Protocol of the Session on December 8, 2011

Mir tut es leid, wenn ich als Politiker oder Politikerin nicht merke, dass sich Zeiten verändern. Wenn sich Zeiten verändern oder sich Instrumente anders entwickelt haben, als man es sich vorgestellt hat, dann ist es die verdammte Pflicht eines Politikers, es zu ändern.

Das ist der Grund, warum wir Leih- und Zeitarbeit verändern wollen, das ist der Grund, warum wir Minijobs im prekären Bereich verändern müssen, und es ist der Grund, warum wir dezidiert für einen gesetzlichen Mindestlohn sind. Ich freue mich über die Diskussionen dieses Antrags, finde auch sehr schön, dass eine Anhörung durchgeführt wird. Denn ich bin auch der Meinung, dass wir die Verpflichtung haben – die meisten von uns werden sich solcher Dienste bedienen –, wirklich zu sehen, was im Hintergrund alles läuft und wir zu handeln haben.

Herzlichen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Kollege Baldauf hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet. Bitte schön. Sie haben das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Ministerin, mit einem sind wir uns völlig einig: Wir reden über eine Missbrauchsbekämpfung.

(Ministerpräsident Beck: Nein, wir reden nicht über eine Missbrauchsbekämpfung!)

Aber interessant ist natürlich, was Sie gerade hier abgezogen haben. Sie haben zu diesem Antrag relativ wenig gesagt. Es geht Ihnen wieder um etwas ganz anderes in diesem Hohen Hause. Es geht Ihnen einzig und allein um das Thema des gesetzlichen Mindestlohns,

(Ministerpräsident Beck: Ja sicher! Natürlich! – Zuruf des Abg. Pörksen, SPD)

den Sie wie eine Monstranz vor sich hertragen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich sage das nochmals ganz bewusst. Der gesetzliche Mindestlohn wird bei dem Antrag, den Sie hier stellen, die Unternehmerschaft nicht dazu bringen, den einfach so zu bezahlen, wenn es keiner überprüft. Wir haben in der Vergangenheit schon Mindestlöhne im Baugewerbe, in vielen anderen Branchen, sogar allgemeinverbindlich erklärt, auch für diejenigen, die nicht tarifgebunden sind. Sie werden mir doch bitte abnehmen, dass auch in diesen Bereichen die Tariflöhne nicht immer bezahlt werden.

Jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Problem in der Geschichte – Sie haben es ja richtig gesagt –: Wann kommen die Leute und beschweren sich? – Sie beschweren sich, wenn ihnen gekündigt wird, weil sie vorher viel zu viel Angst haben, den sogenannten Ar

beitsplatz zu verlieren als Scheinselbstständige oder als Arbeitnehmer. Erst dann kommen sie überhaupt und beschweren sich, in der Regel mit der Konsequenz, dass sie aufgrund Ausschlussfristen gar nichts mehr geltend machen können.

Frau Ministerin, das wissen Sie ganz genau. Dieses ändern Sie mit einem gesetzlichen Mindestlohn nicht.

(Beifall der CDU)

Dafür bedarf es gewisser Überwachungen. Fragen Sie doch bitte auch einmal die Gewerkschaften, ob sie nicht bereit sind, genauer hinzuschauen, wer was macht.

(Beifall der CDU)

Eines empfehle ich in diesem Hohen Hause auch: Diese Selbstdisziplin sollten wir selbst an den Tag legen. Wenn ich von Ihnen nun höre, wir bedienen uns sehr stark dieser Online-Dienste –

(Zuruf der Staatsministerin Frau Dreyer)

sehr geehrte Frau Ministerin –, das können wir ja tun. Aber dann sind wir bitte auch so gut und überprüfen, ob diejenigen, die uns das ausliefern, und diejenigen, die diese Produkte hergestellt haben, auch entsprechend entlohnt werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann brauchen wir es nicht zu bestellen, meine sehr geehrten Damen und Herren. Sich aber hier hinzustellen und hinterher zu sagen: Ei, wir können nichts dazu, wenn einer vor der Haustür steht, ohne es überwachen zu können, das ist – ich wiederhole es – scheinheilig und bringt uns in dieser Diskussion nicht weiter.

(Beifall der CDU)

Wenn Sie eine Lösung präsentieren wollen, bitte eine Lösung, die funktioniert und nicht wieder dieses übliche „Entschuldigung, ich bin Pfälzer“, dieses übliche Geschwätz, wo man sich hinterher fragt, was man mit einem solchen Antrag soll. Ein gescheiter Antrag, und wir machen mit. Wir sind auch bereit, an der Anhörung teilzunehmen. Keine Frage.

(Ministerpräsident Beck. Unglaublich ist das!)

Aber das hier ist reiner – – – Man darf es, glaube ich, nicht mehr sagen. Deshalb sage ich es nicht.

Herzlichen Dank.

(Beifall der CDU – Ministerpräsident Beck: Ihr habt doch die Leute betrogen auf dem Parteitag! Was für ein dummes Gerede!)

