Es geht um das Spannungsfeld zwischen dem Grundrecht auf Glaubensfreiheit und dem staatlichen Bestimmungsrecht der Schulen. Genau diese Spannung gilt es zu überbrücken. Das muss auch unser Anspruch sein.
Meine Damen und Herren, wir haben Vertrauen in die Menschen, die zu uns gekommen sind und schreiben Ihnen eine grundsätzlich positive Haltung zu unseren Werten zu.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Erstens: Die gleichberechtigte Teilhabe gerade von jungen Menschen an unserem Bildungssystem, von Mädchen und Jungen, und der Aufbruch von patriarchalischen Rollenverständnissen, insbesondere auch die gleichberechtigte Teilnahme an allen schulischen Veranstaltungen von jungen Mädchen, ist das, was wir anstreben. Das ist Ziel unserer Bildungspolitik. Genau in dem Sinne arbeiten wir auch in Rheinland-Pfalz.
Frau Klöckner, Sie haben das ein bisschen anders dargestellt. Genau deswegen gibt es solche Handreichungen, weil es nämlich das Ziel ist, die jungen Mädchen muslimischen Glaubens auch am Sportunterricht, auch am Sexualkundeunterricht und eben auch an den Klassenfahrten teilhaben zu lassen. Das ist genau das übergeordnete Ziel dieser Handreichung, und nicht das Gegenteil, wie Sie hier versuchen zu suggerieren.
Zweitens: Ich frage mich, warum Sie Ihren Kulturkampf aus dem Landtagswahlkampf 2011 wieder aufwärmen. Das ist doch wirklich ein alter Hut, den Sie wieder aufhaben.
Die von Ihnen geforderte Aktualisierung dieser Handreichung aufgrund der aktuellen Rechtsprechung ist durch das Bildungsministerium längst erfolgt. Deshalb stellt sich die Frage nach der Aktualität der Debatte.
Drittens: So, wie die Debatte hier teilweise geführt wird, will ich Ihnen einmal sagen, dass das mit der Realität draußen gar nichts zu tun hat. Die Realität draußen ist viel pragmatischer und viel lebensweltlicher als das, was hier
Ich nenne einmal zwei Beispiele. Das eine stammt aus meiner eigenen Jugend. Ich war in der Mittelstufe eines katholischen Jungengymnasiums. Ein paar Meter weiter war ein katholisches Mädchengymnasium. Wir hätten uns sehr gewünscht, es hätte einen gemeinsamen Sportunterricht – vielleicht auch Schwimmunterricht – gegeben. Den hat es nicht gegeben, weil das sozusagen der christlichen Prägung entspricht.
Das andere stammt aus der Realität meiner Tochter, die in die 2. Klasse geht. Das Nachbarmädchen geht in dieselbe Klasse und ist Muslima. Es gibt viele muslimische Kinder, es gibt christliche Kinder, aber es gibt übrigens auch sehr viele Kinder, deren Eltern keinem Glauben nachgehen. Da wird das jeden Tag ausgehandelt. Was glauben Sie, was los war, als jetzt Weihnachten war? Nebendran kam zu den Kindern eben nicht der Weihnachtsmann oder das Christkind oder woran man glaubt. Da musste auch organisiert werden, dass es da ein paar Geschenke gab. Wenn bei denen Zuckerfest und die Hölle los ist, fragen meine Kinder auch: Warum feiern die jetzt und wir nicht? So sieht doch die Realität im Alltag aus.
Dass man für die Lehrer für die Grenzfälle, in denen die patriarchalische Familienstruktur – der Vater oder der Bruder – sagt, die Mädchen sollen nicht in den Schwimmunterricht mit den Jungs, die Mädchen sollen nicht mit auf die Klassenfahrt – Sexualerziehung, das geht gar nicht –, Wege findet, wenn die Alternative ist, diese Mädchen melden sich krank, werden ganz von der Schule genommen und dürfen nicht mehr mit auf Klassenfahrt, wie es gelingt, das mit einer Begleitperson, durch Gespräche mit den Eltern zu schaffen. Zugleich muss aber auch darauf gepocht werden, Sexualerziehung ist wesentlicher Pflichtbestandteil des Unterrichts, an dem teilgenommen werden muss. Sie können wirklich nicht kritisieren, da den Lehrern etwas an die Hand zu geben mit dem Ziel, diese Strukturen aufzubrechen.
