Allerdings gibt es in diesem Bereich bereits strafrechtliche Normen, die eine Verfolgung entsprechender Verstöße ermöglichen. Fraglich ist daher, ob das mit geplant 640.000 Euro Landesmitteln zu finanzierende Programm „Solidarität gegen Gewalt und Hass im Netz“ wirklich geeignet und erforderlich ist, um die zweifellos zu beklagende Verrohung der Debatte im Internet wirksam zu bekämpfen.
Ähnliches gilt für die anderen 28 Maßnahmen des Aktionsplans. Ob beispielsweise „der bunte Bus der Begegnung“, welcher Vielfalt sichtbar macht und Menschen ins Gespräch bringen will, tatsächlich helfen wird, rassistische oder antisemitische Ressentiments nachhaltig zu überwinden, darf durchaus hinterfragt werden.
Deshalb benötigt unsere Gesellschaft mehr noch als wohlklingende Landesaktionspläne, die sich überwiegend an Symptomen sozialer Fehlentwicklungen abarbeiten: ein solides Wertefundament, ein Wertefundament, auf dem Rassismus, Antisemitismus und verfassungswidrige Weltanschauung von vornherein keinen Nährboden finden. Ein demokratisches und mitbürgerliches Wertefundament, wie es Kinder vor allem durch Vorbilder, insbesondere in ihren Familien kennenlernen und verinnerlichen.
Umso wichtiger ist aus unserer Sicht eine Stärkung familiären Zusammenlebens in Rheinland-Pfalz; denn hier im Kleinen entwickelt sich bei den meisten Menschen diejenige soziale Grunddisposition, die sie ein Leben lang prägen wird.
Deshalb wünschen wir uns von der Landesregierung mindestens einen gleichwertigen Einsatz für Familien, wie sie ihn in ihrem jüngst vorgelegten Landesaktionsplan aufbringt.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Am Montag dieser Woche sowie gestern hier im Parlament haben wir wie jedes Jahr der vielen Menschen gedacht, die am 9. November des Jahres 1938 in Deutschland wegen ihres jüdischen Glaubens ihr Leben verloren haben. Wir haben derer gedacht, die mit ansehen und erleben mussten, wie überall ihre Synagogen und Gebetsstuben in Brand gesteckt und Tausende Geschäfte zerstört wurden. Diese Reichspogromnacht der Nationalsozialisten war der Beginn einer systematischen Entrechtung der jüdischen Mitbürger und des millionenfachen Mordes an Juden in ganz Europa. Wir wollen, dass sich so etwas in Deutschland und der Welt nie mehr wiederholt.
Meine Damen und Herren, deshalb dürfen wir nicht schweigen, wenn sich schleichend doch wieder Hass und Hetze ausbreiten. Sie sind Vorboten neuer Gewalt.
Mit jährlichen Gedenkfeiern halten die Parlamente in ganz Deutschland die Erinnerungen an diese schreckliche Pogromnacht aufrecht. Das Gedenken ist zugleich eine Mahnung an alle Bürgerinnen und Bürger zum Respekt und zur Menschlichkeit.
Als Gegenentwurf zu diesen Erfahrungen von Diskriminierung und Barbarei formulierten die Gründerväter und -mütter der Bundesrepublik Deutschland unser Grundgesetz. Es lohnt sich den ersten und wichtigsten Artikel des Grundgesetzes an dieser Stelle noch einmal genau zu betrachten. Deshalb zitiere ich Artikel 1 mit Erlaubnis des Präsidenten. Hier heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“
In Absatz 2 lautet es weiter: „Das deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Das Grundgesetz nimmt also nicht nur die staatliche Gewalt in die Pflicht, sondern ebenso die Bürgerinnen und Bürger und damit jeden von uns.
schaften, Hetztiraden, Rassismus und Intoleranz sind mittlerweile für uns Anlass zu großer Sorge. Sie sind Vorboten von Gewaltausbrüchen bis hin zu Mordanschlägen.
Meine Damen und Herren, Terrorismus beginnt in den Köpfen. Das Internet erweist sich dabei als offener Marktplatz für anonyme Radikalisierung. Dies führt vermehrt zu Gewalttaten auch mitten in Europa. Die jüngsten Mordanschläge geschahen in Wien, Lyon, Nizza und Paris. Auch in Dresden, wo ein Syrer auf offener Straße ein homosexuelles Touristenpaar angegriffen und einen Mann erstochen hat, all diese Taten hatten einen erkennbaren islamistischen Hintergrund.
