Wir debattieren heute über den Antrag zum Thema „Kinderund Jugendarmut“. Es muss aber jedem klar sein, dass diese Armut im Wesentlichen aus der Armut der Eltern und Familien hervorgeht. Wie immer man Armut definiert, sämtliche Studien der letzten Monate zeigen den gleichen Trend: Die Anzahl der von Armut betroffenen Menschen – auch der Kinder und Jugendlichen – steigt weiter an.
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Eine der wesentlichen Ursachen ist allerdings die Armutszuwanderung. Interessant fand ich in diesem Zusammenhang die Stellungnahme der LIGA der Freien Wohlfahrtspflege zur Anhörung im Sozialpolitischen Ausschuss. Auf den Punkt gebracht lautete diese in etwa so:
Beeindruckt haben mich dabei folgende Fakten und Studien: Nach Professor Fratzscher von der HumboldtUniversität zu Berlin
(Abg. Martin Haller, SPD: Einmal mehr ein bemerkenswert unqualifizierter Beitrag! – Zuruf aus dem Hause: Widerlich! Widerlich!)
besitzen 40 % der deutschen Bevölkerung quasi nichts. Ihr Anteil am Gesamtvermögen beträgt 0,3 % – nicht einmal 1 %, meine Damen und Herren.
Im Gegenzug besitzt das reichste Fünftel rund 85 % des gesamten Privatvermögens. Es kommt aber noch schlimmer. Nach einer vom BMBF geförderten Studie der Universität Osnabrück zu systematisch verzerrten Entscheidungen in der Politik haben arme Menschen keinen Einfluss mehr auf die Politik.
Ihre Forderungen werden schlicht ignoriert. Die Wohlhabenden hingegen setzen ihre Forderungen durch.
Gibt es also Hoffnung auf Besserung? – Wohl kaum, denn selbst die immer wieder präsentierten sogenannten „guten“ Wirtschaftsdaten sind im Hinblick auf den Arbeitsmarkt eine Täuschung.
Nach Professor Bosch von der Universität Duisburg-Essen ist die Anzahl der geleisteten Gesamtarbeitsstunden in Deutschland kaum gestiegen.
Allerdings ist der größte Verlust an Arbeitszeit und damit auch Einkommen bei den unteren Einkommensgruppen zu beklagen.
Die immer wieder gerühmten hohen Beschäftigungsraten entstehen vor allem durch immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse,
nicht nur im Hinblick auf den Stundenlohn, sondern vor allem auch im Hinblick auf die geleistete Arbeitszeit – Minijobs, Leiharbeit, etc. –
seit der Agenda 2010 mit stark steigender Tendenz. Wer hat es erfunden? Rot-Grün. Wer hat es weitergeführt? Die CDU.
(Zuruf von der SPD: Reden Sie doch zur Sache! – Abg. Uwe Junge, AfD: Er redet zur Sache! Das verstehen Sie nur nicht!)
Doch gerade Ihre Bildungspolitik bekam auf der Armutskonferenz ein vernichtendes Urteil. Auf meine Frage nach den Bildungszielen in Kitas antwortete Professor Lutz von der Fachhochschule Erfurt: Spracherwerb und Sozialverhalten. – Aber mal ganz ehrlich, nach fast 70 Jahren Bundesrepublik, einem hoch entwickelten Land mit reicher Geschichte und Sprache, muss den Eltern jetzt Sozialverhalten beigebracht werden?
(Abg. Astrid Schmitt, SPD: Ich glaube, Sie haben da etwas nicht verstanden! – Abg. Damian Lohr, AfD: Sie haben es nicht verstanden!)
Doch diese Eltern sind ja selbst von Armut und Bildungsarmut und mangelnder Integration betroffen. Was also haben Sie bisher richtig gemacht, meine Damen und Herren von der Koalition und der CDU? In letzter Minute nun wurde gestern Ihr Antrag noch einmal geändert, und nun sprechen Sie endlich von einer gerechten materiellen Absicherung von Familien. Ist das nun ein wahltaktisches Manöver vor der Bundestagswahl?
Alle diesbezüglichen Anträge – der Kollege Frisch hat es schon gesagt –, auch das Erziehungsgeld, wurden bisher von Ihnen abgelehnt. Und trotzdem, es fehlt eine grundsätzliche Debatte zu den Themen „Familie“, „Umverteilung“, auch „Umverteilung der Arbeitszeit“, „Bildung“, „Integration“ und „Grenzen der Subsidiarität“.
