Protocol of the Session on June 22, 2017

Das 60-jährige Jubiläum der Römischen Verträge ist auch schon genannt worden, und auch ich stehe noch unter dem Eindruck des Festaktes in Rom, der mich als Bundesratspräsidentin sehr beeindruckt hat.

Gleichwohl scheint die Zukunft des europäischen Projekts momentan völlig offen zu sein. Die europäische Integration hat unserem Kontinent Frieden, Freiheit, Prosperität und Demokratie gebracht, und diese Errungenschaften müssen und wollen wir verteidigen. – Ehrlich gesagt, Herr Frisch, wenn ich immer wieder das Zwischengestöhne der AfD zu diesem Thema höre, frage ich mich eigentlich: Was haben Sie mit diesem Bundesland zu tun, das in Frieden und Freiheit 70 Jahre lang groß geworden ist, was in großem und hohem Maße der Freundschaft zu Frankreich und der Entwicklung von Europa zu verdanken ist?

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Frisch, AfD – Abg. Joachim Paul, AfD: Da widerspricht doch niemand! Da widerspricht niemand, Frau Ministerpräsidentin!)

Das ist auch der Grund, weshalb sich die Landesregierung in vielfältiger Weise für dieses europäische Einigungswerk einsetzt, und zwar in sehr großer Überzeugung. Wir streiten für ein demokratisches Europa, und wir wollen die europäischen Werte im Innen- und im Außenverhältnis hochhalten. Wir setzen uns ein für Europa, das solidarische Sachlösungen für die Bürger und Bürgerinnen liefert, und für ein Europa, das von unten zusammenwächst.

Liebe Kollegen und Kolleginnen, mit dem Vollzug des Brexit wird erstmals ein Mitgliedstaat die EU verlassen, und es tut, ehrlich gesagt, bis zum heutigen Tage auch weh. Schwierige Verhandlungen werden die europäische Agenda in den kommenden eineinhalb Jahren prägen.

Die Zukunft der EU wird aber in noch viel größerem Maße davon abhängen, ob die 27 verbleibenden Mitgliedstaaten die vielen konkreten Herausforderungen – zum Beispiel Migration oder Sicherheitspolitik – gemeinsam meistern werden. Die EU kann nur dann zukunftsfest gemacht werden, wenn sie nicht alles und jedes zu regeln versucht; im Sinne der Subsidiarität muss sie aber Lösungen für Probleme schaffen – das lässt die AfD immer weg –, bei denen der einzelne Mitgliedstaat allein eben nicht mehr wirksam handeln kann. Liebe Kollegen und Kolleginnen, beides gehört zusammen.

Natürlich gibt es bestimmte Dinge. Frau Willius-Senzer hat es schon gesagt: Wir haben oft Dinge auf die europäische Ebene übertragen, und wir haben entsprechende Regelungen bekommen. Es ist richtig, dass die EU sich damit beschäftigt, wie man stärker entbürokratisieren kann und ob man wirklich alles klein-klein regeln muss. Aber im Umkehrschluss gehört genauso dazu, dass wir für die großen Themen, die wir nur europaweit bewältigen können, die Kraft aufbringen, dies auf der europäischen Unionsebene auch zu regeln, und dabei müssen Sie eben auch ein bisschen loslassen.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte gern noch betonen, dass wir noch stärker auf die Bedürfnisse und die Sorgen der Menschen mit Blick auf die Entwicklung der Europäischen Union schauen müssen, und das ist nicht immer gelungen. Lassen Sie mich ein Beispiel nennen. Deutschland geht es zurzeit wirtschaftlich sehr, sehr gut. Kein Land profitiert so sehr vom europäischen Binnenmarkt, und dennoch gibt es riesige wirtschaftliche Ungleichgewichte innerhalb der EU. Sie sind die Basis für Armut, soziale Verwerfungen, Migrationsdruck und auch Populismus, das ist teilweise hier schon gesagt worden.

Deshalb ist es so wichtig, dass die soziale Dimension endlich einen größeren Stellenwert erhält. Natürlich begrüße ich auch, dass die Kommission unter Jean-Claude Juncker kürzlich ein großes Paket sozialpolitischer Initiativen veröffentlicht hat. Die EU muss eine Rolle finden, die den Menschen in allen Teilen der Union das Gefühl gibt, dass ihnen die EU ein besseres Leben ermöglicht. Nur dann werden wir das europäische Projekt auch zukunftsfähig stemmen können.

Die Hoffnung auf ein besseres Leben in Frieden und Freiheit und ein wenig Wohlstand, das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb zurzeit viele Menschen aus dem Nahen Osten und aus Afrika nach Europa streben.

(Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Nach Deutschland streben!)

Zu den Werten, für die wir als EU eintreten, gehört der Schutz von Menschen in Not genauso wie die Solidarität innerhalb der EU. Deshalb ist es wichtig, die Lasten auch fair zu teilen.

Klar ist auch, dass die offenen Binnengrenzen im Schengenraum nur erhalten bleiben werden, wenn die EU die Kontrolle der Außengrenzen als eine gemeinsame Aufgabe entschlossen anpackt. Aber, liebe Kollegen und Kolleginnen, damit ist doch nicht alles getan. Gleichzeitig müssen legale Zuwanderungsmöglichkeiten geschaffen

(Zuruf von der AfD: Warum? Warum?)

und auch die Fluchtursachen in den Herkunftsländern entsprechend bekämpft werden.

Weitere Themen – ich streife sie nur: ich habe die Redezeit schon überschritten – sind natürlich die Stärkung der Eurozone, der künftige EU-Haushalt, die Agrarpolitik nach 2020 und auch die Frage, wie die Mitgliedstaaten die Integrationsarchitektur gemeinsam bewältigen wollen. Das Weißbuch von der Kommission gibt uns viel Stoff, um mit diesen Fragen entsprechend umzugehen.

