Protocol of the Session on March 27, 2019

Insofern glaube ich, haben wir noch ein bisschen Arbeit, diese Entscheidungslösung weiterzuentwickeln.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der CDU, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächster spricht der Abgeordnete Dr. Enders.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die lebensrettende Organtransplantation gehört zu den großartigen Fortschritten der Medizin in den letzten 60 Jahren. Voraussetzung bei einer Nicht-Lebendspende ist, dass beim Spender der Hirntod vorliegt. Das ist das endgültige und das vollständige Erlöschen der lebensnotwendigen Hirnfunktionen, und das ist irreversibel.

Wir diskutieren seit Langem über die Bereitschaft zur Organspende, speziell in unserem Gesundheitsausschuss. Es ist schon mehrfach gesagt worden, dass über 10.000 Menschen in Deutschland auf ein lebensrettendes Organ warten. Aber man muss auch sagen, dass täglich Menschen sterben, die vergeblich gewartet, zu lange auf der Warteliste gestanden haben. Ich glaube, deswegen muss es bei tendenziell rückläufigen Spenderzahlen unser Ziel sein, mehr Spender zu gewinnen.

Ich habe mich als Gesundheitspolitiker, vor allem aber auch als Arzt, als Mensch und als Christ für eine erweiterte Widerspruchslösung entschieden. Ich bin der Ansicht, dass jeder von uns zu Lebzeiten die Möglichkeit haben soll, sich gegen eine Organspende zu entscheiden, Nein zu sagen. Jeder kann Nein sagen. Wenn es jemand zu Lebzeiten nicht macht, können es die Angehörigen später immer noch.

Nach diesem Vorschlag hat jeder die Chance, konsequenzlos – ich betone: konsequenzlos – Nein zu sagen. Man kann aber, ich sage, man m u s s von einer Gesellschaft erwarten – das sind wir letztendlich alle –, dass sie sich mit der Frage nach ihrer Bereitschaft zur Spende intensiv auseinandersetzt. Ich halte das für zumutbar.

Eine Widerspruchslösung berücksichtigt die Entscheidung des Einzelnen. Wer einmal erlebt hat, wie einem todkranken Menschen durch eine Transplantation geholfen wurde, der wird beeindruckt sein von dessen neuer Lebensqualität. Als Christ sage ich, Organspende ist auch Ausdruck der Nächstenliebe über den Tod hinaus.

Allerdings muss der Staat – müssen wir als Entscheidungsträger – in der Frage, wie er die Organspende reguliert, eine größere Meinungsvielfalt bedenken. Er hat eine Fürsorgepflicht für alle und muss besonders auch die unter Erkrankung leidenden Menschen zu schützen suchen.

Es gibt im Gesundheitswesen verschiedene akzeptierte Verpflichtungen, so zum Beispiel die Pflicht zur Krankenversicherung. Die Krankenversicherung integriert die eigene Absicherung in der Solidarität für andere. In der Tat, es gibt keine Pflicht zur Organspende, sehr wohl aber – das ist meine persönliche Meinung – eine moralische Pflicht, sich zu entscheiden. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob das Gesetz einer Zustimmungs- oder Widerspruchsregelung folgt. Auch eine Widerspruchsregelung berücksichtigt die Entscheidung des Einzelnen. Sie fordert sie geradezu heraus. Mit Blick auf die zu erwartende Zahl an Organspenden ist sie ernsthaft zu überlegen. Dabei wäre es mir aber sehr wichtig, dass wir auch zu einer europäischen Lösung kommen.

(Beifall der CDU und bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Als Nächste spricht die Abgeordnete Giorgina KazunguHaß.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Organspende ist ein Akt der Nächstenliebe über den eigenen Tod hinaus. Auch ich bin der Überzeugung, dass dieser Akt aber freiwillig und vom Spender oder der Spenderin selbstbestimmt entschieden werden muss. Eine Widerspruchslösung, wie sie zum Beispiel von Gesundheitsminister Spahn in die Diskussion gebracht wurde, lehne ich deswegen ab.

Der Körper eines jeden Menschen ist ein individuelles Geschenk, das nicht von der Gemeinschaft – hier: vom Staat – zur Verteilung bestimmt werden darf. Wenn die Widerspruchslösung zum Gesetz wird, dann entscheidet erst einmal grundsätzlich das Kollektiv. Jeder Mensch wird zum Spender. Der Widerspruch muss aktiv erfolgen. So sieht sich das Individuum dem Dilemma gegenüber, sich aktiv gegen die Überlebenschancen eines anderen Menschen zu entscheiden, wenn es seinen Körper nach seinem Tod nicht teilen möchte.