Wie sich das Motiv auch immer nennen mag, ob Fanatismus, Antisemitismus, Homophobie oder allgemeine Fremdenfeindlichkeit, es gibt für solche Taten keinerlei Rechtfertigung. Hass, Hetze und Gewalt bedrohen massiv unsere Freiheit und unsere Demokratie. Das Grundgesetz gibt uns den Auftrag, gegen jegliche Diskriminierung anzugehen. Als wehrhafter Staat müssen wir alles tun, was uns möglich ist.
Meine Damen und Herren, aus dieser Verpflichtung heraus hat Rheinland-Pfalz bereits im Frühjahr 2019 den „Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ auf den Weg gebracht mit einem Beteiligungsprogramm und zahlreichen Veranstaltungen von April 2019 bis März 2020. Ich bin froh, dass dieser Aktionsplan weitergeführt werden soll. Ziel ist und war es, die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer dafür zu sensibilisieren, allen Varianten von Diskriminierung, Rassismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit den Nährboden zu entziehen
Deshalb appelliere ich anlässlich der Aktuellen Debatte an uns alle im Parlament und auch an die Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz: Setzen wir deutlichere Stoppzeichen gegenüber jeglichem respektlosen Verhalten und diskriminierenden Reden und zeigen engagierten und starken Einsatz für die Gleichberechtigung aller Menschen im Sinne unseres Grundgesetzes, heute, überall und jeden Tag.
Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Nicht weit von hier an der Straßenecke Hindenburgstraße/Josefsstraße hat vor 82 Jahren in einer dunklen Nacht der deutschen Geschichte die Mainzer Hauptsynagoge gebrannt. Auch dieses Jahr haben wir wieder dieses Pogroms gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger gedacht.
Dieser Tag mit seiner ganzen schrecklichen Dimension all dessen, was danach folgte, erinnert uns immer wieder aufs Neue daran, egal ob Terror von rechts oder links, egal ob Anschläge von Rechtsextremisten, wie in Halle und Hanau, oder von Islamisten, wie in Wien und Nizza, wir müssen alles dafür tun, dass Gewalt und Hass unsere Gesellschaft nicht vergiften.
Daher müssen wir uns Gewalt und Hass immer wieder entschlossen entgegenstellen. Es gilt heute wie damals: Wehret den Anfängen. Um Hass und Hetze den Nährboden zu entziehen, haben wir den „Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ entwickelt; denn wenn sich Jüdinnen und Juden nicht mehr trauen, in der Öffentlichkeit ihre Kippa anzuziehen oder ihre Religion frei auszuüben, wenn Lehrkräfte aufgrund der Vermittlung religionskritischer Ansätze bedroht, gar ermordet werden, wenn Frauen im Internet eingeschüchtert und belästigt werden, weil sie Frauen sind, oder wenn Muslime aufgrund ihres Glaubens diskriminiert und bedroht werden, dann bedeutet das nicht nur Angst und Einschüchterung einzelner Menschen, dann ist das immer auch ein Angriff auf uns alle und auf unsere Demokratie, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Unser Landesaktionsplan ist das Ergebnis mehrjähriger Arbeit. Ein Bündnis aus über 80 Organisationen, Institutionen und Vereinen hat ihn in einem intensiven partizipativen Prozess gemeinsam erstellt. 29 Maßnahmen sollen sich für eine Kultur der Vielfalt in unserer Gesellschaft einsetzen. Die breite gesellschaftliche Verankerung unseres Landesaktionsplans wollen wir auch bei der Umsetzung nutzen, die ein Beirat aus 42 relevanten gesellschaftlichen Organisationen und staatlichen Stellen begleiten soll.
Unser Landesaktionsplan setzt an vielen Stellen an. Wir wollen etwa ein neues mit 150.000 Euro unterlegtes Förderprogramm „Gemeinsam für Gleichwertigkeit“ starten. Unsere neue Meldestelle m*power für menschenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorfälle soll ein zivilgesellschaftliches Lagebild erstellen und Betroffenen eine Möglichkeit geben, ihre Erlebnisse zu melden und sich Unterstützung und Rat zu holen.
