Protocol of the Session on March 27, 2020

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen! Die derzeitige Lage ist in der jüngeren Geschichte unseres Landes beispiellos. Wir stehen vermutlich erst am Anfang einer Krise und ihrer Folgen, die uns in dieser Dimension vor weiterreichende Herausforderungen stellt. Krisen wie diese verlangen von uns schnelles und dennoch überlegtes und entschlossenes Handeln. Sie verlangen ein erhebliches Maß an gegenseitigem Vertrauen.

Ich möchte deshalb voranstellen, meine Fraktion wird diesem vorliegenden Nachtragshaushalt für das Haushaltsjahr 2020 zustimmen. Diese Zustimmung bedeutet allerdings auch einen erheblichen Vertrauensvorschuss, und zwar nicht nur von meiner Fraktion, sondern vor allem einen Vertrauensvorschuss der Bürger unseres Landes, die auf die Notwendigkeit der einschneidenden Maßnahmen vertrauen; denn der vorgestellte Nachtragshaushalt ist im Wesentlichen ein Globalhaushalt, ein Blankoscheck über 800 Millionen Euro.

Es ist der Opposition auch als Kontrollorgan kaum möglich, ihre verfassungsmäßige Funktion im Detail wahrzunehmen. Dennoch ist diese Vorgehensweise angesichts der Ungewissheiten über die noch anstehenden Herausforderungen sinnvoll, um flexibel und lageorientiert reagieren zu können.

Grundsätzlich befürworten wir die von Ihnen angekündigten Maßnahmen; denn einiges entspricht den Forderungen, die wir selbst im Vorfeld gestellt haben. Diese Zustimmung bedeutet aber keineswegs, dass wir vorliegend keine Einwände hätten oder per se mit allen Maßnahmen quasi vorauseilend einverstanden wären. Das betrifft etwa die Aufnahme neuer umfangreicher Kredite. Hier befürworten

wir vielmehr die Entnahme von Mitteln aus der bestehenden Haushaltssicherungsrücklage im größeren Umfang. Ein entsprechender Antrag liegt Ihnen bereits vor.

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie lange die bereitgestellten Mittel von Bund und Land im Rahmen des „Zukunftsfonds Starke Wirtschaft Rheinland-Pfalz“ tatsächlich ausreichen werden. Gerade kleine Unternehmen bis 30 Mitarbeitern werden sich nur wenige Wochen ohne Umsätze halten können, bevor die Insolvenz droht.

Selbstverständlich wird zu gegebener Zeit auch über Nachlässigkeiten, Versäumnisse im Vorfeld oder Fehler bei der Bewältigung der Krise selbst zu reden sein. Dabei geht es nicht nur um die Klärung von Verantwortlichkeiten, sondern vor allem darum, die notwendigen Lehren und Konsequenzen zu ziehen; kurz: um eine schonungslose Nachbereitung, lessons learned.

Wir verbinden mit unseren jetzigen Zustimmungen aber auch eine klare Erwartungshaltung und konkrete Forderung. Die Bereitstellung der umfangreichen Haushaltsmittel durch Verabschiedung dieses Nachtragshaushalts ist nur ein erster Schritt. Wir erwarten von der Landesregierung eine zielgerichtete Verwendung der Mittel, aber auch eine weitreichende Planung über diesen Nachtragshaushalt hinaus, also auch dazu, wie es weitergehen soll, und wie, wann und unter welchen Bedingungen wir schrittweise zur Normalität zurückkehren. Wir erwarten insofern auch maximale Transparenz hinsichtlich der getroffenen Maßnahmen und der verwendeten Mittel.

Wir erwarten ebenfalls eine umfassende und periodische Evaluation der getroffenen Maßnahmen, damit diese permanent angepasst werden können und bestehende Einschränkungen für die Bürger nicht länger als wirklich zwingend erforderlich aufrechterhalten werden müssen. Die Sach- und Gefahrenlage muss fortwährend neu bewertet werden. Ich bin aber zuversichtlich, dass das in den wöchentlichen Sitzungen des Ältestenrats – so, wie beschlossen – umfassend erfolgen wird. Frau Ministerin Ahnen hat das bereits angekündigt.

