Meine Damen und Herren, der Diabetes mellitus Typ 2 ist die häufigste Ursache für ein chronisches Nierenversagen. Von den über 10.000 Patienten auf der Warteliste warten 7.800 chronisch nierenkranke Patienten auf eine neue Niere. Aktuell haben wir etwa 7 Millionen Diabetiker Typ 2. Die erhebliche Zunahme übergewichtiger Kinder und Jugendlicher muss alarmieren, und Diabetes Typ 2 in dieser Altersklasse muss erschrecken.
Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe muss es sein, frühzeitig das Bewusstsein für einen gesunden Lebensstil zu wecken und nachhaltig zu verankern, sodass er die Kinder ein Leben lang nicht mehr loslässt. Das bietet die große Chance, die medizinische Notwendigkeit von Organtransplantationen künftig zu verringern. Dies muss in der gesamten Debatte ein gleichwertiges, wenn nicht gar höherwertiges Ziel sein als das monotone Streben nach einer Erhöhung der Zahl von Spenderorganen. Diese sollten im Übrigen nur von Menschen stammen, die sich freiwillig und ohne äußeren Druck zu dieser keineswegs selbstverständlichen Form von Hilfsbereitschaft entschieden haben.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wer sich mit dem Thema „Organspende“ befasst, muss sich einer Vielzahl medizinischer und ethischer Fragen stellen. Mehrere deutsche Universitätskliniken haben in der Vergangenheit für Schlagzeilen gesorgt, weil mit Patientendaten jener sorgfältige Umgang fehlte, den das sensible Thema verlangt. Die Spenderzahlen waren daraufhin deutlich gesunken.
Medizinisch muss sich die Transplantationsmedizin auch der Frage nach der Todesdefinition stellen, um letztendlich den Prozess der Organgewinnung rechtfertigen zu können. Was ist ein zuverlässiges Kriterium, um den Tod eines Menschen festzustellen? Seit etwa 50 Jahren erklärt die Wissenschaft einen Menschen für tot, wenn der sogenannte Hirntod eingetreten ist. Davor galt der HerzKreislauf-Tod als ein zuverlässiges Kriterium.
Die Bundesärztekammer schrieb im Jahr 1993, dass der endgültige Ausfall der gesamten Hirnfunktion als „sicheres Todeszeichen“ zu sehen sei. Und „Der Organismus ist tot, wenn die Einzelfunktionen seiner Organe und Systeme sowie ihrer Wechselbeziehungen unwiderruflich nicht mehr zur übergeordneten Einheit des Lebewesens in seiner funktionellen Ganzheit zusammengefaßt und unwiderruflich nicht mehr von ihr gesteuert werden.“
Dennoch wissen wir nichts über die Schmerz- und Stressreaktionen Hirntoter bei der Organentnahme. Die Tatsache, dass es mehrere Fälle erfolgreicher Schwangerschaften bei hirntoten Frauen gab, zeigt, trotz der zunächst ein
Wenn wir von einer Organspende sprechen, gehen wir zunächst davon aus, dass eine Spende ein freiwilliger Akt ist. Es darf unter keinen Umständen der Eindruck entstehen, es handle sich bei Organen um Ressourcen, auf die man frei zugreifen könne. Vielmehr sollte jeder Spender selbstbestimmt entscheiden, ob er ein oder mehrere Organe im Fall seines Todes zu spenden bereit ist. Die schriftliche Dokumentation dieses Willens ist dabei unseres Erachtens notwendig. Diese freie Entscheidung setzt zudem notwendigerweise eine umfassende Information voraus. Tritt der Fall der Organentnahme ein, ist das familiäre Umfeld des Spenders zu würdigen, damit Bedingungen der Verabschiedung respektiert werden.
Auch die menschliche Begleitung der Hinterbliebenen muss von hoher Sensibilität geprägt sein. Zu Recht fordern die deutschen Bischöfe, dass „trotz der verständlichen Eile, die bei einer Transplantation erforderlich sein kann, eine Kultur des Sterbens gewahrt wird. (...) Die Ehrfurcht vor dem Toten ist eine Urform der Sittlichkeit.“
Für Christen ist die Organspende eine Form der Nächstenliebe; denn für den kranken Empfänger bedeutet die Spende eine Verlängerung seines Lebens. Beispiele gelungener Transplantationen und entsprechende Lebensberichte finden sich zuhauf im Internet.