Das neue mit 640.000 Euro unterlegte Programm „Solidarität gegen Hass und Hetze im Netz“ soll beraten und Schulungen durchführen sowie Öffentlichkeitsarbeit gegen Hetze, speziell in den sozialen Medien, leisten. Wir wissen heute, dass sich viele Radikalisierungsvorgänge bis hin zur Terrormotivation auch oder vor allem im Netz vollziehen. Manuskripte von Terrorattentätern geben ausführlich Auskunft dazu.
Ob rechtsextremistischer oder islamistischer Terror, es sind Ideologien der Ungleichheit, des Autoritären und Aus
schließlichen. Wir müssen die Realität einer anderen Gesellschaft vermitteln und offensiv für die Freiheit und eine Kultur der Gleichwertigkeit und Vielfalt eintreten.
(Beifall des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, vereinzelt bei SPD und FDP sowie des Abg. Dr. Adolf Weiland, CDU)
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sind im Bereich Prävention und Intervention schon gut aufgestellt, etwa mit unseren Beratungsstellen wie Salam gegen Islamismus oder der mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus oder mit Ausstiegsprogrammen für in den Extremismus Abgedriftete, aber wir brauchen noch mehr Prävention. Wenn sie gelingt, gibt es keinen weiteren Zulauf mehr zu autoritären und terroristischen Strukturen. Wenn sie gelingt, wird deutlich, dass gesellschaftliche Vielfalt und Freiheit gleichzeitig der Sicherheit nutzen, weil gegenseitige Akzeptanz und gegenseitiger Schutz in der Gesellschaft verankert sind. Wenn uns das gelingt, dann wird unsere Geschichte hoffentlich nie wieder schwarze Nächte der Gewalt und keine zerstörenden Feuer des Hasses hervorbringen, sondern eine Zeit, in der Mitgefühl, Toleranz, Zivilcourage und ein Miteinander der Gleichwertigkeit und des Respekts als leuchtendes Ziel gelten.
Dafür steht der „Landesaktionsplan gegen Rassismus und Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“. Lassen Sie uns zusammen Rheinland-Pfalz weiterhin zu einem Land machen, in dem wir miteinander gut in Vielfalt leben können.
Lassen Sie mich abschließend einen ausdrücklichen Dank sagen an die wichtigen Worte von Frau Schellhammer, Frau Rauschkolb, Frau Demuth und Herrn Roth. Danke für Ihre Worte und danke, dass Sie zeigen, dass wir bei diesem Thema als Demokratinnen und Demokraten Seite an Seite stehen.
Ich möchte mit Erlaubnis des Präsidenten mit einem Zitat von Joachim Gauck schließen: „Die [internationale] Gemeinschaft der Demokraten ist stärker als die Internationale des Hasses. Wir beugen unser Haupt vor den Toten. Niemals aber beugen wir uns dem Terror.“
Danke, Herr Präsident. – Ich glaube, die Debatte hat eine Sache gezeigt: dass es richtig war, den Landesaktionsplan heute zum Thema zu machen, weil wir ein breites Zusam
menstehen von Demokratinnen und Demokraten zu diesem Thema hier erlebt haben. Ich freue mich sehr über die Äußerungen, die Frau Rauschkolb, Frau Demuth und auch Herr Roth dazu getätigt haben. Wir haben heute gemeinsam Haltung gezeigt.
Ich glaube, es war wichtig, sich diese ganze Kette von Vorurteilen zu vergegenwärtigen, die im Kopf beginnen, die im Netz gepostet werden, bis hin zur Gewalttat, um zu betonen, dass Vorurteile auch zu solchen Gewalttaten führen und es nicht nur bei einem Online-Hassposting bleibt.
Ich bin dankbar, dass Frau Kollegin Demuth es aufgezeigt hat. Natürlich ist die eine Komponente die Frage der Strafverfolgung. Als Innenpolitikerin stehe ich oft hier vorne und spreche darüber, was wir tun können. Umso wichtiger ist, über das zu sprechen, was wir präventiv machen können. Es ist wichtig zu wissen, was wir präventiv machen können, damit solche Vorurteile nicht entstehen, und was wir machen können, um Betroffene zu unterstützen, abseits von der Strafverfolgung, die selbstverständlich auch wichtig ist. Deswegen war ich dankbar, dass das in der Debatte eine Rolle gespielt hat.