Frau Klöckner, Sie müssen nicht mir glauben, aber ich kann es Ihnen nicht ersparen: Im Jahr 2009 hat das Bundesinnenministerium doch eine ähnliche Handreichung – noch ein bisschen umfangreicher – verabschiedet, die Grundlage für die rheinland-pfälzische Handreichung ist. Wir wissen beide, wer damals Bundesinnenminister war. Es war Ihr Freund Wolfgang Schäuble.
Lesen wir doch einmal, was uns Wolfgang Schäuble zu diesen Fragen empfiehlt. Da steht zum Beispiel, dass es auf jeden Fall besser ist, wenn die Schulen einen Weg finden, einen nach Geschlechtern getrennten Sport- bzw. Schwimmunterricht einzurichten, an dem alle Schülerinnen und Schüler teilnehmen. So kann auch eine bestimmte Sport- oder Schwimmkleidung gestattet werden.
Dann steht da, dass es aus dem Erziehungsrecht abzuleiten ist, dass bei der Ausgestaltung des Sexualkundeunterrichts Zurückhaltung und Toleranz zu verlangen ist.
Frau Klöckner, Herr Schäuble empfiehlt uns weiter zum Thema Klassenfahrten: Bei der Suche nach einem scho
nenden Interessenausgleich sollten möglichst auch Lösungsvorschläge der Eltern einbezogen werden. Auch sollten die Eltern auf die Möglichkeit hingewiesen werden, gegebenenfalls als Begleitperson an der Klassenfahrt teilzunehmen. – Dann soll man noch darauf eingehen, ob es vielleicht auch finanzielle Gründe sind und dass im Zweifelsfall die muslimischen Kinder von den Klassenfahrten befreit werden können, dann aber die Schulpflicht in der Parallelklasse zu erfüllen ist.
Dann noch zu Ihrem Lieblingsthema Ramadan und islamische Feiertage. Da empfiehlt uns Herr Schäuble, die islamischen Feiertage werden in der Regel von den Ländern in Abstimmung mit den muslimischen Verbänden veröffentlicht. Es ist zu empfehlen, dass die Schule diese Feiertage bei ihrer Terminplanung für das Schuljahr berücksichtigt.
Dies betrifft insbesondere die Festlegung von Klassenarbeiten und wesentlichen Leistungsüberprüfungen.
Das sind die Empfehlungen von Herrn Schäuble. Ich glaube, das ist in den Schulen schon lange gelebte Praxis. Sie machen hier ein Problem auf, das, glaube ich, so eigentlich gar keines ist.
Für die Landesregierung spricht nun Frau Ministerin Dr. Hubig zum Thema. Bitte schön, Frau Ministerin.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht vorweg drei Bemerkungen.
Erstens: Natürlich steht die Gleichberechtigung im Grundgesetz, und ich teile all das, was Sie zur Gleichberechtigung sagen, aber auch die Religionsfreiheit hat Verfassungsrang und steht genauso im Grundgesetz. Sie ist genauso zu berücksichtigen wie auch die Gleichberechtigung.
Zweitens: Ja, wir haben die älteren Geschwister. Herr Joa, wenn Sie zitieren, sollten Sie richtig und vielleicht auch die aktuelle Fassung zitieren. Die älteren Geschwister stehen, wie Frau Klöckner völlig richtig bemerkt hat, nicht mehr darin. Wir haben sie herausgenommen, weil die älteren Geschwister immer auf den älteren Bruder reduziert worden sind. Das ist eine Reihe von Beispielen. Und die Schulen können das vor Ort so entscheiden, wie sie das wollen. Das waren Beispiele. Man hat es immer auf den älteren, strengeren Bruder reduziert. Deshalb haben wir es, um es klarzustellen, einfach herausgenommen, damit es sich am Ende nicht an diesem Punkt entzündet, nachdem die gesamte Handreichung vernünftig ist, von den Schulen nachgefragt und sehr gerne in der Praxis benutzt wird.
Drittens: Natürlich befinden sich keine Ausführungen über Islamisten in dieser Handreichung. Es ist eine Handreichung und kein Lehrbuch.
Wir haben ein umfangreiches Informationsangebot und Fortbildungsangebot des Pädagogischen Landesinstituts. Da werden über diese Fragen, über Islamismus, Umgang mit islamistischen Kindern und Jugendlichen, Erkennen von Tendenzen, aber eben auch Umgang mit muslimischen Kindern, zahlreiche Veranstaltungen angeboten. Ich glaube, das muss nicht alles in eine Handreichung hinein.