Mit Teilhabe allein ist hier nicht viel Staat zu machen. Lassen Sie also den Familien mehr Netto vom Brutto. Damit wäre den Kindern wirklich geholfen, und wir hoffen, dass
(Beifall der AfD – Abg. Sven Teuber, SPD: Wo sind denn die Kinder? – Abg. Uwe Junge, AfD: Reiche Eltern haben selten arme Kinder! Das begreifen Sie nur nicht!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor ich zur Sache komme, muss ich leider ganz kurz auf den Vorredner eingehen.
Wer sich hier hinstellt und angesichts der Armut von Kindern und Jugendlichen, über die wir heute diskutieren, und angesichts der Tatsache, dass wir in 2015, also noch bevor die großen Zahlen des Zuzugs von Flüchtlingen zu uns kamen, in Deutschland bundesweit über 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche im SGB-II-Bezug, also in Armut lebend, hatten, ernsthaft diesen armen Kindern und Jugendlichen erzählt, an eurem Schicksal, das ihr schon 2015 hattet, sind die Flüchtlinge schuld, die erst danach zu uns gekommen sind, der zeigt, dass es ihm nicht darum geht, Konzepte zu haben, diese Gesellschaft zu gestalten, sondern nur spalten will.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der CDU und der FDP – Abg. Michael Frisch, AfD: Das hat er doch gar nicht gesagt! Sie sind schuld daran!)
Meine Damen und Herren, dafür ist das Thema doch viel zu ernst, und dafür bin ich dem Landtag und allen Fraktionen dankbar, dass wir wirklich gute Debatten im Ausschuss und eine sehr gute Anhörung hatten; denn trotz der guten konjunkturellen Lage in Deutschland, die sich noch weiter verbessert hat, haben wir leider doch Armutszahlen auf einem konstant hohen Rekordniveau. 15 % der Menschen – je nach Studie variiert das – sind in Deutschland einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt. Allein in Rheinland-Pfalz betrifft es über 74.000 Kinder und Jugendliche.
Besonders dramatisch wird es, wenn man auf die Biografien schaut und sieht, dass es immer mehr festzustellen ist, dass Armut nicht unbedingt nur etwas ist, was sozusagen durch Schicksal oder wie auch immer einen im Leben erreicht, sondern Armut immer mehr über Generationen vererbt wird.
In einer demokratischen Gesellschaft, in einem Sozialstaat, ist dann ein Problem angezeigt, wenn das Aufstiegsversprechen nicht mehr gilt, das heißt, wenn Kinder und Jugendlich das Erlebnis haben, meine Eltern waren schon arm, meine Großeltern waren schon arm, und ich kann
mich im Prinzip anstrengen, wie ich will, meine Leistung bringt mich nicht weiter, ich werde in meinem Leben auch immer arm bleiben. Da haben wir dann auch nicht nur ein soziales, sondern irgendwann auch ein demokratisches Problem.
Es ist auch ein Problem, wenn wir feststellen, dass wir weiterhin Maßnahmen ergreifen müssen, dass die Menschen sich und die Familie von der Erwerbsarbeit ernähren können. Ich denke, da ist der Mindestlohn ein wichtiger und überfälliger entsprechender erster Schritt gewesen. Aber genau diese Themen müssen weiter im Mittelpunkt stehen, dass wir wirklich armutssichernde Erwerbseinkommen haben, wir die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – insbesondere auch von Frauen – weiter verbessern müssen und es hier darauf ankommt, dass sich die Menschen nicht zwischen einem gesellschaftlichen beruflichen Aufstieg oder der Gründung einer Familie entscheiden müssen.
Wie wir auch sehen, ist es oft so, dass sich junge Menschen, die am Anfang des Berufslebens stehen, eigentlich Kinder und Familie wünschen, aber sehr oft dieser Wunsch dann nicht in die Realität umgesetzt wird, weil es dann oft zumindest subjektiv die Entscheidung Kind und Familie oder eben Karriere und gesellschaftlicher Aufstieg ist. Das sind die Dinge, die wir entsprechend überwinden müssen.
Frau Huth-Haage, Sie haben in Ihrem Beitrag versucht, insbesondere mit Lautstärke zu überzeugen. So viele Vorschläge Ihrerseits habe ich nicht gehört, aber ich möchte eine Sache klarstellen. Das eine ist, wir haben in der Anhörung sehr genau zugehört. Ja, Frau Dr. Becker, die vor allem wir Grünen als Fraktion vorgeschlagen haben, hat sehr viele kluge Sachen gesagt und andere auch. Es ist vollkommen richtig, und ich bin froh, dass wir hier die Einigkeit haben. Es heißt nicht monetäre Leistungen entweder/oder und institutionelle Bildung und Betreuung entweder/oder, sondern es ist ein Policy Mix.