Protocol of the Session on May 30, 2017

Wenn wir alle immer wieder davon reden, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine der zentralen Fragen unserer Zeit und eine Herausforderung auch mit Blick auf die demografische Entwicklung ist, dann ist das, was insbesondere Sie, Herr Baldauf, hier vorgetragen haben, meilenweit an der Lebensrealität gerade von jungen Menschen vorbei, die sehr oft eine Familie gründen wollen.

Umfragen unter jungen Menschen haben gezeigt, dass der Wunsch, eine Familie zu gründen, viel höher ist als hinterher die Realisierung, wirklich eine Familie zu gründen. Woran liegt das? Die jungen Menschen sehen sehr genau, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht so weit ist, wie wir uns das alle vorstellen, sodass die Gründung der Familie immer weiter hinausgeschoben wird und es leider auch in vielen Fällen, obwohl der Wunsch da ist, nicht dazu kommt.

Das hat nun einmal auch etwas mit mangelnder Absicherung auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Ich bin mir ganz sicher. Wenn es so wäre, dass es ein volles Rückkehrrecht auf Vollzeit gäbe, wären mehr Männer endlich bereit, die Verantwortung für die Familie, die Kinder, aber auch für pflegebedürftige Angehörige zu übernehmen und das Gender-Gap auch bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf endlich zu überwinden.

Damit würden wir es auch schaffen, Familiengründungen zu erleichtern. Das ist gerade für die ländlichen Strukturen in Rheinland-Pfalz eine ganz wichtige Frage. Auch in diesem Kontext ist das Scheitern dieses Gesetzentwurfs schlecht für Rheinland-Pfalz.

(Beifall der SPD)

Es gibt eine Mehrheit in der Gesellschaft dafür, die Ja sagt, dass jemand, der eine Familie gründet und sich um pflegebedürftige Angehörige kümmert, das Recht haben soll, nach einer Teilzeitphase wieder in Vollzeit in seinen Beruf zurückzukehren. Es gibt übrigens dafür auch eine Mehrheit im Deutschen Bundestag.

Herr Baldauf, ich habe Ihren Ausführungen entnommen, dass Sie an einzelnen Punkten dieses Gesetzes Kritik geäußert und dieses Vorhaben nicht generell abgelehnt haben. Dann frage ich mich auch: Was hat diese Regierung in den letzten dreieinhalb Jahren gemacht? Warum ist es nicht schon viel früher diskutiert und ausgeräumt worden? – Die Zeit wäre doch da gewesen.

Ich glaube, das ist ein weiterer Beleg, dass die Große Koalition das Land mehr blockiert als voranbringt. Ich glaube, für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Gerechtigkeit und vor allem auch für die Lebenschancen von Frauen wäre es wichtig, dieses Rückkehrrecht auf Vollzeit zu haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Bätzing-Lichtenthäler.

Vielen Dank. Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte über das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit ist noch einmal ein ganz deutlicher Ausdruck dafür, wie sehr dieses Thema die Menschen in Rheinland-Pfalz bewegt.

Die Ankündigung des Bundeskanzleramts, dass der Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode nicht mehr im Bundeskabinett behandelt wird, hat auch in Rheinland-Pfalz viel Unverständnis hervorgerufen und viele RheinlandPfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer vor den Kopf gestoßen.

Auch die Landesregierung wird sich nun nicht im geordneten Verfahren der Gesetzgebung mit der Frage auseinandersetzen können, ob und in welcher Weise ein Rückkehrrecht von Teilzeit- auf Vollzeitarbeitsstellen ausgestaltet sein muss, um den Bedürfnissen der Teilzeitbeschäftigten in Rheinland-Pfalz – das sind im Übrigen Tausende – und auch der Arbeitgeber Rechnung zu tragen. Ich bedauere das sehr.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich will Ihnen auch gern noch einmal die Dimensionen verdeutlichen, über die wir sprechen. Im September 2016 gab es nach Angaben des Statistischen Landesamtes fast 390.000 Teilzeitbeschäftigte in Rheinland-Pfalz. Davon waren 82 % Frauen. Umfragen belegen, dass ein Drittel dieser Teilzeitbeschäftigten gern mehr arbeiten würden.

Ein Gesetz, das die Rückkehr von Teilzeit in Vollzeit erleichtert, wäre sicherlich ein wichtiger Baustein einer einvernehmlichen Regelung über Arbeitszeiten gewesen, die sich einerseits an den Bedürfnissen unterschiedlicher Lebensphasen orientieren und andererseits die Erfordernisse

der Betriebe berücksichtigen.

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: So ist es!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt noch weitere Gründe, die für eine konstruktive Debatte über die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes sprechen. Zum einen können wir aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels nicht auf das Erwerbspotenzial der Frauen verzichten. Zum anderen würde ein gesetzliches Rückkehrrecht in die Vollzeit auch einen aktiven Beitrag zur Gleichstellung von Frauen leisten.

Nicht zuletzt wäre der Gesetzentwurf ein wichtiger Schritt bei der Vermeidung von Altersarmut, vor allem bei Frauen, gewesen.

Es gibt also sowohl aus frauenpolitischer und sozialpolitischer als auch aus wirtschaftlicher Sicht den dringenden Bedarf einer höheren Frauenerwerbstätigkeit.

(Beifall bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dies waren im Übrigen vor vier Jahren auch die Gründe, warum im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart wurde, das Teilzeitrecht weiterzuentwickeln und einen Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit, also ein Rückkehrrecht, zu schaffen.

