Ja, es stimmt. Immer mehr Bürger, die durch die digitalen Medien Verstärkeranlagen zur Verfügung haben, sind dabei, einen Konsens aufzukündigen, der Jahrzehnte Bestand hatte. Er lautete ungefähr so: Wir, die selbsternannte progressive Linke, sagen, wo es gesellschaftlich und kulturell langgeht, was gedacht und geschrieben werden soll und was nicht. Die anderen verhalten sich ruhig, sie dürfen sich wirtschaftlich verwirklichen. Dieser Konsens löst sich gerade auf.
Als Gäste auf der Zuschauertribüne begrüße ich Schülerinnen und Schüler der Berufsbildenden Schule Ahrweiler, Fachrichtung Altenpflege. Seien Sie herzlich willkommen bei uns im Landtag!
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollegin Lerch hat vorhin mit der Gurke treffend recht gehabt. Es ist eigentlich wirklich egal, welchen Tagesordnungspunkt wir behandeln. Ich habe immer das Gefühl, dass die Damen und Herren, die hier rechts sitzen, stets die freien Medien beschränken wollen.
(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heiterkeit bei der AfD – Zurufe von der AfD: Was?)
Deswegen will ich überhaupt nicht darauf eingehen, was Sie vorhin wieder deutlich gemacht haben, indem Sie versucht haben, zu diffamieren. Tut mir leid!
Meine Damen und Herren, Demokratie braucht Vertrauen, und Vertrauen entsteht dort, wo sich Menschen mit ihren Bedürfnissen nicht nur ernst genommen, sondern vor allen Dingen auch angenommen fühlen. Dabei geht es doch nicht um Bestimmtes oder gar Einheitliches, sondern um die vielfältigen und teilweise sogar widersprüchlichen Bedürfnisse einer vielfältigen Gesellschaft.
Es gehört zur Wesensart einer Demokratie, dass sie alle beteiligen will und nicht nur Anliegen diskutiert, die von einer bestimmten Gruppe als wichtig erachtet werden. In unserer parlamentarischen Demokratie müssen wir die Themen, welche die Menschen wirklich interessieren, auch im Parlament diskutieren.
Wenn die Bürgerinnen und Bürger sich von dem, was und wie wir hier im Landtag diskutieren, nicht angesprochen und mitgenommen fühlen, werden sie sich abwenden und ihre Themen an anderer Stelle und auf andere Weise diskutieren.
Außer Frage steht, dass im Dialog im Netz teilweise Grenzen überschritten werden. Eine Trennung in eine gesellschaftliche Realität und in eine Netzrealität wäre aber nicht nur falsch, sondern sie wäre gefährlich. Herr Minister Mertin hat vorhin angesprochen, wir leben in e i n e r Welt.
Die Gefühle, die im Internet offen zutage treten, sind jedoch real. Sie sind auch Ausdruck dessen, was und wie ein Teil der Bevölkerung denkt. Das Netz schafft nicht nur Emotionen, es macht sie vor allem transparent.
Das Internet hat die Distanz zwischen Bürgerinnen und Bürgern und der Politik quasi aufgelöst. Plenarsitzungen werden live im Internet übertragen. Es wird auf Facebook gepostet, getwittert. Das alles ist ein Ausdruck von Bürgernähe.
Diese Nähe bietet zum einen die Möglichkeit zu einem direkten Austausch. Sie macht aber auch erreichbar für Hass, Hetze und unter Umständen sogar für Lügen. Das heißt allerdings nicht, dass es diese vorher nicht gegeben hätte. Durch die sozialen Medien sind die Befindlichkeiten transparenter geworden und können schneller artikuliert werden.
Wer sich früher über einen Politiker geärgert hat, der hat abends wütend einen Brief geschrieben, sich am nächsten Morgen überlegt, ob er ihn wirklich abschicken will und ihn dann vielleicht statt in den Briefkasten in die Mülltonne geworfen. Heute folgt der Emotion die Aktion, und zwar direkt.
Wer sich über einen Politiker ärgert, kann sich direkt und ohne Umwege dem Betroffenen selbst mitteilen. Ich warne davor, darin nur einen Nachteil zu sehen. Die direkte Kom
munikation zwischen Bürgern und Politik kann eine echte Bereicherung sein, und in vielen Fällen ist sie das auch.
Wir haben heute Plattformen wie abgeordnetenwatch.de, über die sich Bürgerinnen und Bürger direkt an ihre Abgeordneten wenden können. Da die Plattform auf die, neudeutsch, Netiquette achtet, findet hier teilweise ein politischer Dialog auf höchstem Niveau statt.
Wir sollten daher gerade die sozialen Medien nicht nur unter der Überschrift „Lüge und Hass im Netz“, sondern stets auch unter der Überschrift „Direkte Demokratie und Bürgernähe“ diskutieren. Niemand hat gesagt, dass Bürgernähe immer angenehm sein muss. Trotzdem ist sie nicht nur wichtig, sondern vor allen Dingen eine Voraussetzung der Demokratie.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben in der Vergangenheit miterlebt, wie eine große Volkspartei Politik mit einer Strategie der asymmetrischen Demobilisierung gemacht hat. Das heißt, Ziel dieser Form der Kampagnenführung war gerade nicht, die Bevölkerung für demokratische Debatten zu begeistern, sondern Diskussion von den Bürgerinnen und Bürgern fernzuhalten.
Wenn sich die Menschen nun die demokratische Debatte zurückholen, die man aus machttaktischen Gründen lange von ihnen ferngehalten hat, muss das kein schlechtes Zeichen sein. Soziale Medien sind emotionale Medien, und Emotionen sind ein wirksames Gegengewicht zur Gleichgültigkeit.