Darüber hinaus gehören insbesondere die Erfassung, aber auch die Auswertung der Grunddaten zu den wichtigsten Grundlagen solider Entscheidungsfindung. Es verwundert schon, dass wir bis heute nur geringe Anstrengungen unternehmen, flächendeckende Infektionstests durchzuführen und zu dokumentieren. Wie wollen wir denn Krankenstände, Krankenhauskapazitäten und Personal vorausberechnen, wenn wir nicht wissen, wie viele Menschen aktuell infiziert, aber noch nicht erkrankt sind? Was wird unternommen, um beispielsweise Selbsttests zu entwickeln und damit gegebenenfalls Druck aus dieser kollektiven Isolation zu nehmen?

Meine Damen und Herren, schließlich haben wir aber auch ganz konkrete inhaltliche Vorschläge, die wir im Wesentlichen in den Ihnen vorliegenden Anträgen formuliert haben. Wir erwarten erstens, dass die versprochenen Hilfen tatsächlich schnell und unbürokratisch dorthin gelangen, wo

sie benötigt werden. Hierzu braucht es verbindliche und enge Fristvorgaben.

Zweitens müssen besonders betroffene Branchen wie etwa das Hotel- und Gaststättengewerbe mit seiner herausragenden Bedeutung für unser Land im Fokus stehen. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) hat in diesem Zusammenhang klare Forderungen erhoben und auch nicht mit Kritik gespart.

Drittens benötigen unsere Klein- und Mittelbetriebe ergänzend zur Möglichkeit von Kleindarlehen ein echtes Soforthilfeprogramm des Landes für besonders betroffene Branchen, das Zahlungen ohne Rückzahlungsverpflichtungen beinhaltet. Hier ist eine schnelle Bearbeitung gewährleistet, da Kreditwürdigkeitsprüfungen durch die jeweiligen Banken dann entfallen.

Mit der Bereitstellung dieser Haushaltsmittel ist viertens zudem die klare Erwartung verknüpft, dass die Schaffung zusätzlicher Intensivbetten nicht zulasten der rheinlandpfälzischen Krankenhäuser geht, sondern vollumfänglich vom Land getragen wird, soweit die Kosten nicht bereits anderweitig übernommen werden.

Sicherzustellen ist fünftens der Zugang von Berufskraftfahrern zu sanitären Einrichtungen und deren Verpflegung. Sie sind neben den vielen anderen Helden, wie heute Morgen schon mehrfach angesprochen, die Helden der Landstraße und tragen derzeit die Hauptlast der allgemeinen Versorgung.

Sechstens gilt das auch für die Versorgung besonders geschwächter Gruppen mit Essen, Nahrungsmitteln und sonstigen Waren des täglichen Bedarfs. Diese Menschen sind bereits jetzt deutlich stärker von Einschränkungen des täglichen Lebens betroffen als andere. Nicht einmal der Gang zur Tafel ist für viele mehr möglich. Wir schlagen deshalb einen Fonds vor, mit dem gemeinnützige Organisationen, aber auch Unternehmen Angebote zur mobilen Versorgung schaffen können.

Wir möchten siebtens kleine und mittelständische Unternehmen mit bis zu 50 % der anfallenden Kosten bei der Umsetzung von Maßnahmen unterstützen, die den Infektionsschutz am Arbeitsplatz ausbauen, um so eine frühe Wiederaufnahme der Produktion oder Dienstleistung zu ermöglichen.

Die Auflösung der Rücklage zum Breitbandausbau im Zuge des Nachtragshaushalts darf achtens nicht dazu führen, dass Maßnahmen in diesem Bereich auf Eis gelegt werden; denn gerade in diesen Tagen, in denen flächendeckendes Arbeiten im Homeoffice und virtuelle Klassenzimmer notwendig werden, erkennen wir, wie wichtig Hochgeschwindigkeitsnetze für uns alle geworden sind.

Die für eine wissenschaftlich fundierte Bekämpfung der Corona-Krise erforderlichen Daten müssen neuntens umgehend und umfassend erhoben werden. Nur so können wir passgenau die wirklich sinnvollen und notwendigen

Maßnahmen ergreifen.

Wir regen schließlich zehntens an, dass ein Sonderfonds aus Rundfunkbeiträgen eingerichtet wird, mit dem Journalisten und Kunstschaffende vor Ort unterstützt werden. Der großzügig bedachte und abgesichterte öffentlichrechtliche Rundfunk könnte so die von ihm selbst immer wieder beschworene Solidarität wohltuend demonstrieren.

