Protocol of the Session on February 15, 2017

Wir als Grüne, möchte ich noch sagen, haben für den Bundestagswahlkampf eine Selbstverpflichtung unterschrieben, dass wir „Social Bots“ nicht nutzen wollen und eine Internetfeuerwehr einrichten. Ich fände es gut, wenn das viele andere auch machen würden.

(Glocke des Präsidenten)

Ich persönlich glaube nicht, dass es richtig ist, eine Enquete-Kommission über dieses Thema einzusetzen, aber ich bin natürlich offen dafür. Ich will so etwas nicht verhindern. Aber ich glaube, das Thema ist nicht geeignet für eine Enquete-Kommission.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der FDP)

Für die Landesregierung spricht Frau Staatsministerin Spiegel.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die heutige Debatte behandelt Lüge und Hass im Netz. Beide Phänomene „Fake News“ und „Hate Speech“ muss man zusammen betrachten. Das zeigt ein aktueller Fall, der mich als Integrationsministerin besonders betroffen macht.

Es geht um den syrischen Flüchtling Anas Modamani, der mit Frau Bundeskanzlerin Merkel im Jahr 2015 ein Selfie produziert hat. Dieses Bild wird bei Facebook zur Hetze missbraucht, er wird mit tiefstem Hass beschimpft und bewusst falsch in Zusammenhang mit Terroristen gebracht.

Es kann nicht sein, dass jemand, dem wir Schutz als Flüchtling bieten, im Netz keinen Schutz mehr genießt. Volksverhetzung und Beleidigungen sind Straftatbestände, die auch im Netz strafbar sind. Hier gibt es aber noch zu wenige rechtliche Konsequenzen.

Wir dürfen das Internet nicht zum rechtlosen Raum verwahrlosen lassen. Hierbei haben auch die sozialen Netzwerke selbst eine große Verantwortung, der sie derzeit noch zu selten gerecht werden.

Unser Partner jugendschutz.net befasst sich bereits seit vielen Jahren mit der Thematik „Hate Speech“ und „Fake News“ und hat im Rahmen eines Tests im vergangenen Jahr große Defizite festgestellt. Facebook entfernte oder sperrte nur 46 % der gemeldeten Hassbotschaften, YouTube nur 10 % und Twitter sogar nur mickrige 1 %. Die Bundesregierung hat versucht, durch Selbstverpflichtungen der großen Plattformbetreiber dem Hass und den Lügen im Netz Einhalt zu gebieten. Das hat nicht funktioniert, wie der Bund selbst einräumt.

Was wir brauchen, sind keine Lösungen, die auf den guten Willen der Unternehmen setzen, sondern die Facebook und Co. dazu verpflichten, Hass und Lügen spätestens nach 24 Stunden aus dem Netz zu löschen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Thomas Weiner, CDU)

Meine Damen und Herren, das können Unternehmen, die Milliarden umsetzen, leisten, ganz besonders, wenn die Auswertung von Inhalten ihr Kerngeschäft ist.

Ich fordere das als Jugendministerin, als Familieministerin, als Verbraucherschutzministerin, als Integrationsministerin und vor allen Dingen als Frauenministerin.

(Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU: Das ist ja ein Riesenressort!)

Das wurde in den Beiträgen angesprochen, Frauen werden übermäßig häufig in sozialen Netzwerken beleidigt. 2014 fiel allein auf Twitter millionenfach das Wort „Schlampe“, und zwar im Laufe eines einzigen Monats. Auf Facebook hat sich mittlerweile eine besorgniserregende Diskussionsund Kommunikationskultur gegen Ausländerinnen und Ausländer, Muslime, Juden oder Sinti und Roma etabliert, oft auch in Verbindung mit glaubhaft aussehenden „Fake News“ von Rechtsextremen. Unter YouTube und Instagram lädt der IS seine menschenverachtenden Videos hoch und versucht gezielt, Jugendliche und sogar schon Kinder anzusprechen.

Meine Damen und Herren, hier muss unsere Gesellschaft handeln, und zwar zusammen: Politik, Social-MediaUnternehmen und die Bürgerinnen und Bürger.

Wir brauchen erstens eine regelmäßige Berichtspflicht für

Social-Media-Unternehmen. Der gesetzliche Jugendmedienschutz bietet hierfür eine gute Grundlage. Wir brauchen zweitens eine Rahmengesetzgebung zur Löschung von Inhalten. Wir brauchen drittens von den Plattformbetreibern mehr Ressourcen für die Bekämpfung von Hass im Netz. Sie müssen technische Mittel optimieren und einsetzen, die Inhalte automatisiert erkennen und den erneuten Upload von bekannten verbotenen Inhalten verhindern können. Im Bereich des Urheberrechts praktiziert YouTube dies bereits. Gewisse Inhalte sollten effektiv verbunden werden. Bei Spam funktioniert das auch. Spam ist nur lästig, aber Hass ist gefährlich. Viertens sollten wir die Bevölkerung stärker für „Hate Speech“ und „Fake News“ sensibilisieren und klar aufzeigen, was jeder Einzelne dagegen tun kann. Das hat nicht nur eine rechtliche, es hat auch eine moralische und eine ethische Dimension und damit auch eine philosophisch konnotierte Dimension, meine Damen und Herren.

Die sozialen Netzwerke sind mittlerweile für viele Menschen ein wichtiger Teil ihres Lebens von klein auf. Wir müssen sicherstellen, dass unsere Werte und Rechte auch dort gelten. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten, dass ihre individuellen Rechte auch im Internet geschützt sind. Wir müssen alles dafür tun, dass der staatliche Strafanspruch auch in sozialen Netzwerken wirksam durchgesetzt wird.

