Protocol of the Session on October 8, 2020

Drucksache 17/13130 – Erste Beratung

dazu: Gesetzesfolgenabschätzung zum Landesgesetz über den öffentlichen Personennahverkehr (Nahverkehrsgesetz – NVG –) Antrag der Fraktion der CDU auf Ersuchen an die Landesregierung nach § 53 Abs. 4 Satz 1 GOLT – Drucksache 17/13279 –

Die Fraktionen haben eine Grundredezeit von 5 Minuten vereinbart. Ich darf zunächst einem Vertreter der Landesregierung zur Begründung des Gesetzentwurfs das Wort erteilen. – Herr Staatsminister Dr. Wissing, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein modernes Bundesland braucht einen modernen öffentlichen Personennahverkehr. Das Fundament, auf dem wir diesen aufbauen, ist das Nahverkehrsgesetz, das die Landesregierung heute in den Landtag einbringt.

Das neue Nahverkehrsgesetz schafft die Grundlage für einen besseren, effizienteren und noch nachhaltigeren öffentlichen Personenverkehr in Rheinland-Pfalz. Das neue Nahverkehrsgesetz wird das modernste in Deutschland sein und im Übrigen das einzige bundesweit, das eine Pflichtaufgabe für die Kommunen nicht nur definiert, sondern sie auch ganz konkret ausgestaltet.

In die Abstimmung der Regelungen hat die Landesregierung sehr viel Zeit und Energie investiert. Die Neuerungen wurden mit der kommunalen Familie eingehend erörtert, und deren Wünsche wurden berücksichtigt.

Ich will an der Stelle sagen: Ich bin einigermaßen erstaunt, was Vertreter dieses Hauses öffentlich sagen. Kollege Brandl erzählt immer, dass die Kommunen mit diesem Gesetz so unglücklich seien. Das verwundert mich. Herr Landrat Brechtel war in diese Beratungen sehr intensiv eingebunden und hatte mir gegenüber großen Respekt vor den Zielen der Landesregierung geäußert. Er hat sich mit diesem Gesetz auch sehr zufrieden gezeigt.

Es gibt eigentlich nur drei Möglichkeiten, wie man diesen Widerspruch erklären kann. Entweder Herr Landrat Brechtel sagt mir etwas anderes als Ihnen, oder er spricht mit Ihnen überhaupt nicht, oder Sie sagen hier etwas anderes, als Herr Brechtel Ihnen gesagt hat.

Was auch immer, dieses Gesetz ist gut. Die Kommunen waren eingebunden. Auch die Fachverbände des Verkehrsgewerbes sowie die Vertretungen der beeinträchtigten Menschen und die Sozialpartner waren eingebunden. Der Gesetzentwurf basiert auf einem breiten gesellschaftlichen Konsens in Rheinland-Pfalz. Dieser Schritt wird von diesem Land gebraucht.

Lassen Sie mich kurz die Kernpunkte der Novelle hervorheben:

Erstens: Die Kommunen bleiben weiterhin für den ÖPNV und SPNV verantwortlich.

Zweitens: Das Land bringt sich als Partner stärker ein als bisher, was auch mit gestärkten Stimmrechten und einer soliden und künftig transparenteren Finanzierungsstruktur einhergeht.

Drittens: Bus und Bahn werden in der Planung und im Angebot effizienter verzahnt. Wir sehen den Nahverkehr als Einheit. So gestalten wir ihn auch. Dazu werden die vorhandenen organisatorischen Ressourcen genutzt und zusammengeführt. Mit der Festsetzung von Standards und deren Finanzierung im Landesnahverkehrsplan wird gewährleistet, dass der ÖPNV flächendeckend und gerade auch im ländlichen Raum eine attraktive Alternative ist.

Viertens: Wir schaffen die Voraussetzungen, um künftig den Verkehr mit neuen Antriebstechniken, Innovationen und alternativen Mobilitätsangeboten nachhaltig voranzubringen.

Mit der Aufwertung des ÖPNV zu einer gesetzlichen Pflichtaufgabe stärken wir die Kommunen. Wir stärken die Kommunen, denen in der Vergangenheit bei dieser wichtigen Aufgabe der Daseinsvorsorge aufgrund der Freiwilligkeit oft enge, zu enge Fesseln angelegt waren.

Mit der Pflichtaufgabe ist klar, dass ein moderner, attraktiver ÖPNV kein „Nice to have“, sondern ein wichtiges Element für attraktive und lebenswerte Kommunen ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, genau hier ist der Punkt, an dem Sie den Zweck des Nahverkehrsgesetzes offensichtlich noch nicht richtig verstanden haben. Wir führen mit dem Nahverkehrsgesetz keine neuen Standards ein, die die Kommunen finanziell zusätzlich belasten. Daher führt eine Gesetzesfolgenabschätzung zum jetzigen Zeitpunkt vollständig ins Leere.

