiheit nicht ausschließlich auf das Grundrecht der Lehrer verkürzen darf, sondern dass man es genauso als das Grundrecht der Schülerinnen und Schüler sehen muss. Deren Freiheit wird mittelbar oder unmittelbar durch ein solches Symbol wie das Kopftuch beeinträchtigt. Das ist eine Überlegung, die wir sehr wohl mit einfließen lassen müssen.

(Beifall der Abgeordneten Martin Kayenburg [CDU] und Thomas Stritzl [CDU])

Denn im Unterschied zu den Lehrerinnen können die Schülerinnen und Schüler nicht ausweichen. Sie unterliegen der Schulpflicht. Insofern sind sie solchen Symbolen ausgesetzt. Und hier müssen wir eine Abwägung und eine Balance finden. Deshalb haben wir diesen Antrag gestellt.

Ich möchte auch noch einmal sagen, warum wir ihn jetzt gestellt haben. Im Vorwege war zu lesen, das sei

gar nicht notwendig. Ihr Staatssekretär, Frau Ministerin Erdsiek-Rave, hat gesagt, in Schleswig-Holstein bräuchte man das nicht, weil es noch gar keine Fälle gebe. Das ist haargenau der Moment, wo wir ansetzen müssen. Denn es geht uns nicht darum, ein individuelles Verbot für einzelne Lehrerinnen auszusprechen, die das Kopftuch tragen, sondern es geht uns darum, im Vorfeld, wenn es einen solchen Fall noch nicht gibt, auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts eine Lehre zu ziehen, die sozusagen von vornherein Rechtsklarheit an den Schulen in Schleswig-Holstein schafft.

(Glocke des Präsidenten)

Das wird damit erreicht. Und deshalb sollten wir - ich habe meine Redezeit aufgebraucht - zu einer sachlichen, differenzierten Beratung im Ausschuss zurückkehren und sie weiter tragen und den Antrag dann zu einem Gesetzentwurf führen.

(Beifall bei der CDU)

Das Wort zu einem weiteren Kurzbeitrag hat Frau Abgeordnete Birk.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Eisenberg, damit das nicht länger im Raum stehen bleibt: Sie hatten tatsächlich nicht von Terrorismus gesprochen. Deshalb möchte ich diese Bemerkung zurücknehmen und mich entschuldigen.

Ansonsten bin ich sehr damit einverstanden, wenn alle hier zur Sachlichkeit aufrufen. Ich hoffe, wir haben im Ausschuss eine sehr gute Anhörung.

(Beifall im ganzen Haus)

Ich erteile dann Frau Ministerin Erdsiek-Rave das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im laizistischen Frankreich ist es verboten, im postkolonialen England ist es selbstverständlich, in der Türkei nach Atatürk nicht zulässig und jetzt in Deutschland gibt es die Frage Verbot oder nicht in 16 Bundesländern. In denen spielen übrigens hoch unterschiedliche Begründungen, Motive oder auch Zielsetzungen für die Bejahung oder Verneinung eine Rolle. Das hat man heute auch ein bisschen hier in der Debatte gespürt.

(Ministerin Ute Erdsiek-Rave)

Bei allem spielt natürlich auch die Frage der Dringlichkeit eine Rolle.

Bevor ich mich mit den Argumenten in aller Kürze - eigentlich ist die Kürze bei diesem komplexen Thema unangemessen; das muss man wirklich noch einmal sagen -

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

auseinander setze, möchte ich eines feststellen: Mir ist in Schleswig-Holstein kein Fall bekannt, weder an einer Schule, noch an einer Kindertagesstätte oder in den Hochschulen, noch im gesamten öffentlichen Dienst, in dem das Tragen eines Kopftuches eine Rolle gespielt hat. Man könnte natürlich sagen: Fein raus!, aber das heißt natürlich nicht, dass wir uns nicht eine Position erarbeiten müssen. Es heißt umgekehrt, dass wir zum Glück in der Lage sind, weder unverzüglich eine gesetzliche Regelung vorlegen zu müssen, noch etwa das einzig bisher vorliegende, nämlich das baden-württembergische Gesetz, einfach übernehmen zu müssen. Dieses Gesetz halte ich in der Tat für höchst problematisch und rechtlich angreifbar.