Meine Damen und Herren, unsere Zustimmung ist nicht nur ein Vertrauensvorschuss für die Landesregierung, die jetzt das Ruder fest in der Hand halten muss. Sie ist vor allem ein Vertrauensbeweis für die Stärke und Willenskraft unserer Unternehmen und der Menschen in diesem Land. Auf ihnen allen ruht unsere Hoffnung.

Ihnen allen gilt unser Dank: allen voran denjenigen, die in unserem Gesundheitswesen, im öffentlichen Dienst, aber auch im Einzelhandel und an vielen anderen Stellen jeden Tag ihre ganze Kraft einsetzen, um Leben zu retten und die öffentliche Ordnung und die Versorgung unserer Bevölkerung zu gewährleisten. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall der AfD)

Meine Damen und Herren, gemeinsam – das ist heute Morgen betont worden – können wir diese Krise bewältigen, wenn lageangepasst schnell und entschlossen gehandelt wird. Die AfD-Fraktion wird ihren Beitrag, wo immer möglich, leisten.

Vielen Dank.

(Beifall der AfD)

Für die FDP-Fraktion spricht deren Vorsitzende WilliusSenzer.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Stunde zeigen sich die Demokratinnen und Demokraten. Ich bin froh, dass SPD, CDU, Grüne und FDP heute zusammenstehen und gemeinsam politische Verantwortung in der Corona-Krise übernehmen. Heute geht es nicht um politische Farbenlehre. Es geht nicht um Regierung und Opposition. Es geht nicht um Befindlichkeit. Es geht um unser Land. Wir sind uns der historischen Situation bewusst und stehen für unser Rheinland-Pfalz mehr denn je in der Verantwortung.

Meine Damen und Herren, ich bin Alterspräsidentin. Ich war lange Zeit selbstständig in einem Familienbetrieb. Ich bin Kommunalpolitikerin, und ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Als Alterspräsidentin kann ich Ihnen sagen, dass ich nie eine derart politisch herausfordernde Phase erlebt habe. Die Zeiten des Wiederaufbaus bis hin zum Wirtschaftswunder und der Wiedervereinigung hatten immer eine klare Richtung. Unser Land hatte immer ein konkretes

Ergebnis im Blick.

Heute aber spüre ich oft Ratlosigkeit: Was passiert hier? Wie bekommen wir das in den Griff? Wie lange hält das an? Wann gibt es einen Impfstoff? Und vor allem: Sind meine Nächsten gesund und sicher? Alles das beschäftigt die Menschen in diesem Land. Die Situation scheint für viele nicht konkret greifbar. Die rasante Ausbreitung des Coronavirus in großen Teilen der Welt stellt Gesellschaft, Wirtschaft und Politik vor ungekannte Herausforderungen. Das macht es so schwer, zuversichtlich zu sein.

Unser vornehmstes Ziel als Landespolitik ist es also, gemeinsam Verantwortung zu zeigen, geschlossen und stringent zu handeln, Sicherheit zu geben, klar zu kommunizieren und durch treffsichere Maßnahmen diese Krise abzufedern. Genau das tut die Landesregierung mit dem vorgelegten Nachtragshaushalt und hat auch an das Danach gedacht.

Als Selbstständige kann ich die Sorgen der vielen kleinen Unternehmen in Rheinland-Pfalz sehr gut nachvollziehen. Unser Land ist Mittelstand. 99,5 % der Betriebe mit Sitz in Rheinland-Pfalz zählen zu dieser Kategorie und haben – knapp 90 % davon – nicht weniger als zehn Mitarbeiter. Ladeninhaberinnen, Freiberufler, Trainerinnen, Reiseverkehrskaufmänner, Solo-Selbstständige, Kulturschaffende: Viele Menschen haben existenzielle Sorgen.

Glauben Sie mir, ich weiß, wie es ist, wenn man sieht, dass das Geschäft auf unsichere Zeiten zusteuert, wenn man sein Herzblut in ein Lebenswerk steckt, von dem nicht klar ist, wie es sich entwickelt, und wenn man Verantwortung für sein Team trägt. Uns erreichen täglich zahlreiche Briefe und E-Mails, in denen Unternehmerinnen und Unternehmer ihre Sorge über die Zukunft ihrer Betriebe ausdrücken. Die Menschen erwarten von der Politik völlig zu Recht Antworten auf ihre Fragen.

