Protocol of the Session on November 11, 2020

Die Anwälte, denen ich wohl unterstellen darf, dass sie wissen, wovon sie sprechen,

(Zuruf des Abg. Jochen Hartloff, SPD)

berufen sich auf das Rechtsstaatsprinzip nach Artikel 20 Abs. 3 Grundgesetz und das darin verankerte Prinzip der Verhältnismäßigkeit, das den Staat verpflichtet, zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nur solche Maßnahmen zu ergreifen, die überhaupt geeignet sind, den angestrebten Zweck zu erreichen.

Meine Damen und Herren, das Zauberwort heißt Verhältnismäßigkeit. Die Einhaltung dieser Verhältnismäßigkeit darf mittlerweile bezweifelt werden.

(Beifall der AfD)

Ich verstehe ihre Sorge, und ich teile sie auch, weil wir alle

noch nicht den Stein der Weisen gefunden haben. So hoffnungsvoll die aktuellen Nachrichten über die Entwicklung eines Impfstoffs auch sind, seine tatsächliche flächendeckende Wirkung muss er im Jahr 2021 erst noch unter Beweis stellen. Dennoch haben wir allen Grund, auf die jetzt schon erbrachte Leistung von BioNTech hier in RheinlandPfalz, in Mainz, stolz zu sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der AfD)

Eines aber scheint doch mittlerweile auch klar zu sein. Die Schließung sämtlicher Sport-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sowie der Gastronomie ist und war schädlich und eben unverhältnismäßig.

Wir sprechen immer so lax von „Eingriffe in die Grundrechte“. Was aber heißt das eigentlich? Ich liste die betroffenen Grundrechte einmal auf, um die Dimension zu verdeutlichen. Betroffen sind die Meinungsfreiheit, die Religionsfreiheit, die Kunstfreiheit, die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre, die Berufswahl- und Berufsausübungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, das Eigentumsrecht, speziell das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, die Fortbewegungsfreiheit, die Freiheit der Wahl des Aufenthaltsorts, das Recht auf Bildung, die Betätigungsfreiheit der politischen Parteien, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit als Teil der allgemeinen Handlungsfreiheit.

Meine Damen und Herren, gibt es irgendein Grundrecht, welches nicht betroffen ist? Hier müssen wir dringend fragen: Muss das wirklich sein? Befinden wir uns derzeit nicht auf dem besten Weg, neben den Grundrechten auch noch die verfassungsmäßige Ordnung, Gewaltenteilung und Kontrolle aufzuweichen?

(Beifall der AfD)

Juristen, Verbände und Gerichte fordern seit Monaten, insbesondere aber seit Ende Oktober 2020 eine Beteiligung der Parlamente auf Bundes- und Landesebene an den Inhalten, der Abfassung und der Entscheidung über die sogenannten Corona-Verordnungen. Notstandsverordnungen – nichts anderes ist doch § 5 des Infektionsschutzgesetzes – dürfen nicht zum Dauerzustand werden. Dafür bedürfen sie nämlich einer parlamentarischen Debatte und einer Verabschiedung. Die fehlt bis heute sowohl auf Bundeswie auch auf Landesebene.

Meine Damen und Herren, wenn das gefordert wird, dann hilft es nicht, Frau Ministerpräsidentin, jede Demonstration gegen die Maßnahmen wieder völlig unverhältnismäßig mit Nazis und Antisemitismus in Verbindung zu bringen, wie Sie es eben wieder getan haben, meine Damen und Herren.

(Beifall der AfD – Zuruf der Ministerpräsidentin Malu Dreyer)

Ich würde mir wünschen, dass Ihr öffentlich-rechtlicher Rundfunk das Nichteinhalten der Hygieneregeln in Belarus genauso kritisiert wie zu Recht in Leipzig und anderswo.

(Vereinzelt Beifall bei der AfD – Abg. Martin Haller, SPD: Oh!)

In Zeiten allgemeiner Angst und Furcht besteht bei vielen Menschen die Tendenz, die Regierung relativ kritiklos als Beschützer zu verstehen. Das aber erhöht die Gefahr, dass sich die Exekutive zunehmend widerspruchslos mit Mitteln, die dem Rechtsstaat, dem Föderalismus und dem Parlamentarismus zuwiderlaufen, in Szene setzen kann; in Wahlkampfzeiten eine durchaus willkommene Gelegenheit, Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Es ist aber die Aufgabe des Parlaments, falls erforderlich parteiübergreifend, den Regierungen ihre verfassungsmäßigen Grenzen aufzuzeigen. Die geplante öffentliche Information des Ältestenrats in Rheinland-Pfalz durch die Landesregierung halten wir deshalb für völlig unzureichend.

Frau Ministerpräsidentin, wenn Sie glauben, uns mit Regierungserklärungen hinreichend beteiligt zu haben, und der Herr Landtagspräsident meint, das Parlament sei bisher eingebunden gewesen, dann sage ich Ihnen, nein, das ist zu wenig.

(Beifall der AfD – Zuruf der Ministerpräsidentin Malu Dreyer)

Parlamente, wir hier haben zu entscheiden und dürfen nicht nur angehört werden. Informationen ersetzen doch keine Beteiligung. Dann würde es eine Pressemitteilung genauso erledigen.

(Beifall der AfD)

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags sieht das im Übrigen ganz genauso. Er schlägt in einem aktuellen Gutachten dem Bundestag vor, Notfallverordnungen unter einen – das ist der entscheidende Begriff – Zustimmungsvorbehalt des Parlaments zu stellen oder Rechtsverordnungen als durch den Bundestag aufhebbar zu gestalten. Eine derartige parlamentarische Beteiligung wäre doch auch für unseren Landtag zielführend.

