Der Ältestenrat ist einvernehmlich übereingekommen, mit Blick auf die Durchführung der Orientierungsdebatte am heutigen Tag die Aktuellen Debatten erst am zweiten und dritten Plenartag durchzuführen und auf die Durchführung einer Fragestunde am dritten Plenartag zu verzichten. Dies bedeutet eine Abweichung von der Geschäftsordnung des Landtags. Ich nehme an, es besteht Einvernehmen. – Es gibt keinen Widerspruch, keine Enthaltung. Dann ist es einvernehmlich so vereinbart.
Es gibt auch sonst keinen erkennbaren Widerspruch gegen die übrige Tagesordnung. Damit ist die Tagesordnung festgestellt.
Orientierungsdebatte des Landtags Rheinland-Pfalz Handlungsbedarf zur Verbesserung der Situation bei Organspende und Organtransplantation: Rechtliche Voraussetzungen, strukturelle Rahmenbedingungen, praktische Maßnahmen – Drucksache 17/7635 –
Hierbei handelt es sich, wie unsere Geschäftsordnung es vorgibt, um eine Thematik von allgemeiner Bedeutung.
Der Ältestenrat hat einvernehmlich für die Gestaltung der Orientierungsdebatte Folgendes vorgeschlagen: Es sind 25 Redebeiträge vorgesehen. Für jede Rednerin und jeden Redner gilt die gleiche Redezeit von jeweils 5 Minuten. Die 25 vorgesehenen Redebeiträge sind auf die im Landtag vertretenen Fraktionen sowie auf die Landesregierung einvernehmlich aufgeteilt worden.
Nach der Geschäftsordnung des Landtags sind Kurzinterventionen und Zwischenfragen in einer Orientierungsdebatte unzulässig.
Ich gehe davon aus, es gibt Einverständnis mit der vorgeschlagenen Vorgehensweise, wie sie im Ältestenrat abgestimmt wurde.
Gestatten Sie mir noch den Hinweis, dass die Orientierungsdebatte von einem Testlauf für einen barrierearmen Livestream begleitet wird. Dabei wird neben der Untertitelung auch die Möglichkeit der OnlineGebärdensprachverdolmetschung erprobt.
Damit beginnen wir mit der Orientierungsdebatte. Erster Redner ist Abgeordneter Baldauf, der Vorsitzende der CDU-Fraktion.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Da ist eine Kluft: auf der einen Seite die Möglichkeiten moderner Medizin mit all den Hoffnungen, die sich daran knüpfen, und auf der anderen Seite eine lange, scheinbar unabänderliche Warteliste auf Organspenden mit all der Verzweiflung, die sich hinter den Namen verbirgt. Politik sieht sich hier seit Jahrzehnten gefordert, und sie bleibt gefordert, diesen Widerspruch aufzulösen.
Politik darf dabei nicht überfordern. Die Frage, inwieweit Zustimmung vorauszusetzen ist, sofern potenzielle Spender zu Lebzeiten nicht widersprochen haben, oder ob Organentnahmen von ausdrücklicher Zustimmung dazu abhängig sein sollten, ist Leitmotiv der Geschichte der Transplantationsgesetzgebung bei der Widerspruchs-, Entscheidungs- oder Zustimmungslösung.
Man kann aus der Geschichte lernen. Auf dem Weg zu dem Transplantationsgesetz sind die Versuche gescheitert, Varianten einer Widerspruchslösung zu etablieren. Der Entwurf der Berliner CDU aus dem Jahr 1973 wurde angesichts im Verfahrensablauf aufkommender Bedenken nicht abschließend beraten. Der Entwurf der Bundesregierung aus dem Jahr 1979 unterlag der Diskontinuität. Der Gesetzesbeschluss von SPD und FDP für ein Landestransplantationsgesetz Rheinland-Pfalz aus dem Jahr 1994 wurde aufgehoben, weil er verfassungswidrig und wegen öffentlichen Drucks nicht mehr zu halten war.