Ich komme zum Abschluss. Da es sich in der Frage einer Organspende um eine höchst existenzielle Frage handelt, kann aus unserer Sicht nur die ausdrückliche Zustimmung eines Spenders ohne Anpassungsdruck der Weg sein. Eine Widerspruchslösung stellt einen massiven Eingriff in die Freiheit des Einzelnen dar und ist deshalb für uns nicht tolerabel.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zu Beginn meiner Rede zunächst deutlich machen, das niedrige Niveau von Organspenden in Deutschland im europäischen Vergleich kann nicht auf eine mangelnde Spendenbereitschaft in unserer Gesellschaft zurückgeführt werden.
Deswegen möchte ich am Anfang einige Zahlen in den Raum stellen. Zur Jahrtausendwende haben 7 % unserer Bevölkerung einen Organspendenausweis besessen und sich damit für eine Organspende ausgesprochen. Im Jahr 2008 waren es 16 %, im Jahr 2012 waren es 22 %, und im Moment verfügen 36 bis 38 % der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland über einen Organspendenausweis. Für mich zeigt das, diese Freiwilligkeit, die Bewerbung und die Auseinandersetzung mit dem Thema haben sehr wohl
gefruchtet und innerhalb eines kurzen Zeitraums zu einer bemerkenswerten Steigerung der Bereitschaft, auch zu dokumentieren, dass man sein Organe spenden will, geführt.
Wenn man sich gleichzeitig die realen Organspenden von 2000 bis 2012 anschaut, war das ein Umfang von 1.100 bis etwa 1.300 Organspenden. Wir hatten den Organspendenskandal, der zu einem Abfallen der realen Organspenden auf etwa 800 führte. Im letzten Jahr hatten wir wieder einen erfreulichen Anstieg auf fast 1.000 Organspenden.
Für mich zeigen diese Zahlen sehr eindrücklich, das Problem ist an einer anderen Stelle zu suchen. Nicht zuletzt die Studie, die im Deutschen Ärzteblatt letztes Jahr veröffentlicht worden ist, aber auch die Anhörung in unserem Gesundheitsausschuss im Landtag haben gezeigt, es liegt vor allem an der fehlenden Meldebereitschaft oder der tatsächlich stattfindenden Meldung aus den Kliniken an die Deutsche Stiftung Organtransplantation, und dort ist ein Stück weit der „Flaschenhals“ zu finden.
Deswegen ist es gut, dass der Gesetzgeber gesagt hat, wir müssen diesen Prozess, der in den Kliniken über eine Änderung des Organtransplantationsgesetzes stattfindet, stärken, wir müssen die Beauftragten stärken, wir müssen finanzielle Fragen klären und mehr Zeit in den Bereich der medizinischen Versorgung und der Pflegeversorgung investieren. Dann können wir tatsächlich mehr für die Lebenden tun, die auf Organe warten.
Wir sollten es tunlichst vermeiden – deswegen ist mir das am Anfang so wichtig –, die moralische Keule auszupacken und in der Öffentlichkeit so zu tun, als wäre es nicht bemerkenswert, dass es doch so viele Spenderinnen und Spender in Deutschland gibt, die bereit sind, ihre Organe zur Verfügung zu stellen.
Vor dem Hintergrund zwei, drei Anmerkungen zu der Widerspruchslösung, die ich persönlich aus diesen Gründen ablehne. Erste Anmerkung: Ich finde es in dieser Debatte wichtig, dass man Anerkennung und Wertschätzung im politischen Raum ausspricht, diese freiwillige Herangehensweise an das Thema, dass die Krankenkassen alle zwei Jahre verpflichtet sind zu informieren, die Menschen, die Bürgerinnen und Bürger mit diesem Thema zu konfrontieren. Ich finde, dass das sehr viel bewegt hat. Das ist eine Wertschätzung, die man aussprechen sollte für den Teil der Bevölkerung, der das gemacht hat.