Der vom Bundesarbeitsministerium vorgelegte Gesetzentwurf sah vor, dass ein Anspruch auf vorübergehende Teilzeitarbeit dann besteht, wenn der Arbeitgeber mehr als 15 Mitarbeiter beschäftigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU, für diesen Eckwert von 15 Mitarbeitern gibt es gute Gründe. Er entspricht nämlich der bislang geltenden Voraussetzung des Teilzeitund Befristungsgesetzes für den Anspruch auf unbegrenzte Teilzeit.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Ja!)

Leider konnte dieser Gesetzentwurf die Bedenken der Arbeitgeber nicht entkräften. Die Arbeitgeber sprachen in diesem Zusammenhang immer wieder von einer Bürokratiefalle. Wir haben es heute leider auch wieder gehört. Aus meiner persönlichen Sicht wären die bürokratischen Hürden und Kosten, die auf die Unternehmen zugekommen wären, moderat ausgefallen. Die Vorteile für beide Seiten – und ich betone, für beide – hätten meines Erachtens überwogen.

Umso mehr bedauere ich es, dass eine Einigung innerhalb der Koalition nicht möglich war. Die CDU und die Arbeitgeberverbände forderten – wie heute bereits mehrfach erwähnt – einen Schwellenwert von 200 Mitarbeitern. Solch eine hohe Mitarbeiterzahl hätte aber zur Folge gehabt, dass das Gesetz für Millionen von Teilzeitbeschäftigten in Deutschland und für viele Tausend Teilzeitbeschäftigte in Rheinland-Pfalz überhaupt nicht mehr anwendbar gewesen wäre.

(Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)

Es stellt sich dann schon die Frage: Ist ein Gesetzentwurf, der so ausgestaltet ist, dass er für so wenig Frauen wie möglich gilt, dann überhaupt noch zielführend?

(Staatsminister Roger Lewentz: Richtig!)

Dass der Gesetzentwurf nun aufgrund dieser koalitionsinternen Differenzen nicht weiter behandelt wird, ist für mich aus arbeitsmarktpolitischer und auch aus wirtschaftspolitischer Sicht wirklich sehr bedauerlich. Ich bin persönlich der festen Überzeugung, dass wir eine Regelung brauchen, und zwar – auch das möchte ich betonen – nicht nur um der Beschäftigten und der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie willen, sondern auch, weil es angesichts der Fachkräftebedarfe der Zukunft im langfristigen Interesse der Unternehmen liegt, abgestimmte Strategien zu entwickeln und umzusetzen, damit möglichst viele Frauen ihr Potenzial einbringen können.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD, der FDP und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Sehr gut!)

Für die SPD-Fraktion hat Frau Dr. Machalet das Wort.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Baldauf, wir haben in diesem Haus schon viele Diskussionen darüber geführt, wenn es darum geht, Arbeitnehmerrechte auszuweiten. In diesem Fall wundert es mich auch heute nicht, dass Sie wie immer das Bürokratiemonster als Schimäre aufbauen.

(Abg. Christian Baldauf, CDU: Wir haben gerade zwei eingestellt!)

Genauso wie bei den Themen, die wir diskutiert haben, Mindestlohn und Tariftreue, gilt auch hier das Bürokratieargument für mich nicht als Ausrede.

Es sollte doch gerade – auch das hat die Ministerin ausgeführt –, wenn es um das Thema der Fachkräftesicherung geht, darum gehen bzw. ein Eigeninteresse der Arbeitgeber sein, die Flexibilität zuzulassen. Gerade Arbeitgeber, die flexibel mit den Wünschen ihrer Beschäftigten umgehen, sind doch attraktive Arbeitgeber mit loyalen Mitarbeitern.

Im Übrigen muss doch gelten: Flexibilität ist keine Einbahnstraße. Es ist kein Recht, das nur Arbeitgebern einzufordern zusteht. Damit das so ist, braucht es einen gesetzlichen Rahmen, der sicherstellt, dass auch die Beschäftigten ihr Recht auf Flexibilität einfordern können.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Herr Kollege Köbler hat viel zu dem Thema „Existenzsicherung von Frauen und Auswirkungen auf Armut“ erläutert. Das muss ich an dieser Stelle nicht noch einmal ausführen.

Das wissen Sie alle. Aber noch einmal zurück zum Vorgehen des Kanzleramts und der Kanzlerin an dieser Stelle: Das Scheitern des Gesetzes macht eines deutlich: Jede Frau, die im Erwerbsleben steht, kann sich nun ein Bild davon machen, wie weit es damit her ist, Angela Merkel wie beim G-20-Frauentreffen als Feministin zu bezeichnen.

(Zuruf des Abg. Joachim Paul, AfD – Zurufe von der CDU: Oh!)

Ihr Einsatz für Frauenrechte erscheint jedenfalls spätestens jetzt absolut ausbaufähig.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD, des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP)

Für die CDU-Fraktion spricht Frau Dr. Ganster.

Vielen Dank. Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als frauenpolitische Sprecherin möchte ich heute einen Beitrag zu dieser Debatte leisten. Sehr auffällig war in den letzten zehn Minuten, dass in den Regierungsfraktionen nicht wirklich Einigkeit herrscht. Wir haben Wahlkampfstatements von der SPD, die abgegeben werden müssen. Bei Steven Wink frage ich mich, wie er seine Position seinen Wirtschaftsleuten im Wahlkreis erklären möchte. Und bei den Grünen? Herr Köbler, Sie haben ganz recht, das Thema so kurz vor der Bundestagswahl zu bringen, hat natürlich schon ein Geschmäckle.

(Zuruf des Abg. Christian Baldauf, CDU)