(Beifall bei SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN und FDP)

Ich selbst habe mich in einer ersten Reaktion auf das Urteil im September 2003 gegen das Tragen eines Kopftuches im Klassenzimmer ausgesprochen. Dabei bleibe ich auch.

(Beifall der Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU], Brita Schmitz-Hübsch [CDU] und Lars Harms [SSW])

Ich habe das wohl wissend getan, dass dies im Zweifel auch die jüdische Kippa, den Talar oder im Extremfall auch den Tschador oder die Burka betreffen könnte.

(Beifall der Abgeordneten Thomas Stritzl [CDU], Dr. Heiner Garg [FDP] und Lars Harms [SSW])

Ich bin entschieden dafür, dass die Religionen hier gleichbehandelt werden müssen. Ich plädiere nachträglich für weltanschauliche und politische Neutralität in unseren Schulen, gerade in diesem sensiblen Bereich,

(Beifall bei der SPD und der Abgeordneten Detlef Matthiessen [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Dr. Heiner Garg [FDP])

in dem man die Vorbildwirkung der Lehrerinnen und Lehrer - insbesondere sind es ja Lehrerinnen - nicht hoch genug einschätzen kann.

Ich plädiere zugleich dafür - das ist auch das, was im Schulgesetz steht; das haben Sie auch zu Recht zitiert, Frau Eisenberg -, dass Lehrer in ihrem Unterricht in jeder Weise die Werte des Grundgesetzes vertreten und auch vorleben.

Insbesondere geht es dabei um religiöse Toleranz. Es geht um Menschenwürde, es geht um Freiheitsrechte, es geht um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen. Nach allem, was wir wissen, was ich weiß, was ich gelesen und gehört habe, was als Reaktionen auf Karlsruhe geschrieben worden ist, bin ich der Auffassung: Sowohl das Tragen des Kopftuchs als auch seine Wirkung sind höchst unterschiedlich motiviert und begründet.

Die Nobelpreisträgerin Schirin Ebadi beispielsweise hat gesagt, sie trage das Kopftuch im Iran, weil sie es tragen müsse. Sobald sie europäischen Boden betrete - auch bei der Nobelpreisverleihung -, trage sie es nicht. Wenn man dies auf die Situation in Deutschland überträgt, heißt das also: Junge Muslimas tragen es aus religiöser Überzeugung, oder sie tragen es, weil Druck von den Eltern oder von ihrem familiären Umfeld vorhanden ist. Diesen Druck darf man nicht unterschätzen, meine Damen und Herren.

(Beifall)

Man muss übrigens auch keine Anhängerin von irgendwelchen Verschwörungstheorien sein, um eindeutig eine islamistische Expansion auch in Deutschland zu beobachten, für die die Unterdrückung der Frauen Teil ihres Programms ist. Das muss man so klar hier sagen.

Ich möchte, dass unsere Schülerinnen und Schüler von Druck und Beeinflussung jeglicher Art, auch vor ungewollter Beeinflussung, bewahrt werden. Damit will ich sagen: Selbst wenn das Kopftuchtragen individuell rein religiös begründet ist - so hat dies die Klägerin ja durchaus begründet -, darf man die objektive Wirkung, die ungewollte Wirkung, eben nicht unterschätzen. Deutsche Schülerinnen und Schüler haben mir gesagt: Uns ist das egal; natürlich kann unserer Meinung nach eine Lehrerin ein Kopftuch tragen. Die Wirkung auch auf sie darf man zwar nicht unterschätzen, aber die Wirkung auf moslemische junge Mädchen ist die entscheidende Frage.

(Beifall)