In diesem Moment muss also der einzelne Bürger oder die einzelne Bürgerin der gesetzlichen Norm widersprechen. Dieser Druck schwächt das Selbstbestimmungsrecht des Menschen. Dagegen spreche ich mich aus.

Die evangelische und katholische Kirche, das Judentum, der Islam in unserem Land stehen der Organspende grundsätzlich positiv gegenüber. Im Christentum sprechen wir von einem Akt der Nächstenliebe, im Judentum steht das Gebot, Leben zu retten, über allen anderen Geboten, der Mensch ist dabei Partner der Schöpfung Gottes, und im Islam gilt der Satz, wenn man selbst durch eine Spende gerettet werden will, muss man auch selbst spenden wollen.

Alle drei großen monotheistischen Religionen und deren Mehrheitsvertreter pochen aber auf die absolute Freiwilligkeit dieser Entscheidung. Ich möchte als Christin hierzu einige mir sehr wichtige Aspekte beleuchten.

Das Doppelgebot der Nächsten- und Feindesliebe steht über allen Geboten unserer Religion. Deswegen findet ein Leben seine größte Erfüllung, wenn wir unserem Gegenüber bedingungslos helfen. Bedingungslos heißt aber auch, dass wir nicht dazu gezwungen werden dürfen. Gott hat uns unsere Körper bedingungslos geschenkt. Bei der Organspende handelt es sich um einen ultimativen Akt. Danach erlischt die Kraft dieses Körpers endgültig. Das müssen wir uns – so sehe ich das – klarmachen, auch wenn der Hirntod auch für die Kirchen einen Endpunkt setzt, der den Tod irreversibel markiert.

Ich unterstütze diese Klarheit der Amtskirchen, die bereits 1989 in ihrer Schrift „Gott ist ein Freund des Lebens“ den Hirntod als irreversibles Ende des Lebens festgelegt haben. Es gibt keinen einzigen nachprüfbaren Beweis, dass eine Wiederbelebung nach einem Hirntod jemals erfolgreich war. Wir – Kirchen und Politik – müssen das allen Menschen gemeinsam noch viel klarer erzählen.

Für Christen ist aber noch eine andere Frage wichtig, die der Theologe Professor Christoph Markschies in etwa so formuliert hat: Kann uns Gott noch gebrauchen, wenn wir nach dem Tod nicht mehr vollständig sind? – Die Verheißung der leiblichen Auferstehung bewegt viele Christinnen und Christen dazu, Organspenden abzulehnen. Aufzulösen ist dies auch durch gute Aufklärung, zum Beispiel im Religionsunterricht oder in der Predigt am Sonntag. Paulus schreibt dazu im 1. Korintherbrief, Kapitel 15, Verse 42 ff. sinngemäß, dass wir in Verweslichkeit gemacht werden, aber in Herrlichkeit wiederauferstehen werden. – Das, was kommen mag, wird also eine neue Konstitution haben. Es ist demnach überhaupt nicht entscheidend, was mit unserer Hülle im Diesseits passiert.

Wir brauchen die Kirchen und Glaubensgemeinschaften aktiver als Partner in der Frage der Organspende, um diese Botschaften zu verbreiten. Im Netz finden sich zum Beispiel fundamentale Christen, die Organspende als Raubmord bezeichnen. Wir dürfen ihnen nicht die Deutungshoheit überlassen. Die Diskussion darf also nicht im theologischen Seminar verbleiben.

Ich setze mich für beides ein: eine vom Motiv des Akts der Nächstenliebe getragene Kultur der Organspende, die

Ängste aktiv abbaut, verbunden mit einer verbindlichen Entscheidungslösung – ja, nein, oder noch unentschlossen – zum Beispiel auf dem Personalausweis.

(Beifall bei SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der CDU)

Es spricht der Abgeordnete Dr. Böhme.

Herr Präsident, meine Damen und Herren Abgeordnete und Regierungsmitglieder! Ich bin strikt gegen die Einführung einer Widerspruchsregelung bei der Organspende und gegen jede behördliche Einflussnahme in Form von standardisierten Abfragen zum Beispiel bei der Ausgabe von Personaldokumenten, weil ich es eine Anmaßung vonseiten des Staates und der ihn tragenden Eliten finde, mir den Zeitpunkt aufzwingen zu wollen, an dem ich über meinen eigenen Tod nachdenke.