Sie sind aus unterschiedlichen Gründen gescheitert. Gemeinsam haben sie eines: Sie haben zu Misstrauen und Unsicherheit geführt. Das ist diesem Thema abträglich. Juristische Beispiele aus meiner eigenen anwaltlichen Praxis zeigen, wie schwierig die Frage der Wirksamkeit eines Widerrufs in Grenzfällen der Geschäftsfähigkeit zu beantworten ist.
Richtig handelt Politik dann, wenn sie größtmöglichen Konsens anstrebt, Wirkungen bedenkt und besonnen vorgeht, wie beim Bundestransplantationsgesetz geschehen. Dieses Gesetz ist nicht vollkommen und nicht die ganze Lösung, aber das ist kein Grund, die Zulässigkeitsvoraussetzungen für Organentnahmen grundlegend neu zu regeln, und für eine Neuauflage einer Widerspruchslösung.
Der Gesetzesbeschluss zur Verbesserung von Zusammenarbeit und Strukturen bei der Organspende ist ein entscheidender Schritt. Leider, so meine Wahrnehmung, ist in Rheinland-Pfalz die Arbeit der Transplantationsbeauftragten lange unzureichend unterstützt worden.
Die im Bundestag andiskutierte Erklärungslösung ist ein Schritt, Menschen für das Thema zu sensibilisieren – darum geht es –, indem bei bestimmten Behördenkontakten, beispielsweise der Neubeantragung eines Ausweises, auf die Möglichkeiten hingewiesen wird, sich zur Organspende zu erklären, und hierzu Informationen, Beratungs- aber auch Dokumentationsmöglichkeiten angeboten werden.
Solide Entscheidungsgrundlagen schaffen Vertrauen. Das sollte uns in der Politik viel öfter Maßstab sein. Bevor wir die geltende Zustimmungslösung infrage stellen, sollten wir die Ergebnisse des Strukturreformgesetzes bewerten. Schrittweises Vorgehen sichert dabei Vertrauen. Gegebenenfalls wird dann die Frage des richtigen Ansatzes auch anders diskutiert.
Wir sollten über Grenzen schauen und bedenken, dass das Organspendemusterland Spanien die dortige Widerspruchslösung so gar nicht anwendet. Mein Kollege Rüddel hat über Erkenntnisse des Gesundheitsausschusses dazu berichtet.
tationsmedizin genutzt werden, wenn Voraussetzungen hierfür vorliegen. Die Voraussetzungen für Organspendebereitschaft als Ausdruck von Nächstenliebe oder ethischen Prinzipien können wir nicht herbeiregeln, sie sind aber die Essenz dieser Entscheidung. Wir müssen Menschen bei der Auseinandersetzung damit unterstützen, das heißt Hochachtung für die Entscheidung zur Organspende vermitteln, aber auch Menschen gerecht werden, die das nicht oder noch nicht wollen oder können oder sich noch nicht entscheiden wollen. Dann, so glaube ich, werden wir verstanden.
Sonntagabend, Mitte 30, kerngesund. Geselliger Abend nach einem ebensolchen Tag. Aufgestanden, umgekippt, bewusstlos. Rettungswagen, Notaufnahme, Intensivstation. Ein Mensch wird mitten aus dem Leben gerissen. Ein Mensch, eine Familie in einer Lebenssituation, in der naturgemäß weniger über das Ende, mehr über die Ziele nachgedacht wird.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Fast 10.000 Menschen warten in Deutschland sehnsüchtig. Sie sind registriert, um eine Organspende erhalten zu dürfen. Dem stehen nicht einmal 10 % an Organspendern pro Jahr in Deutschland gegenüber. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Einige davon werde ich behandeln, um Ihnen darzulegen, warum ich für eine Widerspruchslösung in Deutschland nach dem Vorbild unseres Nachbarn, der Niederlande, plädiere. Für mich ist diese Lösung die, die viele Leben retten könnte.