Volker Wissing hat mit dem „Zukunftsfonds Starke Wirtschaft Rheinland-Pfalz“ etwas ins Leben gerufen, das Perspektive gibt. Es war klug, dass die Landesregierung keinen Schnellschuss gewagt hat, wie vielleicht viele andere, sondern im Sinne der Unternehmerinnen und Unternehmer gehandelt und an die Zukunft gedacht hat. Sie macht in Ergänzung zu den Hilfen des Bundes ein Angebot, mit dem die Betriebe sofort rückzahlbare Liquiditätshilfen und Zuschüsse erhalten. Dort, wo der Bund nicht geholfen hätte, fließen Landesmittel. Gerade an den Mittelstand hat er gedacht.

(Beifall bei FDP, SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liegen die konkreten Details aus Berlin vor – was bis jetzt noch nicht der Fall ist –, werden Antragsformulare fertiggestellt, mit denen über die Hausbanken bei der Investitionsund Strukturbank schnelle und unbürokratische Hilfe zu erhalten ist. Der Bürgschaftsrahmen wächst auf 3 Milliarden Euro an.

Steuerschulden können zinslos gestundet und Vorauszah

lungen auf Einkommen- und Körperschaftsteuer unbürokratisch herabgesetzt werden. Auch die Sondervorauszahlungen auf die Umsatzsteuer können auf Null gesetzt werden. Das ist ganz konkrete Hilfe für die Unternehmen in diesem Land, um Arbeitsplätze und Existenzen zu sichern.

Das Maßnahmenpaket ist gut finanziert, treffsicher, fiskalpolitisch verantwortlich und wirtschaftspolitisch klug. Ich danke der Landesregierung für den mutigen und großen Schritt, den sie getan hat und den wir mit der Verabschiedung des Nachtragshaushalts heute unterstützen werden.

Als Kommunalpolitikerin sehe ich die Verantwortung der Kommunen sehr genau. Ich will insbesondere den Gesundheitsämtern in unserem Land für deren Arbeit danken. In dieser Situation übernehmen sie große Verantwortung. Ich bin froh, dass die Landesregierung auch für die Kommunen schnelle Hilfe leistet und per Kopfpauschale insgesamt 100 Millionen Euro ausschüttet.

(Beifall der FDP, der SPD und des BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das Geld wird in der Krisenzeit vor Ort gebraucht. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die Gelder in den Landkreisen und kreisfreien Städten sinnvoll investiert werden.

Meine Damen und Herren, ich bin ein freiheitsliebender Mensch. Für mich und viele andere Mitbürgerinnen und Mitbürger ist der Grad an freiheitseinschränkenden Maßnahmen noch vor wenigen Wochen unvorstellbar gewesen. Ich bin dankbar, dass die Bürgerinnen und Bürger so diszipliniert mit dieser außergewöhnlichen, hoffentlich einmaligen und gewiss bald wieder endenden Situation umgehen.

Wichtig ist aber, dass bei allen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Die Ausnahmesituation darf nicht zu dauerhaften Grundrechtseinschränkungen führen. Wir Freien Demokraten sind sehr froh, dass die von der Bundesregierung zunächst geplante Nutzung von Handydaten zur Auswertung und Überwachung von Bewegungsprofilen vom Tisch ist. In diesem Zusammenhang bin ich auch unserem Justizminister Herbert Mertin sehr dankbar, der diese Position in einem Interview mit dem Handelsblatt sehr deutlich vertreten hat.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Nächstenliebe bedeutet derzeit nicht, jemandem nahe zu sein, sondern drückt sich im Dienst der Pflegekräfte, dem Einkauf für die Nachbarn, dem Fernbleiben von den Großeltern, dem Dank an den Kassierer und die Kassiererin oder in der Rücksichtnahme von Menschen aus Risikogruppen aus. Ich bin dankbar, dass die Rheinland-Pfälzerinnen und Rheinland-Pfälzer ganz individuell Verantwortung und Solidarität zeigen.

Wir alle merken auch, welche Bedeutung ein geeintes Europa ohne Einschränkungen für Pendlerinnen und Pendler durch Grenzkontrollen oder Einschränkungen der Grundfreiheiten hat, und wir spüren, wie die deutschfranzösische Freundschaft trägt. In der Grenzregion leisten Krankenpfleger und Ärzte auch den französischen Nach

barn Hilfe im Kampf gegen das Virus. Das alles macht uns hier im Hause stolz.

Stellvertretend für die Ministerien danke ich Finanzministerin Doris Ahnen und deren Administration für die zügige Arbeit. Ich danke den in Mainz politisch Verantwortlichen für ein faires Miteinander.