Der Tod ist ein Mysterium. Wir können sein Wesen nicht begreifen, da die Toten nicht zurückkehren, um über ihn zu berichten. Wir verdrängen ihn, um leben zu können, oder hoffen auf ein Leben nach dem Tod. Welche seelischen Konflikte man auslöst, wenn man Menschen zwingt, sich mit dem eigenen Tod oder gar einer Organspende zu beschäftigen, ist nicht überschaubar oder vorhersehbar. Die Annäherung an die Themen „Tod“ und „Organspende“ ist ein Prozess, der bei jedem Bürger individuell verläuft und zu einer Entscheidung führt, oder eben auch nicht. Jeder hat damit das Recht, sich nicht entscheiden zu wollen. Das ist genauso zu respektieren wie ein Ja oder Nein.

Auf jeden Fall bestehe ich darauf, dass Entscheidungen individuell und freiwillig erfolgen müssen und nicht an Familienmitglieder delegiert werden können.

Politik und Staat können jedoch günstige Rahmenbedingungen schaffen, um Spender und Empfänger zusammenzubringen. Mit der entsprechenden finanziellen und personellen Ausstattung von Kliniken sowie Weiterbildung der entsprechenden Mediziner kann eine bessere Versorgung mit Spenderorganen gewährleistet werden. Ich zitiere an dieser Stelle einen Koordinator der Deutschen Stiftung Organtransplantation, welcher über 100 Organspendeprozesse begleitete: Vieles ist komplexer, als dass es sich mit einer Zustimmungsänderung verbessern ließe.

Natürlich kann die Politik auch Ressourcen zur Verfügung stellen, um Aufklärung zum Thema „Organspende“ zu betreiben. Hier gibt es Verbesserungspotenzial. Sieht man sich die entsprechenden Veröffentlichungen der Bundesärztekammer an, fällt auf, dass es in der Argumentation von medizinischen Fachbegriffen nur so wimmelt. Teilweise sind Veröffentlichungen in englischer Sprache aufgeführt. Eine Übersetzung in einfache Sprache wäre daher angeraten.

Es muss zudem auch zwingender Teil der Aufklärung sein, vorhandene Gegenpositionen zu erläutern. Eine Aufklä

rung mit dem bloßen Ziel, von einer Organspende zu überzeugen, kann sich weder ethisch, rechtlich noch wirtschaftlich begründen lassen. So hat die Debatte zum eigentlichen Todeszeitpunkt und dem Status von Organspendern bei der Organentnahme als lebend oder tot zu keiner eindeutigen Position geführt. Die Position B des Ethikrats vom 24. Februar 2015 kommt daher zu der Aussage, dass der Spender zum Zeitpunkt der Entnahme noch lebt, seine Spendeentscheidung aber „Ausdruck (...) einer altruistischen Haltung im eigenen Leben und Sterben“ ist.

Eine solche Haltung ist nicht bei jedem Bürger voraussetzbar, noch mag er in der Lage sein, diese Entscheidung zu treffen. Es gilt das Grundrecht auf Selbstbestimmung, Leben und körperliche Unversehrtheit auch über den Tod hinaus. Dieses Recht muss vor allem auch für Bürger erhalten werden, die die Tragweite einer solchen Entscheidung nicht erfassen können. Alles andere wäre unerträglich.

Zudem sollte ausgehend von der Annahme, dass der Spender bei der Organentnahme noch lebt, eine Anästhesie vorgeschrieben werden, wie sie teilweise schon angewendet wird, und dies – wie man hört – nicht ohne Grund; denn sogenannte Stressreaktionen der Spender waren offensichtlich.

Falsch positive oder falsch negative Diagnosen müssen sicher ausgeschlossen werden, nicht nur in der Definition des Hirntods, sondern auch in der Umsetzung. Das ist eine Frage der Glaubwürdigkeit und des Vertrauens und damit auch der Spendenbereitschaft.