Zunächst erinnere ich noch einmal an mein Beispiel. Ein kerngesunder Mensch wird mitten aus dem Leben gerissen. Die Gedanken sind kurz zuvor bei der Netflix-Serie vom Abend, bei dem morgigen Berufsstart in die neue Woche oder bei dem Einkaufszettel für den folgenden Tag. Der Tod? Nicht präsent, zu Recht.
In diesen Alltag platzen Briefe – Briefe der Krankenkasse. Krankenkasse? Noch eine Zusatzversicherung? „Hiermit informieren wir Sie über Ihre Organspendemöglichkeiten.“ Nein. Ach, da ist ja noch ein Brief vom Finanzamt. Oh, und da endlich die Lieferung, auf die ich schon so lange warte. Da lege ich das andere mal direkt weg.
Wir haben seit 2012 in Deutschland mit der geltenden Entscheidungslösung diese Beispiele täglich in unseren Wohnzimmern, und genau das ist auch ein Grund, warum die Zahl an Organspendeausweisen nicht steigt, die der Spender dementsprechend auch nicht. Laut einer Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stehen
jedoch 81 % der Befragten einer Organspende positiv gegenüber. Aber nur 39 % haben sich schriftlich entschieden.
Warum? Weil die Auseinandersetzung mit dem Thema fehlt. Dafür gibt es viele, vollkommen verständliche Gründe. Aber 42 % der Befragten würden unbedingt mehr Informationen wollen, darunter vor allem die 14- bis 25-Jährigen.
Bleiben wir bei unserem Beispiel. Der kerngesunde Mensch liegt dort bewusstlos, kommt nicht mehr zu sich und ist später hirntot. Er hat sich nicht mit der Post, mit der herausfordernden Frage nach Organspende in diesem Fall befasst. Die Familie kommt zusammen, steht trauernd um den Verstorbenen. Jetzt, in einer schwierigen Situation, kommen die Ärzte auf die Familie zu und belasten diese mit der berechtigten Frage nach einer Organspende.
Wir erinnern uns, nebenan liegt ein wartender Mensch von 10.000. Würde er das wollen? Können wir das zulassen? Eigentlich bin ich gerade nur tieftraurig. Nein, ich kann das nicht verantworten. Nein, tut mir leid, ich bitte da um Verständnis.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ja, dieses Verständnis und der große Respekt vor jeder Entscheidung in dieser Frage sind wichtig. Die Entscheidung, wie immer sie ausfällt, ist nie richtig oder falsch. Sie ist eine persönliche. Sie ist in diesem Fall auch eine im Namen eines anderen. Wenn Angehörige diese schwierige Frage beantworten müssen, ist es doppelt so häufig der Fall, dass sie Nein sagen, als wenn es der Betroffene selbst vorher regelte.
Ich halte für mich fest, viele Menschen wären bereit, sich in der Frage der Organspende zu positionieren. Das Interesse daran ist sehr groß. Wir sind gleichwohl bei den Organspenden Schlusslicht in Europa. Die Länder mit gesetzlicher Widerspruchslösung liegen vor uns.
Die hohe Bereitschaft für eine Entscheidung wird durch die verpflichtende Aufforderung, dies zu tun, durch eine Widerspruchslösung ernst genommen. Die Niederlande geht einen behutsamen Weg. Innerhalb von zwölf Wochen muss sich jede und jeder entscheiden und wird mehrfach angeschrieben. Erst wenn diese Aufforderungen keinen Widerhall haben, wird man informiert, dass man zustimmt, und man kann das jederzeit online per Log-in ändern: Für mich ist das der richtige Weg; denn so sind wir in der dauerhaften gesellschaftlichen Debatte.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe mich bereits pro Organspende entschieden. Entscheiden Sie sich für sich und Ihre Nächsten.
nächst einmal die Fakten: Im Jahr 2010 wurden 1.296 Organspender gezählt. Sieben Jahre später, im Jahr 2017, gab es noch 797 Organspender. Das bedeutet eine Abnahme an Spendernvon 38 % innerhalb von acht Jahren.