Genauso wenig sinnvoll wäre es, wenn das Land jetzt alleine die Pflichtaufgabe konkretisieren würde und den Kommunen den Verkehr quasi vorschriebe. Wir machen es fairer, wir machen es demokratischer, und wir machen es geschickter. Das Nahverkehrsgesetz gibt den neuen Rahmen vor, der dann in einem nächsten Schritt gemeinsam mit den Kommunen entwickelt und ausgefüllt wird.

Mit dem neuen Landesnahverkehrsplan werden wir gemeinsam mit den Kommunen herausarbeiten, was genau wo nötig ist, um unseren Bürgerinnen und Bürgern den bestmöglichen Nahverkehr anbieten zu können. Die Kommunen bleiben voll im Boot; sie bleiben voll in der Verantwortung. Sie bekommen nur mehr Unterstützung. Wie man das kritisieren kann, bleibt das Geheimnis der CDU.

Meine Damen und Herren, wir werden dann im Landesnahverkehrsplan auch festlegen, wie und durch wen was genau

finanziert wird. Da wissen die Kommunen die Landesregierung fest an ihrer Seite.

Wir werden viel Gutes und Bekanntes beibehalten und auch ausbauen. Beispielsweise wollen wir zusätzliche Regiobuslinien auf den Weg bringen, die wir als regionale Hauptlinien sukzessive landesweit einrichten werden. Es werden aber auch neue Ansätze greifen. Wir werden das Verkehrssystem zu einer innovativen, modernen Mobilitätsalternative für unsere Bürgerinnen und Bürger weiterentwickeln.

Der Gesetzentwurf sieht eine transparentere Finanzierung als bisher vor. Neben modernisierten Förderprogrammen werden wir die finanziellen Mittel künftig transparent über wettbewerbliche Verfahren an Sachkriterien orientiert in den Markt geben.

In der Gesetzesbegründung finden sich ausführliche Erläuterungen zum Hintergrund der Regelungen und zur künftigen Arbeit in den neuen Organisationsstrukturen.

Der Antrag der CDU-Fraktion hinsichtlich einer Gesetzesfolgenabschätzung ist daher aus mehreren Gründen abzulehnen.

Zum einen wurden die aufgeworfenen Fragen in der Gesetzesbegründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung bereits umfänglich beantwortet.

Weiterhin bleibt das Haushaltsrecht des Parlaments durch den Erlass des Nahverkehrsgesetzes unangetastet. Der rheinland-pfälzische Landtag bleibt nach wie vor alleiniger Haushaltsgesetzgeber und entscheidet auch in Zukunft allein und souverän über die für den ÖPNV bereitzustellenden Mittel.

Zusammengefasst: Das Nahverkehrsgesetz setzt die Ziele für die künftige Gestaltung des Nahverkehrs, es definiert den gestuften Weg in die Pflichtaufgabe mit dem neuen Instrument des Landesnahverkehrsplans, es schafft den organisatorischen Rahmen für einen verzahnten Bus- und Bahnverkehr, und es definiert die grundsätzlichen Ströme, wie Finanzmittel sinnvoll und rechtssicher in die Branche kommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf bringt Transparenz, klare Strukturen und im Ergebnis einen leistungsfähigeren und attraktiveren Nahverkehr. Dieses Gesetz ist ein deutliches Signal dafür, dass die Landesregierung keine ideologische Verkehrspolitik betreibt. Für uns gibt es kein böses und kein gutes Mobilitätsangebot, sondern für uns gibt es Mobilitätsbedürfnisse von Menschen. Diesen wollen wir auf bestmögliche Weise gerecht werden.

Wir brauchen eine moderne Infrastruktur. Dazu gehört genauso gut ein gut ausgebautes Schienennetz wie eine leistungsfähige Wasserstraße, ein modernes Straßennetz sowie ein attraktiver und konkurrenzfähiger Nahverkehr. Eine moderne Verkehrspolitik schreibt den Bürgerinnen und

Bürgern keine bestimmte Mobilitätsform vor, sondern folgt deren Mobilitätsbedürfnissen und sorgt dafür, dass diesen auf möglichst klima- und umweltschonende, aber auch wirtschaftliche Weise Rechnung getragen wird.

Das Nahverkehrsgesetz folgt diesem unideologischen Pragmatismus. Wir wollen die beste Mobilität für unsere Bürgerinnen und Bürger in Rheinland-Pfalz. Das Nahverkehrsgesetz ist ein Meilenstein auf diesem Weg.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie um Ihre Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf der Landesregierung und danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich eröffne die Aussprache und darf dem Abgeordneten Dr. Martin für die Fraktion der CDU das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Cineasten im Saal kennen zweifellos den Filmklassiker mit James Dean „Denn sie wissen nicht, was sie tun“. Ich würde natürlich mindestens einem von beiden Unrecht tun, wenn ich Volker Wissing mit James Dean vergleichen würde. Deshalb lasse ich das, aber der Titel des Films passt ziemlich genau zu dem heute vorgelegten Gesetzentwurf.