Vielen Dank.

(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD, der FDP und bei der CDU)

Für die CDU-Fraktion hat Herr Abgeordneter Baldauf das Wort.

„Mensch guck mal, was da getwittert wird. Oh, das läuft aber gut.“

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele Gespräche, auch hier in der Steinhalle, drehen sich um Aufmerksamkeit in sozialen Netzwerken,

(Abg. Alexander Schweitzer, SPD: Das stimmt!)

Wer wie viele Fans und Follower hat, je mehr, umso besser, desto wichtiger, geht es doch um Meinungsmacht und Deutungshoheit. Wir selbst, Politiker und Journalisten, berufen uns allzu gerne auf das, was gerade „gezwitschert“ wird.

Nur – wir haben es in der Debatte heute mehrfach angesprochen –, hinter vielen Kommentaren, Tweets und Facebook-Likes stecken gar keine Menschen, sondern Meinungsmaschinen, Computerprogramme: Rund 20 % bei Twitter – manche Analysen gehen noch viel höher, bis zu 40 % – sind nicht echt. Viele Sätze auch nicht. Beispiele: Hört endlich einmal damit auf, uns Unsinn zu erzählen. Die Bevölkerung hat die Nase voll von unseren unfähigen Volksverdummern. Eigentlich sollte man Merkel vor Gericht stellen und verurteilen. – Das schreiben „Social

Bots“ und geben vor, Menschen zu sein. Sie simulieren Unterstützung, klicken Webseiten an, gauckeln Besucherund Videoabrufzahlen vor, schreiben Lügen- und Hasskommentare und manipulieren Onlineumfragen.

Im Dezember wurden während einer „Hart aber Fair“Sendung mehr als 20 % der Tweets von „Bots“ abgesetzt.

(Abg. Julia Klöckner, CDU: Ja!)

„Bots“ erkennen, ob jemand auf einem Foto gut aussieht oder nicht. Die hässlichen Bilder werden als Miesmacher verbreitet: „Shitstorms“ vom Fließband.

500 US-Dollar – so viel kostet eine Software, mit der sich 10.000 Twitteraccounts steuern lassen. Es geht auch billiger: 1.000 falsche Follower gibt es ab 30 Euro aufwärts.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, politische „Bots“ sind gefährlich, und die Versuchung, sich gefakte Anhänger zu kaufen, ist groß. Wie groß, sieht man im USWahlkampf. Jeder dritte Tweet aus dem Trump-Lager war ein „Bot“, bei Clinton knapp jeder vierte.

Das eigentliche Problem aber entsteht, wenn alles zusammenkommt, wenn die drei Komponenten Propagandaroboter, „Fake News“ und personalisierte Wahlwerbung ineinandergreifen und von oben gesteuert werden, so wie es in den USA geschehen ist; denn dann hängt künftig der Ausgang von Wahlen davon ab, wer die dreckigsten oder cleversten Big-Data-Strategien hat, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall der CDU, bei SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Mehr Transparenz, eine Verschärfung der Kennzeichnungspflichten, das generelle Verbot von „Propagandabots“ mit strafrechtlichen Folgen sowohl für Programmierer als auch Abnehmer fordern aktuell mehrere Justizminister der Länder. Problem: schwierig umzusetzen. – „Bots“ werden ständig schlauer, die Zurechnung deshalb immer schwieriger, erst recht, wenn sie aus dem Ausland kommen.

Trotzdem kann ich mir ein Verbot vorstellen und plädiere massiv dafür; denn ich bin überzeugt, „Social Bots“ haben in der Politik nichts verloren.

(Beifall der CDU, bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der SPD)

Meine Damen und Herren, hier läuft etwas aus dem Ruder. Wir sollten in den nächsten Monaten gerade auch vor der Bundestagswahl alles dafür tun, um computergesteuerter Stimmungsmache einen Riegel vorzuschieben.

(Beifall der CDU, bei FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und vereinzelt bei der AfD)

Wir, die im Landtag vertretenen Parteien, sollten den Einsatz von politischen „Social Bots“ ablehnen und uns zu

digitaler Fairness verpflichten, wie es Kollege Braun für seine Partei schon gesagt hat; denn Wahlkampf ist in einer Demokratie grundsätzlich eine öffentliche Angelegenheit. Man kämpft mit offenem Visier, sagt, wer man ist und was man will. Das ist der Sinn von Wahlkampf: das Werben für seine Ziele und um Vertrauen. – Aber eines ist klar: Wahlkampf und Anonymität schließen einander aus. Hinter jeder Meinung muss ein Mensch erkennbar sein, der diese Meinung verantwortet, nicht Maschinen.

(Beifall der CDU, bei der AfD und der Abg. Helga Lerch, FDP)

Das vergiftet die offene Meinungsbildung, das höhlt die Grundsätze unseres politischen Systems aus. Demokratie braucht Vertrauen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in den beiden letzten Stunden viele Möglichkeiten diskutiert, und ich bin mir sicher, dass wir erst am Anfang stehen. Die Herausforderungen und Probleme, vor die uns die digitale Kommunikation stellt, jeden Einzelnen privat und die Gesellschaft als Ganzes, werden wir in den kommenden Monaten und Jahren immer wieder und immer wieder neu diskutieren und klären müssen.

(Glocke des Präsidenten)

Ich denke, wir als Politiker und als Parteien gemeinsam mit den Medien haben vieles selbst in der Hand. Meine Damen und Herren, wir leben in einer Zeit, in der es darauf ankommt, für Werte und demokratische Prinzipien einzustehen.

Herzlichen Dank.