Wir sollten uns nachher darüber unterhalten, welche Möglichkeiten gegeben sind, um tatsächlich vor Ort gute Maßnahmen anzubieten. Da gibt es Bedingungen, die sich durch Dritte ergeben. Darüber müssen wir auch sprechen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Gäste! Die Brisanz des Themas möchte ich anhand des Zitats von Herrn Schlosser von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung – wenn ich darf – ausdrücken: „Sozialkaufhäuser sind mehr als nur ein Kaufhaus. Einerseits bieten sie Hilfs- und Weiterbildungsangebote für arbeitslose Menschen und andererseits sind sie Orte konkreter Hilfe für Sozialbedürftige“. –
Im Gegensatz zu Ihnen hat er auch etwas zur Verantwortung gesagt, Frau Thelen. Er sagt: „Mit diesem Schritt verabschieden sich Politik und Kirche weiter aus
einem Feld, das in unserer Gesellschaft leider immer mehr Bedeutung erlangt, der Armutsbekämpfung“. –
Dem kann man sich insofern anschließen, dass das die Debatte von vorhin konkret macht. Wir haben vorhin über abstrakte Zahlen geredet, jetzt reden wir über ganz konkrete Fälle.
Frau Thelen, Sie haben Vieles in Ihrer Problemanalyse richtig gesagt, aber Sie haben nicht benannt, wer dafür die Verantwortung trägt. Sie haben es auch falsch dargestellt. Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr 25 % bei den Budgets der Job-Center gekürzt und in diesem Jahr noch einmal 17 %.
Dann kann es hier nicht heißen: „Haltet den Dieb“, wenn die Sozialkaufhäuser zumachen, weil die Zuschüsse gekürzt werden. – Dann muss man ganz konkret sagen, die unsoziale Politik dieser Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass die sozialen Einrichtungen bei uns in Rheinland-Pfalz untergehen. Das ist doch die Realität in diesem Land.
Es gibt auch Wildwuchs in dem Bereich, ja. Aber das, was die Bundesregierung macht, ist, als ob ich im Blumenbeet ein bisschen Unkraut habe und dann mit dem schweren Rasenmäher darüberfahre. So sind die Auswirkungen, die wir vor Ort erleben.
Wir haben den Existenzgründerzuschuss. Das ist mit das erfolgreichste Instrument, das die Job-Center haben. Dieser Zuschuss ist massiv gekürzt worden, sodass diese Menschen, die sich eine eigene Existenz aus der Arbeitslosigkeit heraus aufbauen können, jetzt diese Perspektive nicht mehr haben.
Aber darum geht es Ihnen doch gar nicht. Es geht Ihnen darum, hier im Sozialbereich massiv zu kürzen und auf der anderen Seite – das Thema haben wir vorhin gehabt – die höheren Einkommen und die Vermögen zu schonen. Es geht Ihnen auch darum, den Menschen keine Perspektive zu geben; denn es könnte für das Klientel dieser Bundesregierung zu neuen Konkurrenzen kommen.
Es geht Ihnen nicht um Leistung, sondern darum, dass diese Gesellschaft in gewissen Klassen unterschieden wird. Die einen haben es, die anderen haben immerhin Arbeit, egal zu welchem Preis, und um die anderen kümmern wir uns am besten gar nicht. Herr Baldauf hat das vorhin exemplarisch vorgeführt.
Das sind die Auswüchse der Politik der Bundesregierung. Das bekommen wir hier in Rheinland-Pfalz bitter zu spüren am Beispiel der Schließung der Sozialkaufhäuser, wo es wirklich darum gegangen ist, Menschen, die sehr weit vom Arbeitsmarkt entfernt waren, zunächst einmal mit großer Unterstützung wieder an einen Arbeitsprozess und einen Tagesablauf zu gewöhnen. Solche Projekte kann man mit Sicherheit immer optimieren, das ist gar keine Frage, aber vom Grunde her muss man sie unterstützen.
Die Kirchen ihrerseits müssen sich an der einen oder anderen Stelle hinterfragen. Das aber ist nicht unsere Aufgabe. Wir müssen den Beitrag leisten, den Politik leisten kann. Das bedeutet, endlich auch in Berlin ein Auge für diejenigen zu haben, die trotz guter Wirtschaftsdaten und relativ entspannter Zahlen am Arbeitsmarkt immer weiter von der Mitte der Gesellschaft abgehängt werden. Um die müssen wir uns kümmern. Da ist die Schließung der Sozialkaufhäuser ein trauriges Beispiel.
Ich bitte Sie, kommen Sie von der Problemanalyse endlich dazu, die richtige Lösung zu unterstützen und nicht blind all das zu verteidigen, was Ihre Bundesregierung an unsozialer Politik zu verantworten hat.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Herren und Damen! Es ist schon viel gesagt worden. Natürlich ist die Schließung der Sozialkaufhäuser eine traurige Angelegenheit. Wenn man das auf eine andere Ebene hebt, kann man sagen, sie ist Ausdruck – Herr Hundemer hat es gesagt – einer völlig fehlgesteuerten Arbeitsmarktpolitik. Ich gehe auf die zwei Aspekte ein, die aus meiner Sicht dabei eine besondere Rolle spielen.
