Protocol of the Session on December 7, 2011

sonen hatten sie, welche Aggression spielte vielleicht in den Familien eine Rolle? Es wird sicherlich individuelle Grüne geben. Aber das kann und darf keine Entschuldigung sein für ein solches Verhalten, höchstens eine bittere Erklärung. Denn selbst Perspektivlosigkeit, selbst schwierige Biografien rechtfertigen niemals ein solches menschenverachtendes Verhalten.

Der Angriff auf die Menschen, die angeblich nicht gewollt waren, ist nicht nur ein Angriff auf zehn oder mehr Personen, sondern es ist auch ein Angriff auf uns alle, die sich für einen anderen Staat und ein anderes Menschenbild einsetzen, für einen Rechtsstaat, freiheitlichdemokratisch.

Unsere Idee des Zusammenlebens, die wir hier alle haben, müssen wir geschlossen und entschlossen fraktions- und parteiübergreifend verteidigen. Wir setzen heute ein Zeichen gegen alle, die Menschenleben geringschätzen, die das Menschenleben und dessen Wert in Wertigkeit oder Nichtwertigkeit unterscheiden. Wir setzen ein Zeichen gegen die, die nur ihre eigene Haltung gelten lassen, ein Zeichen gegen die, die nur die Sprache der Gewalt sprechen.

Herr Ministerpräsident, ich danke Ihnen, dass Sie am Totensonntag in Bretzenheim bei Bad Kreuznach waren und auch ein Zeichen gesetzt haben. Wir waren mit allen demokratischen Parteien dort vertreten und haben an dem sogenannten Feld des Jammers ein Friedensgebet gehalten oder daran teilgenommen. Warum dort? – Weil wenige Momente vorher Rechtsextreme aufmarschiert sind. Lächerlich, wenn man sich so etwas anschaut, wie solche Gruppierungen überhaupt attraktiv sein können, weil sie an dieser Stelle eine unsägliche Heldenverehrung und Geschichtsklitterung betrieben haben. Dort haben wir ein Zeichen für unser Verständnis von Gesellschaft, von Rheinland-Pfalz und Deutschland gesetzt.

Rechtsradikales Gedankengut müssen wir, liebe Kolleginnen und Kollegen, im Keim ersticken. Aber wie? – Ja, auch durch Repression, durch Edukation, aber auch mit der Hilfe für diejenigen, die aussteigen wollen, durch Bildung für junge Menschen. Sie müssen frühzeitig für etwas begeistert werden, nämlich für unser Wertefundament für eine Gesellschaft, die bunt ist, Regeln hat, aber eine Bereicherung ist, wenn wir Menschen mit offenen Armen begegnen.

Wir müssen aber auf der Hut sein. Rechtsradikale treten heute anders auf, als wir das sonst immer vermutet haben. Sie geben sich als solche aus, die sich irgendwo in der Mitte der Gesellschaft befinden, die soziale Fürsorge leisten, die vor allen Dingen in Lücken hineinstoßen.

Wenn wir uns die neuen Bundesländer anschauen, sind es gerade rechtsradikale Kameradschaften und Vereine, über deren Verbot wir auch nachdenken müssen. Es sind gerade diejenigen, die ein soziales Netzwerk und Freizeitangebote anbieten.

In Mecklenburg-Vorpommern haben NPD-Sympathisan- ten versucht, eine Kita zu unterwandern. Das heißt, die Aufklärung oder das Gewinnen für unsere Gesellschaft

kann nicht früh genug beginnen. Wir müssen auf der Hut sein.

Unweigerlich kommt natürlich die Frage nach einem NPD-Verbot, die Frage danach, was die NPD ist. Sie ist verfassungsfeindlich, sie ist menschenverachtend, und es tut weh, sich vorzustellen, dass deren Strukturen mit Steuergeldern unterstützt werden.

Ich sage Ja zu einem NPD-Verbotsverfahren. Dieses Verfahren muss gut, gut vorbereitet sein. Mein Bauch sagt sofort Ja. Wichtig ist aber auch, dass wir Ergebnisse der Untersuchungen einfließen lassen, keine Schnellschüsse und Ferndiagnosen betreiben und bei all dem, was wir errungen haben – ich sage bewusst, auch dem Datenschutz –, nicht von einem Extrem ins andere fallen, sondern dafür kämpfen.