Eines sollten wir uns stets bewusst machen: Wo Hass und Lüge die Demokratie explodieren lässt, lässt die Gleichgültigkeit sie implodieren.
Wir dürfen als Gäste im rheinland-pfälzischen Landtag Teilnehmer des Mainzer Landtagsseminars begrüßen. Herzlich willkommen bei uns!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich gehöre zu diesen Leuten unter Ihnen, die schon Politik gemacht haben, bevor es das Netz gab. Auch bevor es das Netz gab, gab es Hassbriefe. Als Grüner hat man wahrscheinlich früher mehr Hassbriefe erhalten als manche anderen. Insofern ist es keine neue Dimension, dass wir Hassbriefe erhalten, egal ob elektronisch oder handschriftlich. Beim Windkraftausbau habe ich viele, viele handschriftliche Hassbriefe erhalten – das waren nicht junge Leute, wie man an der Handschrift sah.
Meine Damen und Herren, es gibt aber eine neue Dimension – darüber diskutieren wir heute –, nämlich dass es verborgene und vernetzte Hassbriefe und Kampagnen gibt. Diese Kampagnen sind gefährlich.
Wir können und wollen nicht dagegen vorgehen, wenn sich jemand im Internet dumm oder ungezogen äußert. Das ist mir relativ egal. Dummheit und schlechtes Benehmen kann man nicht verbieten, dagegen braucht man keine Gesetze zu machen. Das kann uns egal sein.
Wir können aber nicht schweigen, wenn es um gefährliche Dinge geht. Herr Schnieder, ich bin Ihnen dankbar dafür, dass Sie das angesprochen haben. Es gibt diesen Punkt, an dem die „Hate Speech“ zu einer „Dangerous Speech“ wird,
sich die Hassrede verselbständigt, noch nicht einmal deroder diejenige, der oder die die Hassrede postet, damit rechnet, dass sich daraufhin vielleicht jemand aktiviert.
Wir haben ein Beispiel in den 60er-Jahren gehabt, das mir schon seit Langem durch den Kopf geht. Rudi Dutschke wurde von einem verirrten, aber aufgehetzten Mann schwer verletzt und im Endeffekt getötet. Er hatte von verschiedenen Zeitschriften und Meinungsäußerungen seine Meinung bekommen und dann gehandelt. Es hatte ihn niemand dazu aufgefordert, aber er hat das als Aufforderung verstanden.
Vieles, was wir heutzutage im Netz lesen, hat einen ähnlichen Charakter. Wenn es Aufforderungscharakter hat, von einer größeren Gruppe immer wiederholt wird, diese Autorität im Netz hat und ihm nicht widersprochen wird, kann es passieren, dass sich Menschen aufgefordert fühlen.
Sie haben gesagt, wo böse Worte spazieren gehen, gehen bald auch Messer spazieren. Meine Damen und Herren, davor habe auch ich persönlich Angst, und davor müssen wir uns schützen.
Hinzu kommt, dass es im Internet durchaus möglich ist, dass Menschen, die nicht öffentlich ihre Meinung sagen würden, dort ihre Meinung sagen oder sie Meinungen von anderen, die sie ebenfalls nicht öffentlich sagen, einfach wiederholen und damit noch verstärken.
Das gibt eine Lawine. Es fängt mit einem Schneeball an, und am Schluss haben wir diese Lawine, diese Hasslawine, und – wie man sagt – „Storm“. Es ist nur ein kleines Windchen, dass diesen „Storm“ am Anfang entfacht. Es kommt dann aber dazu, dass sich viele Menschen genötigt fühlen, mitzumachen und zu sagen, endlich drücke ich auch einmal auf das Knöpfchen und schicke diese E-Mail mit ab und verbreite die schon vorgefertigte Meinung im Netz.
Das ist ein Aspekt, der für mich auch die Dimension der Feigheit in sich trägt. Die Menschen wollen nicht offen
diskutieren. Sie wollen feige verborgen im Netz ihre Meinung sagen, und das ist gefährlich. Wenn jemand für seine Meinung einsteht, habe ich allen Respekt davor, egal, wie er die Meinung äußert. Verborgen Beschimpfungen ins Netz zu setzen, ist aber gefährlich, weil einem dann nicht widersprochen werden kann. Stattdessen hat man diese Meinung, verbreitet sie und hält sie am Schluss für richtig, weil man sich in einer „Bubble“ befindet, in der die Meinung immer wieder bestätigt wird.
Meine Damen und Herren, deswegen ist es wichtig, dass wir selbst widersprechen, sogenannte „Counter Speech“ üben und für die Ärmsten und diejenigen, die am schwächsten sind, welche im Netz am meisten beschimpft werden – das ist Tatsache –, einstehen, also für diejenigen, die sich nicht wehren können.
Herr Schnieder, ich will das nicht in die eine Gruppe lenken, aber Sie haben auch die Gruppe der Frauen erwähnt, die beschimpft wird.
Es ist ungeheuerlich, was sich im Netz bewegt. Da muss widersprochen werden, da muss doch jede und jeder widersprechen. Das ist doch gesellschaftlicher Konsens, dass man so etwas nicht dulden kann.
Wir als Grüne, möchte ich noch sagen, haben für den Bundestagswahlkampf eine Selbstverpflichtung unterschrieben, dass wir „Social Bots“ nicht nutzen wollen und eine Internetfeuerwehr einrichten. Ich fände es gut, wenn das viele andere auch machen würden.