Das eine ist, dass der Eingliederungstitel seit vielen Jahren gekürzt wird. Das ist schon angesprochen worden. Der Bund kürzt seit Jahren die Mittel in den JobCentern. So begründet der Caritasverband die Schließung dieser Kaufhäuser.
Nur, um ein paar Zahlen zu nennen: Im Haushaltsjahr 2013 sollen den Job-Centern für die SGB-II-Gruppe nur noch 3,3 Milliarden Euro zur Verfügung stehen. Das sind 12,3 % weniger als im Haushaltsjahr 2012 und insgesamt nahezu 50 %, 3 Milliarden Euro, weniger als im Haushaltsjahr 2010.
Ich sage ausdrücklich, die Begründung dafür ist immer – das hat Frau Thelen vorhin wiederholt –, dass wir rückläufige Arbeitslosenzahlen haben – das stimmt
natürlich –, aber auch der Sparwille und der -zwang werden angeführt. Das teilen wir, aber wenn man sich die Zahlen anschaut, dann kommt man auch sehr schnell darauf, dass die Mittelkürzungen im Eingliederungstitel in den letzten Jahren weit über den Rückgang der Arbeitslosigkeit hinausgehen und die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen gerade im SGB-II-Bereich bislang nicht so erfolgreich war, wie man das von ihr erwarten muss.
Nun wissen wir, dass das eine sehr schwierige Gruppe ist, was die Integration in den Arbeitsmarkt betrifft. Aber umso schlimmer ist es, dass man eine Instrumentenreform vorlegt – das will ich noch einmal wiederholen –, die aus meiner Sicht nicht zielorientiert ist, im Gegenteil, die das Agieren für diese Gruppe erschwert, nicht nur der Langzeitarbeitslosen, sondern der Langzeitleistungsempfänger. Das ist noch einmal eine Untergruppe bei den Langzeitarbeitslosen, die aufgrund ihrer Biografie große Probleme haben, von heute auf morgen in den Arbeitsmarkt einzumünden.
Aber diese Denkweise ist dieser Bundesregierung fern, dass man Maßnahmen braucht, um Menschen überhaupt zu befähigen, in die Nähe von Qualifizierung und Einstieg in den Arbeitsmarkt zu gelangen. Wenn man sich die Instrumentenreform gerade im Bereich der Arbeitsgelegenheiten anschaut, die den Bereich der allgemeinen Maßnahmen betreffen, dann sind es zwei Veränderungen, die diesen Projekten zurzeit komplett das Genick brechen.
Das eine ist, dass neben den Kriterien „Zusätzlichkeit“ und „Gemeinnützigkeit“ noch das Thema „Wettbewerbsneutralität“ hinzugetreten ist. Das Zweite ist, dass man in diesen Maßnahmen nicht mehr qualifizieren darf. Dieser Punkt ist aus meiner Sicht der totale Wahnsinn.
Diese Menschen brauchen nicht nur Beschäftigung in einem bestimmten Umfeld, sondern sie brauchen auch die Chance der intensiven Qualifizierung.
Was heißt „Wettbewerbsneutralität“ eigentlich? Die Sozialkaufhäuser haben gesagt, sie werden dann plötzlich mit Secondhandläden oder ähnlichen Einrichtungen verglichen. Aber da sieht man schon, wie unsinnig dieses Kriterium in einem Instrumentarium für Langzeitarbeitslose ist; denn wir brauchen keine künstlichen Umfelder, um mit Langzeitarbeitslosen zu „spielen“. Es ist wichtig, dass wir Projekte haben, bei denen man tatsächlich im realen Leben steht, sich einbringen und etwas Sinnvolles tun kann.
Die Sozialkaufhäuser hatten auch noch den doppelten Effekt, der darin bestand, dass sie Menschen, die weniger Geld haben, eine zusätzliche Dienstleistung angeboten haben, die auch ihnen nützt. Aber wenn dort zukünftig nur noch Hartz-IV-Empfänger einkaufen gehen können, ist das natürlich ein Problem. Deshalb hat dieses Kriterium dort einfach nichts zu suchen, und es ist aus meiner Sicht ein absoluter Rückschritt. Es ist vielleicht zehn oder 15 Jahre her, dass wir uns in den Arbeitsmarktprojekten darüber unterhalten haben, wie stark diese Projekte am Markt agieren dürfen. Wir hatten
diese Debatte doch längst überwunden, und nun fallen wir bei diesen Maßnahmen komplett wieder in diese Kategorie zurück. Das ist wirklich sehr schlimm für Betroffene.