Und deshalb zum NPD-Verbot.

Ich möchte eines noch vorab sagen. Mich hat das Interview von Herrn Papier, ehemaliger Verfassungsrichter, vorgestern in der Tageszeitung „DIE WELT“ sehr nachdenklich gemacht. Er hat gesagt, wir oder die Politik – damit sind wir gemeint – müssen achtgeben, dass wir nicht wieder in die gleiche Falle gehen wie 2003, damals unter Bundesinnenminister Schily. Das ist keine Frage von Partei oder nicht Partei. Wir alle sind da zusammen. Wir müssen darauf achtgeben, dass wir nicht wieder in eine gleiche Falle gehen und nicht von der Ursache ablenken.

Auch wenn ich für ein Verbot bin, ist mir klar, dass wir mit dem Verbot nicht rechtsextremes Gedankengut mit einem Schritt verbieten können. Aber wir können die Strukturen zerschlagen.

Deshalb – Herr Papier sagte, es gibt den juristischen Weg – erst einmal klären, ob die juristischen Voraussetzungen gegeben sind, und dann kommt die politische Entscheidung. Es gibt für beides gute Gründe, dass wir sagen, dass just dann, wenn eine extremistische Partei zu beobachten ist, man auch weiß, wohin die Fäden laufen. Aber ich muss sagen, dieses Argument ist überholt. Warum? – Weil wir merken, die NPD hatte intensive Verbindungen zur Neonaziszene. Jetzt stellt sich die Frage, auf die auch Herr Papier hinweist: Sind es nur einzelne Personen aus der NPD oder die NPD als solche?

Ich bin der Meinung, Bund und Länder müssen gemeinsam den Schritt gehen und dieses Verbotsverfahren auf den Weg bringen, mit kühlem Kopf, aber auch heißem Herzen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle haben eine Verpflichtung, ganz gleich wie alt wir sind, welche Geschichten und Seiten wir haben.

1. Wir müssen das Vertrauen in unser Land wiederherstellen.

2. Wir müssen uns ganz entschieden mit allen rechtsstaatlichen Mitteln gegen rechtsextremes Gedankengut zur Wehr setzen.

3. Die vollständige Aufklärung sind wir den Familien, den Angehörigen schuldig. Aber auch wir sind uns schuldig, aus diesen Erkenntnissen vielleicht neue Strukturen zu erarbeiten.

4. Wir müssen aus diesen Ergebnissen lernen. Keine Superbehörde. Das will ich nicht. Aber wir brauchen eine Datei, aus der rechtsextreme Straftaten und Neigungen deutlich werden und die über Ländergrenzen und die Ämter hinweg ausgetauscht werden kann. Ein Verbot von rechtsradikalen Kameradschaften oder Vereinen.

5. Wir dürfen terroristische Bedrohung nicht gegeneinander aufrechnen oder sie miteinander verrechnen.

7. Bildung, Bildung und noch einmal Bildung. Empathie, Herzensbildung, die Stärkung von Familie. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiger Punkt für die Zukunft.

Wir unterstützen die Arbeit der rheinland-pfälzischen Polizei und des Verfassungsschutzes.

Herr Minister Lewentz, nehmen Sie bitte unseren Dank für die Arbeit mit und dass wir dort, wo Notwendigkeiten sich zeigen, parteiübergreifend an der Seite stehen.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen, ich bin froh, dass sich Integrationsministerin Professor Dr. Maria Böhmer heute mit Migranten trifft und auf der Tagesordnung unter anderem auch das Thema des Rassismus und der rechtsextremen Morde steht. Es ist wichtig, dass wir einen Ombudsmann als Anlaufstelle für die Familien haben, die die Fälle noch nicht verarbeitet haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, jeder, der hier lebt, hat ein Recht auf Schutz, auf Achtung seiner Würde. Deutschland ist kein Land, das ein rechtsextremes Gesicht hat. Deutschland ist ein Land, das aus der Vergangenheit gelernt hat. Deutschland ist ein Land, das sich nicht den Weg von ewig Gestrigen verbauen lassen will. Im Gegenteil. Wir müssen denen, die mit Gewalt gegen Menschen vorgehen, den Weg versperren, damit klar wird, wir sind es den Opfern schuldig, und heute ist ein Zeichen dafür.