Meine Damen und Herren, die Organspende ist eine Gratwanderung in jeder Hinsicht. Deswegen müssen alle Alternativen in den Blick genommen werden, vor allem die Prävention, aber auch die weitere Erforschung der Xenotransplantation und der biotechnologischen Erzeugung von Organen aus Stammzellen. Hier sind die Gesellschaft und der Staat gefragt, die entsprechenden Forschungsmittel zur Verfügung zu stellen und die internationale Vernetzung zu fördern.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD und vereinzelt bei der CDU)

Die nächste Rednerin ist die Abgeordnete Marlies KohnleGros.

Danke, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte heute Nachmittag hat mich in der Vorbereitung viel mehr Zeit gekostet – das gebe ich ehrlich zu –, als ich mir vorgenommen hatte, weil ich noch einmal sehr tief in alle Argumente eingestiegen bin, die im Umlauf sind, vom Ethikrat bis zur Debatte im Bundestag, den Parteiprogrammen usw. Ich fand es für mich ganz wichtig, und es hat mir die Chance gegeben, noch einmal mit vielen anderen, auch in der Fraktion, über sehr unterschiedliche Lösungsmöglichkeiten des Problems zu reden, dass wir

weniger Spender haben als Menschen, die diese Spenden zu ihrer Gesundung gebrauchen könnten.

Dennoch bleibe ich nach dieser intensiven Beschäftigung bei meiner grundsätzlichen Haltung. Wer mich lange genug kennt, weiß, dass ich wie die Kollegin aus dem christlichen Bereich komme und auch an anderen Stellen, wenn es um bioethische und andere das Leben betreffende Fragen geht, mit diesem Hintergrund in der Politik argumentiere.

Es wurde schon mehrfach gesagt, dass die Kirchen sich auch in Deutschland ausdrücklich und eindeutig positioniert haben. Ich finde es sehr schön, dass sie davon sprechen, dass eine Organspende – man muss auch auf die Begrifflichkeiten hören – ein Geschenk aus Liebe zum Leben sein kann und ist, und die Nächstenliebe, der christliche Begriff dafür, ganz wichtig ist. Es wurde aber bereits mehrfach gesagt, dass diese Spende, dieses Geschenk Freiwilligkeit und die individuelle Zustimmung und Selbstbestimmung voraussetzt. Das christliche Menschenbild und Artikel 1 des Grundgesetzes lassen meines Erachtens gar keine andere Haltung zu.

Trotzdem zwingt uns der medizinische Fortschritt, wenn wir diese Instrumente zum Nutzen der Menschen einsetzen wollen, darüber nachzudenken, wie wir das ausgestalten und was das letztendlich bedeutet. Deswegen sind die Medizinethik und andere Patientenrechte in der Debatte aufzuführen und zu berücksichtigen.

Man kann feststellen, dass es in Deutschland keine Debatte mehr darüber gibt – der Ethikrat hat sie geführt –, dass der Hirntod das Kriterium ist, nach dem man eine postmortale Spende vollziehen kann.

Meine Damen und Herren, es gibt aber andere juristische Argumente, die man in dem Zusammenhang noch einmal benennen muss. Schweigen kann eigentlich nie Zustimmung bedeuten, wie es Teil der Widerspruchslösung wäre. Dies kann schon gleich gar nicht in einer höchstpersönlichen und über das eigene Leben und den Tod hinausgehenden Frage legitim sein. Deswegen verbietet sich das von vornherein.

Mir ist das, was bereits zur Widerspruchslösung gesagt wurde, noch einmal vor dem Hintergrund eines großen Rechtssatzes, den wir in der Rechtspolitik und im Recht überhaupt oft anwenden, wichtig: die Frage der Verhältnismäßigkeit. Es ist ein erforderliches, geeignetes und im engeren Sinne verhältnismäßiges Instrument.

Sie haben bereits aufgeführt, dass es nach dem Kieler Gutachten andere, viel wichtigere Entscheidungen gibt, die zum Teil im Bund umgesetzt sind. Dort werden die Strukturen und die Möglichkeiten, wie man auf die Krankenhäuser und die Medizin insgesamt Einfluss nimmt, angepackt, sodass man Dinge verbessern kann. Deswegen muss das mildeste Mittel eingesetzt werden, und dies kann niemals sein, alles umzudrehen und jeden dazu zu zwingen, Organspender zu sein, ohne dass er zunächst die Chance hat, sich zu entscheiden. Er kann dann zwar widersprechen, aber das ist nicht ganz einfach und wäre ein sehr scharfes Mittel an dieser Stelle.

Meine Damen und Herren, ich war schon im Jahr 1994