Es obliegt aber zunächst dem Bundestag, hier vorab im Infektionsschutzgesetz sinnvolle Grenzen für Umfang und Dauer von Notfallverordnungen festzusetzen und damit Missbrauchspotenzial auf Landesebene vorzubeugen.

Schaut man sich aber den in der Diskussion befindlichen Gesetzesänderungsentwurf zum Infektionsschutzgesetz im Bundestag an, muss man als rechtsstaatsverbundener Demokrat zu der erschütternden Erkenntnis kommen, dass sich die Bundesregierung eher umfangreiche, wenig konkretisierte Ermächtigungsgrundlagen gesetzlich verankern lassen möchte als durch konsequente Grenzdefinition den ausufernden Grundrechtseinschränkungen Einhalt zu gebieten.

Dass auf Grundlage solcher Willkürregelungen, sollten sie tatsächlich Gesetzeskraft erlangen, auf Landesebene wenig Gutes zu erwarten ist, liegt auf der Hand. Sie werden am morgigen Donnerstag die Gelegenheit bekommen, zu ei

nem diesbezüglichen Antrag unter Tagesordnungspunkt 22 Farbe zu bekennen.

Meine Damen und Herren, die Grenzen des Zumutbaren sind schon lange überschritten. Lassen Sie Augenmaß und Verhältnismäßigkeit wieder Ihr Handeln bestimmen, und sorgen Sie dafür, dass das Parlament seine demokratische Kontrollfunktion wieder wahrnehmen kann.

(Zuruf des Abg. Martin Haller, SPD)

Dann werden Sie uns als kritische Oppositionspartei auch in Krisenzeiten an Ihrer Seite sehen.

Danke schön.

(Beifall der AfD – Abg. Martin Haller, SPD: Darauf können wir verzichten! – Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für die FDP-Fraktion spricht deren Vorsitzende WilliusSenzer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Lage ist nach wie vor ernst; denn die Zahl der an Corona erkrankten Menschen steigt weiter, auch bei uns in Rheinland-Pfalz, und zwar auch ohne die zusätzlichen Einschränkungen im November. Man muss erst einmal sehen, ob man sie vorhersagen kann, ob diese wirklich Wirkung zeigen. Von einer Entspannung der Situation kann derzeit noch keine Rede sein.

Trotz allem Ernst der Lage, der großen Unsicherheiten in der Bevölkerung und der Sorgen in der Wirtschaft gibt es auch Anlass zur Hoffnung. Die Welt schaut auf Mainz; denn weltweit die besten Nachrichten kommen derzeit aus Mainz.

Am vergangenen Montag hat das Unternehmen BioNTech bekannt gegeben, dass es bei der Entwicklung des CoronaImpfstoffs auf den letzten Metern ist. In der kommenden Woche soll in den USA die Zulassung für einen CoronaImpfstoff beantragt werden. Nach Angaben des Unternehmens bietet das Präparat einen über 90%igen Schutz vor der COVID-19-Erkrankung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ohne Übertreibung: Das ist eine der besten Nachrichten des gesamten Jahres. Vielleicht schließt sich dieses schwierige Jahr 2020 mit einer positiven Wendung.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Möglicherweise können wir den kommenden Frühling und Sommer wieder unbeschwert mit unseren Freunden und

Familien genießen. Ich wünsche es mir sehr. Das ist ein Grund, optimistisch zu bleiben und optimistisch in die Zukunft zu schauen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, BioNTech ist ein junges Unternehmen, gegründet im Jahr 2008 von begeisterten Wissenschaftlern und einer begeisterten Wissenschaftlerin. Dass zwei der Unternehmensgründer einen Migrationshintergrund haben, würde ich unter normalen Umständen nicht für erwähnenswert halten. Für mich als Freie Demokratin spielt die Herkunft von Menschen keine Rolle. Ich sage es nur deshalb, weil eine Fraktion in diesem Parlament wirklich keine Gelegenheit auslässt,

(Abg. Joachim Paul, AfD: Eine Unverschämtheit!)

um über Menschen mit Migrationsgeschichten herzuziehen, egal um welches Thema es geht.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Joachim Paul, AfD, und Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Für diese Fraktion, für diese Partei sind immer die Ausländer schuld. Ich glaube nicht, dass Sie jetzt von Ihrem Weltbild abrücken werden.

Ich freue mich darüber, dass wir in einer vielfältigen und offenen Gesellschaft leben, in der solche Lebenswege und Erfolge möglich sind.

Aus einem kleinen Start-up von drei ambitionierten Forschern ist ein Unternehmen geworden, in das die ganze Welt Hoffnung setzt. Zwölf Jahre nach seiner Gründung ist BioNTech ganz vorne mit dabei, die Welt aus der schwersten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg zu holen. Sie geben uns die Chance. Auf die Leistungen der Forscherinnen und Forscher können wir alle sehr stolz sein. Es zeigt sich hier, wie wichtig es ist, kreativem Unternehmertum Platz zu geben.

Der Erfolg der Entwicklung zeigt aber auch etwas ganz anderes. Erneut zeigt sich, wie wichtig die Wissenschaftsfreiheit ist. Es gibt politische Mitbewerber, die hier gerne eingreifen würden. So wird beispielsweise häufig das Verbot von gentechnischen Verfahren gefordert.

Meine Damen und Herren, die moderne Hightechmedizin kommt ohne diese Verfahren gar nicht aus.

(Zuruf des Abg. Dr. Bernhard Braun, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)