Frau Ministerin Dreyer, möchten Sie auf die Kurzintervention antworten?

Herr Baldauf, zu drei Dingen möchte ich gern noch etwas sagen.

1. Wir sind uns nicht einig. Es geht nicht nur um Missbrauchsbekämpfung, sondern es geht um eine Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist ein großer Unterschied.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

2. In dem Antrag steht der gesetzliche Mindestlohn, aber darin stehen auch die prekären Arbeitsverhältnisse.

(Baldauf, CDU: Haben wir ja gesagt, reden wir darüber! Zuhören!)

Es tut mir ein bisschen leid, dass Sie in Ihrer ersten Wortmeldung so ironisch über das Thema „Gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen“ hinweggegangen sind.

(Baldauf, CDU: Das ist doch Quatsch!)

Es gehört der Arbeitsschutz dazu. Es gehört dazu, dass die Leute am Arbeitsplatz natürlich auf ihre Gesundheit achten können. Wenn man heute im Kopf nicht klar hat, dass Gesundheitsförderung auch zu den Personalaufgaben gehört, vor allem, wenn man länger arbeiten muss, dann kann ich nur sagen: Sorry, Sie sind in der Arbeitswelt nicht so richtig angekommen.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Überhaupt nicht!)

3. Ich weiß nicht genau, was Ihr Gegenmodell zum Mindestlohn ist.

(Baldauf, CDU: Die Kontrolle, Frau Ministerin!)

Aber heute hatte ich den Eindruck, die individuelle Kontrolle eines jeden einzelnen Paketzustellers durch jeden einzelnen Besteller soll in Zukunft die Bürger und Bürgerinnen übernehmen. Sie sollen kontrollieren, ob die Leute einen anständigen Lohn bekommen oder nicht.

(Baldauf, CDU: Das können Sie alles über die Sonderkassen regeln! – Ministerpräsident Beck: Was für ein Käse!)

Was soll das? – Wir brauchen eine ordentliche Ordnung auf dem Arbeitsmarkt. Wir müssen uns darauf verlassen können, dass die Leute das verdienen, was gesagt wird. Deshalb brauchen wir natürlich einen gesetzlichen Mindestlohn und weniger Leiharbeit und weniger Minijobs, damit klar ist, man kann die Dinge, die gesellschaftsfähig sind und auch wirklich der Zeit entsprechen, nutzen, sodass die Leute ordentlich bezahlt werden.

Ich persönlich bin nicht der Auffassung, dass irgendjemand hier im Parlament in der Lage ist, bei allem, was er tut – beim Einkaufen, beim Busfahren, beim Training etc. –, zu überprüfen, ob die Leute alle ordentlich behandelt werden. Dafür gibt es eine Ordnung am Ar

beitsmarkt. Genau das steht in diesem Antrag. Deshalb begrüße ich diesen Antrag.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es haben noch alle Fraktionen vier Minuten Redezeit. – Jetzt hat Frau Anklam-Trapp das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vier Minuten sind eine wunderbare Zeit. Sehr geehrter Herr Baldauf, dass ich heute dazu noch einmal das Wort ergreifen kann, macht mir eine besondere Freude. Denn es geht hier wirklich um gute Arbeit. Tanja Machalet, unsere Kollegin, hat hervorragend ausgeführt, was es bedeutet, wenn Menschen gut arbeiten können und wollen, wenn Menschen mit ihrer Arbeit leben wollen, und zwar so, dass sie am Ende kein unwürdiges Arbeitsverhältnis und keine unwürdigen Lebensbedingungen haben, wenn man nicht durch unwürdige Arbeit danach einen Raum hat, in dem Menschen in den untersten Grenzen miteinander leben müssen, bei Leiharbeit, Minijobs und der „Generation Praktikum“.

All das, was Sie als blauäugig und doppelmoralisch bezeichnen, ist für uns eine wichtige Intention, immer wieder zu kämpfen und zu werben, dass wir weiterhin Lohnuntergrenzen haben und nicht, wie die CDU es sagt. Unsere Lohnuntergrenze liegt bei 8,50 Euro. Dafür treten wir ein, hier am Beispiel der Paketzusteller, aber auch bei TEDi-Jobs für 1 Euro, bei KiK-Läden, wo 4 Euro bezahlt werden, oder zum Beispiel bei landwirtschaftlichen Helferverträgen, die wir tariflich mit knapp unter 5 Euro festgelegt haben. Aus Rheinhessen, wo ich herkomme, weiß ich das.

Ich zitiere – das tue ich gern – einen Oberbürgermeister einer großen Stadt. Ich habe vor einigen Tagen ein Zitat von ihm gehört. Er hat gesagt: Die Subventionserschleichung eines sozialen Missstands ist unerträglich. – Da können wir uns als Sozialdemokraten – vielleicht auch BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – anschließen. Wir müssen mehr Diskussionen darüber führen.

Ich freue mich auf die Anhörung. Wir werden daran arbeiten, einen gesetzlichen Mindestlohn für alle Branchen einzuführen.

Vielen Dank.

(Beifall der SPD und des BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)