Herzlichen Dank.

(Anhaltend Beifall im Hause)

Ich erteile Herrn Kollegen Köbler das Wort. – Bitte schön.

Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie es angesprochen haben. Viele Menschen in Deutschland haben in diesen Tagen und Wochen Scham empfunden. Sie konnten nicht verstehen, warum eine terroristische Nazibande über Jahre Gewalt und Mord über Deutschland bringen konnte. Sie konnten nicht verstehen, warum sich viele erst jetzt der Gefahren der Rechtsextremisten bewusst werden. Sie haben sich

noch viel mehr für den Umgang von Teilen der Öffentlichkeit und der Ermittlungsbehörden mit den Opfern und deren Angehörigen geschämt.

Die Toten wurden mit Bandenkriminalität, mit Schutzgelderpressungen oder anderen Straftaten in Verbindung gebracht. Ihr Ansehen wurde auch gegenüber ihren hinterbliebenen Freunden, Bekannten und Familienangehörigen posthum beschädigt. Die Morde wurden und werden teilweise heute noch abwertend als „DönerMorde“ bezeichnet. Ich sage, dieser Begriff ist eine Bankrotterklärung unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft gegenüber den rechten Demokratiefeinden, meine Damen und Herren. Ich sage, dafür schäme ich mich ganz persönlich.

Da ist Trauer, Entsetzen und Wut über die menschenverachtende Gewalt, Fassungslosigkeit über eine grauenvolle Blutspur in unserem Land, über rechtsextremen Terror, der Menschen exekutiert wegen ihrer Herkunft, vielleicht wegen ihrer Hautfarbe oder wegen ihrer Religion, weil sie nicht ins Weltbild dieser ewig Gestrigen und auch der neuen Nazis passen.

Deshalb trauern wir zutiefst um Enver Şimşek, Abdurrahim Özüdoğru, Süleyman Taşköprü, Habil Kılıç, Yunus Turgut, İsmail Yaşar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubaşık, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Der Tod dieser Menschen ist eine Tragödie und mit Worten nicht zu beschreiben.

Die Opfer sind Bürgerinnen und Bürger unseres Landes gewesen. Hier war ihre Heimat. Diese Heimat, wir hätten sie schützen müssen.

Dieser Naziterror ist ein politisches und gesellschaftliches Erdbeben. Er hat uns alle getroffen. Er hat uns dieses Wir bis ins Mark erschüttert. Abgründe tun sich auf und viele Fragen nach der Rolle der Ermittlungsbehörden, vor allem des Verfassungsschutzes. Wen hat der eigentlich geschützt?

Diese Fragen schreien nach unabhängiger Untersuchung, nach vollständiger Aufklärung, nach öffentlichen Antworten und nach ernsthaften Konsequenzen. Es kann keiner mehr sagen, wir wussten nicht, wie gefährlich Rechtsextremismus in unserem Land ist.

Rechtsextreme Gewalt bedroht, verletzt und, ja, rechtsextreme Gewalt tötet Menschen, 182 Menschen seit 1990.

Wir haben in der Vergangenheit immer wieder auf die Aktivitäten der Rechtsextremen und der Nazis hingewiesen. Auch in Rheinland-Pfalz sind Rechte aktiv und organisieren in regelmäßigen Abständen Aufmärsche oder andere Dinge. Deswegen gilt unsere Solidarität heute auch den Demokratinnen und Demokraten, die sich jetzt am Samstag wieder auf die Straße stellen, die Zeichen setzen, die sich den Nazis in den Weg stellen und ein klares Signal für Zivilcourage, Menschlichkeit und Demokratie in unserem Land setzen.

Meine Damen und Herren, was wir jetzt brauchen, ist lückenlose Aufklärung dieser Verbrechen und all ihrer dubiosen Hintergründe. Wir brauchen eine kritische

Auseinandersetzung mit dem Verfassungsschutz. Wer kontrolliert eigentlich die Kontrolleure?

Was wir nicht brauchen, ist eine bundesweite Superverfassungsbehörde, sondern wir brauchen ein Ende des Eigenlebens der Verfassungsämter auf Bundesebene und offensichtlich in einigen Ländern. Wir brauchen Transparenz und endlich strukturelle und personelle Konsequenzen aus dem, was wir erfahren müssen. Ich bin deswegen sehr dafür, wenn der Bundestag zu der Erkenntnis käme, einen Untersuchungsausschuss dazu einzurichten.