(Beifall der CDU)

Eigentlich hatte sich die Ampel im Koalitionsvertrag vorgenommen, bereits zu Beginn der Legislaturperiode das Nahverkehrsgesetz zu überarbeiten. Tatsächlich kommt der Entwurf aber erst ganz am Ende. Entsprechend gespannt durfte man sein, was nach so langer Zeit wohl präsentiert würde.

Wer aber wenigstens einen sehr gründlich vorbereiteten und durchdachten Entwurf erwartet hatte, der ist leider enttäuscht worden. Zur gründlichen Vorbereitung hätte zum Beispiel zweifellos die Aufklärung der relevanten Fakten gehört. Wir haben extra noch einmal über zwei Kleine Anfragen nachgefragt. Die Antworten waren ernüchternd.

Fakt ist nämlich: Die Regierung kennt den aktuellen Umfang des Streckennetzes gar nicht. Die Regierung hat keine Vorstellung zum Umfang eines künftigen Ausbaus des Nahverkehrs. Die Regierung hat nicht einmal eine Vorstellung davon, nach welchen Kriterien ein Ausbau betrieben werden soll. Die Regierung kennt auch nicht das aktuelle Gesamtkostenvolumen des ÖPNV. Die Regierung weiß also auch nicht, welche Mehrkosten bei einer quantitativen Verbesserung durchschnittlich entstehen würden. Das kann man alles nachlesen. Das zeigt nur: Sie wissen nicht, was sie tun.

(Beifall der CDU)

Immerhin hat Minister Wissing im September-Plenum auf unsere präzise Frage, ob er eine Gesetzesfolgenabschätzung leisten könne, mit einem ebenso präzisen Ja geantwortet. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass er jetzt schwer zurückrudert. Ich meine aber, wir sollten ihm die Chance geben, seine Ankündigung aus dem letzten Plenum zu erfüllen. Deswegen bitte ich Sie um Zustimmung zu unserem entsprechenden Antrag. Kollege Schweitzer wollte ohnehin zu diesem Tagesordnungspunkt diverse Abstimmungen bedeutungsschwanger aufladen. Jetzt könnte er beweisen, ob der SPD, ob ihm wirklich an einer sachlich-fachlichen Auseinandersetzung gelegen ist. Bei seiner Haushaltsrede heute morgen war das nicht immer erkennbar.

(Beifall der CDU)

Wenn man ein zweites Mal den Koalitionsvertrag mit dem Gesetzentwurf abgleicht, dann kommt die nächste Enttäuschung. Angekündigt wurde, dass die Organisationsstruktur effizient gestaltet würde. Wenn sich die Regierung um Effizienzsteigerungen bemüht, dann sieht das Ergebnis wie folgt aus:

Es gab zwei Zweckverbände; es gibt auch künftig zwei Zweckverbände. Es gab fünf Verkehrsverbünde; es gibt auch künftig fünf Verkehrsverbünde. Nur kommen jetzt zusätzlich vier Regionalausschüsse, ein ständiger Ausschuss zur Koordination und ein Kompetenzzentrum hinzu. Das ist Effizienzsteigerung im Sinne der SPD-geführten Landesregierung. Ich nenne das Etikettenschwindel.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Der nächste Etikettenschwindel bei diesem Gesetz ist, dass der Minister landauf, landab – vorhin wieder – von einem Quantensprung und einem Nahverkehr aus einem Guss spricht. Tatsächlich werden aber mit diesem Gesetz für die Bürgerinnen und Bürger noch sehr lange überhaupt keine erlebbaren Vorteile verbunden sein.

Immer dann, wenn es nämlich spannend werden würde, wenn es wirklich um quantitative und qualitative Verbesserungen im Nahverkehr gehen würde, dann wird auf einen erst in den nächsten drei Jahren aufzustellenden Nahverkehrsplan verwiesen. Dieser Nahverkehrsplan soll dann all das regeln, was den Nahverkehr ausmacht.

Es ist für uns als Parlament unzumutbar, dass dieser Nahverkehrsplan in Form einer Rechtsverordnung ohne jede Mitwirkung des Parlaments erlassen werden soll. Das kann in diesem Haus nur gutheißen, wer nicht verstanden hat, dass die Ausgestaltung des Nahverkehrs – ob man zum Beispiel ein 365-Euro-Ticket einführen oder lieber die Taktung im ländlichen Raum verbessern will – zentrale Infrastrukturfragen betrifft, die politisch diskutiert und entschieden werden müssen.

Endgültig zur Blackbox wird der Gesetzentwurf dann, wenn es um die Finanzierung geht. Da erfindet der Minister das Institut einer Pflichtaufgabe im Rahmen der finanziellen Leistungsfähigkeit.

(Staatsminister Dr. Volker Wissing: Das war sehr schlau!)