Ich habe auch Wertschätzung für die Menschen, die aus welchen Gründen auch immer sagen, sie sind zu einem solchen Schritt nicht bereit, weil es hier um einen sehr persönlichen und individuellen Vorgang geht, wenn es um den Sterbeprozess geht, auch in Verbindung mit den Angehörigen.
Es geht um spirituelle Fragen, es geht um religiöse Fragen, es geht um Fragestellungen, bei denen sich der Staat, wenn irgend geht, zurückhalten sollte, einzuschreiten oder einzugreifen.
mich an dieser Stelle dafür stark –, wenn der Staat über die Widerspruchslösung auf einmal gegenüber dieser Freiwilligkeit ein neues Paradigma eröffnet und sagt, wir sagen als Staat, wir gehen zunächst einmal davon aus, dass wir alle Spender sind. – Das impliziert schon stark einen Schritt in die Richtung, dass man sich ein Stück weit bitte schön als Ersatzteillager zu begreifen hat, man natürlich widersprechen darf – schön, dass man das noch darf –, aber es ist ein Paradigmenwechsel.
Wir sollten es uns wirklich ins Bewusstsein rufen, dass dieser Paradigmenwechsel stattfindet und aus einer Freiwilligkeit so etwas wie eine staatliche Pflichtaufgabe wird von der Grundausrichtung her oder aus der Idee des Geschenks der Spende, die wichtig ist und im Vordergrund stehen sollte, so etwas wie eine staatliche Erwartungshaltung wird. Das ist eine Veränderung, auch wenn ich noch persönlich widersprechen darf, was vorgesehen wäre. Trotzdem ist es für mich ein Riesenschritt hin zu einer Veränderung für diese Entscheidung, die ich mir nicht wünsche und auch keinem Mitmenschen zumuten will.
Ich finde es dann fatal – mein letzter Satz –, wenn man eine Verknüpfung herstellt auf der einen Seite zwischen lebenden Menschen, die auf Organe warten, und auf der anderen Seite den Menschen, die aus welchen Gründen auch immer sagen, Ja, ich bin bereit zu spenden, oder auch sagen, Nein, ich bin nicht bereit zu spenden. – Das sollte der Staat respektieren.
Lieber Herr Präsident, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen! Ich danke zunächst einmal dem Parlament, dass wir noch einmal die Gelegenheit haben, über diese wichtige Frage zu sprechen, weil ich glaube, dass es uns alle immer wieder bewegt, was der richtige Weg ist, um Organspenden von der Anzahl her zu erhöhen.
Wie andere hier im Saal hatte auch ich schon die Gelegenheit, mit Menschen zu sprechen, deren Leben durch eine Organspende gerettet worden ist. Natürlich wird jeder den Eindruck behalten, welches Glück und welche Dankbarkeit diese Menschen verspüren. Man denkt spontan, das würde man jedem wünschen, der auf dieser Warteliste steht und auf ein Organ wartet.
Viele von uns haben auch schon mit Angehörigen gesprochen, die zugestimmt haben, dass ihr Kind oder ihr liebster Angehöriger nach dem Tod Organe spendet. Dabei durften wir auch erleben, dass diese Entscheidung freiwilliger Solidarität für Angehörige ein großer Trost in sehr dunkler Stunde sein kann.
Bei vielen Prominenten oder vielleicht auch im eigenen Freundeskreis stellt man fest, mit welcher Selbstverständ
lichkeit die Menschen wiederum bereit sind, für ihre Liebsten eine Lebendspende zu geben. Auch das ist etwas sehr Erfreuliches.
Und dennoch, obwohl alles so leicht, rational, logisch und nachvollziehbar klingt, bleibt es auch für mich dabei, dass die Organspende immer ein Akt freiwilliger Solidarität bleiben muss, eine bewusste Entscheidung also, die nicht einfach ausgehebelt werden kann; denn es geht um Respekt vor der unbedingten Würde des Menschen. Die Entscheidung zur Organspende ist eine Entscheidung über das eigene Sterben, eine Entscheidung über die Art und Weise des eigenen Sterbens und damit eine unbedingt höchst persönliche Entscheidung.