Ich finde es auch schlimm, dass AGH-Maßnahmen in Zukunft nur noch beschäftigen, aber nicht mehr qualifizieren sollen. Frau Thelen, wir werden uns wieder riesige Konstrukte überlegen müssen, wie man es dann doch irgendwie hinbekommt. Aber ob so etwas zielführend ist, ob so etwas zweckmäßig ist, lasse ich einmal dahingestellt. Ich erinnere nur an die Auflage der BA uns gegenüber, dass unsere Altenpflegeschulen, die nichts anderes tun als Altenpflegeschüler zu qualifizieren und zu unterrichten, zweieinhalb Jahre lang einen Zertifizierungsprozess durchlaufen mussten, um Umschulungen für Altenpflegehelferinnen zu machen. Genauso läuft es nun im Zusammenhang mit der Instrumentenreform, egal, wohin man schaut. Für die Menschen, die AGHMaßnahmen erhalten, sind diese Dinge total hinderlich.
Man kann gut verstehen, dass die Träger irgendwann sagen: Es ist gut und schön, dass uns das Land zur Seite steht, dass wir Konstrukte entwickeln und dass es irgendwie geht – die Regionaldirektion ist bei uns sehr kooperativ –, aber eigentlich haben wir die Nase voll. Wir wollen eigentlich nur unseren Auftrag erfüllen, wir wollen für diese Menschen etwas Gutes tun, und wir haben die Erwartung an den Staat, dass die Bedingungen so sind, dass es auch funktionieren kann. –
Zum Abschluss möchte ich den Blick in die Zukunft richten. Wir haben aktuell in Rheinland-Pfalz noch 61 AGH-Projekte mit Qualifizierungsanteilen, und sie alle werden im Jahr 2013 nicht mehr in dieser Weise gefördert werden. Es ist nicht nur die Bürgerservice GmbH in Trier oder das Projekt SPAZ in Mainz, von denen wir allmählich diese Nachrichten bekommen, sondern es gibt auch Betriebe in Kaiserslautern. Es gibt viele Betriebe, die eigentlich schon gar nicht mehr am Markt sind. Das hat sich sehr schleichend vollzogen, und das schreibt auch der Caritas-Vertreter in seinem Brief. Die Schließung der Sozialkaufhäuser macht uns zum ersten Mal öffentlich bewusst, was im Zusammenhang mit der Instrumentenreform und der Eingliederungshilfe eigentlich läuft.
Ich habe es oft in diesem Plenum gesagt, und ich sage es noch einmal: Wenn man für die Langzeitarbeitslosen wirklich etwas tun möchte, dann muss man es mit der Arbeitsmarktpolitik anders anstellen. Wir brauchen nicht so viel Geld wie im Jahr 2010, aber wir brauchen mehr Geld. Wir haben nicht genug Geld, die BA kann es teilweise nicht ausgeben, weil alles so kompliziert geworden ist.
Wir brauchen auch andere Instrumente, die darauf setzen müssen, dass man Zeit hat und mit diesen Leuten nicht nur fünf oder sechs Monate arbeitet, um irgendetwas zu tun, sondern dass man die Chance hat, einmal ein oder zwei Jahre mit ihnen zu arbeiten, man sie in ihrer eigenen Lebenssituation unterstützt, man sie qualifiziert und ihnen Möglichkeiten zur Qualifizierung gibt, und dann bin ich am Ende auch ganz bei Ihnen. Dann können wir auch verlangen, dass sich diese Menschen einbringen. Glauben Sie mir, wir haben sehr viele Erfol
ge in solchen Projekten gehabt. Ich sage Ihnen, wenn wir etwas von den Menschen fordern – vor allem von denen, die arm sind –, dann müssen wir sie auch fördern, aber das, was die Bundesregierung im Arbeitsmarkt tut, ist alles andere als fördern. Sie legt allen nur Steine in den Weg, die eine gute Qualifizierung erhalten möchten, und das ist das Drama an der ganzen Angelegenheit.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Thelen, Sie sagten, das Geld ist vorhanden. Das ist wohl wahr, aber Frau Ministerin Dreyer ist soeben auch darauf eingegangen, wofür es vorhanden ist: eben leider nicht für diejenige Gruppe der Menschen, über die wir gerade sprechen und die außen vor bleiben.
Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten Herrn Professor Dr. Uwe Becker, ein Mitglied des Vorstandes der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe, der sagt:
Das Problem ist doch, dass die Politik – ich füge ein, die Bundesregierung – sich auf diejenigen konzentriert, die leicht an den Arbeitsmarkt zu vermitteln sind. Die anderen werden aus der öffentlichen Aufmerksamkeit entlassen in die desolate Sphäre des Privaten. –
Ich denke, mit diesen Worten ist sehr zutreffend ausgesagt, was letztendlich passiert, und das dürfen wir nicht zulassen. Es existiert eine große Betroffenheit; denn jeden Tag lesen wir Briefe und Äußerungen in der Zeitung. Dies halte ich für richtig, und dies schätze ich auch sehr, weil es ein wichtiges Thema ist, das einen berührt, wenn man in hohem Maße sozial engagiert ist.