Herr Köbler hat es gerade schon gesagt, dieses Faltblatt – das hat er noch nicht gesagt – ist von der Arbeitsgruppe Religion erarbeitet worden. In dieser Arbeitsgruppe Religion waren Vertreterinnen und Vertreter der Landesregierung, aber eben auch Vertreter der evangelischen Kirchen, der katholischen Kirche, der jüdischen Gemeinde in Rheinland-Pfalz sowie von muslimischen Organisationen, auch einige Nichtregierungsorganisationen vertreten. Grundlage – das hat Herr Köbler gesagt – für diese Überlegungen der Arbeitsgruppe waren die Empfehlungen des vierten Plenums der Deutschen Islamkonferenz, die 2009 verabschiedet wurden und die von Herrn Schäuble – damals Bundesinnenminister – initiiert worden ist. Bei dieser Deutschen Islamkonferenz haben zahlreiche namhafte Vertreterinnen und Vertreter aller Parteien mitgewirkt, auch an den Beschlüssen und Empfehlungen, übrigens auch die CDU/CSU. Ich würde einfach noch gern Frau Maria Böhmer und Herrn Günther Beckstein an dieser Stelle erwähnen, die genau diese Empfehlung mit verabschiedet haben.
Das Faltblatt, das auf dieser Grundlage von damals hier in Rheinland-Pfalz erarbeitet worden ist, bildet einerseits die Rechtslage, wie sie eben ist und wie sie im Umgang mit muslimischen Schülerinnen und Schülern zu berücksichtigen ist, ab. Andererseits gibt es sorgfältig fundierte Empfehlungen dafür, wie religiös begründete Konflikte und Schwierigkeiten vermieden werden können und wie muslimischen Jungen und gerade auch Mädchen schulische Bildung in vollem Umfang zuteil werden kann, aber auch ihr Grundrecht auf Religionsfreiheit respektiert wird. Darum geht es, und nicht um falsch verstandene Toleranz.
Von Anfang an war es uns wichtig, auch gläubigen muslimischen Eltern Wege zu zeigen, wie sie ihre Kinder im Einklang mit ihrem Glauben am gesamten Unterricht teilnehmen lassen können. Aber was sagt jetzt eigentlich das Faltblatt? Das Faltblatt sagt, muslimische Mädchen müssen in den Schwimmunterricht, entweder in einen getrennten, und wenn es den nicht gibt, müssen sie an dem koedukativen teilnehmen, und zwar entweder im Badeanzug, im Bikini oder, wenn sie das möchten, auch im Burkini. Das entspricht der Rechtsprechung.
Warum die CDU hier immer darauf drängt, dass die Mädchen in Bikinis in den Schwimmunterricht gehen müssen, habe ich bis heute nicht verstanden. Das Wichtige ist, dass
die Kinder, die Mädchen und die Jungen, gleichermaßen in den Schwimmunterricht gehen. Wenn das Tragen eines Burkini eine geeignete, aber auch zumutbare Möglichkeit ist, religiös motivierte Bedenken zu beschränken, dann ist es gut so. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts von 2013. Das Ganze hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – Sie haben es auch schon gesagt – vor Kurzem noch einmal bestätigt. Wir haben auf dieser Grundlage und vor diesem Hintergrund Anfang dieses Jahres unsere Formulierungen – wir hatten immer noch eine Extraübersicht zu der Rechtsprechung – in das Faltblatt integriert, damit es nun aktuell ist.
Wir wollen in der Schule keine Grundsatzdiskussion führen. Wir wollen, dass alle Schülerinnen ebenso wie alle Schüler gleichermaßen schulische Bildung erhalten. Uns war und ist ein muslimisches Mädchen lieber, das im Burkini schwimmen geht, als eines, das zu Hause bleibt und gar nicht schwimmen geht.
Das ist für uns ein fortschrittliches Geschlechterbild in der Praxis. Das wird – das ist schon mehrfach angeklungen – in den Schulen schon tagtäglich gelebt.
Noch eine Sache, was das Faltblatt anbelangt: Wir sind übrigens nicht die Einzigen. Auch Sachsen hat aktuell ein Faltblatt. Ich meine, die Bildungsministerin in Sachsen ist in der CDU. Sie können es einmal anschauen. Es steht das Gleiche drin wie in unserem.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute ging es um die Frage der Haltung bei einer anderen Debatte. Da bin ich sehr erstaunt über die Kollegin der FDP und die Rednerin der SPD, man solle Dinge nicht ansprechen, weil wir dann angeblich den Islam schlechtmachen würden.
Ich kann Ihnen sagen, diese Keule, die Sie immer wieder schwingen, führt genau dazu, dass Leute, die hier sitzen, immer wieder Aufwind bekommen, die genau sagen, dass wir nicht über das reden können, was auch Probleme in diesem Land sind.