Zugleich – auch das ist wichtig, liebe Kollegen und Kolleginnen – bin ich davon überzeugt, dass wir auch eine Verantwortung denjenigen gegenüber haben, die auf ein Organ hoffen. Das sind inzwischen über 10.000 Menschen in Deutschland.
Es muss also unser aller Anliegen sein, dass die Zahl der zu Lebzeiten dokumentierten Entscheidungen gesteigert wird, zumal es nach allen Umfragen, die zur Verfügung stehen, viel, viel mehr Menschen gibt, die bereit sind zu spenden, die aber diese Bereitschaft nicht dokumentiert haben.
Ein wichtiger Schritt – das ist schon gesagt worden, aber ich finde es wesentlich genug, um es noch einmal zu wiederholen – ist die Änderung des Transplantationsgesetzes. Endlich. Wir haben sehr lange darum gekämpft, dass auf Bundesebene dieses Gesetz verändert wird, es endlich bessere Bedingungen für die Organentnahme und anschließende Transplantation gibt. Dazu zählt die Finanzierung, die verbindliche Freistellung der Transplantationsbeauftragten, die höhere Vergütung der Entnahmekrankenhäuser, mobile Ärzteteams oder auch neurologische Konsiliardienste und eine verbesserte Angehörigenbetreuung, weil auch die wichtig ist, da sich viele Menschen nicht äußern. Deshalb ist es relevant, wie Angehörige im Krankenhaus betreut werden.
Das alles ist wichtig, um bessere Strukturen zur Organtransplantation zu schaffen und damit auch das Vertrauen von potenziellen Spendern und Spenderinnen zu erhöhen. Insofern haben wir uns gefreut, dass dieses Gesetz den Bundesrat passiert hat – es ist gerade einmal zwei Wochen her.
Dann sind da noch wir Menschen, die ziemlich ungern über das Sterben nachdenken, zumindest gilt das für den Großteil der Bevölkerung. Aber wir alle sollten doch die Gewissheit haben, dass die Frage nach der eigenen Organspendebereitschaft von uns allen irgendwann einmal im Leben sehr ernsthaft geprüft und gewogen wurde. Nur so können wir letztendlich entscheiden, ob wir in unserem Sterben anderen Menschen noch diesen letzten Dienst der Solidarität erweisen wollen oder es eben nicht wollen. Persönlich bin ich der Auffassung, man kann von jedem Menschen erwarten, dass er sich mit dieser Frage einmal auseinandersetzt.
Dabei will ich betonen, beide Entscheidungen sind zu 100 % legitim. Es gibt kein Richtig und kein Falsch in dieser
Wie der Weg zu einer solch verbindlicher ausgestalteten Entscheidungslösung aussieht, dafür bin ich sehr offen. Eine verbindliche wiederkehrende Abfrage beispielsweise der Spendenbereitschaft könnte eine solche Lösung sein. Wir sollten auf jeden Fall an der Kultur in der Gesellschaft arbeiten, die Frage des Sterbens nicht zu verdrängen. Die Verdrängung dieser Frage hilft uns und unseren Angehörigen nicht weiter. Wenn man ehrlich ist, schadet sie oder kann zumindest denjenigen schaden, die auf ein Spenderorgan warten.
Deshalb plädiere ich dafür – wie immer die Ausgestaltung der Lösung dann aussehen wird –, dass es bei der freiwilligen Entscheidung bleibt, aber dass die Menschen gefordert werden, in dem System der immer wiederkehrenden Nachfrage und Abfrage die Entscheidung für sich zu treffen. Ich glaube, es wäre eine große Erleichterung für die Angehörigen; denn es ist auch ein bisschen eine Zumutung, in einem Fall, wie wir ihn vorhin geschildert bekamen, dass Angehörige in dieser Schocksituation stehen und dann gefragt werden, was sie jetzt machen wollen.
Insofern glaube ich, haben wir noch ein bisschen Arbeit, diese Entscheidungslösung weiterzuentwickeln.