Die oft zitierte Kieler Studie fand nun heraus, dass im Jahr 2015 insgesamt 27.258 mögliche Organspender zur Verfügung standen. Lediglich in 3,2 % der Fälle seien Organe entnommen worden. Resümee: Der Rückgang an Organspenden sei mit einem Erkennungs- und Meldedefizit seitens der Entnahmekrankenhäuser assoziiert.
Meine Damen und Herren, wir haben hier ein ganz erhebliches Potenzial möglicher Organspender. Wir wissen, bei ihnen war zumindest die medizinische Voraussetzung zur Organentnahme unabhängig von einer existierenden Einwilligung gegeben. Dieses Potenzial gilt es doch zunächst für die auf ein Organ wartenden Patienten zu gewinnen, bevor mit dem schärfsten Schwert der Widerspruchslösung ein Mehr an Organen erzwungen werden soll.
Daher müssen alle strukturellen Hürden und organisatorischen Schwachstellen, die einen optimalen krankenhausinternen und -externen Prozessablauf bzw. die Logistik im Gesamtprozedere Organspende behindern, beseitigt werden. Es geht weiter: eine leistungsgerechte Finanzierung für die Entnahmekliniken und mehr Zeit für die Ärzte, um mit den Angehörigen dem Situationsgeschehen angemessene Gespräche führen zu können. Die Zahl gespendeter Organe könne so erheblich gesteigert werden, meint die Kieler Studie in ihrer Schlussfolgerung.
Das Informationsbedürfnis zur Organspende, geäußert von etwa 50 % der von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in einer Studie Befragten, müssen wir ernst nehmen. Unwissenheit, Halbwissen und Desinformation führen zu Ängsten, die die Entscheidung für eine Organspende entscheidend erschweren.
Meine Damen und Herren, der Hirntod wird im Transplantationsgesetz als solcher nicht einmal erwähnt. Darin ist nur, ganz so, als wenn es sich um bestattungsfähige Leichen handelt, von „toten Spendern“ die Rede. Doch die typischen Merkmale eines Leichnams wie Atemstillstand, Leichenstarre und Totenflecken liegen bei einem hirntoten Organspender gerade nicht vor. Auch das muss der Bürger wissen, um nicht irregeführt zu werden. Nur ein vollumfänglich aufgeklärter Bürger kann selbstbewusst eine Entscheidung treffen.
Meine Damen und Herren, so sehr verständlich der allumfassende Wunsch der auf ein Spenderorgan wartenden Patienten ist, die Interessenlage des Organspenders muss gleich gewichtet werden. Es gibt keine rechtliche oder auch nur moralische Verpflichtung des Bürgers zur Organspende. Diese wird ihm aber suggeriert: Täglich verstürben drei Patienten, wenn sie kein Spenderorgan erhielten.
Meine Damen und Herren, diese Patienten versterben nicht aufgrund eines fehlenden Spenderorgans, sondern an ihren Erkrankungen. In diesem Zusammenhang ist es völlig abwegig, für die Widerspruchslösung nur aufgrund der bloßen Annahme, hierdurch die Zahl der Organspenden zu erhöhen, zu plädieren.
Meine Damen und Herren, der Diabetes mellitus Typ 2 ist die häufigste Ursache für ein chronisches Nierenversagen. Von den über 10.000 Patienten auf der Warteliste warten 7.800 chronisch nierenkranke Patienten auf eine neue Niere. Aktuell haben wir etwa 7 Millionen Diabetiker Typ 2. Die erhebliche Zunahme übergewichtiger Kinder und Jugendlicher muss alarmieren, und Diabetes Typ 2 in dieser Altersklasse muss erschrecken.