Vor allem brauchen wir einen klaren antirassistischen politischen Kurs und eine klare Haltung gegen rechts und nicht eine immer wiederkehrende relativierende Gleichsetzung von rechts und links. Das ist aufgrund unserer deutschen Geschichte – das muss man gerade heute feststellen – etwas, was eher denjenigen den Nährboden gibt, die hier ihre Untaten betrieben haben.

Wir werden es deswegen in der Diskussion nicht zulassen, dass von dem Gesellschaftsversagen und vielleicht auch von dem politischen Versagen abgelenkt wird und sich die Debatte ausschließlich auf ein NPDVerbotsverfahren reduziert. Ich sage ganz klar, wir wollen, dass die Voraussetzungen für ein NPDVerbotsverfahren geschaffen werden und ein neues NPD-Verbotsverfahren auf gar keinen Fall scheitern darf. Das hilft nur den ganz Falschen.

Wir müssen deswegen die V-Leute abschalten. Sie sind und bleiben Rechtsextreme. Sie sind und bleiben Nazis, und sie sind eben keine demokratischen Informanten. Ich bin sehr froh, dass hier offensichtlich in RheinlandPfalz die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen worden sind.

Ein NPD-Verbot ist kein alleiniger Selbstzweck, sondern ist vor allem – das ist in diesen Tagen klargeworden – präventiver Opferschutz und ein erheblicher Schlag gegen rechtsextreme Strukturen, die das Parteienprivileg ausnutzen, um diejenigen mit zu unterstützen, die solche schrecklichen Taten verübt haben. Deswegen ist es nicht weiter zu ertragen, dass das Parteienprivileg die rechtsextremistischen Ideologien nicht nur schützt, sondern die Taten offensichtlich mit unterstützt hat. Wir sollten das NPD-Verbotsverfahren deswegen auf den Weg bringen. Wir sollten die Voraussetzungen auf jeden Fall so schaffen, dass es zum Erfolg führen kann.

Wir müssen uns klarmachen, dass eine Ideologie nicht per Gesetz verschwindet. Dazu braucht es eine starke und wehrhafte Zivilgesellschaft, eine politische Kultur des Hinsehens, der Toleranz, der demokratischen Beteiligung und eine Stärkung der Transparenz in der Politik. Eine lebbare und starke Demokratie, eine sich zu Vielfalt und Toleranz bekennende weltoffene Gesellschaft sind die entscheidenden Voraussetzungen dafür, den Rechtsextremen das Wasser abzugraben und den braunen Sumpf trockenzulegen. Deswegen machen wir hier in Rheinland-Pfalz eine Gesellschafts- und Integrationspolitik des Willkommens, des Miteinanders auf Augenhöhe, gegen Diskriminierung und für eine Kultur des zwischenmenschlichen Respekts und der gegenseitigen Achtung unabhängig vom kulturellen Hintergrund, Her

kunft oder Hautfarbe. Deswegen ist es richtig, ein eigenständiges Integrationsministerium geschaffen zu haben.

Was wir nicht brauchen, ist eine Politik, die gerade die hervorragende Arbeit der zivilgesellschaftlichen Initiativen gegen rechts systematisch entmutigt und sie unter Generalverdacht stellt. Die Extremismusklausel muss weg. Wenn nicht jetzt, wann dann? Stattdessen brauchen wir eine Stärkung der Projekte gegen rechts auf Bundesebene sowie bei uns in Rheinland-Pfalz.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam für einen notwendigen breiten gesellschaftlichen Konsens arbeiten, einen gesellschaftlichen Konsens, dass die Würde des Menschen, und zwar jedes einzelnen Menschen, unserer moralischer Imperativ ist. Die uneingeschränkte Menschenwürde ist der Imperativ für unser politisches Handeln. Ich glaube, hier für das gesamte Parlament sprechen zu dürfen. Wir lassen es nicht zu, dass Diskriminierung, Menschenhass und Rassismus in unserer Gesellschaft weiter um sich greifen. Wir werden rechte Gewalt und die Nazis in unserem Land mit Herz und vollster Überzeugung weiterhin konsequent bekämpfen.