Mein letzter Gedanke ist noch: Ich bin davon überzeugt, dass die Europäische Union auch immer davon lebt, dass sie von unten gebaut wird. Deshalb bleibt es für uns als Rheinland-Pfälzer und Rheinland-Pfälzerinnen absolut relevant, wie wir in unseren Grenzregionen, in der Großregion und am Oberrhein mit unseren Nachbarn gemeinsam Europa gestalten, Europa im Mikrokosmos sozusagen. Dort können wir üben, lernen, es leichter machen und den

Menschen eine große Identifikation mit Europa vermitteln. Dies tun wir über unsere Europa-Bildung, über grenzüberschreitende Projekte, und das wird auch in Zukunft unsere Aufgabe sein. Sie können auf jeden Fall sicher sein, dass diese Koalition, diese Regierung sich für dieses offene, solidarische, dieses Glück bringende und Frieden bringende Projekt auch in Zukunft mit ganzer Kraft einsetzen wird.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zu einer Kurzintervention erteile ich Herrn Dr. Bollinger das Wort.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Ministerpräsidentin, auch bei Ihnen muss ich leider feststellen, dass Sie unsere Position falsch darstellen.

(Abg. Michael Hüttner, SPD: Dann müssen Sie sich besser ausdrücken!)

Die AfD ist nicht gegen Europa, sondern sie setzt sich für ein dezentrales Europa mit Binnenmarkt ein.

(Zuruf der Abg. Kathrin Anklam-Trapp, SPD – Zurufe von der SPD)

Frau Präsidentin, verschaffen Sie mir bitte Gehör, wenn die SPD-Fraktion mich stören möchte.

(Unruhe bei der SPD)

Seien Sie nicht so unanständig, Herr Kollege.

(Heiterkeit bei der SPD)

Ich darf auf weitere Themen Ihres Vortrags eingehen, Frau Ministerpräsidentin. Zunächst einmal sprechen Sie vom demokratischen Europa. Tatsache ist aber, dass die Europäische Union, wie sie aktuell konstituiert ist, massive Demokratiedefizite zu verzeichnen hat.

(Beifall der AfD)

Von den europäischen Institutionen, die weitreichende Entscheidungen für unser aller Leben treffen, ist eine einzige halbwegs demokratisch legitimiert. Das ist das Europäische Parlament, weil es von den europäischen Bürgern gewählt wird. Nur haben wir dort auch eine falsche Repräsentation. Dort sind die Bürger kleinerer EU-Staaten wie Malta, Luxemburg und anderer Staaten im Vergleich zur Bevölkerungszahl massiv überrepräsentiert.

(Zuruf von der CDU: Im Parlament nicht!)

So ist beispielsweise bei den Luxemburgern eine mehr

als zehnfach bessere Repräsentanz der Bürgerschaft pro Europaabgeordnetem zu verzeichnen. Das ist nicht demokratisch. Die deutschen Bürger sind nicht angemessen demokratisch repräsentiert.

Letztlich, ein ganz wichtiges Thema, Sie sprachen von Problemen, die zu lösen wären. Tatsache ist, Probleme sollten gemeinsam gelöst werden. Die Probleme aber, bei denen es Sinn ergibt und die sinnigerweise auf europäischer Ebene gelöst werden könnten, wie die Grenzsicherung, oder vielleicht eine gemeinsame Wirtschafts- und Entwicklungspolitik auch gegenüber den Ländern im Nahen Osten anzugehen, die Fluchtursachen durch faire landwirtschaftliche Politik beseitigen würde, das macht die EU nicht.

Sie greift in unser tägliches Leben mit Klein-KleinRegelungen ein. Dort aber, wo sie konkret sinnvoll zusammenarbeiten könnte, scheitert sie. Dort versagt sie.

(Beifall der AfD)

Das Gleiche gilt für die Flüchtlingspolitik der EU, die nicht die Fluchtursachen beseitigt und auf verantwortliche Weise dazu geführt hat, dass die Menschen vor Ort in ihren Ländern bleiben können, und die die Grenzen sicher schützt, sondern die im Gegenteil einen Magneten eingeschaltet hat, wie der Migrationsforscher Paul Collier sagt, und im Übrigen auch den Interessen der Menschen in ganz Europa nicht gerecht wird.

Wir haben in Südeuropa, im Übrigen auch von der EU nicht bekämpft und durch die Eurorettungspolitik verstärkt, eine massive Jugendarbeitslosigkeit. Das ist nicht im Interesse der Menschen. Sie wird nicht angegangen.

Diese EU, wie sie konstituiert ist, nützt nicht den Interessen der Menschen. Wir wollen sie nicht komplett abwickeln, aber sie muss reformiert werden,

(Glocke der Präsidentin)

für eine dezentralere und den Problemen der Menschen nähergehende Aufstellung.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, durch die verlängerte Redezeit der Landesregierung steht den Fraktionen eine Minute und 40 Sekunden zusätzlich zur Verfügung. Gibt es Wortmeldungen? – Zunächst Frau Willius-Senzer, bitte.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. Sehr geehrter Herr Dr. Bollinger, nicht die Aussagen von unserer Ministerpräsidentin sind unanständig, sondern Ihre Anmerkungen dazu.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Abg. Dr. Jan Bollinger, AfD: Warum unanständig? – Abg. Michael Frisch, AfD: Er hat nichts von unanständig gesagt!)

Welche Kompetenzen wollen Sie denn eigentlich einschränken? Sie sprachen vorhin davon, dass Kompetenzen weg müssen.